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Der besondere Laden: Marien-Apotheke

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Der besondere Laden: Marien-Apotheke


Der besondere Laden – Die Marien-Apotheke

Tabletten gegen den Reizhusten, ein Wundermittelchen gegen die pochenden Kopfschmerzen oder eine Creme gegen die trockene, juckende Haut. Apotheken sind Anlaufstellen für Momente, in denen wir uns nicht ganz so fit fühlen. Die Helfenden in der Not. In Hannover sticht die Marien-Apotheke ganz besonders hervor – und das seit 150 Jahren.

Wir bilden eigentlich alles ab, was es auf dem Markt gibt. Es gibt nichts, was wir nicht können“, erklärt Philip Winter, seit 2018 alleiniger Inhaber der Marien-Apotheke. Von der Klinikversorgung, einem eigenen Steril-Labor, einer Zytostatika-Abteilung, einem Schwerpunkt für Erkrankte an Multiple Sklerose und eine Versorgung von Hämophilie-Patienten bis zur intensiven Beratung der Kundschaft – die Marien-Apotheke ist besonders breit aufgestellt. „Geht nicht, gibt’s nicht. Denn wo andere aufhören, machen wir weiter. Das ist unsere Mission. Irgendwie finden wir – im gesetzlichen Rahmen – immer eine Lösung, in allen Bereichen. Ob bei der Herstellung von Arzneimitteln oder bei Telefonaten mit den Kund*innen bei abrechnungstechnischen Fragen: Wir versuchen alles, dass es irgendwie funktioniert“, beschreibt Andrea Steding den Anspruch, die seit 15 Jahren in der Marien-Apotheke arbeitet.

Diese Vielseitigkeit macht unseren Arbeitsplatz zu etwas ganz Besonderem. Kein Tag ist gleich. Das kann auch anstrengend sein, aber es macht unsere Arbeit immer wieder spannend. Das macht unheimlich Spaß. Apotheke ist schon toll“, fügt Winter hinzu.

Ein Konzept, dass seit 1873 funktioniert. „Tradition und Fortschritt – das ist unsere Devise. Sich immer nach vorne zu orientieren, ist ein ganz wichtiger Punkt. Das ist auch das Besondere an Herrn Winter – er ist ein sehr kreativer Kopf, der ganz viele Ideen hat und uns immer nach vorne zieht. So sind wir stets auf der Höhe der Zeit, erzählt Andrea Steding. „Eine große Portion Glück gehört natürlich auch dazu“, fügt Winter hinzu. „Aber wir haben uns natürlich nie gescheut, neue Dinge auszuprobieren – auch wenn wir wussten, dass das zunächst keinen wirtschaftlichen Erfolg bringt. Wir sehen das als unsere Verpflichtung, unsere Dienstleistung, unsere Aufgabe als Apotheke.“

Seit der Gründung befindet sich die Apotheke in der Marienstraße. „Wir waren die achte Apotheke, die damals in Hannover eröffnete“, erzählt Winter. Das 150-jährige Bestehen wird jetzt im Mai, dem Gründungsmonat, gebührend mit vielen Aktionen gefeiert. Das Team der Marien-Apotheke hat sich einiges einfallen lassen: Aktionen für die Kleinsten, Beratungstage und eine Tombola erwarten die Kundschaft. 150 Jahre, 150 Cent (kostet ein Los), 150 tolle Preise – bei der Tombola kann man unter anderem einen Reisegutschein vom Reisebüro Beckmann und einen Speisegutschein vom Ristorante Tesoro gewinnen. Dazu locken Gewinne von Eis 2000, vom Restaurant Zio Totonno, von Betten Raymond, vom Restaurant Ginza und vom Restaurant Ca Phao Die Erlöse der Tombola werden dem Verein für krebskranke Kinder gespendet.

Mit der Aktion will die Marien-Apotheke ihrer Kundschaft etwas zurückgeben. „Ohne sie, aber auch ohne unseren Mitarbeitenden und unseren Arztpraxen wären wir nicht da, wo wir jetzt sind. Unser Paket stimmt einfach. Das ist ein Dank an alle, die dazu beitragen. Das beginnt bei den Reinigungskräften, die dafür sorgen, dass unsere Apotheke immer tipptopp aussieht und geht in alle Strukturen“, betont Winter. Er resümiert: „Das Schönste am Ende des Tages ist es, für unsere Kundschaft da zu sein. Wir haben diesen Beruf ja ergriffen, weil wir helfen wollen. Mit unserer Tätigkeit wollen wir dazu beitragen, Krankheiten zu lindern oder im besten Fall zu heilen. Und das auch gerne noch weitere 150 Jahre!“

