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Der Freundeskreis im Gespräch mit Elisabeth Pötter und Wiebke Thomsen


Diesen Monat haben wir mit Elisabeth Pötter vom Soroptimist International Club Hannover 2000 und Wiebke Thomsen vom KoKi gesprochen. Dabei ging es vor allem um Teilhabe und Gleichberechtigung von Frauen in der Gesellschaft sowie um Rollenbilder in den Medien.

Stellt euch doch einmal vor …

Elisabeth Pötter: Ich bin Elisabeth Pötter und als Präsidentin vom Club Soroptimist International Club Hannover 2000 hier. Ich bin seit diesem Jahr und auch nächstes Jahr Präsidentin. Unser Club hat sich – daher der Name – 2000 gegründet, also feiern wir nächstes Jahr 25-jähriges Jubiläum. Wir gehören zu einem weltweiten Netzwerk berufstätiger Frauen. Und wichtig ist uns gesellschaftspolitisches Engagement: Wir wollen uns auf allen Ebenen für Frauen und Kinder, für eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einsetzen. Und das tun wir international, aber natürlich auch lokal in unserem Club. Wir haben in Hannover zwei Clubs: es gibt noch den Club Hannover, der sich deutlich vor uns gegründet hat.

Weshalb kam es zu einem zweiten Club?

EP: Eine bestimmte Anzahl an Mitgliedern ist für einen Club notwendig, aber nach oben hin macht es irgendwann Sinn, einen zweiten Club zu gründen. Als dieser sich gegründet hat, war ich noch nicht dabei. Einige Mitglieder im Club Hannover haben damals die Initiative für einen 2. Club ergriffen und weitere Frauen motiviert, in diesen Club einzutreten. Wahrscheinlich wollten sie Veränderung und es war eben auch eine Größe erreicht, wo es sinnvoll war. Das wurde dann von der Deutschlandebene begleitet und mitgetragen. Wir haben ja in großen Städten, wie z.B. in München, in Köln, etc. vier, fünf Clubs … und die tun sich nichts, sondern wir tun alle miteinander etwas für unsere Ziele. So ist es auch mit Club Hannover und uns: Die Orange Days veranstalten wir seit einigen Jahren zusammen mit Club Hannover.

Wenn man Mitglied werden möchte: Was gibt es für Voraussetzungen?

EP: Unsere Ziele engagiert zu verfolgen, Frauen und Mädchen zu unterstützen. Sonst gibt es eigentlich keine weiteren Voraussetzungen. Wir wünschen uns Frauen aus unterschiedlichen Berufen, ein Kennzeichen des Clubs ist die weite Palette an Berufen, was den Blick unglaublich erweitert. Aber das ist keine zwingende Voraussetzung. Auch Frauen außerhalb des aktiven Berufslebens sind natürlich herzlich willkommen.

Was war denn dein persönlicher Beweggrund? Zu sagen: „Da mache ich mit …“

EP: Wenn man sich sozial engagieren will, dann hat man ja schon, wenn man jünger ist und Kinder hat, viele Gebiete, auf denen man sich engagiert: Kindergarten, Schule etc.. Als ich aus dieser Zeit raus war, habe ich – denn ich kannte den Club schon seit der Gründung – gedacht: „Das ist das, was ich möchte.“ Die Vielfalt an Frauen, die Altersspanne von jung bis alt, das gesellschaftspolitische Engagement, die große Vernetzung: Eine tolle Gemeinschaft, wo alle voneinander profitieren. Und wir bewegen auch viel, auf der lokalen Ebene mit den Projekten, die wir machen, und mit unserer Haltung, mit der wir auch an die Öffentlichkeit gehen, um sie publik zu machen und Unterstützung zu suchen – oder um zu unterstützen.

