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Verein Psychiatrie Erfahrener -VPE

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Verein Psychiatrie Erfahrener -VPE


Psychische Erkrankungen bedeuten oft spürbare Einschränkungen, Herausforderungen und Belastungen für Betroffene und deren Angehörige und Freund*innen. Der Verein Psychiatrie Erfahrener bietet Betroffenen ein niederschwelliges Hilfsangebot. Alles unter dem Motto: Willst Du etwas wissen, so frage den Erfahrenen und keinen Gelehrten.

Norman Sabbagh+Sabine Szillus

Depressionen, Angststörungen oder Störungen durch Alkohol- und Drogenkonsum – die Liste der psychischen Erkrankungen ist lang.
Knapp 18 Millionen Menschen in Deutschland sind psychisch krank.
Für die Betroffenen, ihre Angehörigen und Freund*innen bedeutet das oft sehr viel Leid und gesellschaftliche und soziale Isolation. Das Gesundheitssystem scheitert währenddessen an der schnellen Verteilung von Therapie- und Klinikplätzen. Auf ein Erstgespräch bei einem Psychologen müssen Betroffene oft monatelang warten, an überfüllten Kliniktüren werden sie abgewiesen.

„Da würde ich mir eine bessere ärztliche Versorgung wünschen“, sagt Sabine Szillus, die zweite Vorsitzende des VPE’s – dem Verein Psychiatrie Erfahrener. „Der VPE ist in erster Linie ein Selbsthilfeverein von Menschen, die selbst mal in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung waren oder es noch sind, erklärt Norman Sabbagh, der erste Vorsitzende des VPEs. „Aber auch wer nicht Psychiatrie-erfahren ist, kann hier gerne herkommen.

Der VPE möchte Mut machen, sich der Krankheit und den Folgen zu stellen. Das heißt auch, sich über die Krankheitssymptome, Medikamente und Behandlungen auszutauschen. So können sich Betroffene gegenseitig den Rücken stärken. Betroffene haben mit dem VPE also eine offene Anlaufstelle, wo sie Unterstützung erfahren. „Wir wollen, dass die Leute nicht allein zu Hause sitzen. Das ist schon ganz viel wert, wenn man einfach unter Menschen ist, sich unterhält, wenn man einfach mal rauskommt aus seinem Umfeld, aus seiner Wolke, in der man lebt. Dann ist alles schon viel einfacher“, erklärt Norman. „Für viele Menschen mit diesen Krankheitsbildern ist es schwierig, irgendwo aktiv hinzugehen. Das ist oft ein ganz großer Schritt. Hier wissen die Leute, hier sind Menschen, die haben die gleichen Erfahrungen gemacht wie ich. Die verstehen mich, die lehnen mich nicht ab“, ergänzt Sabine.
Der VPE bietet seinen rund 180 Mitgliedern und neugierigen Besuchenden eine offene Teestube und zweimal die Woche ein gemeinsames Frühstück. „Dass die Leute Sozialkontakte haben, ist sehr wichtig. Durch die Krankheit ist das bei vielen, das weiß ich aus eigener Erfahrung, extrem eingeschränkt“, erklärt Sabine. Darüber hinaus gibt es Gruppen, in denen Betroffene ihre Erfahrungen austauschen können – wie etwa in der Psychosegruppe, der Frauengruppe und der Depressionsgruppe. „Falls es mal akut irgendeinen Redebedarf gibt, wenn Leute einsam zu Hause sitzen und nicht weiter wissen, weil ihnen das Wasser bis zum Hals steht, haben wir hier zwei Sozialarbeiterinnen, die man zu den Sprechzeiten immer ansprechen kann“, erzählt Norman.
Darüber hinaus sitzt der VPE in verschiedenen Gremien, um sich für die Interessen und Bedürfnisse von psychisch kranken Menschen einzusetzen.

All das – die Gremienarbeit, die Teestube, das Frühstück, die Selbsthilfegruppen – ist nur möglich, weil zahlreiche Ehrenamtliche, die selbst Betroffene sind oder waren, diese Arbeit übernehmen und so einen sicheren Ort für andere Betroffene schaffen. Diese Arbeit wird von der Region Hannover gefördert. Und trotzdem werden Geld- und Sachspenden dringend benötigt. „Ganz wichtig ist, dass wir Spendende finden, die uns unterstützen“, betont Sabine – denn nur so kann der VPE weiterhin eine Anlaufstelle für die sein, die sie unbedingt brauchen. „Es ist keine Schande, krank zu sein. Es ist kein Makel, krank zu sein. Es ist nicht schlimm, krank zu sein. Aber es ist nicht so gut, sich keine Hilfe zu holen“, betont Sabine.

VPE – Verein Psychiatrie Erfahrener
Rückertstraße 17, 30169 Hannover
Tel.: 0511 131 88 52
vpehannover@arcor.de

Jule Merx

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Der besondere Laden: Lex & Julez

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Der besondere Laden: Lex & Julez


In der Fashion-Industrie läuft so einiges gewaltig schief – miserable Arbeitsbedingungen, Überproduktion, Zerstörung der Umwelt. Das Modelabel Lex & Julez möchten einen Unterschied machen: faire, nachhaltige Mode direkt aus der Posthornstraße in Linden-Nord.


„Wir wollen gegen die Fast-Fashion-Industrie ein Zeichen setzen“, meint Julia Bianca Berg, die alle nur Jule nennen, Mitgründerin von Lex & Julez. Die zweite Modedesignerin hinter Lex & Julez ist Alexandra Huhn, Spitzname Lexi. Die Beiden lernten sich 2015 während des Modedesign-Studiums in Hannover kennen und wurden beste Freundinnen. Gemeinsam absolvierten sie ihren Master – dabei entstand auch das Konzept für Lex & Julez. „Damit haben wir uns direkt selbstständig gemacht. Nach dem Abschluss mit einem Kopfsprung in die Selbstständigkeit“, erzählt Lexi. Zunächst bezogen sie ein kleines Atelier in Linden-Süd, seit September 2022 haben sie eine eigene Ladenfläche in der Posthornstraße. „Als wir das Atelier damals gemietet haben, war das wie in einem Film: ein leerer Raum, nur eine Nähmaschine und zwei Kaffeetassen. Wir mussten alles from scratch aufbauen“, erinnert sich Lexi zurück.