Jule Merx

Marien-Apotheke
Marienstraße 55, 30171 Hannover
www.marien-apotheke-hannover.de
E-Mail info@marien-apotheke-hannover.de
Telefon 0511 3534070

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Randgruppenbeleidigung im Mai

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Randgruppenbeleidigung im Mai


Desinteressierte

Du bist es ist einfach. Gottes Geschenk. Gar kein Zweifel. Und darum ist es wichtig und richtig, dass die Welt erfährt, was du denkst und fühlst. Wer du bist. Was dich beschäftigt. Was dich bewegt. Wie es generell so läuft bei dir. Und es läuft natürlich super! Seht und hört und staunt!

Deine Sätze beginnen alle mit „Ich …“ und deine Sätze enden nie mit einem Fragezeichen. Du kannst dich einen ganzen Abend und gerne auch eine ganze Nacht lang bestens darüber unterhalten, wie geil du bist, ohne den Namen deines Gesprächspartners herauszufinden. Ohne überhaupt irgendwas über denjenigen zu erfahren, dem du so eifrig einen Blumenkohl an die Hörmuschel laberst. Dein Thema, das bist allein du. Was könnte interessanter sein? Und schon geht es los mit deinen Ergüssen über deine Herrlichkeit, Verbalonanie pur. Zweifel sind dir völlig fremd. Und dein Gegenüber bleibt dir völlig fremd. Denn du interessierst dich nicht die Bohne für andere. Du interessierst dich eigentlich für gar nichts, außer für dich.

Und so steht man dir ein bisschen ratlos gegenüber und versucht, ein höflicher Mensch zu bleiben. Man versucht nicht zu lachen, als man erfährt, dass du ausgerechnet Journalist bist. Man versucht, keine Miene zu verziehen. Währen du schwallerst und schwallerst und schwallerst. Deinen Job bist du gerade los, sie waren in der Redaktion einfach nicht schnell genug für dich, sie haben deine Genialität nicht verstanden, du warst wahrscheinlich einfach zu sehr Überflieger und dann entsteht natürlich Neid. Dann ist es besser, irgendwann einfach zu gehen. Du wärst darum auch von allein bald gegangen. Wenn sie dir nicht mit der Kündigung zuvorgekommen wären, hättest du gekündigt. Und klar, sie konnten diese Kündigung nur lächerlich begründen. Du hättest in deinen Interviews zu viel von dir erzählt, deine Fragen seien immer weitaus länger gewesen als die Antworten der Interviewten und nachgefragt oder nachgehakt hättest du nie. Lächerlich. Deine Fragen und Einlassungen seien doch im Gegenteil gerade das Salz in der Suppe gewesen Was soll man denn machen, wenn einem bei den Interviews nur langweilige Menschen vor die Nase gesetzt werden, die so gar nichts Spannendes zu erzählen haben. Da muss man dann halt kreativ reagieren und die ganze Geschichte entsprechend aufbrezeln. Oder etwa nicht?

Was bleibt einem übrig als zu nicken, wenn man nicht unhöflich sein will? Und schon geht es weiter mit der feuchtfröhlichen Selbstdarstellung. Jetzt steht die richtige Ernährung auf der Gesprächsliste. Man erfährt, wie du auf die Idee gekommen bist, Vegetarier zu werden, damals, schon vor Jahren. Als die ganze Problematik in den Medien noch gar kein Thema war. Du warst schon immer ein Vordenker. Und man kommt einfach nicht dazwischen, während es Argumente für den Fleischverzicht hagelt, man schafft ihn nicht, diesen einen Satz, der eigentlich gesagt werden müsste: „Ich bin längst Vegetarier und das schon ein paar Jahre länger als du!“ Der Satz bleibt ungesagt. Ist ja auch nicht so spannend.

Spannend ist, dass du jetzt große Pläne hast. Du willst noch einmal richtig angreifen. Und darum bist du auf dieser Party. Denn dieser Typ von dieser Zeitung soll auch da sein. Und wenn du den in die Finger bekommst und der checkt, was für ein Genie du bist, dann wird richtig Karriere gemacht. Der muss es halt nur kapieren. Dass er sich reines Gold ins Haus holen würde. Ein richtig spannendes Exemplar. Einen Lottogewinn, wenn man so will. Und dann wird man plötzlich stehengelassen. „Entschuldige, ich sehe da drüben jemanden, den ich kenne, glaube ich. War interessant, sich mit dir zu unterhalten. Wie war noch mal dein Name?“ Die Antwort bleibt ungehört.