Kommen wir zu Dir …

Wiebke Thomsen: Sehr gerne. Ich bin Wiebke Thomsen und seit August in der Kinoleitung vom Kommunalen Kino. Ich teile mir die Leitung mit meinem Mann: Wir arbeiten als Paar, auch vorher schon, mit dem Lodderbast, dem kleinsten Kino der Welt. Da sind wir sehr stolz drauf. Ein kleines, kuscheliges Kino war während Corona natürlich nicht das, was angesagt war. Deswegen haben sich die Dinge etwas anders entwickelt. Und ich bin immer schon Kinofrau gewesen, habe als Studentin Karten abgerissen, war die stellvertretende Kinoleitung im Kino am Raschplatz, habe mit einer Kollegin ein Kino in Berlin aufgemacht … Und jetzt ist es dieses Kino. Wir haben den Auftrag gekriegt und es ist auch unser innerer Drang, zu gucken, wie Kino zukunftsfähig und weiterhin relevant sein kann. Viele haben dem Kino immer schon vorausgesagt, es werde sterben. Erst hieß es, keiner wolle einen Film mit Ton – oder mit Farbe. Dann waren es die Fernseher, dann die DVDs, die Streamingdienste. Das Kino lebt aber länger, als es totgesagt wird. Und ich bin überzeugt, dass man eine andere Art von Kino machen muss: ein Kino, das einen Mehrwert hat gegenüber Netflix. Aber nicht mehr: höher, schneller, weiter, wie es vielleicht in den 80er-, 90er-Jahren war, mit tollen Soundsystemen, die man daheim nicht hat; sondern man muss einen Ort schaffen, wo man einerseits etwas für andere selektiert – gerade in einer Zeit, in der alles verfügbar ist –, aber eben auch ein Ort sein, wo man sich austauscht. Das leben wir schon länger, mit viel Leidenschaft. Und jetzt eben an diesem Ort.

Könnt ihr vielleicht beide einmal aus der jeweiligen Warte etwas zum Bedarf und zur Notwendigkeit eines Netzwerkes wie Soroptimist sagen?

EP: Also ich habe neulich mit Schreck nochmals gesehen, dass sich erst 1977 das Bürgerliche Gesetzbuch geändert hat und Frauen nicht mehr nur zur Haushaltsführung bestimmt waren. Das hat mich nachhaltig schockiert, als ich überlegt habe, wie alt ich da war, und bemerkte, dass ich das damals gar nicht bewusst wahrgenommen habe. Aber es besteht in allen Lebensbereichen immer noch ein Ungleichgewicht. Wir sind nicht gegen Männer oder irgendwen, sondern wir sind für gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen. Und das ist heute noch absolut notwendig.

WT: Ich würde das auf die Kinoarbeit übertragen. Wir machen bei uns im Kino extrem viel Retrospektive, zeigen Filme aus der Filmgeschichte. Und es ist auffällig, dass die Filme meist von Männern sind, weil es in der Struktur liegt, dass weniger Frauen Regisseurinnen waren. Wenn ich jetzt neue Filme programmiere, muss ich gar nicht versuchen, irgendeine gleichberechtigte Auswahl zu suchen: da passiert es schon allein, dass es ein buntes Spektrum ist. Da sind Filme von unterschiedlichsten Menschen dabei – nicht nur weiße alte Männer aus Hollywood. Viele Frauen, People of Color, der globale Süden, Queere … Es gibt so viele Dinge auf der Welt, so viele Augen, durch die man gucken kann. Das ist auch das Spannende am Kino. Es ist auffällig, dass die Filme, die heute ins Kino kommen, diverser und bunter sind. Aber wenn wir in die Filmgeschichte schauen, ist es ein großes Männerfeld. Wir haben für das nächste Jahr das Schwerpunktthema „female gaze“ ausgesucht. Da wollen wir genau das mehr in den Fokus holen: Filme von Regisseurinnen, von Kamerafrauen … Die waren ja immer schon da. Und darauf wollen wir einfach ein Jahr den Schwerpunkt setzen und gucken: Was und wo ist der weibliche Blick? Wieso war der so lange nicht da und wo kommt er her? Ich hoffe, wir kommen irgendwann dahin, dass man keine keine Gruppen mehr braucht, die sagen: „Wir müssen unbedingt die Frauenperspektive zeigen.“ Aber ich glaube, noch sind wir nicht ganz so weit; deswegen ist es wichtig, dass man diese Dinge auch in den Fokus hebt.

