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Ein letztes Wort im Januar

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Ein letztes Wort im Januar


Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

 

Herr Weil, in letzter Zeit fällt in Diskussion recht häufig der Begriff Doppelmoral – den Ansprüchen, beispielsweise bei der Einhaltung der Menschenrechte, stehen wirtschaftliche Interessen gegenüber. Müssen wir unseren Kompass generell neu ausrichten? Müssen wir umsteuern? Wie stehen Sie zu Geschäften mit Katar, mit China, mit dem Iran …

Die Welt ist heute eng vernetzt und wir können nicht einfach aussteigen. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber trotzdem entscheidend, wie uns zuletzt die zahlreichen Probleme mit Lieferketten etc. vor Augen geführt haben. Und zweitens sollte man sich auch darüber im Klaren sein, dass wir zu einem sehr eurozentrierten Blick neigen. Eine Mehrheit der Menschen lebt aber unter ganz anderen Bedingungen, in anderen Kulturkreisen und teilweise auch mit anderen Wertmaßstäben. Drittens müssen wir konstatieren, dass wir, wenn wir den Blick auf uns selbst richten, vielleicht auch nicht über jeden Zweifel erhaben sind. Mir ist bei der Diskussion um die schlimmen Arbeitsbedingungen von Stadionarbeiter*innen in Katar zum Beispiel wieder eingefallen, dass es bei uns erst eine Pandemie gebraucht hat, ehe wir bestimmte Beschäftigungsformen in der Fleischindustrie verboten haben. Und auch das ist erst passiert, nachdem es dort viele Infektionen gegeben hatte. Kurz gesagt:  wir haben unsere eigenen Wertmaßstäbe, zu denen müssen wir auch stehen, sollten selbst nach ihnen leben und auch dafür werben, aber wir sollten dabei den erhobenen Zeigefinger möglichst vermeiden.

Ich kann das ein Stück weit mitgehen, wahrscheinlich ist es völlig utopisch, dass wir irgendwann nur noch Geschäfte mit lupenreinen Demokratien machen, aber ich würde mir dennoch künftig eine schärfere Linie wünschen. Nehmen wir den Iran: Wir haben viele Jahre weggesehen und gute Geschäfte gemacht. Ein Verweis auf die Zustände in den Schlachthöfen bei uns reicht mir da nicht.

 Da dürfen Sie mich nicht missverstehen, mir ging es eben nur darum, dass wir nicht so tun sollten, als ob wir ohne Fehl und Tadel wären. Das sind wir nämlich definitiv nicht. Was den Iran angeht, ist die Sache für mich klar. Das brutale Vorgehen des iranischen Regimes gegen die eigenen Bürgerinnen und Bürger ist unerträglich und die EU hat deshalb auch die Sanktionen verschärft. Aber auch das ist immer ein Balanceakt – denn die Sanktionen sollen das Regime treffen und nicht die Bevölkerung.

Mir scheint es dennoch so – bei allem Verständnis für die Komplexität der Themen –, dass wir in Deutschland oft nicht laut genug für die Menschenrechte eintreten. Und das gilt auch für Europa insgesamt. Für mich sind die Menschenrechte nicht verhandelbar, man darf sich gerne klar dazu bekennen und muss den Rücken durchdrücken gegenüber jenen, die diese Rechte missachten. Ich finde, dass man es teilweise mit der Diplomatie übertreibt. Vor allem, wenn ich sehe, dass sich ja auch immer wieder Fenster öffnen. Wir haben gerade in China gesehen, dass die Menschen sich auch nicht alles gefallen lassen. Ist es nicht gut, zu zeigen, dass es alternative Systeme gibt, in denen das Zusammenleben anders geregelt ist?

Wie gesagt, für unsere Wert zu werben, ja. Bei der Form sollten wir aber auch auf die Wirkung in dem jeweiligen Land achten. Wenn es sehr harte öffentliche Kritik von außen gibt, kann das Gegenreflexe auslösen und die Nation stärker zusammenrücken lassen. Es gibt bei vielen Menschen einen ausgeprägten Nationalstolz, China ist dafür ein Beispiel. Das kann man auch in vielen muslimischen Staaten beobachten und dort, wo es eine Geschichte der Kolonisation gibt. Wenn man Menschen in anderen Staaten von außen vorschreiben möchte, wie sie zu leben haben, sind die Reaktionen in solchen Gesellschaften manchmal ausgesprochen allergisch. Beispielsweise beim Thema Klimaschutz: Wenn der reiche Westen Ländern in Afrika Klimaschutz verordnen will, dann fordert ausgerechnet der Teil der Welt, der für den Klimawandel verantwortlich ist, Maßnahmen von denjenigen, die unter den Folgen am meisten leiden. Ich halte es für wichtig, dass wir lernen, uns immer auch die Brille der anderen aufzusetzen und ihren Blick miteinbeziehen. Und das muss auch nicht immer auf offener Bühne geschehen. Nehmen wir den in der Öffentlichkeit stark kritisierten Chinabesuch des Bundeskanzlers im vergangenen November und sein Gespräch mit Präsident Xi Jinping. Am Ende hat Xi gemeinsam mit Scholz den russischen Präsidenten aufgefordert seine atomaren Drohgebärden zu unterlassen. Die viel gescholtene Hinterzimmer-Diplomatie ist häufig besser als ihr Ruf und muss beileibe nicht schwierige Themen aussparen. Wenn ich bei meinen China-Reisen Probleme angesprochen habe, dann habe ich mit meinen Gesprächspartnern durchaus vernünftig darüber reden können. Die Antworten haben mich nicht unbedingt überzeugt, aber es gab einen Austausch. Hätte ich das mit großer öffentlicher Begleitmusik gemacht, wäre das Ergebnis ein völlig anderes gewesen – und ganz sicher nicht besser. Es bleibt immer ein Balanceakt.