VA

 

PS: Ich glaube, ich habe keinen Job für dich.

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bonnataxi: Bizarre Blüten, schockgefrostet

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bonnataxi: Bizarre Blüten, schockgefrostet


bonnataxi – hinter diesem Künstlerkollektiv verbergen sich der Fotokünstler Maura Ecco und der Kunstvermittler Gerry Linda.
Ecco, das Enfant terrible der Coming-of-Age-Fotographier, hat eine Phase der Selbstfindung durchschritten, die in eine radikale künstlerische Neufindung mündete.
Das  Destillat seines Schaffens sehen wir hier, wie immer verständlich erläutert von Gerry Linda:

Bizarre Blüten, schockgefrostet

„Bizarre Blüten, schockgefrostet“ – so der Titel von Maura Eccos aktueller Arbeit. Aufgenommen im alaskischen Anchorage mitten im Winter, sehen wir drei Streichhölzer, die große Ähnlichkeit zu Spargelstangen aufweisen. Schattenlos, und dennoch nicht ohne Körper, stehen sie im Frost, während samtweiche Vanilletöne Hand in Hand mit dem blassen Mispelgelb der Streichholzköpfe gehen. Graue Weißtöne verleihen dem Bild sinnliche Tiefe und lösen eine beinahe meditative Seherfahrung aus. Doch die Idylle trügt.

Auf seine ganz eigene Art visualisiert Ecco hier Defizite in der Lebensmittelindustrie, konkret: die Spargelernte mit ihren oft prekären Begleiterscheinungen. Mit dem Kunstgriff, die skulpturale Form des Gemüses beizubehalten, ihm jedoch in Gestalt der Streichhölzer ein komplett neues Gesicht zu geben, verschiebt Ecco die Grenzen der Lebensmittelfotografie.

Er widersteht hierbei dem Impuls, realen Spargel abzulichten, wenn er Dilemmata der Spargelproduktion sichtbar machen möchte. Stattdessen wählt er ein Objekt, das als weniger „vornehm“ beleumundet ist. So hat ein Streichholz Nutzen nur für einen kurzen Moment, bevor es achtlos entsorgt wird. Spargel hingegen gilt als der König unter den Gemüsen, stolz und edel. Warum Ecco diesen Zusammenhang konstruiert, bleibt letztlich im Vagen.

Die Angst des Künstlers vor der weißen Leinwand bleibt überdies erkennbar. Ecco hat in Alaska in seine inneren Abgründe geschaut. Unübersehbar eine Hommage an den großen Experimentalfilmer Gerhard Höllerich und sein Monumentalwerk „Die Frau mit der goldenen Syrenke“.

bonnataxi@gmx.de

 

 

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Unbekannt verzogen – Die Eltern-Kind-Kolumne

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Unbekannt verzogen – Die Eltern-Kind-Kolumne


Morgendlicher Motz-Tsunami

Morgenstund‘ hat Gold im Mund“ – so sagt es die berühmte Redewendung. Doch das ist eine Lüge. Die Morgenstund‘ hat vor allem eines im Mund und auf der Zunge: Hass, Beleidigungen und Drohungen. Damit meine ich nicht den morgendlichen Twitter-Konsum auf dem Klo. Nein, ich rede von den seelischen Kollateralschäden des Kinder-Aufweckens.

Meine Erwartungen an den Morgen mit Kindern wurden durch Werbespots für Frühstücks-Cerealien in den frühen 90ern geprägt: sonnendurchflutete Küchen, gemeinsames Lachen, Vorfreude und Miteinander. Lass ihn raus, den Tiger. Doch das Einzige, was mich jetzt noch an Toni, die Kelloggs-Katze erinnert, ist das Gefühl einen Raubtierkäfig zu betreten. Statt mentaler Sonnendurchflutung gibt es Wellen von Beleidigungen. Statt gemeinsamem Lachen bedrohliches Fauchen. Statt gut gelauntem Aufstehen gibt es ein Klammern an das Bett, das selbst Dornröschen zu verschlafen gewesen wäre. Meine Kinder verschanzen sich zwischen den Decken wie die Deutsche und Franzosen bei Verdun. Ich renne an, mit Sturmangriffen der väterlichen Zuneigung und rhetorisch-musikalischer Muntermacher, doch es nützt alles nichts. Im Sperrfeuer von Ignoranz, Hau-ab-Salven und austretenden Füßen muss ich irgendwann geschlagen den Rückzug antreten.

