Diesen Monat waren wir im Gespräch mit Fenja Ruhmann vom Jugendblasorchester Seelze und Carolin Stolle vom Hannoverschen Oratorienchor. Gesprochen haben wir über das Jahresprogramm, aber auch über Anforderungen an die Mitglieder, die Resonanz beim Publikum und – nicht bloß finanzielle – Hürden …
Stellt euch doch einmal vor …
Fenja Ruhmann: Ich bin Fenja Ruhmann vom Jugendblasorchester Seelze. Der Name ist etwas irreführend, denn so jugendlich sind wir nur noch in Teilen. Aber wie das so ist: Bei der Namensfindung hat man damals nicht darüber nachgedacht, dass man vielleicht länger zusammenbleibt. Und „damals“
heißt: 1994. Da suchte eine Gruppe von Abiturientinnen eine neue musikalische Heimat, nachdem sie ihr Abitur am Georg-Büchner-Gymnasium in Seelze/Letter gemacht hatten und damit aus dem Schulorchester ausgeschieden waren. Deshalb haben sie in der Konsequenz das Jugendblasorchester Seelze gegründet; damals noch als kleinen Verein mit nur einem Orchester. 2024 haben wir nun 30-jähriges Jubiläum gefeiert, zählen mittlerweile 230 Mitglieder und bestehen aus vier Orchestern: Keines heißt Jugendblasorchester Seelze, das ist unser Verein als gemeinsamer Rahmen. Zum einen gibt es das Modern Sound[s] Orchestra (MSO), ein großes sinfonisches Blasorchester. Das besteht ungefähr aus 65 Musizierenden. Zudem gibt es die YoungStars. Das sind um die 35 Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene. Die Unterscheidung der zwei Orchester ist keineswegs hierarchisch, vielmehr handelt es sich um alternative Orchester mit leicht unterschiedlicher Ausrichtung. Es gibt auch Leute, die in beiden Orchestern spielen. Und dann haben wir noch einen großen Ausbildungsbereich: die Bläserakademie. Mit dem Projekt „Musik macht stark“, das inzwischen im zwölften Durchgang ist, geben wir Kindern und Jugendlichen unabhängig von der finanziellen Situation ihrer Eltern die Möglichkeit, ein Instrument zu erlernen. Das sind im Schnitt rund 30 Kinder, die pro Jahr starten, zunächst die Instrumente kennenlernen und sich dann überlegen, welches sie gerne spielen würden. Wir kooperieren da mit den Grundschulen vor Ort. Und wenn die Kinder dann weitermachen wollen, dann bieten wir ihnen auch nach dem Projekt in unserer Bläserakademie die Möglichkeit, weiterhin Unterricht zu nehmen und Orchestererfahrung zu sammeln – durch Zuschüsse des Vereins vergünstigt. Zudem bieten wir die Instrumente zur Miete oder als Mietkauf an. Somit versuchen wir, die musikalische Ausbildung möglichst unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten in der Familie zur Verfügung zu stellen. Im Orchesterbereich der Bläserakademie haben wir eine Junior-Band für die Jüngeren und ein Jugendorchester für die schon etwas Fortgeschrittenen. Bei entsprechender Motivation und Spielpraxis rücken sie dann im besten Fall nach und nach in die zwei großen Orchester auf.
