Diesen Monat haben wir uns mit Maik Tönns, Projektleiter beim MusikZentrum Hannover, und Volker Wiedersheim, Redakteur bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, unterhalten. Gesprochen haben wir über das abgewendete Aus des MusikZentrums (MuZe).
Beginnen wir doch damit, dass ihr euch einmal vorstellt …
Maik Tönns: Ich bin Maik Tönns, gelernter Veranstaltungskaufmann, und habe meine Ausbildung hier im MuZe gemacht. Ich habe erst in Oldenburg Musik auf Lehramt studiert, dann aber gemerkt, dass das nicht so mein Ding ist. Und dann bin ich nach Hannover gekommen und habe hier meine wunderbare Ausbildung genossen und das Glück gehabt, als eine von zwei Personen nach der Ausbildung auch hier zu bleiben; denn normalerweise muss man aufgrund dieser Ausbildungskooperation, die wir haben, nach drei Jahren Ausbildung und zwei Jahren im Anschluss gehen. Sabine Busmann hat mir aber glücklicherweise eine Festanstellung angeboten – und seitdem bin ich hier Projektleiter. Unter anderem habe ich mittlerweile die Produktionsleitung der Fete de la Musique inne – und jetzt auch nach und nach die Ausbildungsleitung der Veranstaltungskaufleute übernommen und unterstütze Sabine so in administrativen Aufgaben. Und in die Thematik rund um das drohende Aus hat sie mich als Unterstützung mit einbezogen. Wenn ich jetzt mal die Timeline zurückrechne, hat sie etwa ab September 2022 mit der ganzen Thematik Druck gemacht – und dann die ersten sechs Monate nur alleine an dieser Thematik gearbeitet. Und irgendwann, so nach einem halben Jahr, hat sie mich mit einbezogen, kurz bevor das Thema dann auch in die Presse kam. Wir haben dann ganz viele Kalkulationen aufgestellt, das MuZe in ganzer Tiefe noch einmal ein bisschen durchleuchtet, was für Optionen und Varianten möglich sind: sei es, andere Gebäude zu finden und diese umzubauen, sei es irgendwo neu zu bauen. Und es war mehr oder weniger fast von vornherein klar, dass die einzige Option darin bestand, hier zu bleiben. Wir haben uns ein paar andere Orte angeguckt, aber das war letzten Endes nie wirklich zielführend.
Das Stichwort Presse ist ja bereits gefallen, wechseln wir einmal zu dir …
Volker Wiedersheim: Volker Wiedersheim, Redakteur bei der HAZ. Funktionsbezeichnung ist Chef vom Dienst. Klingt wichtiger, als es ist. Ich bin nicht der Chefredakteur, sondern das Scharnier zwischen Chefredaktion und dem Rest der Truppe: Ich sitze im Newsroom und Alles, was rein- und rausgeht, geht über meinen Tisch. Ich bin seit 1991 bei der HAZ, bin als freier Musikschreiber eingestiegen und habe mich als nützlich erwiesen. Jetzt schreibe ich praktisch gar nicht mehr. Nur wenn meine Musikleidenschaft mich treibt, dann spitze ich nochmals die Feder. Und als diese Geschichte ruchbar und für die Zeitungen veröffentlichbar wurde, bin ich in die Bütt gegangen, weil ich in der Redaktion den Laden besser als alle anderen und auch schon seit sehr, sehr langer Zeit kenne. Und am 6. Dezember sind wir dann damit rausgegangen. Ich glaube ja, ich kompensiere mit dem Einsatz für Musik in Hannover und auch für das MuZe, dass ich selber als Musiker nicht erfolgreich genug geworden bin oder nicht fleißig genug beim Üben war, um eine Karriere daraus zu machen. Ich schätze es aber immer noch unheimlich, mich mit Musiker*innen zu zu umgeben, weil ich da eigentlich von Anfang an hingehöre. Es brauchte halt nur einen Umweg, um tatsächlich in dieser Bubble zu landen.
Was genau hätte denn nach eurer Einschätzung gefehlt, wenn das MuZe künftig nicht mehr vorhanden gewesen wäre.