Ihr hattet zuletzt ja schon einmal Margarethe von Trotta im Programm gehabt …

WT: Wir haben jetzt gerade den Deutschen Herbst als Thema, weil das KoKi im Oktober 50 Jahre alt geworden ist. Also haben wir – als Nachgeborene – einen Monat lang auf die 70er-Jahre geblickt und versucht, das Gefühl der 70er-Jahre hervorzuholen. Den Deutschen Herbst, die RAF, die Angst in der Gesellschaft, aber eben auch den Neuen Deutschen Film, u. a. Schlöndorff, Fassbinder etc. Und Margarethe von Trotta, eine der wenigen weiblichen Personen in diesem Kreis. Auch da war es wieder schwierig. Hätte ich jetzt versucht, ein gleichgewichtiges Programm zu machen, wäre es schwierig geworden und dann hätte es auch die Zeit nicht repräsentiert. Das ist immer so die Frage: Wie will man es machen? Und für mich macht es keinen Sinn zu sagen, es solle irgendwie pari sein. Aber ich finde es wichtig, ein Augenmerk darauf zu haben und zu sagen, warum es nicht pari ist – weil es zu der Zeit nicht pari war. Es ist deutlich, dass mehr Männer diesen Neuen Deutschen Film bewegt haben.

Aber die 70er-Jahre waren nach oder im Rahmen der Frauenbewegung schon die Dekade, in der sich was beschleunigt hatte in der Hinsicht?

WT: Also bei den Protagonisten des Neuen Deutschen Films ist es sehr männlich geprägt, würde ich sagen. Aber da gibt es auch Filme, die gesellschaftlich viel bewegt haben: z. B. Filme von Rosa von Praunheim: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt“. Ein Initialfilm, auch für die Schwulen- und Lesbenbewegung in der Zeit. Da waren extrem viele Sachen in Bewegung, aber da war auch noch viel zu kämpfen. Und es ist immer noch so, dass ungefähr gleich viele Regisseure und Regisseurinnen Hochschulen verlassen – aber dass es in Deutschland hinsichtlich der Kinofilme und Budgets immer noch eine große Schere gibt zwischen dem, was Frauen und was Männern zugetraut wird.

EP: Also ich bin ja nicht nachgeboren, sondern habe diese Zeit als Teenager miterlebt, und denke jetzt, im Nachgang, oft über diese Zeit nach: was da alles los gewesen ist, auch in den Familien. Was ist da in Bewegung geraten? Was hat das mit so einer Struktur wie Familie gemacht? Und was hat diese Zeit für die Frauenbewegung gebracht? Ich denke, aus dieser Zeit kommt auch so ein bestimmtes Bild vom Feminismus und Feministinnen. Viele – besonders auch junge – Frauen sagen heute: „Ich bin keine Feministin.“ Der Begriff ist negativ besetzt. Aber ich glaube, das ist gar nicht inhaltlich durchdacht, worum es geht. Das ist noch so ein Bild aus dieser Zeit. Aber die Frauen damals mussten halt heftig agieren und auffallen. Heute läuft es vielleicht unauffälliger, ist aber nicht unwichtiger.

Es gibt ja durchaus Stimmen, die mit so einem antifeministischen Getöse auftreten, die sich gegen die Bemühungen um Gleichstellung richten oder sie als bereits gegeben sehen. Wie schätzt ihr das ein? Ist das eine kleine Gruppe, nimmt das zu, ist das in der Mitte der Gesellschaft angekommen, war es schon immer dort?

WT: Ich kann das nicht einschätzen, aber was mir auffällt und was ich erschreckend finde, ist, dass – gerade in den sozialen Medien – häufig die traditionellen Familienstrukturen zelebriert werden und irgendwelche 20-Jährigen in irgendeiner Datingshow sagen, sie suchten einen Versorger der Familie etc. Und das scheppert bei mir im Kopf immer ganz unangenehm. Jede*r soll die Art, wie er oder sie leben möchte, leben. Ich habe nur das Gefühl, dass das sehr missionarisch daherkommt: zu den traditionellen Werten zurück, da früher doch alles so gut sortiert war. Das irritiert mich sehr.

EP: Genau daran musste ich auch denken. Bei diesen Tradwives wird mir ganz anders. Wie kommen junge Frauen dazu? Was bewegt sie? Die Gesellschaft hat sich ja zum Glück verändert, die Gesetzgebung z. B. hat sich verändert: Wir reden von Frauen in Altersarmut … sich einen Mann mit gutem Einkommen zu suchen und bis ans Lebensende versorgt zu sein: Das ist ein absoluter Irrglaube. Deswegen sind wir z. B. auch dafür, dass in Schulen wesentlich mehr für alle gelehrt wird: Wie gehe ich mit Geld um? Was heißt Vorsorge? Warum muss ich mich da selber kümmern?