Carolin Stolle: Das hätte ich jetzt gar nicht gedacht, interessant … denn unter dem Namen stelle ich mir ehrlicherweise eher eine „Blaskapelle“ vor…
FR: Ja! Und es hat auch eigentlich nichts mit Marsch oder Polka zu tun. Ganz selten spielen wir mal einen Konzertmarsch, aber eigentlich geht es vor allem um Originalkompositionen für sinfonisches Blasorchester, ergänzt um Musical-, Rock- und Pop-Arrangements sowie Transkriptionen „klassischer“ Werke, die ursprünglich für Sinfonieorchester komponiert worden sind
… Also weit entfernt von dem, was man sich klassisch unter einer Blaskapelle vorstellt. Es ist doch relativ anders … Und du bist dort …
FR: … für die Kommunikation im Verein zuständig: Referentin Kommunikation heißt das bei uns im Vorstand. Im MSO spiele ist selbst auch Klarinette und habe früher auch bei den YoungStars mitgewirkt. Ich bin schon seit 2002 dabei und habe damals mit dem Klarinettelernen im Verein angefangen. Das war noch vor „Musik macht stark“, aber zu dem Zeitpunkt begannen die ersten Überlegungen zum Aufbau einer eigenen Ausbildungsarbeit, um langfristig Nachwuchs sicherzustellen. Seitdem bin ich immer engagiert im Verein gewesen, habe dann „offiziell“ für den Vorstand kandidiert und bin jetzt schon ziemlich lange gemeinsam mit einem Team für die Kommunikation zuständig: intern – also Newsletter u. s. w. – und extern, insbesondere für die Pressearbeit in Bezug auf Vor- und Nachberichterstattung von Konzerten und Projekten.
Kommen wir zu dir …
CS: Ich bin Carolin Stolle und schon seit 2011 Vorstandsvorsitzende des Hannoverschen Oratorienchors. Wir sind einer der traditionsreichsten gemischten Konzertchöre hier in Hannover – und vermutlich sogar in ganz Deutschland. Unsere erste Aufführung reicht ins Jahr 1802 zurück, noch unter dem Namen „Singakademie“. Ein paar Namenswechsel und Jahrhunderte später sind wir ein eingetragener Verein, der alles selbst organisiert und finanziert, d. h. von der Raummiete für unsere Proberäume über das Honorar für unseren Dirigenten bis hin zu unseren Konzerten. Wir sind etwa 80 Mitglieder und fest im hannoverschen Konzertleben verankert. Vom Repertoire her decken wir – wie der Name sagt – das groß besetzte romantische Werk ab, aber auch das schlank geführte barocke Oratorium, sowie die moderne A-cappella-Chorimprovisation. Wir sind immer sehr daran interessiert, spannungsreich das Alte mit dem Neuen zu verbinden. An neuen Kompositionen haben wir auch schon das ein oder andere uraufgeführt. Und 2026 werden wir – und da freuen wir uns bereits ganz besonders darauf – ein für uns exklusiv von Oliver Gies komponiertes klassisches Werk uraufführen. Gies ist der Kopf von Maybebop und sehr erfolgreicher Komponist und Arrangeur in der Chorlandschaft. Wir sind schon sehr gespannt – weil das ja einfach etwas ganz anderes wird als so ein Brahms oder ein Händel.
Plant ihr denn in zwei Jahren irgendwas? Jubiläumsmäßig?
CS: 2026 haben wir jetzt fertig geplant und demnächst gehen wir 2027 an. Was bereits fest steht ist ein erneuter Choraustausch mit der Bristol Choral Society – Bristol ist ja die Partnerstadt von Hannover – 2022 haben wir hier in Hannover gemeinsam „Ein deutsches Requiem“ von Brahms aufgeführt. Von der Größe und vom Repertoire her ist das ein Chor wie unserer. Im letzten Jahr gab es den Gegenbesuch mit gemeinsamen Konzert in Bristol. Und 2027 – das ist gesetzt – kommen sie wieder zu uns – und wir werden dann sicherlich unser 225.Jubiläum ordentlich feiern. Welches Stück wir uns gönnen ist noch nicht final geklärt, da gehen wir jetzt in die Planung.
Was muss man denn mitbringen, wenn man bei euch mitmachen möchte?
CS: Wenn man mitsingen möchte, muss man auf jeden Fall Zeit mitbringen. Wir proben einmal die Woche außerhalb der Schulferien. Allerdings gibt es auch Probewochenenden. Notenkenntnisse sind wichtig und eine gewisse stimmliche Qualität.
FR: Ist das dann ein richtiges Probesingen?
CS: Ja, es gibt ein richtiges Vorsingen, mit Vorbereitung eines Stücks. Und da sind alle Stimmenkoordinatorinnen, Chorleiter und Stimmbildnerin mit dabei. Aber trotzdem sollte man keine Sorge haben, wir suchen da nicht „Deutschlands nächsten Superstar“. Wir wollen allerdings eine gewisse
Qualität sicherstellen.