Doch was tun, wenn der frühe Vogel von schroffen Schrotsalven aus Kindermündern zerfetzt wird? Wie motiviert und präpariert man sich als Vater, der aus Gründen der Familien-Logistik nahezu jeden Tag mit dem Himmelfahrtskommando der Nachwuchs-Erweckung betraut ist? Ich habe mir dazu ein paar freie Gedanken gemacht – hier einige Ideen, was ich tun könnte:

1. Die sogenannte „Hell Week“ aus dem Training der amerikanischen Navy Seals gilt als ultimative Vorbereitungs- und Auslesephase: fünfeinhalb Tage mit insgesamt vier Stunden Schlaf, über 300 km Marschstrecke, 20 Stunden schwerer körperlicher Aktivität täglich, lediglich unterbrochen durch Mahlzeiten. Also kurz: eine ganz normale Elternwoche. Aber im Ernst: Ein physisch-psychischer Grenzerfahrungstrip wie dieser kann einen vielleicht abhärten für die Spezial-Operation „Guten Morgen“.

2. Think positive! Positivity-Workshops und -Seminare haben ein geradezu pandemisches Ausmaß angenommen. Überall versprechen Mental-Trainer „Toolkits“ für den „Mood-Boost“. Gedankliches Doping für die eigenen Emotionen. „Tschakka, du schaffst das“ nannte man das in meiner Jugend. Erst ironisch in einer Comedy-Show, später fast ernst gemeint, zum Beispiel mit einer gleichnamigen Show auf RTL2, in der ein verrückter niederländischer Motivationstrainer namens Emile Ratelband Menschen an ihre Grenzen und darüber hinaus führte. Später machte Merkel „Wir schaffen das“ daraus, da ging es auch um Grenzen und es trug nicht zu guter Laune bei. Ich schweife ab … da schlafen die Kinder direkt wieder ein.

3. Show must go on! Ich weiß noch, wie ich das erste Mal vom Beruf des „Show-Einheizers“ erfuhr. Ich war fasziniert. Menschen, die auf Kommando gute Laune verbreiten können, die griesgrämige Alman-Armeen zum Schunkeln, Klatschen und Johlen bringen. Dafür muss es doch auch eine Aus- oder Weiterbildung geben. Folge ich den filmischen Darstellungen dieses Jobs, müsste ich morgens eine Linie Koks ziehen, in Otto-Waalkes-Schritten ins Zimmer laufen und mit rhythmischen „Jetzt aber alle!-Spielchen den Nachwuchs auf Betriebstemperatur bringen. Je länger ich darüber nachdenke … einen Versuch ist es wert.

Natürlich gibt es noch hunderte seriöse Blog- und Magazintexte mit tausenden Tipps für besseres Aufstehen. Eine der häufigsten Anregungen: selbst gute Laune verbreiten. Großer Gott! Wenn eins beim Aufstehen richtig schlechte Laune macht, dann ist es gute Laune bei anderen. Vielleicht sollten wir uns lieber ganz authentisch gegenseitig wachmotzen. Probiere ich sofort aus. Oder mit den Worten des berühmten Aufsteh-Philosophen Jürgen von der Lippe: „Guten Morgen, liebe Sorgen!“

Martin Kontzog

Martin Kontzog ist staatlich anerkannter Vater – ansonsten gilt seine Fürsorge dem Satire-Blog Pingu-Mania (http://pingumania.wordpress.com/)

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Ein offener Brief an Robert Habeck

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Ein offener Brief an Robert Habeck


Lieber Robert,

es ist höchste Zeit, dir hier an dieser Stelle ganz persönlich und doch auch öffentlich aus vollem Herzen Danke zu sagen! Ich hatte mich schon so schlecht gefühlt. Aber inzwischen ist alles wieder gut. Dank dir! Du warst wirklich ein Vorbild für mich. Du und die anderen. Aber von vorne:
Man rostet ja ein mit den Jahren. Du lässt es laufen, du kümmerst dich nicht, und irgendwann willst du dir deine Schnürsenkel zubinden und merkst, dass das verflucht anstrengend ist. Du kommst fast nicht mehr dran. Der Bauch zu groß, die Sehnen zu kurz, der Weg nach unten ist beschwerlich. Da ist jede Geschmeidigkeit dahin.

