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Die aufgehetzte Republik (Titel 2024-06)

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Die aufgehetzte Republik (Titel 2024-06)


Warum Gewalt Konjunktur hat

Spätestens seit den Attacken auf den sächsischen Europaabgeordneten der SPD Matthias Ecke sowie einen Wahlkampfhelfer der Grünen in Dresden wird lautstark diskutiert in Deutschland. Wobei sich natürlich alle einig sind, „dass Gewalt gar nicht geht“. Und schon mal überhaupt nicht, wenn sich die Gewalt gegen Ehrenamtliche richtig, die auf der lokalen Ebene die Basis unserer Demokratie bilden. Gefordert werden nun natürlich schnelle und harte Maßnahmen gegen die Gewalttäter. Und mal wieder wird konstatiert, dass Deutschland nicht erst seit diesem Vorfall, sondern bereits seit Jahren einen beunruhigenden Trend erlebt, eine zunehmende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft. Diese Entwicklung zeigt sich in verschiedenen Bereichen, von politisch motivierten Straftaten über alltägliche Gewalt im öffentlichen Raum oder in den Schulen bis hin zu extremistischen Anschlägen. Was ist da bloß passiert in Deutschland? Was ist da verrutscht? Warum diese Gewalt?

Was die extremen Rechten angeht, ist die Antwort denkbar einfach: Wer Angst hat, engagiert sich nicht. Wer sich nicht mehr auf die Straße traut, klebt keine Plakate. Es geht also schlicht um die Einschüchterung des politischen Gegners. Menschen ziehen sich vorsichtshalber aus der Politik zurück. Das Feld wird allmählich dem vermeintlich Stärkeren überlassen. Was die extremen Linken angeht ist es übrigens ganz genauso. AfD-Wahlplakate sind ein beliebtes Ziel und auch verbale und körperliche Übergriffe sind an der Tagesordnung. Beides ist nicht zu rechtfertigen. Gewalt hat in einer Demokratie unter keinen Umständen etwas zu suchen – auch wenn man solche Aktionen gegen Mitglieder der AfD zunächst vielleicht sympathisch, nachvollziehbar oder sogar unterstützenswert findet. Spätestens auf den zweiten Blick sollte man sich eines Besseren besinnen. Gewalt ist an den politischen Rändern ein durchaus probates Mittel, um Ziele zu erreichen, sie gehört zur Strategie, Gesellschaften zu beeinflussen. Diese Strategien müssen darum mit Nachdruck abgelehnt und bekämpft werden. Was allerdings verwundert: Nicht allein extreme Rechte und Linke werden übergriffig. Vermehrt rasten inzwischen auch die Normalos aus, die man eben noch zur Mitte zählen durfte. Es scheint reichlich Druck auf dem Kessel zu sein.

Die Eskalation der Gewalt hat dabei viele Ursachen, die tief in den sozialen, politischen und kulturellen Strukturen unseres Landes verwurzelt sind. Einer der Hauptgründe für die zunehmende Gewalt in Deutschland ist ganz sicher die wachsende soziale Fragmentierung. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Kluft zwischen verschiedenen sozialen Gruppen deutlich vergrößert. Dies betrifft sowohl ökonomische als auch kulturelle Aspekte. Während die wirtschaftliche Ungleichheit zunimmt, fühlen sich viele Menschen von den politischen und gesellschaftlichen Eliten abgehängt und marginalisiert. Diese Ungleichheit schafft ein Klima der Frustration und des Ressentiments, was die Gewaltbereitschaft fördert. Menschen, die sich in ihrer Existenz bedroht fühlen oder die keine Perspektiven für eine bessere Zukunft sehen, sind anfälliger für extremistische Ideologien und Gewalt. Sie werden gerne mal zu Angstbeißern. Und das betrifft inzwischen längst nicht mehr nur sozial benachteiligte Gruppen, sondern auch Teile der Mittelschicht, die sich durch die Globalisierung, den technologischen Wandel, aber auch durch Kriege oder Naturkatastrophen zunehmend bedroht fühlen. Auf dieser Klaviatur der Ängste lässt sich natürlich wunderbar spielen.

Eine weitere Rolle bei der Zunahme der Gewalt spielen die Medien. Sowohl die traditionellen Medien als auch die neuen Medien konkurrieren um die Werbeetats der Unternehmen. Und Unternehmen überzeugt man mit Reichweite. Darum werden Überschriften heute so kreiert, dass sie eine möglichst große Zahl an Zugriffen provozieren. Ob die Botschaften dabei noch den Tatsachen entsprechen, tritt gerne mal in den Hintergrund. Bereits mit den Überschriften wird polarisiert. Wir erleben diese Tendenzen inzwischen sogar bei den Öffentlich-Rechtlichen, die allerdings für viele Menschen als Informationsquelle ohnehin längst ausgedient haben, gelten sie doch als vom „System“ bezahlt und darum wahrscheinlich manipuliert.

