Laute Musik, dröhnende Bässe, bunte Graffitis und ein leichter, aber durchdringender Geruch von Gras – Wahrscheinlich erinnert die Vorstellung hieran die meisten Hannoveraner*innen innerhalb weniger Sekunden an das Ihme-Zentrum. Und das wahrscheinlich aus gutem Grund. Ruhestörung oder Drogendelikte sind leider keine Seltenheit an diesem Ort. Aber genauso sind es ungerechtfertigte Vorurteile. Gegenüber dem Ihme-Zentrum als Gebäude, als auch gegen dessen Bewohner*innen. Der Klassenbuch-Verlag setzt diesen Vorurteilen einen Spiegel vor, beleuchtet jede noch so dunkle Ecke des berühmten hannoverschen Gebäudekolosses und hält diesen literarischen Annäherungsversuch in „Ihme-Zentrum. Als hätte ein Gebäude eine ganze Stadt verschluckt. Eine Anthologie “ fest.
„Eine Hannoversche Liebeserklärung, die keiner Erklärung bedarf“, so beschreibt der Klassenbuch Verlag seine erste Veröffentlichung, die im März diesen Jahres publiziert wurde. Die Anthologie beinhaltet Texte von Alexander Rudolfi, Naby Naïd Karimi, Jonah Rausch, Lucie Kolb, Lea-Sophie Stich, Tobias Kunze, Markus Witte, Joanna Schulte und vielen weiteren Autor*innen. Dem ganzen Projekt ging ein Schreibwettbewerb in Kooperation mit diversen hannoveranischen Organisationen voraus, von dem letztendlich die Hälfte der eingegangen Texte ins Buch mitaufgenommen wurde. Und eines haben alle Texte gemein: Sie schaffen es, die kaum fassbare Utopie des gewaltigen Gebäudekomplexes doch irgendwie greifbar zu machen. Aus den verschiedensten Perspektiven blicken die Autor*innen auf die Vielfältigkeit dieser vielleicht gar nicht so grauen 285.000m² und all ihrer Ecken und Kanten. Denn „das Ihme-Zentrum ist nicht nur ein Gebäude in der Stadt, sondern auch eine Projektionsfläche für Geschichten“, erzählt Frank Romanowski, Mitbegründer des Klassenbuch-Verlags, und ergänzt: „Das Ganze ist eine Annäherung auch an Fragen an uns selbst: wie wir heute leben wollen. Um das zu betrachten, muss man näher treten, und das Gebäude nicht mit Vorurteilen aus der Ferne beurteilen. Das haben unsere Autor*innen in wunderbarer Weise gezeigt“.
Die Literaturlandschaft um neue und vielfältige Perspektiven bereichern – das ist das Ziel des Klassenbuch Verlags. Ganz unter dem Motto „Das Unsichtbare sichtbar machen“ haben es sich die Gründer*innen Tarja Sohmer, Stefanie Rübel und Frank Romanowski zur Aufgabe gesetzt, Bücher zum Thema sozialer Klasse zu verlegen. „Wir interessieren uns für die Geschichten von und über Menschen, die bisher weniger im gesellschaftlichen und literarischen Rampenlicht stehen. Werke von Frauen sowie von Angehörigen marginalisierter Gruppen sollen in unserem Verlagsprogramm den Raum erhalten, der ihnen im Literaturbetrieb längst zustehen sollte.“ Besonders möchten sie Autor*innen aus Hannover einen Raum und eine Möglichkeit geben, ihre Werke verlegen zu lassen. „Vor allem aber wollen wir Bücher verlegen, die wir selbst schon so lange vermissen.“ Orientiert am Klassenbuch, das früher vorne auf dem Pult lag und jegliches Fehlverhalten dokumentierte, dreht der Klassenbuch Verlag bewusst diese Perspektive um, um ungehörten Stimmen Gehör zu verschaffen. Weg von bildungsbürgerlicher Norm, hin zu „Geschichten aus dem Leben der weniger privilegierten sozialen Klassen“.
Im Augenblick arbeitet der Verlag an einem Roman aus dem Bereich Belletristik, an einem Kinderbuch sowie an einer Anthologie mit Working Women und vieles mehr worauf sich Hannover freuen kann.
Klassenbuchverlag
15 Euro
152 Seiten