Früher hat man sich ein bisschen gestreckt und gereckt und dann ging das wieder. Früher war man einfach viel flexibler. Und ja, auch im Kopf „versteift“ man mit den Jahren. Da werden dann diverse Meinungen zur reinen Lehre und dann denkt man irgendwann Atomkraft schlecht und Frieden gut und Batterien nicht in den Hausmüll und lieber nicht so viel mit dem Flugzeug fliegen und mit dem Auto fahren und lieber nicht so viel Fleisch essen und die Heizung nicht ganz so hochdrehen und ein bisschen darauf achten, dass die Produkte, die man kauft, irgendein schönes Siegel haben und bloß nicht denken, dass die Nachbarin einen geilen Arsch hat und so weiter. Und wenn jemand um die Ecke kommt, der etwas anderes denkt über Atomkraft und Frieden, dann hört man gar nicht mehr zu, dann bläst man lieber wütend in Trillerpfeifen. Oder so ähnlich. Und fühlt sich schlecht.
Weil man nämlich insgeheim doch ganz gerne mal einen Döner isst und so ein SUV wäre schon auch geil und Dubai hat man auch noch nicht gesehen und letztens ist eine Batterie dann doch aus Versehen im Hausmüll gelandet und dann ist einem auch noch die Nachbarin im Treppenhaus begegnet … Und Alter, dann geht man echt tagelang in Sack und Asche, weil man jemanden insgeheim reduziert hat. Oder weil man neidisch war, weil die von gegenüber sich jetzt diesen Porsche geleistet haben.
Man schämt sich in Grund und Boden. Man schämt sich die ganze Zeit. Man hat einfach dieses Gefühl von Unzulänglichkeit, diese bittere Erkenntnis, dass man seinen eigenen Ansprüchen gar nicht gerecht wird. Und wenn irgendjemand von den anderen jemals herausfindet, dass man doch in diesen Fonds investiert hat, weil der Finanzberater versichert hat, dass der Anteil der Unternehmen in diesem Fonds, der Waffen produziert, wirklich verschwindend gering ist, wenn das jemals rauskommt, dann ist man aber sowas von geliefert. Und so quält man sich durch sein Leben, das schlechte Gewissen als ständiger Gast auf der Schulter – und dann kommst du! Licht am Ende des Tunnels! Robert Habeck! Gleichsam die Erlösung!

Und du machst es einfach mal vor. Sozusagen aus der Hüfte. Ganz geschmeidig. Man muss die Ideale einfach zwischendurch auch mal pragmatisch mit der Realität abgleichen. Und ein bisschen über seinen Schatten springen. Und Kompromisse machen, damit sich überhaupt etwas bewegt. Es ist ganz leicht. Es war doch nur eine Batterie. Und ganz ehrlich, wer gerät innerlich nicht ins Schwärmen beim Anblick einer schönen Frau. Und die Flugkilometer kann man auch ausgleichen. Ein bisschen mehr Flexibilität. Das kann man auch trainieren. Man muss sich einfach jeden Tag ein bisschen mehr verbiegen. Ich bin dabei! Und ich komme mit meinen Fingern schon wieder fast an meine Zehen. Der Weg ist das Ziel! Danke, Robert!