Aber ist das nicht einfach zu wenig und zu vorsichtig? Wenn man den Chinesen sagt, dass das, was mit den Uiguren passiert, nicht geht, beenden die ja nicht gleich alles Handelsbeziehungen mit Deutschland, oder?

Es ist ja gerade auch nicht so, dass das nicht angesprochen wird. Im Gegenteil, das geschieht immer wieder, diese Themen werden nicht ausgespart. Wobei man dann von chinesischer Seite hört, dass das alles falsch sei und nur im Westen so berichtet werde. Und man dann umgekehrt auf den Bericht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte verweisen kann. Das ist wesentlich besser, als wenn gar kein Austausch möglich ist, finde ich.

Kommen wir noch einmal zurück zu unserem Kompass. Wandel durch Handel ist gescheitert, das kann man so feststellen, oder?

Das war immer eine Hoffnung, aber keine Gewähr. Aber natürlich muss uns das Verhalten Russlands eine Lehre sein. Unser Maßstab muss künftig sein, nicht zu abhängig zu werden von einzelnen Staaten – das gilt besonders für ein autokratisches Regime. Das war in der Vergangenheit ein Fehler und da müssen wir zwingend umsteuern. Die deutsche Wirtschaft ist beispielsweise immens abhängig vom Handel mit China. Das ist auch kein Wunder, denn China ist ein riesengroßer Markt. Aber dennoch ist es nicht gesund, wenn ein ausländischer Markt im Grunde bei uns über die Existenz ganzer Unternehmen entscheiden kann. Darum müssen wir noch stärker versuchen, Stück für Stück zu diversifizieren. Das ist allerdings leichter gesagt als getan, denn das ist kein Prozess, der über Nacht passiert. Das braucht viele Jahre.

Noch ein anderes Thema, auch Handel, aber anderer Handel: Wie gehen wir künftig mit Waffenlieferungen um? Wir liefern zum Beispiel immer noch an Saudi-Arabien. Wie stehen Sie dazu?

Ganz grundsätzlich sind mir Waffenlieferungen nie sympathisch. Innerhalb des Nato-Bündnisses finde ich sie aber in Ordnung, das sind mit uns verbündete Staaten. Außerhalb des Bündnisses müssen wir deutlich vorsichtiger sein. Dabei ist eine Lieferung von Defensiv-Waffen weniger problematisch als von Offensiv-Waffen, wobei das natürlich im Einzelfall immer wieder eine schwierige Unterscheidung ist.

Sind wir eigentlich auch im Krieg? Ich habe den Eindruck, dass die Autokratien näher rücken, dass der Einfluss größer wird. Dass ein hybrider Krieg längst stattfindet.

In jedem Fall müssen wir viel stärker aufpassen. Dass zum Beispiel Russland versucht, die Diskussion in Deutschland zu beeinflussen, ist offenkundig. Es gibt einen Niedersachsen, von dem der Satz stammt: „Der Friede muss bewaffnet sein“. Und das war nicht Honecker, wie viele meinen, denn dieser Satz wurde in der DDR missbraucht. Der Satz stammt von Wilhelm Busch. Der andere soll dir nichts Böses tun können, das finde ich nach wie vor eine kluge Orientierung. Einschließlich des Grundsatzes, dass man auch jenen hilft, die angegriffen werden. Aber nichts darüber hinaus. Wir – und das schließt für mich eigentlich alle Demokratien ein – müssen uns in vielerlei Hinsicht verteidigen können – militärisch, aber auch gegen Cyberangriffe und Desinformationskampagnen. Wir stehen damit auch nicht alleine, das ist jedenfalls die Erfahrung, die ich auf vielen Auslandsreisen gemacht habe: Es gibt eine große Mehrheit von Nationen, die wünscht sich eine Weltgemeinschaft, die gleichberechtigt und auf der Basis von Menschenrechten und Regeln funktioniert, in der also nicht das Recht des Stärkeren gilt. Und viele wünschen sich dabei von Europa eine Führungsrolle. Ich glaube, dass es Europa künftig darum gehen muss, in diesem Sinne Flaggschiff zu sein.

Interview: Lars Kompa

 

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Das neue Jahr steht vor der Tür. Das neue STADTKIND ist schon da

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Das neue Jahr steht vor der Tür. Das neue STADTKIND ist schon da


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Ein letztes Wort im Dezember

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Ein letztes Wort im Dezember


Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil


Herr Weil, geben Sie es zu, Frau Hamburg und Sie hatten den Koalitionsvertrag schon seit Monaten in der Schublade, oder?

Nö, so war es nicht, aber es gab zwei Wahlprogramme mit vielen vergleichbaren Zielen, das war eine gute Grundlage.