Wenn man jetzt einerseits Film – oder auch Literatur – progressiver daherkommt, gleichzeitig aber doch so ein Beharrungspotenzial wirkt und jüngere Generationen womöglich eher wieder konservativer werden: Wie blickt ihr da in die Zukunft?

EP: Mein Bauchgefühl ist: Von alleine geht gar nichts. Ich denke schon, dass wir dranbleiben müssen – auf allen Ebenen. Einfach nur zu sagen: „Das haben wir erreicht und das wird schon.“ … das hilft nicht. Die Tendenzen, die man teils bemerkt, muss man sich bewusst machen; und die eigene Position laut dagegenhalten.

WT: Das sehe ich auch so, das ist sicher richtig. Ich glaube aber zusätzlich, dass gerade in den Medien – Kino, aber auch Serien, auch Social Media – eine Diversität stattfindet, die nicht mehr wegzudiskutieren ist. Man sieht inzwischen viele unterschiedliche Menschen und Positionen. Und das geht nicht weg, da kann keiner drumherum gucken. Natürlich, man kann sich gerade in den sozialen Medien aussuchen, was man gucken will, und kriegt dann oft einen Tunnelblick. Aber das ist da, das ist sichtbar und das geht auch nicht weg, glaube ich. Und trotzdem müssen wir dranbleiben.

Noch ein Blick in die nicht ganz so ferne Zukunft: Die Orange Days und das 25-jährige Jubiläum wurden eingangs schon erwähnt …

WT: Ersteres ist eine gemeinsame Veranstaltung.

EP: Ja, die Orange Days, die internationalen Tage gegen Gewalt an Frauen, stehen an: vom 25.11. bis zum 10.12., dem Tag der Menschenrechte. Und unsere soroptimistische Aktion dieses Jahr in Hannover ist es, 155 Frauenschuhe orange einzufärben und an 155 Orten aufzustellen. Die Zahl steht für die 155 Femizide im letzten Jahr: 155 Frauen, die durch häusliche Gewalt ums Leben gekommen sind. Bei der Schuhaktion dabei sind schon z. B. die Nord/LB, Stadtbibliotheken, die Sparkasse Hannover, diverse Apotheken, Bäckereien u. v. m. Da wird der Schuh mit einem Flyer, auf dem auch die Nr. des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“, 116016, plakativ steht, im Fenster ausgestellt sein und für Aufmerksamkeit sorgen. Am 08.12. wird es im KoKi eine Filmvorführung geben: „Morgen ist auch noch ein Tag“.

WT: Genau. Aus Italien, dem Jahr 2023, in Schwarzweiß, ein bisschen an den Neorealismus erinnernd. Er spielt in der Nachkriegszeit in Italien – und es geht um eine Frau, die häusliche Gewalt erfährt. Ein toller Film, der für sich spricht – und die häusliche Gewalt niht von oben herab bemitleidet, sondern mit viel Empathie betrachtet. Es ist auch eine Regisseurin, die den Film gemacht hat, der in Italien ein Smash Hit war, in Deutschland auch. In Italien hatte er sogar mehr Zuschauer als „Barbie“. Vielleicht sei noch gesagt, dass der Film auch in unsere Filmausstellung im Dezember eingebettet ist: „La cosa cinema – Filmland Italien“. Wir zeigen dann neues italienisches Kino, aber auch Filmklassiker. Und es gibt auf jeden Fall auch einen Schwerpunkt mit jungen weiblichen Stimmen aus Italien.

EP: Ich kenne den Film ja noch nicht und bin sehr gespannt. Im Anschluss haben wir dann noch einen Orange Day Talk mit Ministerin Behrens und Christina von Saß wird sie zum Thema, was jetzt wirklich gegen Gewalt an Frauen auf der Ebene von Ministerium und Politik getan wird, interviewen. Und es gibt ja auch gerade aktuell die ganzen Aufrufe, dass dieses Gewalthilfegesetz noch umgesetzt wird. Das war eine Zusage der Koalition. Jetzt haben sie nicht mehr so viel Zeit und sie werden jetzt freundlich daran erinnert, dass es wirklich notwendig ist. Ich glaube, das wird eine tolle Veranstaltung. Und wir hoffen auf viele Zuschauer und Zuschauerinnen. CK

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Der Freundeskreis im Gespräch mit Maik Tönns und Volker Wiedersheim


Diesen Monat haben wir uns mit Maik Tönns, Projektleiter beim MusikZentrum Hannover, und Volker Wiedersheim, Redakteur bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, unterhalten. Gesprochen haben wir über das abgewendete Aus des MusikZentrums (MuZe).

