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Literarisches: Heinrich Thies


Eine Holocaust-Überlebende begegnet in der Lüneburger Heide einem Mann, dessen wahre und grausame Identität erst Jahre später enthüllt wird. Heinrich Thies‘ Roman „Sally – Der Weg zurück ins Leben“ ist eine Auseinandersetzung mit der Normalität des Bösen. Im Oktober veröffentlicht, erzählt der Text, inspiriert von realen Biografien, eine Geschichte über die Herausforderungen des Überlebens.

Sally Rosenstein, eine jüdische Tänzerin, lebt nach ihrer Befreiung aus dem KZ Bergen Belsen in einem Camp für „Displaced Persons“ und wartet auf ihre Ausreise nach Palästina. Sie tanzt, spielt Theater und fährt Rad. Bei einer ihrer Radtouren durch die Lüneburger Heide trifft sie zufällig den Eiermann Otto, einen charmanten, Geige spielenden Hühnerhalter. Es folgt eine Freundschaft, bei der Sally nicht ahnt, dass Otto einer der größten Kriegsverbrecher der NS-Zeit ist und damit mitverantwortlich an der Ermordung von Millionen von Menschen. Als sie dies Jahre später anhand eines Fotos herausfindet, schlägt es Sally zurück in die tiefen Abgründe ihrer Vergangenheit. Sie ist konfrontiert von einer inneren Zerrissenheit und Wut – und dem Bösen, das mitten unter uns zu leben scheint.

Thies‘ Sohn tippt auf ein Foto der jüdischen Tänzerin Dolly Friedler-Kotz und schlägt seinem Vater vor, die Geschichte dieser Frau zu erzählen. Das war der Impuls für „Sally“, so erzählt es der Autor. Über Otto Adolf Eichmann und sein Undercover-Leben in dem Ort Altensalzkoth hatte er bereits vor 15 Jahren für die HAZ recherchiert. „Zum einen hat es mich fasziniert, dass schon innerhalb weniger Monate am Rande der Massengräber neues jüdisches Leben aufgeblüht ist“, sagt Heinrich Thies und fährt fort: „Zum anderen hat es mich elektrisiert, dass nur rund zehn Kilometer entfernt der Cheflogistiker des Massenmords an den Juden Hühner gehalten und Geige gespielt hat und durchaus bei seinen Nachbarn angesehen war. Diese verstörende Nähe von Opfer und Täter, die ja der Realität entspricht, hat mich dazu bewogen, Sally mit Otto zusammenzuführen – eine fiktive Begegnung, die sich aber durchaus so hätte ereignen können.“

Der Autor beleuchtet wenig erforschte Facetten der Nachkriegszeit: das Leben von Holocaust-Überlebenden in Displaced Persons Camps und die beunruhigende Nähe zwischen Opfern und Tätern. Sallys Geschichte von ihrem Leben in Israel, ihrer Rückkehr nach Deutschland und die Rückblicke auf die Schrecken des Holocausts verweben sich zu einem Geflecht aus fundierter historischer Geschichte und psychologischer Tiefe, das Lesende beeinduckt und beklemmt zurücklässt.

Thies greift damit Hannah Arendts Konzept der „Banalität des Bösen“ auf, „welches betont, dass Eichmann – wie andere Nazi-Verbrecher – kein Monster war, sondern verstörend normal. Für Arendt liegt gerade in dieser Normalität das Erschreckende, das Gefährliche des Nationalsozialismus“, erzählt Heinrich Thies. Otto erscheint nicht als Dämon, sondern als gewöhnlicher Mann, der sich scheinbar mühelos an jede Umgebung anpasst. „So konnte eine Holocaust-Überlebende wie Sally diesen Mann durchaus sympathisch finden – sicher auch, weil Eichmann so skrupellos in der Lage war, sich ganz unterschiedlichen Bedingungen anzupassen. Ein Chamäleon.“

Heinrich Thies, geboren 1953 in der Lüneburger Heide, begann seine berufliche Laufbahn als Gymnasiallehrer, bevor er als Journalist zur Hannoverschen Allgemeinen Zeitung wechselte. Neben seiner journalistischen Arbeit hat Thies Biografien, Romane und Sachbücher verfasst. Mit Sally knüpft er an den Erfolg von „Fesche Lola, brave Liesel“ an, das ebenfalls historische und fiktionale Elemente verwebt.

331 Seiten

24 Euro

Rote Katze Verlag

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