Dennoch, warum konnte das alles so schnell gehen, waren die Schnittmengen wirklich so groß?

Ja, das war das Entscheidende. Wir waren uns beispielsweise einig, dass Niedersachsen sehr schnell und ambitioniert die Erneuerbaren Energien ausbauen muss und dass die Transformation unserer Industrie in Richtung CO2- Neutralität weiter unterstützt werden muss. Wir sind uns der Krise im Energiebereich bewusst und wollen den davon besonders betroffenen Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Institutionen schnell und unkompliziert helfen. Und dann gab es noch etwas: Von Anfang haben wir Kompromisse dort gesucht, wo wir uns nicht einig waren. Niemand hat da groß gepokert.

Welche Unterschiede gibt es denn zwischen der SPD und den Grünen in Niedersachsen?

Typischerweise gibt es unterschiedliche Sichtweisen, wie schnell manche Ziele zu erreichen sein werden. Zum Beispiel hat die SPD bei den anstehenden Veränderungen immer auch und gerade die Situation und die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Auge. Die Betroffenen müssen bei Veränderungen auch mitgehen können.

Was steht jetzt für Niedersachsen in den nächsten 100 Tagen auf der Agenda?

Einen ersten wichtigen Schritt haben wir bereits getan, in dem wir den Nachtragshaushalt in Höhe von fast drei Milliarden Euro auf den Weg gebracht haben. Jetzt steht die Landtagsentscheidung an und dann gilt es, den Schutzschirm tatsächlich aufzuspannen: Denjenigen, die trotz der anstehenden Entlastungen des Bundes die Preissteigerungen nicht bewältigen können, muss schnell und möglichst unbürokratisch geholfen werden. Außerdem tun wir alles in unserer Macht Stehende, damit ab Ende Dezember möglichst große Mengen Flüssiggas über die neuen Terminals in Wilhelmshaven importiert werden können. Gleichzeitig bereiten wir uns aber auch in den nächsten Wochen sicherheitshalber auf etwaige Energiemangellagen vor, von denen wir hoffen, dass sie nie eintreten werden. Und daneben gibt es einen weiteren Schwerpunkt: Zusammen mit den Kommunen muss es uns gelingen, weitere Unterbringungsplätze und Versorgungskapazitäten für die etwa 1.000 Geflüchteten zu organisieren, die jede Woche nach Niedersachsen kommen. Mit dem Winter und der Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine könnten es sogar noch mehr werden. Das ist eine richtig schwierige Aufgabe.

Und wo sehen Sie Niedersachsen im Herbst 2027 vor den nächsten Landtagswahlen?

Bis dahin werden wir die aktuellen Krisen längst überwunden haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Herbst 2027 einen deutlich höheren Anteil unserer Energie aus Erneuerbaren Quellen beziehen werden. Damit könnte in Niedersachsen der CO2 Ausstoß deutlich verringert werden. Wir wollen bis dahin das Energieland Nummer 1 in Deutschland sein. In fünf Jahren wird hoffentlich über die Terminals in Wilhelmshaven und Stade vorwiegend grüner Wasserstoff importiert werden. Und wir werden alles daransetzen, dass im Herbst 2027 der öffentliche Personennahverkehr in Niedersachsen von sehr viel mehr Menschen genutzt wird als heute. Dafür muss neben dem bundeseinheitlichen Nahverkehrsticket auch das ÖPNV-Angebot insbesondere im ländlichen Raum deutlich ausgebaut worden sein. Wir müssen bis 2027 überall in Niedersachsen eine gute und gut erreichbare ärztliche Versorgung haben. Das wird dann vielerorts über regionale Gesundheitszentren erfolgen, in denen mehrere Ärztinnen und Ärzte und andere Professionen aus dem Gesundheitssektor zusammenarbeiten. Ach ja, und wir werden 2027 in Niedersachsen hoffentlich eine deutlich bessere Unterrichtsversorgung haben, unter anderem deshalb, weil wir dann den Lehrkräften als Einstiegsgehalt in allen Schulformen A 13 zahlen.

Eine unangenehme Wahrheit ist ja, dass der Staat zwar unterstützt, aber nicht vollständig alles ausgleichen kann, was uns an Härten bevorsteht. Müsste man das nicht viel deutlicher kommunizieren, um keine falschen Erwartungen zu wecken?

Ich habe den Eindruck, dass wir den Menschen sehr klar und ehrlich sagen, was auf sie zukommt. Keiner versucht, zu verschleiern, dass der Energiepreisdeckel nicht zu den Energiepreisen führen wird, die wir früher einmal gehabt haben. Jede und jeder in Niedersachsen weiß oder kann wissen, dass es darauf ankommt, selbst Energie zu sparen, damit wir gut durch den Winter kommen und nebenbei etwas fürs Klima und für den eigenen Geldbeutel tun.

Momentan wird ja über das neue Bürgergeld diskutiert. Die CDU befeuert da aus meiner Sicht ziemlich platt eine Neiddebatte. Wie sehen Sie das?

Einige CDU-Politiker wissen nicht oder wollen nicht wissen, mit wie wenig Geld viele Menschen in Deutschland auskommen müssen. Da gibt es eine teilweise erschreckende Ignoranz und soziale Kälte. Ich hoffe, dass wir da noch zu einem vernünftigen Kompromiss kommen. 

Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der keine Lust hatte, arbeiten zu gehen, und stattdessen lieber staatliche Leistungen bezogen hat. Sie?

Ich erlebe eigentlich auch nur Menschen, die gerne arbeiten würden, aber aus gesundheitlichen Gründen oder mangels ausreichender Qualifikation keinen Job finden. Deswegen geht es beim neuen Bürgergeld vor allem auch um viel mehr Angebote zur Fortbildung.

Machen Sie sich Sorgen, dass die CDU/CSU abdriftet ins Populistische, ähnlich den Republikanern in Amerika? Es gab ja jetzt schon ein paar Ausfälle in der Richtung …

Ich hoffe nicht und es würde die AfD nur stärker machen. Das ist eine alte Erfahrung – am Ende wählen Bürger*innen das Original, nicht die Kopie. Gerade in einer Zeit, in der viele Bürgerinnen und Bürger erhebliche Belastungen hinnehmen müssen und wir uns gleichzeitig um zahlreiche Geflüchtete aus den Krisenherden dieser Welt kümmern müssen, ist es wichtig, für Solidarität und Zusammenhalt und auch für Einigkeit unter den Demokraten zu arbeiten.

Bei all den Scheindebatten und Nebelkerzen scheint mir manchmal das Wesentliche auf der Strecke zu bleiben. Wie gelingt uns eine vernünftige Unabhängigkeit, wie schaffen wir mehr globale Gerechtigkeit, wie schützen wir unser Klima und wie unsere Demokratie, das sind die Grundfragen, um die es aus meiner Sicht eigentlich gehen muss. Und Deutschland diskutiert über 53 Euro …

Das ist schon richtig, wir sollten uns auf die großen Linien und auf die wirklich wichtigen Themen konzentrieren, und das gelingt uns nicht immer. Insgesamt erlebe ich die Menschen in Niedersachsen als vernünftig und umsichtig. Die Landtagswahlen haben gezeigt, dass eine überwältigende Mehrheit mit denen rechtsaußen nichts am Hut hat. Diese Gemeinsamkeit müssen wir pflegen und ausbauen. Dann wären wir schon ein großes Stück weiter.

Bei den wirtschaftlichen Abhängigkeiten geht es auch um China. Und wir sind ganz schnell bei VW. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, die Abhängigkeit wieder zurückzufahren?

Da reden wir über den größten und am schnellsten wachsenden Automarkt der Welt. Aus meiner Sicht geht es weniger um ein Zurückfahren, sondern um eine stärkere Diversifizierung. Volkswagen muss sich bemühen, neben China auch in anderen Teilen der Welt stärker zu werden.

Zuletzt fast ganz privat, wie halten Sie es in diesem Jahr zu Hause mit der Weihnachtsbeleuchtung?

Meine Frau und ich haben zu Hause sowieso keine Lichterketten. Im Wohnzimmer wird es natürlich wieder einen Weihnachtsbaum geben, und zwar mit echten Kerzen. Das war schon immer so, aber in diesem Jahr natürlich erst recht, auch um Gas und Strom einzusparen. Ich freue mich auch schon drauf, ich bin ein echter Weihnachtsfan.

Interview: Lars Kompa

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Der besondere Laden: maranolo

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Der besondere Laden: maranolo


Aufgewachsen im dänischen Holzhaus war Maren von maranolo schon in den 70-Jahren von dänischen Designs umgeben. „So habe ich mein Herz daran verloren“, erzählt sie. Heute betreibt sie in der Südstadt ihre eigenen Läden – rund ums Wohnen und Leben im skandinavischen Design.

„Ich wollte immer als ich klein war einen Laden aufmachen“ erzählt Maren Michael, Gründerin von maranolo.
Als sich die Chance bot einen kleinen, alten Kiosk in der Südstadt in einen Laden zu verwandeln schmeißt Maren ihren Job und wagt den Sprung in die Selbstständigkeit.
„Mir war immer klar, dass ich etwas skandinavisches machen will, weil ich die Sachen so schön finde. Das ist meine Leidenschaft und dafür brenne ich.“

Heute findet man maranolo aber längst nicht mehr im alten Kiosk, sondern ein paar Häuser weiter am Bertha-von-Suttner-Platz. Diesen Sommer ging Maren prompt noch einen Schritt weiter und eröffnete gleich nebenan einen zweiten Laden. Maranolo und maranolo kids teilen sich nicht länger eine Ladenfläche, sondern haben ihre getrennten Räume gefunden. Denn Maren ist der Ansicht: „Wenn man nicht mutig ist, mal einen Schritt wagt, sagt, man macht das jetzt und da auch hinter steht, dann entwickelt sich auch nichts weiter“.

Das Sortiment des skandinavischen Concept-Stores ist vielfältig. Über Spielzeug, dem neuen Lieblingskuscheltier oder buntes Geschirr für die Kleinen bis zu Einrichtungsgegenständen, Rucksäcken oder Schmuckstücken für die Großen – und alles im skandinavischen Design. Dabei setzt Maren auf Langlebigkeit und Beständigkeit in ihrem Sortiment. „Mir ist es wichtig, dass die Leute verlässlich wissen, dass sie, wenn sie bei mir ein Geschirr kaufen, das jederzeit erweitern können“, erklärt sie.