„Wenn man Lex & Julez in ein paar Sätzen zusammenfassen müsste, dann steht vorne dran auf jeden Fall ein riesiges Nachhaltigkeitskonzept, verbunden mit zeitlosem, minimalistischen Design und Handwerk“, erklärt Lexi. In das Label, in jeden Arbeits- und Produktionsschritt, fließen die Werte der beiden ein. Im Studium haben sie viel über die Fast-Fashion-Industrie und die damit verbundenen Abgründe gelernt. Für die beiden Freundinnen ist klar – das geht auch anders, das muss anders gehen: fair, nachhaltig und transparent. „Die Fashion-Industrie hat einen riesigen Anteil daran, dass unsere Umwelt komplett zerstört wird und Menschen leiden“, betont Jule. „Wir wollen auf diesen Zug nicht mit aufspringen und einfach mitmachen. Sondern an vielen Ecken und Enden Veränderung schaffen“, ergänzt Lexi.

Der Gegenentwurf zu Fast-Fashion ist Slow-Fashion. Darauf setzen auch Lexi und Jule: „Alles, was wir entwerfen und produzieren, kann miteinander kombiniert werden. Außerdem kann die Kollektion in einen bestehenden Kleiderschrank integriert werden.“ Es wird also nicht auf Trends gesetzt, auf immer neue Kollektionen, sondern auf klassische, minimalistische, langlebige Teile. „Vom Design her ist es super reduziert und schlicht. Wir arbeiten auch nur mit den Farben Schwarz und Weiß, sodass noch mehr diese Kombinationsfähigkeit gegeben ist“, erklärt Jule.

Auf Nachhaltigkeit setzen die zwei Freundinnen auch, wenn es um die Materialien geht: Naturstoffe aus Europa und plastikfreier Garn, plastikfreie Verpackungen, plastikfreie Knöpfe. „Da gibt’s bei uns keine Ausnahmen. Das ist herausfordernd“, meint Lexi. „Wir arbeiten ressourcenschonend“, ergänzt sie. Aus Verschnittresten werden zum Beispiel Taschen, Haarbänder und Haargummis genäht. Doch die ressourcenschonende Produktion beginnt schon ein paar Arbeitsschritte früher: bei den Entwürfen für die Schnitte und Detaillösungen. Schon hier wird so entworfen, dass zum Beispiel komplett auf Reißverschlüsse verzichtet werden kann.

Und das ist nicht die einzige Besonderheit bei den Entwürfen von Lex & Julez. „Bereits bei der Schnittentwicklung achten wir darauf, dass unsere Kleidung so größeninklusiv wie möglich ist“, erklärt Jule. Ein konventionelles Größensystem sucht man hier vergeblich. „Sich in so eine Nummer reinzudefinieren ist einfach super schädlich für die eigene Psyche“, meint Lexi. „Bei uns soll dieses Gefühl, was man hat, wenn man die Kleidung trägt, im Vordergrund stehen“.

Lex & Julez – ein wichtiger Gegenentwurf zur Fast-Fashion-Industrie. „Zu sehen, dass Leute das cool finden und supporten, und immer mehr Menschen irgendwie darauf aufmerksam werden, was wir machen, dass immer mehr mitbekommen, dass es uns gibt – das ist ziemlich schön“, meint Lexi.

„Wenn es um nachhaltige Mode geht, hat man, glaube ich, schnell das Gefühl, dass man als einzelne Person keinen großen Unterschied macht. Neben unserer Arbeit als Designerinnen möchten wir darauf aufmerksam machen, dass es eben doch eine Änderung schafft, wenn man sich mit diesem ganzen Konstrukt Fast-Fashion auseinandersetzt, und dass da wirklich viel passieren muss. Findet euren eigenen Weg, irgendwie eine Änderung zu schaffen. Wir würden uns natürlich sehr freuen, davon ein Teil sein zu können“.

Lex & Julez
Posthornstr. 9, 30449 Hannover
Öffnungszeiten Di 10-17 Uhr, Mi-Fr 15-18 Uhr, Sa 10-13 Uhr
Tel.: 0511 53846543
www.lexandjulez.de

Jule Merx

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Über Würde

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Über Würde


Wir haben viel zu verlieren und noch reichlich zu gewinnen

Würde. Ein großes Wort. Das gerne mal inflationär in Sonntagsreden in den Mund genommen wird. Aber was ist eigentlich mit Würde gemeint? Was beinhaltet dieser Begriff? Was gehört zu einem würdevollen Leben? Das zu beschreiben, ist gar nicht so leicht. Wir erfassen eher, was Würde bedeutet, wenn wir die Abwesenheit von Würde erleben. Wenn wir würdelose Zustände sehen. Dann bekommen wir eine ungefähre Idee davon, dass Würde eine ganz zentrale Basis für alle Menschen sein sollte. Ist sie aber nicht. Die Würde des Menschen ist offensichtlich ziemlich antastbar …

Sie scheint momentan überall auf der Welt sehr antastbar. Was teilweise kaum auszuhalten ist. Es macht wirklich traurig, sich umzusehen. In Afghanistan nehmen die Taliban zum Beispiel den Frauen ihre Würde. Sie werden unterdrückt, sie werden zu Sklavinnen der Männer degradiert, sie werden von der Bildung ausgeschlossen, sie werden schlicht zu Menschen zweiter Klasse erklärt. Frauen sind in Afghanistan entwürdigt. Frauen sind überall auf der Welt, in vielen Staaten nach wie vor entwürdigt. Menschen werden wegen ihres Geschlechts entwürdigt, wegen ihrer sexuellen Orientierung, wegen ihrer Religion und Hautfarbe. Und Menschen werden entwürdigt, weil sie mächtigen Interessen im Weg stehen. Menschen erleben im Krieg Entwürdigung. Wir erinnern uns kollektiv an die Bilder aus Butscha. Über 400 Menschen sind dort gefoltert, erschlagen und erschossen worden. Ein Kriegsverbrechen. Russland will den Menschen in der Ukraine ihr Recht auf Selbstbestimmung nehmen. Selbstbestimmung ist ein Teilaspekt des Begriffs Würde. Wenn Menschen sich über andere Menschen stellen, wenn sie ihre eigenen Interessen höher werten als die Interessen anderer, immer dann geht es auch um Würde, beziehungsweise um die Abwesenheit von Würde.

