Hinter einem Bett an der Wand unter dem Teppich, näher als du denkst, da wohnte einmal eine kleine Bettwanzenfamilie ihr stilles und heimliches Leben. Mama Bettwanze und Papa Bettwanze, und die vier Kinder, davon zwei Mädchen. Und eines Tages, da lächelte Mama Bettwanze mal wieder den ganzen Tag so seltsam selig und entrückt vor sich hin, und Papa Bettwanze war zwar hin und wieder schwer von Begriff, aber diesen Gesichtsausdruck seiner Frau kannte er. „Du hast schon wieder irgendwo ein Ei versteckt. Wir werden bald fünf Kinderchen haben, oder?“, fragte er ernst und sie nickte lächelnd. Doch sein Gesicht blieb ernst und er runzelte besorgt die Stirn. „Wir müssen ab jetzt aber wirklich aufpassen“, sagte er nachdenklich. „Wir dürfen nicht noch mehr werden, wir alle haben einen gesunden Appetit. Wenn wir zu viele sind, dann werden unsere Menschen nicht mehr davon ausgehen, dass sie eine zu trockene Haut haben oder dass Mücken ihr Unwesen treiben, sondern der Ursache der kleinen roten Pusteln auf den Grund gehen. Und du kennst die Geschichten, was passiert, wenn die Menschen von unserer Existenz erfahren.“ Natürlich kannte seine Frau diese Geschichten von den übelsten Gas- und Giftmorden. Sie wollte lieber nicht daran denken. „Ja, wir müssen aufpassen“, sagte sie. „Aber wir haben ja unsere spezielle Bisstechnik, mit der wir nur sehr kleine Pusteln produzieren. Sie werden uns schon nicht erwischen.“ Doch ihr Mann schüttelte ungeduldig den Kopf. „Bisstechnik hin oder her, eine Nummer Sechs sollten wir unbedingt vermeiden. Die Nummer Fünf ist schon heikel genug.“ Seine Frau nickte. Und dann sah sie Nummer Fünf, der ein bisschen früher als erwartet aus seinem Ei gekrochen war. Und Nummer Fünf knurrte der Magen. Aber er musste sich ein bisschen gedulden, es war noch keine Menschenschlafenszeit. Als die Zeit gekommen war, machten sie sich sogleich auf den Weg. Seine Mutter begleitete ihn beim ersten Bissausflug, so wie es in der Familie von jeher Sitte war, um ihrem Nachwuchs das Geheimnis des sanften Bisses zu lehren. Gut gesättigt kehrten beide ein bisschen später zurück. Doch was war das? Plötzlich erklang ein ohrenbetäubendes Geschrei. Wo kam das her? Stritten ihre Menschen? Mama und Papa Bettwanze und alle fünf Kinder krabbelten aus ihrem Versteck und lugten hinter dem Bettpfosten hervor. Und dann sahen sie es. Da stand gegenüber an der Wand ein sehr kleines Bettchen. Und davor stand einer ihrer beiden Menschen und hielt ein sehr viel kleineres Menschlein in den Armen, das erbärmlich schrie. „Hat einer von euch das kleine Menschlein gebissen?“, fragte der Vater streng, aber die Kinder waren sich keiner Schuld bewusst. „Das dürft ihr nämlich niemals tun. Sie achten sehr auf ihre kleinen Kinder.“ Und die Fünf nickten eifrig. Doch schon in der folgenden Nacht schlich sich Nummer Fünf leise davon. Er musste einfach mal probieren, er konnte den menschlichen Nachwuchs die ganze Zeit riechen und es duftete einfach zu verlockend. Er würde so sanft zubeißen, dass der Kleine nicht einmal aufwachen würde. So krabbelte er in das kleine Bettchen. Und es war ein Fest. Herrlich süßes Blut. Die erwachsenen Menschen schmeckten dagegen fast ein bisschen ekelhaft bitter. Schon in der darauffolgenden Nacht schlich Nummer Fünf wieder zum Kinderbettchen. Doch als er gerade hochklettern wollte, entdeckte er hinter sich seine vier neugierigen Geschwister. Und sie alle krabbelten in dieser Nacht zu dem Menschennachwuchs ins Bettchen. Auch in der nächsten und der darauffolgenden Nacht. Das Menschenkind wurde blass und blasser. „Es ist nicht gut, was wir tun“, sagte eines der Mädchen in der dritten Nacht. „Wir saugen dem kleinen Kerl sein ganzes Blut raus. Wir müssen aufpassen, dass dieser Mensch uns nicht stirbt.“ Duch die anderen blickten sie nur mit blutverschmierten Mündern und gierigen Augen an. Und das Mädchen sah sie trinken und schmatzen, dann siegte auch ihre Gier. In der darauffolgenden Nacht war das Menschenkind verschwunden. Und auch die Eltern tauchten nicht auf. Dafür kamen irgendwann ein paar Gestalten weißen Schutzanzügen mit Gasmasken. Und sie rückten Möbel beiseite und suchten in jeder Ecke. Und die Moral von der Geschicht: Gier lohnt sich nicht. Nie. GAH