Auch Nachhaltigkeit und ein bewusstes Konsumverhalten ist für Maren ein Thema: „Ich versuche mit schönen Dingen den Leuten zu sagen, denk mal drüber nach: Du musst nicht fünf Sachen kaufen, kauf doch lieber eine schöne Sache.“
Maranolo ist auch ein Begegnungsort der Nachbarschaft. „Ich habe das ganz häufig, dass sich Leute hier treffen und mich Kund*innen besuchen kommen, weil es einfach schön ist. Das ist dieses Nebenan, dass man halt einfach seine Hood kennt und da dann auch seine Läden hat, die man unterstützt“.

Doch selbstverständlich ist eine Ladenvielfalt in den Stadtteilen nicht. Die Nachwirkungen von Corona, die gestiegenen Strom- und Gaspreise, eine geringere Kaufbereitschaft: der Einzelhandel steht vor existenziellen Herausforderungen. „Die Leute müssen insgesamt darauf aufmerksam gemacht werden, dass wir alle verschwinden, wenn da nichts passiert. Und das geht schneller als man glaubt. Denkt an euren Stadtteil, daran wo ihr leben wollt. Wie soll das aussehen, wo ihr zuhause seid? Ist es schön ins Einkaufszentrum zu fahren? Oder ist es schön, wie hier, in Linden oder in der List eine Straße mit Cafés, Spielplätzen und Läden zu haben, in der man Freund*innen begegnet?“.

Im Dezember gibt es im maranolo kids eine Adventskalender-Aktion für die Kleinen. Auf die großen Kund*innen wartet immer samstags  gleich nebenan kostenloses Gebäck und Glühwein.

maranolo & maranolo kids
Bertha-von-Suttner Platz 1, 30173 Hannover
Öffnungszeiten:
Mo-Fr 10-13 Uhr und 15-18 Uhr, Sa 11-14 Uhr
www.maranolo.de
0511 21904144

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Der Freundeskreis im Gespräch im November

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Der Freundeskreis im Gespräch im November


Interview des Freundeskreis Hannover am 07.10.2022 mit Kerstin Berghoff-Ising und Dr. Heike Schmidt

In diesem Monat unterhalten wir uns mit Kerstin Berghoff-Ising (KB), der Vorständin der Sparkasse Hannover und Dr. Heike Schmidt (HS), der Chefredakteurin der nobilis. Sie sind beide Mitglieder des Freundeskreis e.V. und sprechen mit uns über den Umgang mit Krisenzeiten und den potenziellen Konsequenzen.

Beginnen wir damit, dass ihr euch vorstellt: Wer seid ihr und was macht ihr?

KB – Ich bin Kerstin Berghoff-Ising. Ich lebe schon mein Leben lang in der Region Hannover, arbeite bei der Sparkasse als Vorständin und bin zuständig für das Personal, für die Orga, die IT und für das Privatkundengeschäft. Ich bin verantwortlich für den gesamten Personalbereich und Themen wie Mitarbeiterbindung, Mitarbeiterentwicklung und Arbeitgeberattraktivität. Das bedeutet unter anderem, dass ich dafür sorge, dass innerhalb einer Sparkasse sowohl für die Kundinnen und Kunden als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alles reibungslos abläuft.

HS – Mein Name ist Heike Schmidt. Ich komme nicht aus der Region Hannover, wohne aber schon lange hier. Ich stamme aus dem schönen Weserbergland in der Nähe von Porta Westfalica, bin als Studentin hierhergekommen und habe ganz klassisch Germanistik und Geschichte studiert. In Geschichte habe ich promoviert, anschließend bei der HAZ volontiert und war dann lange dort tätig. Seit vier Wochen bin ich Chefredakteurin der nobilis. Die nobilis gibt es seit 40 Jahren in Hannover und ich glaube, sie ist inzwischen der Titel schlechthin, wenn man etwas über die schönen Dinge lesen möchte. Sie ist konkurrenzlos – so eitel bin ich jetzt mal – das Hochglanzmagazin für Hannover und in Hannover. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, nicht nur in der Stadt präsent zu sein, sondern auch Gesprächsthemen anzumoderieren und zu schauen, wo die Interessen der Menschen liegen. Da haben wir mit dem Freundeskreis e.V. tatsächlich ein Stück weit eine Gemeinsamkeit.

Wo wir gerade beim Freundeskreis sind: Wie kam es denn jeweils zu der Entscheidung, sich dort zu engagieren oder mitzumachen?

KB – Zum Freundeskreis bin ich beruflich als aktives Mitglied der Sparkasse gekommen und habe dort auch eine Zeit lang im Vorstand mitgearbeitet. Ich bin einfach davon überzeugt, dass es Menschen in unserer Stadt geben muss, die sie für uns Bürgerinnen und Bürger lebens- und liebenswert erhalten – und dazu gehört auch das Miteinander und ein offener Dialog.

HS – Ich bin über die Kunst und Kultur zum Freundeskreis gekommen, als mich der Finanzvorstand des Landesmuseums darauf angesprochen hat.