Aber würdelose Zustände sind nicht immer die Folge von direkter Unterdrückung. Manchmal entstehen solche Zustände in Systemen, die die Menschlichkeit zu sehr ausklammern. Der Kapitalismus ist wie gemacht dafür. Er dient der Kapitalakkumulation und nicht den Menschen. Dafür muss man ihn gar nicht kritisieren und kann ihn auch gar nicht kritisieren, der Kapitalismus ist ja kein Wesen und auch kein politisches Programm, sondern eine Form der Wirtschaft. Kritisieren muss man aber sehr wohl alle, die bisher dafür gesorgt haben, dass der Kapitalismus nicht weltweit starke soziale Leitplanken bekommen hat, sozusagen eine übergeordnete Gerechtigkeitskontrolle. Das ist nicht passiert. Und ebenso wenig sind bisher die tatsächlichen Kosten der Produktion umgelegt worden. Mit der Folge, dass Unternehmen noch immer hohe Gewinne mit Ressourcen erwirtschaften, für die sie kaum etwas bezahlen, zum Beispiel mit Trinkwasser. Und dass sie die Umwelt schädigen, ohne dafür irgendwen und im Zweifel uns alle entschädigen zu müssen.

Besonders schlimm wird es eigentlich immer dann, wenn der Kapitalismus zum politischen Programm erhöht wird, wenn möglichst freie Märkte gepredigt werden. Ein reichlich veralteter und blauäugiger Ansatz, der davon ausgeht, dass die Märkte es schon richten. Längst überholt und erwiesenermaßen grundfalsch, aber noch immer ein Glaubenssatz der FDP. Manche begreifen es halt nie. In Deutschland hat man beispielsweise gerne privatisiert, unter anderem im Gesundheitswesen. Und kann sich nun die Folgen anschauen. Die Lage in der Altenpflege ist ein Skandal. Unser Umgang mit alten Menschen ist bei uns insgesamt ein Katastrophe. Alte Menschen werden oft nur noch halbwegs verwaltet, im Minutentakt versorgt, abgearbeitet. Für viele wird die Unterbringung im Heim so zu einer späten Strafe. Wenn du deine Körperfunktionen nicht mehr im Griff hast, geistig aber voll auf der Höhe bist, deine Situation sozusagen anschauen, aber nichts tun kannst, und stundenlang warten musst, bis jemand deine Kleidung wechselt und dich wäscht, dann ist das würdelos. Für viele Menschen in Deutschland ist das aber leider bitterer Alltag. Und auf der anderen Seite leiden auch die Pflegenden, die in ihrem Job ausbrennen, die dem eigenen Anspruch an ihre Arbeit nicht mehr gerecht werden können. Warum? Weil das System auf kostensparende Effizienz getrimmt ist. Weil man viel zu viel den freien Märkten überlassen hat. Übrigens nicht nur im Gesundheitswesen. Wir sehen zum Beispiel, dass der Ausverkauf von Immobilien in den Städten zu ausufernden Mieten geführt hat, während es an sozialem Wohnungsbau fehlt. Die Not ist teilweise schon jetzt groß und nicht wenige Menschen leben bereits aus Kostengründen in „unwürdigen“ Verhältnissen.

Womit wir bei der Scham sind. Es ist beschämend, wenn es nicht reicht, wenn die eigene Leistung nicht genug einbringt, um sich ein halbwegs würdiges Leben zu finanzieren. Und das oft schuldlos, ausgestattet mit einer Minirente nach vielen Jahren Arbeit und Care-Arbeit. Inzwischen sind in unseren Städten sehr viele Menschen unterwegs, die Flaschen sammeln, manche eher tagsüber, um ihre Süchte zu finanzieren. Viele aber auch sehr früh morgens, fast noch in der Dunkelheit, um ihr Leben zu finanzieren, und der Blick in die Mülleimer ist eilig und verschämt, nach ein oder zwei Blicken über die Schulter. Niemand soll das sehen. Niemand von den anderen, die es besser hinbekommen haben, die sich keine Sorgen machen müssen. Wobei wir uns inzwischen ja zunehmend alle Sorgen machen müssen.

Und dann beginnen wir damit, unseren Besitz zu verteidigen. Und wir identifizieren argwöhnisch Menschen, die unseren Besitz bedrohen, zum Beispiel Flüchtlinge. Eine Klaviatur, auf der die AfD ihre völkischen Lieder anstimmt. Da kommen Kriegsflüchtlinge, und okay, die muss man natürlich eine Weile aufnehmen – aber müssen denen bei uns auch gleich die gebratenen Tauben in den Mund fliegen? Und da kommen – „viel schlimmer“ – sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge, die dann hier in unserem Sozialstaat schmarotzen. So ungefähr klingt der Sound. Dass diese Menschen kommen, weil es in ihren Ländern oft schlicht nichts mehr zu essen und keine Perspektive gibt, vielleicht, weil ihr Land im Zuge des vom reichen Westen verursachten Klimawandels ausgetrocknet ist, darüber wird lieber geschwiegen. Das wird ausgeklammert. Stattdessen versuchen wir in Europa, uns diese Menschen möglichst vom Leib zu halten. Wir halten sie an den Grenzen auf und verfrachten sie in überfüllte Lager wie Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Noch heute leben Menschen in all den Lagern in katastrophalen Verhältnissen. Wie muss sich das anfühlen? Du bist nicht gewollt. Nirgends. Du lebst im Dreck, überall Müll. Um dich herum viele andere Menschen. Du hast keine Privatsphäre, kannst dich nicht zurückziehen. Du hast die Geschichten vom gelobten Land geglaubt, du hast dich auf den Weg gemacht, viel Geld bezahlt, deine Familie, deine Kinder zurückgelassen. Aber das Paradies war nur ein Märchen. Und nun hängst du fest.