Beginnen wir doch damit, dass ihr euch einmal vorstellt …

Maik Tönns: Ich bin Maik Tönns, gelernter Veranstaltungskaufmann, und habe meine Ausbildung hier im MuZe gemacht. Ich habe erst in Oldenburg Musik auf Lehramt studiert, dann aber gemerkt, dass das nicht so mein Ding ist. Und dann bin ich nach Hannover gekommen und habe hier meine wunderbare Ausbildung genossen und das Glück gehabt, als eine von zwei Personen nach der Ausbildung auch hier zu bleiben; denn normalerweise muss man aufgrund dieser Ausbildungskooperation, die wir haben, nach drei Jahren Ausbildung und zwei Jahren im Anschluss gehen. Sabine Busmann hat mir aber glücklicherweise eine Festanstellung angeboten – und seitdem bin ich hier Projektleiter. Unter anderem habe ich mittlerweile die Produktionsleitung der Fete de la Musique inne – und jetzt auch nach und nach die Ausbildungsleitung der Veranstaltungskaufleute übernommen und unterstütze Sabine so in administrativen Aufgaben. Und in die Thematik rund um das drohende Aus hat sie mich als Unterstützung mit einbezogen. Wenn ich jetzt mal die Timeline zurückrechne, hat sie etwa ab September 2022 mit der ganzen Thematik Druck gemacht – und dann die ersten sechs Monate nur alleine an dieser Thematik gearbeitet. Und irgendwann, so nach einem halben Jahr, hat sie mich mit einbezogen, kurz bevor das Thema dann auch in die Presse kam. Wir haben dann ganz viele Kalkulationen aufgestellt, das MuZe in ganzer Tiefe noch einmal ein bisschen durchleuchtet, was für Optionen und Varianten möglich sind: sei es, andere Gebäude zu finden und diese umzubauen, sei es irgendwo neu zu bauen. Und es war mehr oder weniger fast von vornherein klar, dass die einzige Option darin bestand, hier zu bleiben. Wir haben uns ein paar andere Orte angeguckt, aber das war letzten Endes nie wirklich zielführend.

Das Stichwort Presse ist ja bereits gefallen, wechseln wir einmal zu dir …

Volker Wiedersheim: Volker Wiedersheim, Redakteur bei der HAZ. Funktionsbezeichnung ist Chef vom Dienst. Klingt wichtiger, als es ist. Ich bin nicht der Chefredakteur, sondern das Scharnier zwischen Chefredaktion und dem Rest der Truppe: Ich sitze im Newsroom und Alles, was rein- und rausgeht, geht über meinen Tisch. Ich bin seit 1991 bei der HAZ, bin als freier Musikschreiber eingestiegen und habe mich als nützlich erwiesen. Jetzt schreibe ich praktisch gar nicht mehr. Nur wenn meine Musikleidenschaft mich treibt, dann spitze ich nochmals die Feder. Und als diese Geschichte ruchbar und für die Zeitungen veröffentlichbar wurde, bin ich in die Bütt gegangen, weil ich in der Redaktion den Laden besser als alle anderen und auch schon seit sehr, sehr langer Zeit kenne. Und am 6. Dezember sind wir dann damit rausgegangen. Ich glaube ja, ich kompensiere mit dem Einsatz für Musik in Hannover und auch für das MuZe, dass ich selber als Musiker nicht erfolgreich genug geworden bin oder nicht fleißig genug beim Üben war, um eine Karriere daraus zu machen. Ich schätze es aber immer noch unheimlich, mich mit Musiker*innen zu zu umgeben, weil ich da eigentlich von Anfang an hingehöre. Es brauchte halt nur einen Umweg, um tatsächlich in dieser Bubble zu landen.

Was genau hätte denn nach eurer Einschätzung gefehlt, wenn das MuZe künftig nicht mehr vorhanden gewesen wäre.