Dass es hier lebenswert bleibt … Ist das eine Frage, die in der letzten Zeit dringlicher geworden ist?

KB – Durch den Lockdown konnten viele Kulturinstitutionen nicht besucht werden. Leider sind die Besucherzahlen auch heute noch  weit unter dem Niveau vor der Pandemie. Ich bin privat Schauspiel- und Opernhausgängerin und die Häuser sind einfach nicht voll. Am Anfang hatte es sicherlich den Grund, dass man noch Angst vor der Pandemie und der Ansteckungsgefahr hatte. Wir laufen jetzt aber gerade in eine Situation, in der es möglicherweise auch etwas mit den finanziellen Möglichkeiten der Menschen zu tun hat. Wenn dadurch ganze Institutionen infrage gestellt werden, dann wird das mittelfristig auch Konsequenzen für die Lebensqualität in unserer Region haben.
HS – Das kann ich nur unterstützen, denn ich war am Samstag in der Oper und habe mich erschreckt. Es war wirklich toll gemacht, aber es war nicht voll. Wenn das dem großen Opernhaus schon so geht, wie soll es dann den ganzen kleinen Theatern gehen, die Hannover ausmachen und so liebenswert machen? Jetzt ist Corona vorbei – oder man glaubt es zumindest –, aber die Leute halten wirklich das Geld zusammen, weil es auf anderer Ebene schwierig wird.

Es ist also vor allem die finanzielle Lage, die dafür sorgt, dass die Leute zu Hause bleiben? Es gab ja auch vielfach die Befürchtung, die Leute hätten es verlernt, auszugehen.

KB – Ich glaube schon, dass da etwas dran ist. Man ist vielleicht auch bequem geworden, weil es abends so nett zu Hause ist; oder man ist im Home Office und geht gar nicht erst raus. Aber ich glaube, dieses Thema um finanzielle Sorgen und die Frage, was noch auf uns zukommt, ist noch gewichtiger. Ich würde es gut und wichtig finden, wenn wir gemeinschaftlich mit allen, die die Möglichkeiten haben, Geld zu geben, versuchen, diese Institutionen für unsere Stadt zu erhalten. Umso wichtiger ist es, dass viele Mitglieder auch Fördermitglieder sind. In Hannover gab es ja mal so eine Kultur in den 1920er-Jahren, in der die Bürger*innen das auch geschafft haben.
HS – Die Kestner Gesellschaft wurde ja beispielsweise zu Krisenzeiten gegründet und war durchaus eine Säule in der Stadt. Das ist sie ja heutzutage noch immer. Das ist tatsächlich eine sehr interessante und auch hochaktuelle Gründungsgeschichte, weil sie einfach für Mut in der Kultur steht. Ich glaube, das macht Hannover aus. Und die Kunst- und Kulturszene ist hier sehr ausgeprägt, auch durch die Kleinen.

Die Krise trifft ja auch andere Städte: Steht man in Hannover vielleicht etwas besser da, weil die Fülle der Kunst- und Kulturszene dazu führt, dass man – etwas zynisch gesprochen – etwas mehr hat, wovon jetzt ein Teil wegzubrechen droht?

KB – In unseren Generationen hatten wir das Glück, dass wir ausschließlich in Frieden gelebt haben und die Menschen, die jetzt hierherkommen – egal woher –, schon ganz andere Erfahrungen in ihren Leben machen mussten. Wir hatten das große Glück, dass unsere Eltern diesen Frieden ermöglicht haben und wir ihn auch leben dürfen. Darüberhinaus leben wir in einem stabilen sozialen Rahmen, der uns unser Leben so ermöglicht. Jetzt erkennen wir – und das macht vielen Sorgen –, dass wir auch auf etwas werden verzichten müssen. Ich wünsche mir, dass wir alle mehr Zuversicht haben und wissen, dass wir diese wirtschaftliche Situation durchstehen können, wenn wir zusammenstehen.

HS – Das ist fast eine philosophische Frage. Es ist immer die Perspektive, die man sehen muss. Wenn ein Kind hinfällt und sich das Knie aufschlägt, kann man ihm nicht sagen, das sei nicht schlimm; denn für das Kind ist es schlimm. Das ist ein persönliches Empfinden eines jeden Einzelnen – und da kann ich mich ja nicht drüber stellen. Der Punkt bei den Krisen ist, dass durch Ungewissheiten Ängste entstehen: So funktioniert im Grunde jeder Edgar-Wallace-Film: Irgendwo steigt Nebel auf, man sieht nicht, was kommt – und dann kommt der Schreckmoment. Wenn es aber bestimmte Strukturen gibt, die man logisch nachvollziehen kann, dann kann man sich darauf einstellen – und dann ist die Unsicherheit nicht so groß. Wenn man also sehen würde, wie so ein Edgar-Wallace-Film gedreht wird, wäre einem klar, dass man keine Angst haben muss. Wenn ich also dafür sorge, dass es Strukturen gibt, die man verstehen kann, dann nehme ich den Menschen so ihre Angst. Dann ist es nicht mehr ungewiss und das Thema bekommt Kontur und eine Kontur kann man greifen.

Es steigen ja nicht nur die Energiepreise, sondern nahezu alles wird teurer, es steigen z. B. auch die Papierpreise. Wie sieht die Situation bei euch aus?