Oder du wolltest gerade dein Informatikstudium beenden, als dir plötzlich die Bomben um die Ohren geflogen sind und du fliehen musstest. Nur weg, hunderte, tausende Kilometer. Vielleicht hast du auf der Flucht deine Familie aus den Augen verloren. Vielleicht weißt du nicht, ob deine Eltern noch Leben. Und nun sitzt du in diesem Lager. Hat das auch nur entfernt etwas mit Würde zu tun? Ist es in Ordnung, Menschen so zu behandeln, die traumatisiert sind, die vor Krieg und Terror geflohen sind, die vielleicht mitangesehen haben, wie Verwandte, wie Nachbarn misshandelt und umgebracht worden sind? Nein, das ist ganz und gar nicht in Ordnung und jeder und jede von uns, würde sich mit Händen und Füßen zur wehr setzen, würde kämpfen, für eine bessere, eine würdevollere Behandlung. Allen, die heute AfD wählen, wollen wir wünschen, dass sie nie in eine solche Situation kommen wie die Flüchtlinge, und dann in einem fremden Land auf Menschen treffen, die dort irgendeine AfD-Variante wählen. Was verweigern wir diesen Menschen? Wir verweigern ihnen ein würdevolles Leben.

Ein Leben in Würde ist die Grundvoraussetzung für ein glückliches Leben. Ohne Ausnahme verdienen wir eine würdevolle Behandlung. In jeder Lebenslage ein ganzes Leben lang. Im Grundgesetz heißt es dazu: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dieser Satz spukt den meisten in Deutschland aufgewachsenen Menschen im Kopf herum. Hat man schon mal gehört, meistens in der Schule. Was bedeutet eigentlich dieser Begriff? Zu welcher Zeit hat er sich entwickelt. Wann hat man Menschen zum ersten Mal Würde zugestanden?

Die Würde hat eine lange und reiche Geschichte. Bereits in der Antike, insbesondere im Werk von Aristoteles, wurde sie als eine grundlegende Eigenschaft des Menschen betrachtet. Aristoteles meinte, dass der Mensch aufgrund seiner Vernunft und seiner Fähigkeit, moralische Entscheidungen zu treffen, eine einzigartige Würde besitze. Diese Vorstellung von Würde als etwas, das auf unseren inneren Qualitäten basiert, hat die philosophische Tradition stark beeinflusst. Im Laufe der Geschichte entwickelte sich die Vorstellung von Würde dann weiter. In der christlichen Theologie wurde die Würde des Menschen als göttliche Schöpfung betont. Und die Aufklärung des 18. Jahrhunderts brachte schließlich eine neue Perspektive mit sich, in der die Idee der individuellen Rechte und Freiheiten im Mittelpunkt stand. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wurde die Idee der menschlichen Würde in politischer Hinsicht verankert. Mit der Würde wurde ein Anspruch an Gesellschaften festgeschrieben. Alle Menschen haben gleichermaßen einen Wert.

Die Philosophen haben die Frage nach der Würde des Menschen immer wieder aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Immanuel Kant, einer der einflussreichsten Denker der Aufklärung, argumentierte, dass die Würde des Menschen in seiner Fähigkeit zur Vernunft und zur moralischen Autonomie liegt. Für Kant hat jeder Mensch intrinsische Würde, die nicht verhandelbar ist und unabhängig von seinen Handlungen oder Eigenschaften existiert. Und Hannah Arendt, eine uns in Hannover gut bekannte politische Theoretikerin betonte vor allem die soziale Dimension der Würde. Sie argumentierte, dass die Würde des Menschen in seiner Fähigkeit liegt, sich in der Gesellschaft zu engagieren und politische Handlungen zu vollziehen. Arendt betonte die Bedeutung der Anerkennung durch andere Menschen für die Wahrung unserer Würde. Ein wichtiger Aspekt.

Der Wert der Würde, das gilt es unbedingt festzuhalten, ist unendlich hoch. Sie kann nicht mit materiellen oder immateriellen Gütern aufgewogen werden. Hieraus leitet sich beispielsweise das Verbot der Sklaverei ab. Es gibt keinen Preis, zu dem der Verkauf eines anderen Menschen oder auch der Verkauf der eigenen Person gerechtfertigt wäre. Also gibt es auch keine Rechtfertigung für Sklaverei. Gegner der Prostitution argumentieren ganz ähnlich. Befürworter entgegnen, dass in diesem Fall nicht der ganze Mensch, sondern nur der Körper verkauft werden würde. Es gibt bei dieser Frage sehr kontroverse Positionen und auch in Deutschland flammt die Diskussion immer mal wieder auf. Kann man in Würde seinen eigenen Körper verkaufen?

Und eine andere Frage: Kann man die Würde eines Menschen gegen die anderer Menschen aufwiegen? Wenn ich fünf totkranke Menschen habe, die alle ein jeweils unterschiedliches Organ zum Überleben bräuchten, darf ich dann einen Menschen töten, um die fünf Organe zu entnehmen und die fünf Leben zu retten? 1 zu 5 ist doch keine so schlechte Bilanz. Bei uns in Deutschland fällt die Antwort eindeutig aus. Natürlich geht das nicht, weil das Leben auch des einen Menschen unendlich viel Wert ist. In anderen Ländern hat die Würde aber leider keinen so hohen Stellenwert, was sich dort an unzähligen Operationsnarben bei jungen Menschen ablesen lässt. Dort ist die Würde des Menschen antastbar, wenn die Bezahlung stimmt.