FR: Bei uns sind es der Spaß an der Musik und das entsprechend passende Instrument: alle Blasinstrumente und vor allem auch Schlagwerk. Wirsind ja ein sinfonisches Blasorchester, das heißt Querflöten, Klarinetten, Fagotte, Oboen, Saxofone, Trompeten, Hörner, Posaunen, Euphonien,
Tuben u. s. w. Einen Kontrabassisten und einen Pianisten findet man auch in unseren Reihen. Zudem gibt es viel Schlagwerk. Insbesondere hier, aber auch grundsätzlich in vielen anderen Registern freuen wir uns immer wieder über Neuzugänge. Bei Interesse genügt eine kurze E-Mail an vorstand@jbo-seelze.de. Wir haben durch unsere verschiedenen Orchester auch verschiedene Ausbildungs- oder Anspruchsstufen und bieten so für viele Leute eine musikalische Heimat. Und dann schnuppert man in ein paar Proben
rein, spricht mit dem Dirigenten oder der Dirigentin und schaut, ob es von beiden Seiten passt … Und wenn es in dem konkreten Orchester dann nicht passen sollte, finden wir meist eine Alternative.
Vielleicht könnt ihr mal umreißen, was einen bei euch 2025 so erwartet?
FR: Mit dem Modern Sound[s] Orchestra haben wir gerade erfolgreich unsere Neujahrskonzerte im Theater am Aegi in Hannover und in der Alten Exerzierhalle in Celle gespielt. Im Mai steht dann ein Konzert mit dem Gastdirigenten Miguel Etchegoncelay auf dem Plan: ein gebürtiger Argentinier,
der in Straßburg lehrt. Da freuen wir uns schon richtig drauf. Das machen wir alle paar Jahre immer mal wieder, dass man zusätzliche Impulse von jemand anderem bekommt. Die Stückauswahl steht noch nicht ganz fest, aber es wird voraussichtlich viel Lateinamerikanisches geben. Dann
sind wir auch bei den Kunstfestspielen Herrenhausen dabei. Am Himmelfahrtswochenende
sind wir eines von vier Orchestern, die gemeinsam die „Parkmusik“ des österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas in den Herrenhäuser Gärten aufführen – das wird die deutsche Uraufführung
dieses Werkes sein. Und im September haben wir eine Kooperation mit dem Sinfonieorchester musica assoluta: Die kam witzigerweise im Ursprung über ein ebensolches Stadtkind-Interview wie dieses hier zustande. Damals war mein Gesprächspartner Thorsten Encke, der Leiter von musica assoluta,
und der Kontakt ist erfreulicherweise geblieben. Und jetzt passt es, dass wir etwas zusammen machen. Zudem waren wir im November mit dem MSO im Tonstudio und haben vier Stücke aufgenommen, die auch bei unseren Neujahrskonzerten zu hören waren. Seitdem kann man die Aufnahmen auch
als neue CD – inklusive Downloadlink für alle ohne CD-Player – käuflich erwerben. Die YoungStars haben auch zwei große Konzerte; eins im Juni und eins im November. Und unsere Ausbildungsorchester haben ebenfalls ein Sommerkonzert im Juni und ein Weihnachtskonzert.
CS: Ich rolle unser Programm mal von hinten auf: Wir geben unser traditionelles Adventskonzert in der Gartenkirche am 2. Advent. Dieses Mal wird eine Messe von Marc Antoine Charpentier aufgeführt: eine Messe, die zurückgreift auf weihnachtliche Volkslieder. Wir ergänzen diese mit alten französischen Weihnachtsliedern. Der Eintritt ist wie immer frei, um auch Menschen ein Konzerterlebnis zu ermöglichen, die sich sonst so etwas vielleicht nicht leisten können. Darüber hinaus nehmen wir in diesem
Jahr vor allem an Gemeinschaftsprojekten teil: Wir werden im Juni bei The Public Domain von David Lang auf dem Opernplatz mitmachen: Am 1. Mai findet im NDR Sendesaal ein Konzertprojekt mit hannoverschen Chören im Rahmen des Kirchentages statt, „Stabat Mater“ von Antonin Dvořák.
