Lieber Baron von Münchhausen, du armer Kerl bist sicher schon ganz wund vom sich im Grabe umdrehen nach dieser erbärmlichen Vorstellung deiner Nachfahren. Baron Merz und Baron Linnemann haben total versagt. Die Kunst des Lügens ist ja, Geschichten so zu erzählen, dass sie zumindest wahr sein könnten. Diese Anfänger haben aber so offensichtlich gelogen, dass es stellenweise kaum auszuhalten war. Du musst in deinem Grab so richtig rotiert sein, oder?
Man stelle sich vor, du hättest damals deine kühnen Geschichten so plump vorgetragen. Niemals wärst du als großartiger Lügenbaron und Meister der Fantasie in die Geschichte eingegangen. Sie hätten dich ausgelacht und aus dem Land gejagt. Du wusstest einfach, wie man mit Witz, Charme und einem Hauch von Glaubwürdigkeit selbst das Unmöglichste plausibel erscheinen lässt. Ein bisschen mehr von deinem Geist im Wahlprogramm der Union und die 3 vorne wäre kein Problem gewesen. Aber was machen deine Nachfahren? Sie übertreiben ohne Scharfsinn, sie stapeln hoch ohne Eleganz, sie laden vollmundig die Kanone, doch die Kugel verfehlt das Ziel. Sie lügen ohne Raffinesse, alle durchschauen das Spielchen problemlos. Subtilität? Fehlanzeige! Selbst dein treues Pferd, das du einst samt halbem Körper aus dem Sumpf zogst, hätte sich mit Grausen abgewandt.
Eigentlich verpflichtet doch Tradition. Ein echter Münchhausen-Lügner lässt die Zuhörer staunen und schmunzeln. Und alle wünschen sich insgeheim, dass die Geschichte wahr sein könnte. Doch bei diesen Herren mit ihren dreisten Behauptungen fragen sich die Zuhörer höchstens, wer den ganzen Scheiß bezahlen soll, wenn irgendetwas davon wirklich wahr werden sollte. Erfundene Zahlen, verzerrte Zusammenhänge, an den Haaren herbeigezogene angebliche Lösungen. Haben die wirklich gedacht, dass das niemand nachrechnet? Dass die Leute so dämlich sind? Ein Lügenbaron unterschätzt niemals sein Publikum. Er hält die Menschen für klug, damit seine Lüge perfekt sitzt und nicht nachlässige Improvisation bleibt. Nicht so Baron Merz und Baron Linnemann.
Was aber am schlimmsten ist. Wenn man schon kein großer Lügner ist, dann sollte man wenigstens ein bisschen Humor mitbringen. Schlecht lügen ist noch kein Beinbruch, wenn man an der richtigen Stelle ein sympathisches Augenzwinkern platziert. Wenn man den Leuten signalisiert: „Klar, ich erzähle euch kompletten Mist, ihr wisst das, ich weiß das, aber der absurde Kram ist doch trotzdem ganz spaßig, oder nicht?“ Doch keine Spur von Humor weit und breit bei deinen Nachfahren.
Sie nehmen sich selbst so ernst, dass ihre Lügen umso erbärmlicher wirken. Keine besonders gute Unterhaltung. Sie sind ganz schlechte Blender. Wir konstatieren den Niedergang der hohen Kunst des gepflegten Flunkerns. Was bleibt uns da noch übrig, verehrter Baron? Ein müdes Lächeln? Ein resigniertes Kopfschütteln? Vielleicht basteln wir dir vor der nächsten Wahl lieber ein Kugellager in dein Grab, damit du wenigstens reibungslos rotieren kannst. In tiefstem Mitgefühl für dein geplagtes Andenken, dein Stadtkind. VK