Das Konzept der Würde war (und ist) nicht immer ein Maß der Gleichbehandlung und Menschlichkeit. In der Antike wurde Männern von Stand Würde zugesprochen (Frauen nicht), und man erhob sie damit zu etwas Besseren, ein Mann mit Würde war nicht mehr gleich unter Gleichen. Ein gewöhnlicher Mensch wurde zu einem besonderen Menschen. Die Würde (lateinisch Dignitas) war ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Menschen mit Macht und solchen ohne Macht. Damit einher ging eine Besserbehandlung des Würdenträgers. Die würdelosen Menschen hatten ihn zu achten und ihm zu dienen. Das Konzept der allen zustehenden Würde ist aber auch nicht mehr jung. Man findet diese universale Würde bereits bei den alten Griechen.

Beispielsweise die stoische Philosophie kam bei der Frage, was den Menschen ausmacht, zu dem Schluss, dass es seine Vernunftbegabung ist, die in allen Menschen prinzipiell vorhanden ist, wobei man natürlich sagen muss, dass sehr viele Menschen diese Begabung ausgesprochen geschickt verstecken. Aber sei’s drum, im Gegensatz zum Tier kann der Mensch sich seines Verstandes bedienen und sich mit der Welt theoretisch auseinandersetzen. Genau diese Eigenschaft hebt ihn ab von Kuh und Hund und fordert eine besondere Art der Behandlung, eine würdevoll Behandlung. Die Christen haben an dieser Stelle noch mal was draufgepackt. Der Mensch ist nicht nur vernunftbegabt, sondern sogar von Gott höchstpersönlich nach seinem Ebenbild erschaffen. Er ist die Krone der Schöpfung, das auserwählte Wesen im Universum, das sich Erde und Tierwelt Untertan machen soll. Ein Teil des großen Erschaffers wohnt natürlich in uns allen, ein Teil seiner Göttlichkeit. Weswegen wir uns gegenseitig mit Würde und Respekt begegnen sollten. Also Liebe deinen nächsten wie dich selbst, denn ihr seid beide Würdenträger. Einen anderen Menschen in seiner Würde zu verletzen, ihn zu degradieren, wird somit in gewissem Sinne zur Blasphemie.

Wie gut die Befolgung jener Güte und Gnade, jener würdewolle Umgang mit anderen Menschen geklappt hat, steht freilich auf einem anderen Blatt. Unzählige Konfessionskriege, Unterdrückung, Folter, Inquisition, die Unterstützung von Sklaverei und Leibeigenschaft und vieles mehr – die Würde des Menschen war auch in christlichen Kreisen ziemlich antastbar zwischen all den Machtkämpfen und Ideologien. Die Würde hat es schwer in hierarchisch organisierten Strukturen. Wenn einer oben steht und einer unten, dann ist die Würde kein entscheidender Wert. Dann werden Menschen zu Opfern, zu entwürdigten Opfern. Insbesondere die katholische Kirche hat bis heute mit diesem Problem zu kämpfen.

Aber zurück zu unserer kleinen Geschichte der Würde. In der Neuzeit, nach dem Ende des Mittelalters, erleben wir die paradoxe Parallelität von Kolonialismus und Aufklärung. Man entriss Millionen Menschen aus Afrika mit blutiger Gewalt ihren Familien und Lebenswelten und machte sie zu Sklaven in der neuen Welt, während weiße Europäer überlegten, wie einzigartig der Mensch doch in seiner Fähigkeit ist, moralisch zu handeln, das Richtige zu tun, sich selbst Ziele zu setzen und als autonomer Akteur sein Leben in Freiheit zu verbringen. Wir sind wieder bei Immanuel Kant und seinen damals sehr beliebten Abhandlungen über die vier Menschenrassen. Okay, die Würde des Menschen ist unantastbar. Aber wie ist das, wenn ein Mensch nun mehr Mensch ist als ein anderer Mensch. Schon damals funktionierte die Umgehung der Menschenwürde mit einem einfachen Trick. Man degradierte andere Menschen zu niederen Wesen. So sind alle Menschen gleich, wenn sie weiße Menschen sind. Die Unterteilung in Menschenrassen ermöglicht eine Differenzierung von Menschenwürde. Wenn es verschiedene Gruppen gibt, mit unterschiedlichen Fähigkeiten hinsichtlich ihrer Autonomie und einer anderen, vielleicht weniger ausgeprägten Vernunftbegabung, dann kann man für diese unterschiedlichen Menschen auch unterschiedliche Stufen des Respekts einführen. Ein Wiederschein des Würdeverständnisses antiker Standesgesellschaften, mit dem Unterschied, dass ein Aufstieg in Sachen Würde nun nicht nur unrealistisch, sondern auch biologisch unmöglich ist. Die Aufteilung in Menschenrassen und andere Formen der Entmenschlichung sind immer wieder probates Mittel totalitärer Herrscher und Systeme, um die Macht zu zementieren und die Menschenwürde vollständig zu ignorieren.