VW: Als erstes die Fête de la Musique. Weil die auf auf so vielen Arbeitsstunden, auf Manpower von Veranstaltungsmanager*innen, von Veranstaltungstechniker*innen fußt. Die ist auf die Leistung aus dem MuZe angewiesen, das geht sonst nicht im Entferntesten. Man würde wohl irgendwie eine Bühne bei Radio 21, XXXLutz oder vor dem Schauspielhaus hinbekommen. Aber die Fête de la Musique, wie wir sie kennen und lieben, würde es so nicht geben. Und dann der Ausbildungsbetrieb, vor allem in der Veranstaltungstechnik: Wer soll die ganzen Konzerte, die wir in Hannover haben, denn mischen, wenn nicht die, die es im MuZe gelernt haben? Und das MuZe ist ja ein Kondensationskeim für ganz vieles, was sich in der Musik infrastrukturell entwickelt. Da sind wir ja auch ehrlicherweise höchstens ein Drittel des notwendigen Weges gegangen. Ohne das MuZe hätte es uns wohl nicht nur um Jahrzehnte zurückgeworfen, sondern Hannover hätte den Weg, ein national relevanter Musikstandort zu werden, vergessen können: Wir sind längst nicht da, aber der Kurs ist ein bisschen abgesteckt. Dieser Impuls wäre erstorben und ob er jemals wiedergekommen wäre … fraglich. Denn eine Einrichtung wie das MuZe kann man heute nicht mehr neu gründen. Entweder gibt es sie oder nicht. Man bekommt nie im Leben irgendwoher das Geld, um so ein Ding nochmals neu zu starten.
MT: Diesen Punkt hatten wir uns ja so ein bisschen einzureden versucht; dass wir eine Zeit lang gedacht haben, wenn wir keinen Ort finden, dann dezentralisieren wir das MuZe einfach mit unseren einzelnen Abteilungen. Also die Veranstaltungshalle und auch das Tonstudio hätten notgedrungen eine Pause machen müssen. Aber die Idee war, unsere Grafiker und Veranstaltungskaufleute in Büroräumen unterzubringen. Ich glaube, das wäre insgesamt ein ziemlicher Akt gewesen … Was aber sonst noch gefehlt hätte, wäre ein großer Netzwerker, denn wir haben hier viele verschiedene Szenen und Kultursparten an uns gebunden und sind mit denen in Kontakt; und die verknüpfen wir über Crossover-Projekte auch immer wieder miteinander. Wir haben fast nie Projekte, die sich ausschließlich nur um Musik drehen. Es sind immer andere Sparten mit dabei: Sport, darstellende Kunst, Mode. Da wäre ein ganz großer Netzwerker verlorengegangen. Und zuletzt hätte die Veranstaltungshalle gefehlt. Die hannoversche Musikszene ergänzt sich ja gut in ihrer Konzertgröße, wir nehmen uns alle untereinander keinen Platz weg in den einzelnen Clubs und Konzerthallen. Und genau die Sparte, die das MuZe bedient, wäre weggefallen. Und das hätte bedeutet, dass die Künstler*innen, die hierher kommen, gar nicht mehr in Hannover gelandet wären. Hannover hätte dann einfach nicht mehr auf deren Tourenliste gestanden und das wäre ein großer Verlust. Wir haben hier an Konzerten im Jahr …
VW: Na ja, um die 70.000 Konzertbesucher in einem durchgebuchten Jahr. Das ist einfach eine relevante Größe.
MT: Und viele Künstler schließen hier quasi eine eine Lücke und sind dann im nächsten Jahr wieder auf einer Tour in Hannover. Und dann sind sie aber größer geworden und auf einmal im Capitol; oder – wenn es gut läuft – in der Swiss Life Hall. Vorletztes Jahr waren noch Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys hier. Dieses Jahr treten sie in der Swiss Life Hall auf und sind auch schon ausverkauft. Solche Beispiele hat man immer wieder: Jeremias etwa haben sogar hier im Rockmobil ihre Ursprünge gehabt.
Heißt das, dass ihr davon ausgehen würdet, dass eine Spielstätte wie die Swiss Life Hall Nachwuchsprobleme bekommen hätte? Oder kann man das so nicht sagen?