VW: Als erstes die Fête de la Musique. Weil die auf auf so vielen Arbeitsstunden, auf Manpower von Veranstaltungsmanager*innen, von Veranstaltungstechniker*innen fußt. Die ist auf die Leistung aus dem MuZe angewiesen, das geht sonst nicht im Entferntesten. Man würde wohl irgendwie eine Bühne bei Radio 21, XXXLutz oder vor dem Schauspielhaus hinbekommen. Aber die Fête de la Musique, wie wir sie kennen und lieben, würde es so nicht geben. Und dann der Ausbildungsbetrieb, vor allem in der Veranstaltungstechnik: Wer soll die ganzen Konzerte, die wir in Hannover haben, denn mischen, wenn nicht die, die es im MuZe gelernt haben? Und das MuZe ist ja ein Kondensationskeim für ganz vieles, was sich in der Musik infrastrukturell entwickelt. Da sind wir ja auch ehrlicherweise höchstens ein Drittel des notwendigen Weges gegangen. Ohne das MuZe hätte es uns wohl nicht nur um Jahrzehnte zurückgeworfen, sondern Hannover hätte den Weg, ein national relevanter Musikstandort zu werden, vergessen können: Wir sind längst nicht da, aber der Kurs ist ein bisschen abgesteckt. Dieser Impuls wäre erstorben und ob er jemals wiedergekommen wäre … fraglich. Denn eine Einrichtung wie das MuZe kann man heute nicht mehr neu gründen. Entweder gibt es sie oder nicht. Man bekommt nie im Leben irgendwoher das Geld, um so ein Ding nochmals neu zu starten.

MT: Diesen Punkt hatten wir uns ja so ein bisschen einzureden versucht; dass wir eine Zeit lang gedacht haben, wenn wir keinen Ort finden, dann dezentralisieren wir das MuZe einfach mit unseren einzelnen Abteilungen. Also die Veranstaltungshalle und auch das Tonstudio hätten notgedrungen eine Pause machen müssen. Aber die Idee war, unsere Grafiker und Veranstaltungskaufleute in Büroräumen unterzubringen. Ich glaube, das wäre insgesamt ein ziemlicher Akt gewesen … Was aber sonst noch gefehlt hätte, wäre ein großer Netzwerker, denn wir haben hier viele verschiedene Szenen und Kultursparten an uns gebunden und sind mit denen in Kontakt; und die verknüpfen wir über Crossover-Projekte auch immer wieder miteinander. Wir haben fast nie Projekte, die sich ausschließlich nur um Musik drehen. Es sind immer andere Sparten mit dabei: Sport, darstellende Kunst, Mode. Da wäre ein ganz großer Netzwerker verlorengegangen. Und zuletzt hätte die Veranstaltungshalle gefehlt. Die hannoversche Musikszene ergänzt sich ja gut in ihrer Konzertgröße, wir nehmen uns alle untereinander keinen Platz weg in den einzelnen Clubs und Konzerthallen. Und genau die Sparte, die das MuZe bedient, wäre weggefallen. Und das hätte bedeutet, dass die Künstler*innen, die hierher kommen, gar nicht mehr in Hannover gelandet wären. Hannover hätte dann einfach nicht mehr auf deren Tourenliste gestanden und das wäre ein großer Verlust. Wir haben hier an Konzerten im Jahr …

VW: Na ja, um die 70.000 Konzertbesucher in einem durchgebuchten Jahr. Das ist einfach eine relevante Größe.

MT: Und viele Künstler schließen hier quasi eine eine Lücke und sind dann im nächsten Jahr wieder auf einer Tour in Hannover. Und dann sind sie aber größer geworden und auf einmal im Capitol; oder – wenn es gut läuft – in der Swiss Life Hall. Vorletztes Jahr waren noch Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys hier. Dieses Jahr treten sie in der Swiss Life Hall auf und sind auch schon ausverkauft. Solche Beispiele hat man immer wieder: Jeremias etwa haben sogar hier im Rockmobil ihre Ursprünge gehabt.

Heißt das, dass ihr davon ausgehen würdet, dass eine Spielstätte wie die Swiss Life Hall Nachwuchsprobleme bekommen hätte? Oder kann man das so nicht sagen?