„Ich kann diesen Menschen nicht töten, er ist doch ein Mensch.“

„Ach, das ist doch kein Mensch, das ist nur ein Protestant, Katholik, Schwarzer, Jude, Moslem, Schwuler… „

Wir sind in der Gegenwart. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Noch heute mehr eine Wunschvorstellung als Realität. Nach dem Holocaust hat man diesem Satz wohlüberlegt im Grundgesetz einen Begleiter zur Seite gestellt. „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Diese Satz nimmt den Staat mit in die Verantwortung, sich dem Schutz der Menschenwürde auch rechtlich bindend anzunehmen und alles in seiner Macht Stehende zu tun, um Entmenschlichungen zu verhindern. So gewährleistet er zumindest auf dem Papier ein Leben in Würde für alle Bürger*innen. Der Begriff der Würde steht ganz gerne mal wichtig auf Papier. Er ist beispielsweise auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthalten. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.“

Klingt alles einleuchtend und einfach. Aber definiere Würde. Was sind in Deutschland beispielsweise würdevolle Lebensverhältnisse? Schon sehr oft ist diese Fragen auch vor Gerichten erörtert worden. Im April 2017 wollte beispielweise eine Bezieherin von Sozialleistungen per Eilantrag und mit Verweis auf eine Verletzung der Menschenwürde ein passendes Fernsehgerät als Erstausstattung für ihre Wohnung erhalten, damit so die Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben gewährleistet sei. Das Gericht lehnte ihren Antrag ab. Und schon viele Gerichte haben ähnliche Anträge abgelehnt. Mit der Begründung, dass die Würde eher dem Schutz vor etwas diene, aber nicht so sehr ein Recht auf etwas Materielles begründe. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht hier auch schon andere Worte gefunden, zum Beispiel diese: „Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.“

Gut so. Wir sind ein Sozialstaat. Wir schützen und unterstützen alle, die geschützt werden müssen. Weil wir ihr Recht anerkennen, in Würde zu leben. Das ist die Verabredung, die wir mit unserem Sozialstaat getroffen haben. Wir können ein bisschen darüber diskutieren, wie groß diese Unterstützung ausfallen muss und kann, aber von unserem Grundsatz sollten wie uns nicht verabschieden. Denn mit der Würde für alle fällt immer auch die Freiheit. Daran sollten wir uns im Hinblick auf die zunehmende Ausbreitung totalitärer Staaten und Systeme und der Beliebtheit totalitärer und faschistischer Ideen auch bei uns immer wieder erinnern. Die Würde ist ein wichtiger Baustein eines universalen Humanismus. Ein Mittel im Kampf gegen einen Kollektivismus, der bereits ist, das Individuum zum Zwecke der Mehrheit zu opfern und der seiner Bevölkerung nicht vertraut. Die Würde ist der Schutz des einzelnen vor staatlichen Eingriffen und Grundlage für ein freies selbstbestimmtes Leben.

Alles schön? Nein. Denn wenn wir uns in Deutschland Würde zugestehen, dann müssen wir folgerichtig allen anderen Menschen ebenfalls Würde zugestehen. Davon sind wir aber leider weit entfernt. Wenn wird weiter den Eindruck vermitteln, dass die Würde in erster Linie bei uns wichtig und schützenswert ist, eine feste Größe für Menschen im Westen, dann machen wir uns dauerhaft unglaubwürdig. Schon jetzt ernten wir nicht selten Hohn und Spott. Kein Wunder, wenn Menschen auch bei uns aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert werden. Wenn ein Menschenleben hier bei uns viel mehr Wert zu sein scheint als in vielen anderen Teilen der Welt. Kein Wunde, wenn Wasser gepredigt und Wein getrunken wird. Wenn die Umwelt weiter im großen Stil zerstört wird für unseren Lebensstandard und kein besonderer Wille zur Veränderung erkennbar ist. Wenn für Gold, Öl, Gas, Lithium und Kobalt ganze Länder destabilisiert werden. Wir müssen unser Handeln mit unseren Wertevorstellungen abgleichen. Die Würde ist weltweit ein Menschenrecht. Würde bildet die Grundlage für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit. Der Begriff der Würde verpflichtet uns, die Rechte und die Autonomie jedes Einzelnen zu respektieren. Er erinnert uns daran, dass jeder Mensch unabhängig von seiner Herkunft, seinem Geschlecht, seiner Rasse oder seinen Überzeugungen einen inhärenten Wert besitzt. Die Anerkennung der Würde anderer Menschen ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu einer gerechten und humanen Gesellschaft. Und wenn jemand andere Menschen herabwürdigt, sollten wir wachsam werden.

Lak

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Stadtkinder essen: Tru Story

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Stadtkinder essen: Tru Story


Die Blumenauer Straße ist keine von Hannovers Schmuckstraßen. Es ist laut, man kann das Ihmezentrum in sämtlichen Stadien des Verfalls begutachten und es riecht nach Mensch und Abgasen. Allerdings, ganz am Anfang der Straße vom Schwarzen Bären kommend, findet sich ein hübsches, buntes und ungemein wohlriechendes Kleinod, nämlich das Tru Story.

Draußen einige hippe Palettenmöbel, drinnen petrolfarbene Wände, giftgrüne Cocktailsessel und asiatische Lampions, die von der im Industriechic belassenen Decke baumeln. Wir haben reserviert und auf der Tafel steht unser Name mit einem Herzchen dahinter. Schön!

Über einen QR-Code rufen wir die digitale Speisekarte auf – Donnerwetter! Da steht mehr drin, als wir vorher online ausgekundschaftet haben. Wir entscheiden uns für ein Tiger Bier (3,90€) und eine extrem leckere Limonade aus Yuzu-Zitrone (4,20€). Das sehr charmante Personal lacht uns nicht mal aus, als wir uns in der Aussprache der vietnamesischen Gerichte üben, wobei das auch am Anfang noch ganz einfach ist: Sommerrollen mit Garnelen (6,50€) und Gyozas (5,50€).
Von den Rollen gibt es gleich drei Stück. Sie sind schön fest gewickelt, so dass einem nicht gleich die Reisnudeln, das Gemüse, Thai-Basilikum, Minze und die Shrimps (an denen hier nicht gespart wurde) entgegen kommen. Dazu gibt es einen selbstgemachten Dip, der schön dickflüssig ist, so dass man reichlich davon auf die Sommerrollen verteilen kann. Sehr lecker und sehr frisch. Auch die Gyozas, die kunstvoll geformten und gebackenen Teigtaschen, überzeugen uns. Sie sind gefüllt mit einer Hähnchen-Gemüse-Masse, oben schön knusprig und unten weich, ohne matschig zu sein. Das war schon mal ein guter Anfang! Jetzt das Hauptgericht. Wir bestellen Bun Bo Lui und Bun Cha Gio (jeweils 14,90€). Dabei handelt es sich um lauwarme Reisnudelsalate, die uns im Vorfeld schon ans Herz gelegt wurden.