VW: Nein, das ist zu stumpf. Die Halle vom MuZe ist für die Entwicklung von Acts von Künstler*innen ganz wichtig. Es passiert ja nur in den allerseltensten Fällen, dass Interpret*innen praktisch von von der Club-Ebene auf Hallen-Ebene à la Swiss Life springen, von unter 100 auf über 1.000. Das gibt es ganz, ganz selten. Und selten ist das, wenn es geschieht, wirklich nachhaltig. Für eine nachhaltige organische Entwicklung hat man am besten eine 250er Halle und dann eine 500er Halle. Und dann kannst du gucken, ob du dich auf der Größe über 1.000 etablierst. Und wenn du diese Möglichkeit nicht in der Stadt hast, fehlt dir einfach dieser Entwicklungsschritt. Beispielsweise Serpentin und Michèl von Wussow, eine Künstlerin und ein Künstler hier aus Hannover: Die kommen in die Reichweite dieses Schrittes. Und in Hannover mit der eigenen Bubble hat man die Chance, eben mal so eine 500er-Größe oder auch 350 Leute in der Halle des MuZes zu bespielen. Das ist ein krasses Publikum und das musst du lernen: Wie bespiele ich so ein Publikum? Das geht am besten zu Hause. Das hätte dann einfach gefehlt, um den nächsten Schritt zu machen. Und insofern: Ja – auch wenn es etwas abstrakt ist –, die Swiss Life Hall hätte Nachwuchssorgen, was hannoversche Acts betroffen hätte. Die Berliner, die Hamburger kommen immer. Aber wir wollen ja Hannover auf die deutsche Popkarte bringen. Das muss unser Antrieb sein, damit eben nicht auch immer alle, die hier großes Potenzial und Talent beweisen, irgendwann nach Hamburg und Berlin ziehen müssen, um den nächsten Schritt zu gehen. Deshalb muss dieser Block hier ein Hub werden, wo wir auch mehr noch Bookings und Labels und und Vertriebe hinkriegen, die das alles mit nach vorne bringen.
MT: Das sollte auch der Anspruch von Hannover als UNESCO City of Music sein, also dass wir dieser Hub werden und dass ggf. die Leute aus Hamburg oder Berlin hierhin ziehen, weil die Musikszene hier total aktiv ist. Das sollte auch ein Ziel von Hannover als Musikstadt sein. Und um die Leute hier zu halten oder sogar anzuziehen, ist ist so eine Hallengröße einfach total wichtig.
Wenn man das jetzt so hört, stellt sich ja die Frage, weshalb sich so ein Prozess zur Abwendung des Verschwindens des MuZes so zieht …
VW: Das ist ganz einfach: Was das kostet! Geld, das wir, das das MuZe, das die Stadt nicht hat. Wir alle haben eine Pro-Kopf-Verschuldung von über 1.000 Euro. Und jetzt ist gefordert, aufgerundete 10 Millionen Euro in die Hand zu nehmen und hier ein Areal zu kaufen. Das Geld ist einfach nicht da. Das kann man umrechnen in zu schließende Schwimmbäder und Stadtbibliotheken. Das kann man so hart sagen. Und natürlich muss dieser Entscheidungsprozess schmerzhaft langatmig und penibel in den politischen Gremien durchdiskutiert werden, mit allen Fürs und Widers. Das muss so sein, das geht gar nicht anders.
MT: Man muss auch bedenken, dass das Ganze dann ja auch quasi inmitten eines eines Koalitionsbruchs passiert ist.
VW: Der aber letzten Endes geholfen hat.
MT: Das stimmt. Aber auch das verlängert natürlich die ganze Debatte. Und es ist so oder so schon viel Geld – das aber innerhalb von Haushaltskürzungen zu machen, bringt halt viele Diskussionen mit sich. Wir haben da ganz viel Unterstützung von den Kolleg*innen aus der Wirtschaftsförderung bekommen und auch von denen aus dem Kulturbereich. Das war immer ein großes Abwägen. Wir haben Pläne, Tabellen und Kalkulationen erstellt und das dann mit der Wirtschaftsförderung besprochen – und dann sind wir mit den Plänen zum Kulturbereich gegangen. Das sind sehr unterschiedliche Blickwinkel auf die Situation. Und da dann eine Überschneidung zu finden, dass beide – und natürlich auch wir – sagen: „Das ist realistisch, was wir hier uns gerade ausdenken. In der Form kann es funktionieren.“ Das hat einfach sehr viele Gespräche und Zeit gekostet. Und danach mussten die ganzen Beschlüsse noch in die Verwaltung.
Und jetzt ist die Zukunft aber auf lange Sicht auch gesichert?
