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Editorial 02-2025


Liebe Leser*innen,

in dieser Ausgabe habe ich mit Vanessa Erstmann gesprochen, die man in Hannover vor allem als Vorsitzende des Jazz Clubs kennt. Darüber haben wir auch gesprochen, aber nicht nur. Denn sie hat ein wirklich lesenswertes Buch geschrieben. „Reden wir von Hannover – das wird genügend harmlos sein“, so der Titel. Ein Zitat von Lessing, der Hannover ganz gerne mal aufs Korn genommen hat. Wir wissen, er hatte bis heute zahlreiche Nachahmer. „Eine Stadt auf der Suche nach ihrem Image“, so lautet der Untertitel. Und das stimmt. Hannover sucht seit Jahren. Ob man inzwischen fündig geworden ist oder zumindest weiß, woran es hapert, dazu mehr ab Seite 54.

Deutschland arbeitet momentan ebenfalls an seinem Image. Aber ob das in die richtige Richtung geht, wage ich doch sehr zu bezweifeln. Ganz ehrlich, wenn ich mir das Schauspiel ansehe, was da gerade unter dem Titel „Wahlkampf“ aufgeführt wird, dann wird mir angst und bange. Es ist eine Tragödie und stellenweise gar nicht mehr auszuhalten. Das populistische Getöse von allen Seiten macht mich einigermaßen ratlos. Was ist das für ein Niveau? Ich hätte gerne wieder faktenbasierte und sachorientierte Debatten um echte Lösungen für tatsächliche Probleme. Ist das zu viel verlangt? Ein bisschen weniger Sandkasten? Ich möchte, dass wir darüber sprechen, in was für einem Land wir eigentlich leben wollen. „Mehr Milei oder Musk wagen“, hat Christian Lindner neulich vorgeschlagen. Ernsthaft? Braucht Deutschland wirklich Disruption? Ich denke eher, Deutschland braucht endlich mal wieder eine kluge, zukunftsorientierte Strategie. Vielleicht auch eine Vision. Oder ein paar mehr Visionen.

Es gibt eine Partei, die hat ganz offensichtlich eine Strategie, das ist die AfD. Und leider scheint diese Strategie immer mehr aufzugehen. Mittlerweile haben sich fast alle vor ihren Karren spannen lassen. Wenn man beispielsweise Friedrich Merz in diesen Tagen so zuhört, darf der sich über Beifall von ganz rechts überhaupt nicht wundern. Wobei ich einen ähnlichen Trend durchaus auch bei den anderen Parteien sehe. Der Wind weht zunehmend ausländerfeindlicher in Deutschland. Und alle hängen brav ihr Fähnchen in den Wind, um es sich ja nicht mit den besorgten Bürgerinnen und Bürgern zu verscherzen. Geht’s noch?

Ich frage mich die ganze Zeit, wo der empörte Aufschrei aus der Mitte unserer Gesellschaft bleibt. Oder ist das jetzt das neue Deutschland? Egoistisch, hart, inhuman, destruktiv? In letzter Zeit erzählen mir mehr und mehr gute Freunde mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, dass sie darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen. Ich kann das inzwischen sehr gut nachvollziehen. Aber wohin? Das ist die große Frage. Wir sehen diese Tendenz ja überall. Und ich will auch gar nicht gehen. Ich will den Alice Weidels dieser Welt nicht das Land überlassen. Ich will in die andere, in die entgegengesetzte Richtung. Und ja, darum werde ich am 23. Februar zur Wahl gehen. Und eine demokratische Partei wählen. In der Hoffnung, dass die demokratischen Parteien nach der Wahl vielleicht wieder zur Vernunft kommen. Und die echten Probleme angehen. Bitte keine Scheindebatten und Nebelkerzen mehr, bitte keine großen Versprechungen mehr, bitte einfach mal die Schnauze halten, die Ärmel hochkrempeln und abliefern. Das würde ich mir wünschen.

Die demokratischen Parteien haben aus meiner Sicht nur noch diese eine Chance. Wenn sie es in den kommenden vier Jahren nicht hinbekommen, den Populismus zu überwinden, idealistische Gräben zuzuschütten und konstruktiv miteinander zu arbeiten, dann werden wir 2029 die Quittung bekommen. Und das kann, das darf nicht sein!

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