HS – Für den Papiereinkauf bin ich selbst nicht zuständig, aber ich weiß, dass im April dieses Jahres die Papierpreise auf das Dreifache gestiegen sind. Gleichzeitig sinken die Auflagen der Tageszeitungen – und es ist weniger Altpapier im Umlauf.

Wenn der Preis steigt und gleichzeitig auf lange Sicht für alle Bürger*innen die Preise steigen, befürchtest du, dass die Leute weniger dazu bereit sind, Geld für ein Magazin auszugeben?

HS – Ich denke, dass die Menschen weiterhin ein Magazin lesen werden. Das glaube ich ganz bestimmt. Ich denke, dass sie das eher lesen werden als eine Tageszeitung, denn wir haben Hochglanzpapier, wir haben eine längere Verweildauer auf den Tischen, wir sind ein Monatsmagazin. Meine Aufgabe ist es auch tatsächlich, das so hochwertig und so schön zu gestalten, dass die Leute da gerne reingucken. Ich muss natürlich dazu spannende Geschichten erzählen, die die Leute gerne lesen wollen. Wenn ich das noch mit Service verknüpfen kann, umso besser. Ich versuche, einen Mehrwert zu bieten. Nicht nur einfach eine Geschichte, sondern die Leser*innen sollen auch was davon haben. Deswegen glaube ich, das Magazin wird schon weiterhin gelesen.

Der Ausblick in die Zukunft ist also optimistisch?

HS – Total.

Die Sparkasse selbst wird sich vermutlich auch keine Sorgen machen müssen. Wie blickst du auf die Zukunft der Kunden?

KB – Wir werden jetzt im nächsten Jahr 200 Jahre alt , ein echtesTraditionsunternehmen. Wir sind ein Institut, das mit seinen Kundinnen und Kunden durch dick und dünn geht und von daher bin ich mir sehr sicher, dass wir auch noch in fünf oder zehn Jahren die Sparkasse Hannover haben werden. Auch, weil wir uns Gedanken machen, wie wir attraktiv bleiben können. Wir gründen zum Beispiel gerade ein Beratungscenter für Nachwuchskunden, in dem sie sich ausschließlich online von uns beraten lassen können. Wir haben eine Sparkassen-App, in der man sich digital quasi alles selbst organisieren kann, und haben dann den Mehrwert, dass, wenn man eine Finanzentscheidung treffen will, man das auch ausschließlich online machen kann. Das ist für Menschen zwischen 18 und 30 und ich bin sicher, dass wir so auch noch mindestens 300 Jahre alt werden.

Früher gab es ja gelegentlich Unmut über Online-Banking, Filialschließungen und schwindende Kontoauszugsautomaten. Hat sich das verändert?

KB – Als Sparkasse Hannover – das gilt natürlich auch in der gesamten Bankenbranche – haben wir uns beim Thema SB-Bereich so organisiert, dass die Kunden sehr vieles online erledigen können. Daneben bieten  wir tagtäglich persönliche Beratungen in der Zeit von 9 Uhr bis 19 Uhr an. Mit Blick auf die Menschen der jüngeren Generation, die mit dem Smartphone aufgewachsen ist, stellt sich  die Frage: Wie wollen sie beraten werden und wie wollen sie mit ihrem Finanzberater in Kontakt treten? Das haben wir unsere Kundinnen und Kunden gefragt – und die Rückmeldung bekommen, dass ein medialer Zugang großartig wäre, weil sie dann entscheiden können, wann und wo die Sparkasse für sie da ist. Übrigens, quer durch alle Altersgruppen. Es ist ein Trend beziehungsweise ein Kundenwunsch und denen erfüllen wir.
HS – Ich glaube auch, dass das funktioniert, weil – ich kann da nur von mir reden – ich ja schon genervt bin, wenn ich einen Beleg habe, den ich bei der Krankenkasse einreichen muss, und die App nicht funktioniert. Das wird gescannt und dann ist es weg und dann muss ich mich nicht noch um den Umschlag und die Briefmarke und das alles kümmern. Ich glaube, das ist tatsächlich ein Modell, das Zukunft hat.
KB – Es ist ja auch nicht so, dass wir dadurch Menschen ersetzen. Die Berater sind ja weiterhin da, nur der Zugang zu ihnen ist anders.

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Alltagsbegleitung

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Alltagsbegleitung


Alltagsbegleitung

 

Es kann jeden treffen: Überraschend oder nach langer Anbahnungsphase nimmt das selbstbestimmte Leben ein Ende und man ist pflegebedürftig, lebt womöglich gar im Pflegeheim.
Wer dann kein Umfeld hat, das mehrfache Besuche pro Woche ermöglichen kann, profitiert mitunter sehr von Alltagsbegleiter*innen.
Eine solche ist Birgit Weise …

Lange arbeitete Weise als Bänkerin. 2009 kam es zum Burnout, ein zweiter zeichnete sich ab, 2011 stieg sie aus dem Beruf aus. Zu jung, um nur zuhause zu sitzen, fiel ihr auf der Jobmesse ein Stand zu Pflege und Alltagsbegleitung auf – und das Arbeitsamt stimmte zu, die Kosten für eine Qualifizierung als Alltagsbegleiterin zu übernehmen.
Für Weise stand aber fest: „Bevor die das machen, gehe ich erst einmal selber los und prüfe, ob das was für mich ist.“
Also machte sie ein Praktikum, sammelte noch in einem weiteren Haus Erfahrungen und machte dann die Qualifizierung. „Ich hatte das Glück, einen sehr guten Ausbilder gefunden zu haben, das war WBS Training, die gehörten zum Klett-Verlag und hatten sehr gute Dozenten“, erinnert sie sich.
Und die Qualifizierung habe eben auch nicht 6 Wochen, sondern gleich 6 Monate gedauert.