Bun Bo Lui kommt mit sehr zartem, kurz gebratenen Rindfleisch, erwähnten Reisnudeln, gemischten Blattsalaten, Sprossen, Karotten und Gurken, während sich auf auf dem Bun Cha Gio statt des Rindfleischs kleine gebackene Frühlingsrollen (ebenfalls mit Hähnchen-Gemüse-Füllung) und gehackte Erdnüsse finden. Das Dressing wird jeweils à part serviert, auf unseren Wunsch in mit frischen Chilis. Wir sind begeistert. Alles ist frisch und knackig, harmoniert super zusammen – das sind Wohlfühlgerichte per definitionem.

Wir sind fast ein bisschen traurig, dass der menschliche Magen nur eine begrenzte Kapazität hat, denn nach diesem Geschmackserlebnis sind wir gespannt, ob die Currys, besonders aber die eigenen Sushi- und Sashimikreationen genau so gut schmecken. Wir werden es wohl herausfinden müssen, indem wir wiederkommen und uns vielleicht dann auch durch die große Getränke- und Cocktailauswahl probieren. Ein Rat, den wir an dieser Stelle guten Gewissens geben können, denn mit diesem wohligen Gefühl im Bauch lässt sich sogar der Blumenauer Straße ein gewisser Charme abgewinnen.

Tru Story

Blumenauer Straße 3

30449 Hannover

www.tru-story.de

IH

Fotos: Gero Drnek

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Ein offener Brief an Lisa Paus

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Ein offener Brief an Lisa Paus


Ganz genau, liebe Lisa,

Eier aus Stahl! Zeig dem Lindner mal so richtig, wo der Hammer hängt. Wird höchste Zeit, dass der einen Tritt in die aufgeblasenen Cojones bekommt, stellvertretend für seinen gesamten Sauhaufen. Es ist verdammt gut, richtig wohltuend, dass du jetzt einfach mal deinen niederen Instinkten nachgegeben hast. Natürlich war es Blödsinn, sein Wachstumschancengesetz zu blockieren und an die Kindergrundsicherung zu knüpfen – aber geil war’s trotzdem.

Allein wie das klingt – Wachstumschancengesetz. Das riecht ja schon von Weitem nach FDP, nach Lobby und Klüngel. Da will wieder einer mit Ansage auf den größten Haufen scheißen, oder? Ist doch so. Während er die Kinder mit ein paar wenigen Milliarden abspeisen möchte. Man schüttelt sich. Vor allem, wenn man sich dann auch noch diese altklugen Einlassungen anhören muss, darüber, dass die Eltern solcher Kinder ja mit mehr Geld gar nichts anfangen könnten, dass man besser in die Sprachförderung, Integration und Beschäftigungsfähigkeit der Eltern investieren sollte, die ja meistens einen Migrationshintergrund hätten. Was steckt da drin? Richtig, dass die Eltern der Kinder sich von dem Geldsegen nur Zigaretten und Schnaps kaufen würden.

Jedes fünfte Kind ist in Deutschland armutsgefährdet, besonders betroffen sind die Kinder von Alleinerziehenden. Und Christian Lindner verbreitet krude Thesen über eingewanderte Armut und Eltern, die das ihren Kindern zugedachte Geld verprassen. Inhaltlich kaum haltbar, aber man erkennt eine gewissen Grundhaltung. Armen zu helfen ist Quatsch, weil die Armen selbst schuld sind an ihrer Armut.

In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir alle uns nicht selten gekrümmt vor beinahe körperlichen Schmerzen, wenn Christian Lindner mit seiner FDP mal wieder irgendwas blockiert oder verwässert hat, inzwischen haben aber schon mehrere Tropfen das Fass zum Überlaufen gebracht. Wir sind wütend. Christian Lindner, bitte, bitte, einfach mal die Fresse halten! Und das, genau das, liebe Lisa, hast du gedacht, bei deinen letzten Treffen mit ihm. Wir haben dir das angesehen. Es war nicht schwer zu erkennen.

Wir können es dir so gut nachfühlen. Liebe Lisa, wir bewundern dich sehr. Nicht nur dafür, dass du dem Lindner bei solchen Treffen nicht mit Anlauf ins Gesicht springst. Allein, was du an Kritik aushalten und einstecken musstest in den Tagen nach deiner Blockade, war bestimmt keine Freude. Du wirst jetzt von vielen kollektiv gehasst. Lass dich bitte trotzdem nicht beirren. Viel Feind, viel Ehr. Mach weiter so. Bleib hart und stark. Kein Meter Boden mehr für diesen neoliberalen Haufen von gestern mit den Thesen und Überzeugungen von vorgestern. Die FDP wird mehr und mehr zu Deutschlands Sargnagel, wenn nicht endlich mal jemand mit der Faust auf den Tisch haut. Und tja, der Scholz wird das wohl eher nicht übernehmen, der hat offensichtlich sogar Sympathen für Lindners irren Kurs.

Liebe Lisa, mach einfach nicht mehr mit. Keine gute Miene zum bösen Spiel mehr. Geh mit festen Schritten voran und sei ein Beispiel für deine Kolleg*innen. Ihr müsst euch nicht verbiegen. Ihr könnt euch einfach verweigern, so wie sich die FDP verweigert. Dreht den Spieß um. Seid infantil. Spielt beleidigte Leberwurst. Und lasst euch nicht mehr über den Tisch ziehen. Wenn alle Stricke reißen, habt ihr ja immer noch die Möglichkeit, euch aus der Regierung zu verabschieden. Mit Rückgrat und Haltung. „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Das hat mal ein sehr weiser Mensch gesagt, wir kommen gerade nur nicht auf den Namen.