VW: Nein, das ist zu stumpf. Die Halle vom MuZe ist für die Entwicklung von Acts von Künstler*innen ganz wichtig. Es passiert ja nur in den allerseltensten Fällen, dass Interpret*innen praktisch von von der Club-Ebene auf Hallen-Ebene à la Swiss Life springen, von unter 100 auf über 1.000. Das gibt es ganz, ganz selten. Und selten ist das, wenn es geschieht, wirklich nachhaltig. Für eine nachhaltige organische Entwicklung hat man am besten eine 250er Halle und dann eine 500er Halle. Und dann kannst du gucken, ob du dich auf der Größe über 1.000 etablierst. Und wenn du diese Möglichkeit nicht in der Stadt hast, fehlt dir einfach dieser Entwicklungsschritt. Beispielsweise Serpentin und Michèl von Wussow, eine Künstlerin und ein Künstler hier aus Hannover: Die kommen in die Reichweite dieses Schrittes. Und in Hannover mit der eigenen Bubble hat man die Chance, eben mal so eine 500er-Größe oder auch 350 Leute in der Halle des MuZes zu bespielen. Das ist ein krasses Publikum und das musst du lernen: Wie bespiele ich so ein Publikum? Das geht am besten zu Hause. Das hätte dann einfach gefehlt, um den nächsten Schritt zu machen. Und insofern: Ja – auch wenn es etwas abstrakt ist –, die Swiss Life Hall hätte Nachwuchssorgen, was hannoversche Acts betroffen hätte. Die Berliner, die Hamburger kommen immer. Aber wir wollen ja Hannover auf die deutsche Popkarte bringen. Das muss unser Antrieb sein, damit eben nicht auch immer alle, die hier großes Potenzial und Talent beweisen, irgendwann nach Hamburg und Berlin ziehen müssen, um den nächsten Schritt zu gehen. Deshalb muss dieser Block hier ein Hub werden, wo wir auch mehr noch Bookings und Labels und und Vertriebe hinkriegen, die das alles mit nach vorne bringen.

MT: Das sollte auch der Anspruch von Hannover als UNESCO City of Music sein, also dass wir dieser Hub werden und dass ggf. die Leute aus Hamburg oder Berlin hierhin ziehen, weil die Musikszene hier total aktiv ist. Das sollte auch ein Ziel von Hannover als Musikstadt sein. Und um die Leute hier zu halten oder sogar anzuziehen, ist ist so eine Hallengröße einfach total wichtig.

Wenn man das jetzt so hört, stellt sich ja die Frage, weshalb sich so ein Prozess zur Abwendung des Verschwindens des MuZes so zieht …

VW: Das ist ganz einfach: Was das kostet! Geld, das wir, das das MuZe, das die Stadt nicht hat. Wir alle haben eine Pro-Kopf-Verschuldung von über 1.000 Euro. Und jetzt ist gefordert, aufgerundete 10 Millionen Euro in die Hand zu nehmen und hier ein Areal zu kaufen. Das Geld ist einfach nicht da. Das kann man umrechnen in zu schließende Schwimmbäder und Stadtbibliotheken. Das kann man so hart sagen. Und natürlich muss dieser Entscheidungsprozess schmerzhaft langatmig und penibel in den politischen Gremien durchdiskutiert werden, mit allen Fürs und Widers. Das muss so sein, das geht gar nicht anders.

MT: Man muss auch bedenken, dass das Ganze dann ja auch quasi inmitten eines eines Koalitionsbruchs passiert ist.

VW: Der aber letzten Endes geholfen hat.

MT: Das stimmt. Aber auch das verlängert natürlich die ganze Debatte. Und es ist so oder so schon viel Geld – das aber innerhalb von Haushaltskürzungen zu machen, bringt halt viele Diskussionen mit sich. Wir haben da ganz viel Unterstützung von den Kolleg*innen aus der Wirtschaftsförderung bekommen und auch von denen aus dem Kulturbereich. Das war immer ein großes Abwägen. Wir haben Pläne, Tabellen und Kalkulationen erstellt und das dann mit der Wirtschaftsförderung besprochen – und dann sind wir mit den Plänen zum Kulturbereich gegangen. Das sind sehr unterschiedliche Blickwinkel auf die Situation. Und da dann eine Überschneidung zu finden, dass beide – und natürlich auch wir – sagen: „Das ist realistisch, was wir hier uns gerade ausdenken. In der Form kann es funktionieren.“ Das hat einfach sehr viele Gespräche und Zeit gekostet. Und danach mussten die ganzen Beschlüsse noch in die Verwaltung.

Und jetzt ist die Zukunft aber auf lange Sicht auch gesichert?