Keine kleine Rolle bei der Meinungsbildung spielen natürlich auch die sozialen Netzwerke. Sie dienen vielen Menschen mittlerweile als einzige Informationsquelle und haben ganz erheblichen Einfluss. Besonders problematisch ist dabei die Tendenz der Medien, Gewaltakte übermäßig zu dramatisieren und zu skandalisieren. Das führt zu einer verstärkten Wahrnehmung von Bedrohung und Unsicherheit in der Bevölkerung, obwohl die tatsächliche Bedrohung im Zweifel gar nicht zugenommen hat. Was ganz am Ende der Sensationsjournalismus und die sozialen Netzwerke noch nicht schaffen, das erledigen ganz am Ende verlässlich die Fake News. Ängste und Vorurteile werden immer weiter befördert, bis sich die Realitäten tatsächlich verschieben. Es wird kopiert und nachgeplappert, was ins eigene Weltbild passt. Garniert man das Ganze dann noch mit ein bisschen Hassrede und Extremismus, dann ist irgendwann angerichtet. Menschen radikalisieren sich, die Gewaltbereitschaft steigt.

Das Muster ist dabei immer ähnlich. Zuerst verändert sich die Sprache. Und Vermutungen werden zu Gewissheiten. Dann ist die EU das Schlimmste, was Deutschland je passieren konnte, man darf gar nichts mehr sagen, Gendern zerstört die deutsche Sprache, die Jugend ist kollektiv faul, Bürgergeldempfänger ebenfalls, die Grünen sind eine Verbortspartei, die wollen Urlaubsflüge und das Auto verbieten, Polizisten sind alle rechts, die Flüchtlinge ziehen uns das Geld aus der Tasche, Deutschland tut mehr für Fremde als für die eigenen Leute, junge Politikerinnen und Politiker haben alle noch nie richtig gearbeitet, in deutschen Gefängnissen sitzen überwiegend ausländische Straftäter, vegane und vegetarische Ersatzprodukte sind alle mit Chemie verseucht, queer sein ist ein Trend, der irgendwann auch wieder vorbeigeht und viele Frauen fühlen sich als Hausfrauen und Mütter sehr wohl. Man möge sich aussuchen, was auch immer passt.

Und wie reagiert auf all das nun die Politik? Sie polarisiert. Der politische Diskurs wird immer aggressiver und konfrontativer. Statt konstruktiver Debatten dominieren persönliche Angriffe und Verunglimpfungen. Und natürlich glänzt hier besonders die AfD. Aber sie glänzt nicht allein. Auch die CDU/CSU teilt gehörig aus, teilweise ohne jede Achtung vor dem politischen Gegner. Wenn beispielsweise Markus Söder davon spricht, dass sein Hund „Molly“ im Gegensatz zu SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang eine Ausbildung habe, dann kann es flacher kaum noch werden. Friedrich Merz ist ebenfalls kein Kind von Traurigkeit, wenn es darum geht, einen billigen polemischen Punkt einzufahren. Und einem Jens Spahn scheint inzwischen fast alles recht, um den politischen Gegner zu diskreditieren. Wenn er zum Beispiel beim Thema Atomausstieg nun ständig von alternativen Fakten spricht, die man geschaffen habe, dann schafft er ganz nonchalant sehr wahrscheinlich alternative Fakten. Die Achtung vor dem politischen Gegner scheint in Deutschland mehr und mehr aus der Mode zu kommen. Eigentlich war es stets Konsens, sich bei aller Streiterei doch immer mit einem gewissen Respekt zu begegnen. Davon ist kaum noch etwas übrig. Das alles schafft ein Klima der Intoleranz und Feindseligkeit. Die Grünen? Man darf sie hassen. Man darf sie gefährlich finden. Es liegt ziemlich nahe, dass man sich entsprechend auch wehren darf gegen die schrecklichen Grünen, die alles verbieten wollen.

Also wehrt man sich. Und belässt es nicht bei „harmlosen“ Galgen, die man mit dem Traktor durch Deutschland kutschiert. Man bedrängt, man nötigt. Und irgendwann wird dann auch zugeschlagen. Was wiederum andere dazu animiert, ebenfalls zuzuschlagen. Die Gewaltbereitschaft steigt. Die Gesellschaft wird zunehmend dünnhäutiger.

Wie kommt man nun dagegen an? Zumal in einer Zeit, in der der vorherrschende Trend noch von außen befördert wird? Was könnte beispielsweise für Russland besser sein, als eine deutsche Gesellschaft, die immer gespaltener ist, die sich mehr und mehr selbst zerfleischt? Bereits heute gibt es tagtäglich Versuche der Einflussnahme. Und mittels KI wird sich das noch massiv verstärken in den kommenden Jahren. Wie werden wir als Gesellschaft resilient? Da gäbe es einen ganzen Katalog.