In der ersten Einrichtung, in der sie dann als Ehrenamtliche tätig war, blieb sie nicht lange: „Dort hat man mich nach einem Jahr rausgeschmissen – sicher auch eine steile Karriere für eine Ehrenamtliche.“ Aber sie habe eben nie mit ihrer Meinung zurückgehalten, wenn ihr etwas negativ aufgefallen ist: schließlich haben Pflegeheimbewohner*innen, abgesehen von Angehörigen, keine Lobby.

Sie arbeitete dann in mehreren Häusern je 14 Tage zur Probe: Mehrheitlich schien ihr unter dem Motto „sauber/satt/trocken“ gearbeitet zu werden, wobei sie durchaus weiß „dass Pflegekräfte oft hin- und hergerissen sind zwischen dem, was sie eigentlich machen möchten, und dem, was sie wirklich machen können.“
Geblieben ist sie dann im Friedrich Rittelmeyer-Haus, einer anthroposophisch ganzheitlich orientierten Einrichtung, wo sie in der Probezeit die Berücksichtigung der Bewohnerbedürfnisse und die Atmosphäre schätzte: „Das ist hier wirklich anders, dass z. B. Bewohnern mit abweichenden Tagesrhythmen die Möglichkeit gegeben wird, etwa noch um 10.30 Uhr Frühstück zu essen.“ Zudem kenne sie kein anderes Haus, das mit vergleichbar vielen Ehrenamtlichen arbeitet.

Zweimal pro Woche betätigt sich Weise hier – wenn auch seit Corona im Freien, im Rahmen von Spaziergängen etwa. Zuvor ging sie mit Bewohner*innen unter anderem die Speisepläne durch: Je nach demenzieller Veränderung müssen dabei die auszuwählenden Speisen ausführlich umschrieben werden, weil etwa die Info „Cordon bleu“ nicht mehr begriffen werde. Mitunter greift Weise dabei auf ihr Smartphone zurück, um passende Bilder zu präsentierten, „weil manche das visuell eher zuordnen können als verbal.“ Letztlich gehe es ja nicht nur darum, den Speiseplan auszufüllen, sondern auch darum, den sozialen Kontakt herzustellen.

Auch Sterbenden leistete sie nach einem Sterbebegleitungskurs Gesellschaft: ein Thema, das man gerne verdrängt. Dabei habe die Qualifizierung nicht nur bewirkt, dass Weise auf Bedürfnisse Sterbender eingehen kann, sondern auch ihren eigenen Umgang mit dem Tod beeinflusst und sie auf das Ableben des Vaters vorbereitet.
Weise übernahm zudem noch die Anleitung zum Sitztanz, für den sie sich ebenfalls qualifizierte: Dabei lassen sich „mit der Kombination aus Musik und Bewegung die Leute ganz oft aus ihrer Lethargie rausholen. Und manch einer macht womöglich nicht mit, aber man sieht an seinem Gesicht, dass sich etwas verändert. Ich hatte auch einer Bewohnerin, die Tänzerin war, einen Solotanz ermöglicht: Das fanden die Leute, die drumherum saßen, auch toll. Die haben ganz große Augen gehabt und es genossen, jemanden zu sehen, der sich harmonisch zur Musik bewegt.“
Die Freude in den Gesichtern ist es dann auch, die ihr so viel zurückgibt: „Es ist ja nicht nur so, dass ich etwas Gutes tue – mir wird auch etwas Gutes getan.“
Zugleich macht Weise deutlich, dass man dafür auch Stabilität benötigt: „Für jemanden, der ein Helfersyndrom hat oder unter Problemen leidet, ist das nichts.“ Sinnvoll sei es zudem, am Anfang einer solchen Tätigkeit erst einmal mit einer bereits erfahrenen Person mitzulaufen, um mit den möglichen Wesensveränderungen bei demenziell veränderten Menschen Erfahrungen zu sammeln. Schließlich kann es auch einmal vorkommen, dass man von einer solchen Person beschimpft wird – weil durch Stimme oder Haarschnitt unglückliche Erinnerungen ausgelöst werden. „Das darf man nicht persönlich nehmen. Wenn es mit jemandem dauerhaft nicht geht, sollte man das im Haus ansprechen. Das kann man als Ehrenamtliche.

Für Pflege- und Betreuungskräfte ist die Situation schwieriger, die können sich nicht immer rausziehen.“ Entsprechend ärgerlich macht sie der Pflegemangel, den auch sie nicht ganz ausblenden kann.

Es sei sehr ärgerlich, dass das Thema schon so lange bekannt ist – und gefühlt sei dann politisch ewig nichts passiert.

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