GAH

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El Kurdis Kolumne im Mai

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El Kurdis Kolumne im Mai


Meine nominelle Arisierung

Für viele Deutsche ist es eine Herausforderung, jemandem mit einem nahöstlichen, asiatischen oder afrikanischen Namen zu begegnen.
Sie fangen an zu stammeln, machen hilflose Artikulationsversuche und sprechen den Namen dann halt irgendwie aus.
So wurde ein Mitschüler meiner Tochter von den Lehrer*innen konsequent „Aamett“ genannt, obwohl er selbstverständlich Ahmed hieß, und es ja nun wirklich nicht so schwer sein sollte, sich zu merken, dass ein solches „h“ in der Mitte tendenziell eher wie ein „ch“ gesprochen wird.
Aus diesem Grund habe ich meinen arabischen Vornamen schon 1971, kurz nach meiner Einschulung, selbständig gegen meinen urdeutschen Mittelnamen getauscht. Eigentlich heiße ich ganz vorne nämlich „Samer“, was hübscherweise soviel bedeutet wie „Jemand, der seine Freunde des Nachts mit Plaudereien unterhält“. Leider aber bekamen die Kinder in meiner Klasse diesen Namen einfach nicht über die Lippen. Obwohl „Samer“ ja keinerlei schwer auszusprechende Konsonantenanhäufungen, übermäßig viele Ypsilons oder andere komplizierte Buchstabkombinationen enthält.
Selbst meine Lehrerin konnte „Samer“ bei der Anwesenheitskontrolle nicht ohne Stocken aus dem Klassenbuch ablesen.
Damals hieß man als Junge in Deutschland üblicherweise Matthias, Andreas, Michael. Die mit exzentrischen Eltern hießen Oliver oder Pascal. Da ich in einem robusten Viertel in Kassel aufwuchs, nannten mich meine Mitschüler wahlweise „Samen“ „Besamer“ oder irgendwas anderes mit Sperma. Ein Junge nannte mich, warum auch immer, „Senftopf“.
Ich dachte mir: Dann doch lieber „Hartmut“. Das klang für mich eindeutig, unverfänglich und deutsch. Diesen Zweitnamen hatte mir meine deutsche, sommersprossige Mutter verpasst, weil sie, als ich ihr in Amman nach der Geburt in die Arme gelegt wurde, vermutlich dachte: Okay, es ist also, wie erwartet, ein kleiner Schwarzkopf geworden. Der kriegt jetzt mal zum Ausgleich einen germanisch-blonden SS-Mittelnamen. Quasi als Look-Name-Balance. Und als eine Art nominelle Arisierung.

Meine Umbenennung war allerdings nur so mittel erfolgreich: Mein Nachname „El Kurdi“ verwirrt manche Deutsche so, dass sie gar nicht anders können, als meinen Vornamen schriftlich zu „Hartmoud“ zu orientalisieren. Analog zum arabischen „Mahmoud“, was übrigens der Vorname meines Vaters ist. Der von Deutschen allerdings oft „Mammut“ ausgesprochen wird. Siehe: Aamett.
Auch schön: In verschiedenen Zeitungen – von TAZ bis ZEIT – erschienen schon Texte von mir unter meinem unfreiwilligen Pseudonym „HELMUT El Kurdi“. Daran gefällt mir, dass die Verantwortlichen hier gar nicht dazu kommen, meinen arabischen Nachnamen zu verhunzen, sondern sich vorher schon im deutschen Vornamengestrüpp verheddern: Hartmut, Helmut, Helmfried, Friedhelm – was soll’s? Alles eine Suppe! Lustigerweise nennt mich auch meine Freundin Mely Kiyak  – im Gegensatz zu mir halbkurdischem Hessen vollkurdische Niedersächsin – konsequent Helmut. Zumindest in unserer erschütternd albernen Digital-Korrespondenz. Beim ersten Mal war es wohl ein Versehen. Wir kannten uns noch nicht gut. Seitdem macht sie es aus Daffke. Ich nenne sie folgerichtig und durchgehend seit Jahren Melanie. Melanie ist, neben Claudia beziehungsweise „Claudi“, mein deutscher Lieblings-Frauen-Seventies-Name.  Obwohl: „Dagmar“ respektive „Daggi“ und „Petra“ finde ich auch nicht schlecht…

Abschweifung: Hätten meine Freundin und ich unsere Tochter „Petra“ genannt, dann wäre Petra kürzlich in Petra gewesen. Was mir sehr gefallen hätte. Die junge Frau war nämlich kürzlich zum ersten Mal in meinem Geburtsland und besuchte dort unter anderem die alte nabatäische Felsenstadt „Petra“. So war aber nur Salima in Petra. So heißt meine Tochter nämlich wirklich. In Jordanien war sie mit einer französischen Freundin, die den schönen, leicht ähnlich klingenden hebräischen Namen „Salomé“ trägt  – und die prompt bei der Einreise am Flughafen in Amman von den jordanischen Grenzbeamten gefragt wurde, ob sie Jüdin sei. Als meine Tochter mir davon berichtete, dachte ich: Die lassen aber auch kein Klischee aus. Vor allem: Was wäre passiert, wenn sie tatsächlich Jüdin gewesen wäre und mit „ja“ geantwortet hätte?  Abschweifung beendet.

Meine Tochter Salima wird in Deutschland übrigens mal Samira, mal Selina, mal Shalimar genannt. Selbst wenn die Leute ihren Namen vor sich auf einem Formular oder ihrem Ausweisdokument stehen haben. Manchmal glaube ich, dieses Land braucht dringend eine Alphabetisierungskampagne.

Hartmut El Kurdi

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