MT: Genau. Der Beschluss ist, dass wir einen Erbpacht-Vertrag kriegen. Der soll ab dem 1. Januar 2025 gelten. Die Stadt hat die Hälfte der Summe an den Eigentümer überwiesen, die andere Hälfte gibt es, nachdem ein paar Dinge auf dem Gelände gelöst sind: Es gibt hier noch Altlasten, einen Ölfilm in der Ecke auf dem Grundwasser. Der muss erst noch vom jetzigen Eigentümer entfernt werden. Wenn das abgeschlossen ist, bezahlt die Stadt die restliche Hälfte. Und wir kriegen nun die ersten Fassungen des Erbpacht-Vertrages. Und so ein Vertrag läuft üblicherweise etwa 30, 50, manchmal sogar 99 Jahre. Auf jeden Fall ist langfristig gesehen dieser Standort gesichert.
Wenn es einfach ein langer Abwägungsprozess ist: Wie hoch ist der Druck, den man von der Presseseite aus erzeugen kann?
VW: Spannende Frage.Meine These ist, dass wir gar nichts erzeugt, sondern eine Stimmung in der Stadt gespürt, aufgegriffen und in einer gewissen Feedbackschleife verstärkt haben. Im Grunde genommen ist das eine Geschichte, die sich selber erzählt. Und wir mussten da nicht Druck erzeugen, sondern Druck ist in dieser Geschichte intrinsisch. Ich möchte beispielhaft auch auf Matze, den Rapper von Passepartout, verweisen, der binnen weniger Stunden mit einem Freestyle am Start war. Und innerhalb von 24 Stunden hat der auf Instagram fünfstellige Zugriffszahlen. All das hat dazu beigetragen. Da greift – wie beim Fußball in der sogenannten aktiven Fanszene – der Rausch der Wirksamkeit. Wir alle sind kleine Rädchen im Getriebe der Stadtgesellschaft, und plötzlich hast du in einer Situation das Gefühl: „Hoppla, hier können wir wirklich was bewirken.“ Hier ließ sich tatsächlich dieses Unvermeidbare, das, was eigentlich passieren müsste, vermeiden. Das erzeugt einen Sog. Das ist, wenn man die Stadt als kollektive Entität versteht, eine soziale Skulptur, wie Soziologen und Künstler sagen; und davon möchte man Teil sein.
MT: Ich glaube auch, dass die Presse da eher als Katalysator dieser Stimmung gedient hat. Wir haben es ja intern lange zurückgehalten und sind dann irgendwann damit an die Öffentlichkeit gegangen – und wir wir hätten vielleicht auch irgendwann diese Energie erzeugen können, aber es wäre nicht so schnell gegangen. Und das Tempo war essenziell wichtig, weil wir nicht mehr viel Zeit hatten, das alles zu klären.
VW: Und wir haben nicht zu vergessen, dass plötzlich auch die Politik gemerkt hat: „Hoppla, wenn ich mich an die Spitze von diesem Ding setze, gewinne ich Profil und sammele da Credits.“ Plötzlich waren also auch Anzugträger dafür, das MuZe zu retten, was ja nicht unbedingt vorherzusehen war.
Das ganze Prozedere wird ja einige Energie verschluckt haben. Wo steckt ihr die beim MuZe nun rein. Gibt es besondere Pläne oder Ideen?
MT: Ja, auf jeden Fall. Ab dem 1. Januar sind wir mit dem Vertrag ja in einem sogenannten eigentumsähnlichen Verhältnis und da können ganz anders agieren und die Halle und das Verwaltungsgebäude noch auf ein ganz anderes Level bringen. Wir haben mittlerweile auch acht Immobilien: Das ist ein ganz großer neuer Punkt, wo wir viel Energie reinstecken werden.Aber wir haben auch wieder viel mehr Kapazität, um Projekte zu machen. Wir würden sehr gerne mal wieder ein bisschen mehr in die Thematik Jugendarbeit einsteigen. Da sind wir natürlich dabei mit diversen Projekten wie BAM, dem Jugendmusiktheater und dem Rockmobil. Aber in die ganz junge Sparte – als auch in die ganz alte Sparte – würden wir gerne mal wieder mit einem Projekt reingehen. Und da werden wir auf jeden Fall auch noch Energie investieren. Und wir wollen unseren Probebühnenbetrieb gerne ausbauen. Also wir haben die Möglichkeit für professionelle Musiker, ihre Tour hier mit allem drum und dran zu proben. Die buchen sich dann für eine Woche hier ein – und das wollen wir ein bisschen forcieren. CK