MT: Genau. Der Beschluss ist, dass wir einen Erbpacht-Vertrag kriegen. Der soll ab dem 1. Januar 2025 gelten. Die Stadt hat die Hälfte der Summe an den Eigentümer überwiesen, die andere Hälfte gibt es, nachdem ein paar Dinge auf dem Gelände gelöst sind: Es gibt hier noch Altlasten, einen Ölfilm in der Ecke auf dem Grundwasser. Der muss erst noch vom jetzigen Eigentümer entfernt werden. Wenn das abgeschlossen ist, bezahlt die Stadt die restliche Hälfte. Und wir kriegen nun die ersten Fassungen des Erbpacht-Vertrages. Und so ein Vertrag läuft üblicherweise etwa 30, 50, manchmal sogar 99 Jahre. Auf jeden Fall ist langfristig gesehen dieser Standort gesichert.

Wenn es einfach ein langer Abwägungsprozess ist: Wie hoch ist der Druck, den man von der Presseseite aus erzeugen kann?

VW: Spannende Frage.Meine These ist, dass wir gar nichts erzeugt, sondern eine Stimmung in der Stadt gespürt, aufgegriffen und in einer gewissen Feedbackschleife verstärkt haben. Im Grunde genommen ist das eine Geschichte, die sich selber erzählt. Und wir mussten da nicht Druck erzeugen, sondern Druck ist in dieser Geschichte intrinsisch. Ich möchte beispielhaft auch auf Matze, den Rapper von Passepartout, verweisen, der binnen weniger Stunden mit einem Freestyle am Start war. Und innerhalb von 24 Stunden hat der auf Instagram fünfstellige Zugriffszahlen. All das hat dazu beigetragen. Da greift – wie beim Fußball in der sogenannten aktiven Fanszene – der Rausch der Wirksamkeit. Wir alle sind kleine Rädchen im Getriebe der Stadtgesellschaft, und plötzlich hast du in einer Situation das Gefühl: „Hoppla, hier können wir wirklich was bewirken.“ Hier ließ sich tatsächlich dieses Unvermeidbare, das, was eigentlich passieren müsste, vermeiden. Das erzeugt einen Sog. Das ist, wenn man die Stadt als kollektive Entität versteht, eine soziale Skulptur, wie Soziologen und Künstler sagen; und davon möchte man Teil sein.

MT: Ich glaube auch, dass die Presse da eher als Katalysator dieser Stimmung gedient hat. Wir haben es ja intern lange zurückgehalten und sind dann irgendwann damit an die Öffentlichkeit gegangen – und wir wir hätten vielleicht auch irgendwann diese Energie erzeugen können, aber es wäre nicht so schnell gegangen. Und das Tempo war essenziell wichtig, weil wir nicht mehr viel Zeit hatten, das alles zu klären.

VW: Und wir haben nicht zu vergessen, dass plötzlich auch die Politik gemerkt hat: „Hoppla, wenn ich mich an die Spitze von diesem Ding setze, gewinne ich Profil und sammele da Credits.“ Plötzlich waren also auch Anzugträger dafür, das MuZe zu retten, was ja nicht unbedingt vorherzusehen war.

Das ganze Prozedere wird ja einige Energie verschluckt haben. Wo steckt ihr die beim MuZe nun rein. Gibt es besondere Pläne oder Ideen?

MT: Ja, auf jeden Fall. Ab dem 1. Januar sind wir mit dem Vertrag ja in einem sogenannten eigentumsähnlichen Verhältnis und da können ganz anders agieren und die Halle und das Verwaltungsgebäude noch auf ein ganz anderes Level bringen. Wir haben mittlerweile auch acht Immobilien: Das ist ein ganz großer neuer Punkt, wo wir viel Energie reinstecken werden.Aber wir haben auch wieder viel mehr Kapazität, um Projekte zu machen. Wir würden sehr gerne mal wieder ein bisschen mehr in die Thematik Jugendarbeit einsteigen. Da sind wir natürlich dabei mit diversen Projekten wie BAM, dem Jugendmusiktheater und dem Rockmobil. Aber in die ganz junge Sparte – als auch in die ganz alte Sparte – würden wir gerne mal wieder mit einem Projekt reingehen. Und da werden wir auf jeden Fall auch noch Energie investieren. Und wir wollen unseren Probebühnenbetrieb gerne ausbauen. Also wir haben die Möglichkeit für professionelle Musiker, ihre Tour hier mit allem drum und dran zu proben. Die buchen sich dann für eine Woche hier ein – und das wollen wir ein bisschen forcieren. CK

Maik Tönns

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