VA

 

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El Kurdis Kolumne im September

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El Kurdis Kolumne im September


Ein beispielhaft irrelevanter Boomer-Rant

Ich habe kürzlich beschlossen, nicht wie andere Männer meiner Generation politisch komplett abzudriften – indem ich mich etwa demagogisch übers Gendern ereifere, den Veganismus als sektenhafte Para-Religion darstelle oder paranoid eine „Woke-Diktatur“ herbeiphantasiere. Oder was manche meiner Mitboomer eben so machen, wenn die Prostata zwackt, das Haupthaar sich verabschiedet und sie langsam aber sicher auf eine Gleitsichtbrille umsteigen müssen. Man staunt wirklich, was Menschen, die man mal für halbwegs liberal, vielleicht sogar für links, zumindest aber für rational denkende Wesen gehalten hat, inzwischen so von sich geben: Da wird Leuten, die sich über Alltagsrassimus beschweren, unterstellt, sie seien einfach nur zu empfindlich, die Ampel wird für die Wahlerfolge der AfD verantwortlich gemacht, die Grünen werden nur noch „die Verbotspartei“ genannt, Greta Thunberg wird zur Anführerin der klimapolitischen Roten Garden und die „Letzte Generation“ zur neuen SA erklärt …

Von meinen Alters- und Geschlechtsgenossen, aus denen so etwas heraussuppt, möchte ich mich hiermit aufs heftigste distanzieren. Ich habe mir stattdessen fest vorgenommen, politisch vernünftig zu bleiben und meine vermutlich unvermeidlichen reaktionären Reflexe in eine andere Richtung zu lenken. Wenn überhaupt, werde ich mich, was junge Menschen betrifft, nur über ganz und gar unwichtige Dinge aufregen. Über Äußerlichkeiten, inhaltsfreie Petitessen und banale Kinkerlitzchen. Zum Beispiel über eklige Seventies-Schnurrbärte bei jungen Männern. Oder die Angewohnheit mancher jungen Frauen, wenn sie etwas referieren, jedem dritten Satz ein – die eigene Aussage bestätigendes – „Genau!“ anzuhängen. Oder in der anderen Variante, das „Genau…“ langgezogen nachdenklich halblaut in sich hinein zu sprechen. Während sie überlegen, was sie als nächstes sagen. Quasi als moderne „Äh“-Variante.

Oder über Hipster-Eisläden, die neben den Geschmacksnoten „Lavendel“, „Matscha“, „Ziegenmilch-Ricotta-Rhabarbermarmelade“, „Basilikum“ und „Moscow Mule“ neuerdings auch den Klassiker „Spaghetti-Eis“ anbieten. Aber dabei 1. die traditionelle, ästhetisch geradezu vollkommene, 1969 vom Eisdielenbesitzer-Sohn Dario Fontanella in Mannheim erfundene Darreichungsform dieses einzigartigen Eis-Gerichts ignorieren, indem sie es lieblos in ein Weck-Glas (!) schlunzen. Und in denen, also in den Hipster-Eisläden, sich 2. Dialoge wie dieser ereignen. Ich: „Ein Spaghetti-Eis, bitte.“ Hipster-Eis-Dieler: „Da sind zwei Kugeln Eis drin. Welche Sorten möchtest du?“ Ich: „Äh … es ist’n Spaghetti-Eis! Also Vanille.“ Hipster-Eis-Dieler: „Du kannst auch andere Sorten nehmen.“ Ich: „Nochmal: Es ist ein Spaghetti-Eis. Ich möchte bitte zwei Kugeln Vanille da rein! So wie es sich gehört.“ Hipster-Eis-Dieler: „Beliebt sind zum Beispiel Salted Caramel, Cookie Dough oder…“ Ich: „Vanille!!!!!“ Hipster-Eis-Dieler: „Ja, is ja schon gut …“

Selbstverständlich weiß ich, dass auch in italienischen Eis-Dielen inzwischen Spaghetti-Eis-Varianten mit anderen Eis-Sorten und Soßen angeboten werden. Die heißen dann: „Spaghetti-Carbonara“, „Spaghetti-Bonito“, „Schoko-Spaghetti“, „Spaghetti-Joghurt“ oder – man mag es kaum hinschreiben – „Spaghetti-Müsli“ …

Wenn man aber in einer old-school-italienischen Rialto-Venezia-San-Marco-Eisdiele einfach nur „ein Spaghetti-Eis“ bestellt, bekommt man nach wie vor: Sahne, Vanille-Eis, Erdbeersoße, weiße Raspel-Schokolade und eine eingesteckte Rundwaffel. Punkt. Ohne Nachfrage. Ohne Diskussion. Hübsch angerichtet auf einem geschmacklosen Buntglasteller, der wiederum auf einem kleinen ovalen Metalltablett steht. Und zwischen Teller und Tablett klemmt die klassische, quasi komplett-imprägnierte, wasserfeste, null saugfähige und somit durch und durch sinnlose Papierserviette. So und nicht anders muss das sein! Diese Papierservietten habe ich übrigens noch nie in anderen Lokalitäten gesehen. Vermutlich werden sie in einer unterirdischen Papierserviettenfabrik in den Dolomiten – im berühmten Eismacher-Tal „Val di Zoldo“ – ausschließlich für italienische Eisdielen in Deutschland hergestellt.

Fairerweise muss ich aber zugeben, dass alle Hipster-Eise im Weck-Glas, die mir bisher serviert wurden, geschmacklich nicht zu beanstanden waren. Trotz der zweifelhaften Optik. Sogar die vegane Variante ohne Sahnekern, die ich kürzlich im Prenzlauer Berg aß. Obwohl diese, ich möchte das nochmal betonen, wirklich extrem scheiße aussah!
Soviel grumpy Boomertum muss auch mir erlaubt sein.

 

Hartmut El Kurdi

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