Am 24. Februar werden wir wieder, ebenfalls mit hannoverschen Chören, beim Benefizkonzert für die Ukraine in der Marktkirche dabei sein. Und parallel fangen wir auch schon an, für 2026 zu proben. Und dann ist das Jahr auch schon rum …
FR: Wir hatten vor knapp drei Jahren auch eine Uraufführung von einem Auftragswerk. Das ist immer sehr spannend.
CS: Ja, total. Oft ist es ja so, dass man während der Probephase ein Stück anhört, um die Architektur schneller zu verstehen. Aber bei Uraufführungen kann man das nicht, manchmal müht man sich ab und ist dann ganz überrascht, wie toll es am Ende wird.
FR: Wir waren beim Entstehungsprozess genau in der Corona-Zeit, hatten dann aber mit dem Komponisten Bert Appermont – einem Belgier, der in der sinfonischen Blasorchester-Szene ein sehr bekannter Komponist und Dirigent ist – tatsächlich auch eine Online-Session: Er saß am Klavier und
hat uns erste Fragmente vorgespielt. Dabei erklärte er seine Ideen, die ihn inspiriert hatten. Das war wirklich schön, dass man so ein bisschen diesen Entstehungsprozess mitbegleiten konnte.
Corona liegt ja mittlerweile schon ein bisschen zurück: Hat sich das eigentlich
wieder gefangen, was die Resonanz betrifft, die man erhält?
CS: Naja, wir haben das Jahr danach die Auswirkungen immer noch gespürt. Die Nachfrage der Konzerte, wenn man nur den halben Saal voll bekommt, wirkt sich massiv auf die Finanzierung aus. Das hat sich jetzt aber wieder normalisiert.
FR: Ich würde auch sagen, dass man das am Anfang gemerkt hat. Jetzt hat es sich wieder normalisiert und es ist uns da eigentlich nichts weggebrochen, wie man es ja von Sportvereinen oft gehört hat. Wir haben es aber im Kinder- und Jugendbereich ein bisschen gemerkt, was das Strukturieren der Zeit betrifft: Gerade in den Anfängen, wenn sie noch an der Grundschule sind, ist tatsächlich so ein bisschen zu merken, dass es nicht so dieses Gefühl für die Verpflichtung gibt, die man letztlich auch eingeht.
Gibt es denn irgendwas, das ihr euch wünschen würdet für die Zukunft? Irgendeine
Art von Verbesserung, Unterstützung, von der ihr denkt, das wäre eigentlich
mal angebracht?
FR: Also die Finanzen fallen einem einfach als erstes ein, weil man ja als Verein, der alles selbst trägt, zusehen muss, dass finanziell alles im Rahmen bleibt. Da ist es schon so, dass es manchmal eine Herausforderung ist, hier in Hannover und der Region Konzertsäle zu finden, die genug Platz für
Mitspielende und Instrumentarium auf der Bühne sowie für das Publikum vor der Bühne bieten. Wir brauchen eine passende Akustik und am Schluss muss es für einen Verein bezahlbar sein. Es gibt zwar teilweise Säle, die für gemeinnützige Vereine etwas günstiger sind, aber es ist trotzdem unsere
härteste Rechnung: Wie voll kriegen wir den Saal? Wie hoch müssten die Kartenpreise sein, die wir auch nicht immer höher ziehen wollen?
CS: Ja, da stimme ich dir vollkommen zu. Aber trotzdem möchte ich einmal lobend die Zusammenarbeit mit der Stadt und insbesondere mit dem Kulturbüro erwähnen. Das ist ein toller Ansprechpartner für uns Kulturinstitutionen. Daran merkt man, dass Hannover UNESCO City of Music ist, weil wirkliches Interesse vorhanden ist. Außerdem wünsche ich mir mehr mutige Männer. So ein Verein lebt vor allem von seinen Mitgliedern und da würde ich mir mehr Zuwachs, eben insbesondere bei den Männerstimmen
wünschen. Im Moment sind wir gut aufgestellt, aber es könnte mehr nachkommen. CK