Bildung ist natürlich ein Schlüssel, insbesondere Medienkompetenz und natürlich die politische Bildung, um das Verständnis für demokratische Werte und Prozesse zu fördern. Dazu sind aber auch nicht nur präventive, sondern auch repressive Maßnahmen notwendig, um der Gewalt entgegenzuwirken. Wie wäre es beispielsweise mit einer tatsächlich konsequenten Strafverfolgung und einer vollen Ausschöpfung des Möglichen bei den Strafen. Es braucht klare Signale in die Gesellschaft, dass Gewalt absolut nicht toleriert wird.

Wichtig bleibt dazu, was wir in Deutschland glücklicherweise noch haben: Eine Vielzahl an Initiativen und Organisationen, die sich für Toleranz, Integration und den gesellschaftlichen Dialog einsetzen. Sie können durchaus Brücken bauen und dazu beitragen, Spannungen abzubauen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Besonders wichtig ist dabei das Engagement auf lokaler Ebene. In Städten und Gemeinden können Bürgerinitiativen und lokale Vereine einen direkten Einfluss auf das soziale Klima nehmen und dazu beitragen, dass Konflikte frühzeitig erkannt und entschärft werden. Diese Graswurzelbewegungen sind oft weitaus effektiver als nationale Programme.

Aber all das zusammengenommen wird es noch nicht wieder richten. Letztlich liegt die größte Verantwortung wohl bei der Bundespolitik. Wenn es nicht bald gelingt, unter Demokraten wieder einen anderen Stil miteinander zu pflegen, dann wird das Problem künftig eher noch größer werden. Man sollte sich in Berlin dieser Verantwortung unbedingt bewusst sein, in der Regierung, aber auch in der Opposition.

 ● LAK

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Ein letztes Wort im Juni

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Ein letztes Wort im Juni


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Stephan Weil (r) und Lars Kompa (l)

Herr Weil, wir führen unser Interview knapp einen Monat vor der Europawahl, der Wahlkampf läuft auf Hochtouren. Und die Stimmung ist aktuell teils ausgesprochen aggressiv, Politikerinnen und Politiker werden angegriffen, während sie ihre Plakate aufhängen wollen, es gibt Diffamierungen und Übergriffe auf allen Ebenen. Wir lesen und hören eigentlich jede Woche von Gewalttaten. Der sächsische Europa-Abgeordnete Matthias Ecke ist sogar krankenhausreif geschlagen worden. Was macht das mit Ihnen ganz persönlich? Haben Sie bei öffentlichen Auftritten jetzt neuerdings ein mulmiges Gefühl?
Nein, mit mir persönlich macht das relativ wenig, weil Ministerpräsidenten ja gut geschützt sind. Aber ich weiß, dass zum Beispiel Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker immer wieder beleidigt und bedroht werden und die haben keinen solchen Schutz, wie ich ihn habe. Oder denken Sie an Einsatzkräfte von Rettungsdiensten, da gab es zuletzt leider auch in Niedersachsen wieder Meldungen über Angriffe – das sind Nachrichten, die gehen auch mir unter die Haut.

Wie geht’s denn Ihrer Security-Mannschaft bei Ihren öffentlichen Auftritten? Sie sind ja niemand, der den Leuten aus dem Weg geht. Für Ihr Sicherheitsteam ist es gerade Stress pur, oder?
Nun, das müssten die Personenschützerinnen und Personenschützer des LKA eigentlich selbst beantworten. Grundsätzlich hat jeder Beruf seine Risiken. Gleichwohl haben wir in Niedersachsen sicherlich andere Verhältnisse, als sie uns aus Sachsen berichtet werden. Nach dem Anschlag auf Matthias Ecke ist ja bekannt geworden, dass dort nahezu täglich Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer drangsaliert werden und welche bedrohliche Atmosphäre dort im Wahlkampf herrscht. Das ist schwer erträglich, zum Glück gibt es in dieser Hinsicht doch deutlich bessere Verhältnisse in Niedersachsen.

Ich stelle es mir nicht so einfach vor, bei all dem, was so passiert, keine Angst zu bekommen, also standhaft zu bleiben und nicht zurückzuweichen, und das vor allem auf der lokalen Ebene. Übergriffe gab es auch in der Vergangenheit, aber das alles erreicht gerade ein neues Level. Und die ehrenamtlichen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer haben – wie sie eben gesagt haben – keine Security …
Ja, das ist auch der Teil, der mir wirklich große Sorgen macht. Unsere politische Ordnung geht ja davon aus, dass am Ende das Volk entscheidet und die Parteien an der Willensbildung des Volkes mitwirken. Dies tun sie durch viele ehrenamtlich engagierte Menschen, die in Wahlkämpfen mithelfen. Wenn es die nicht mehr geben würde, dann würde unsere Demokratie großen Schaden nehmen. Hinzu kommt: Wir brauchen auch engagierte Personen, die für Mandate kandidieren wollen, wenn es etwa bei Kommunalwahlen um die Besetzung von Ortsräten, Räten und Kreistagen geht. Wirklich besorgniserregend finde ich, dass viele Angriffe, von denen wir hören, nicht spontan passieren, sondern diese auch geplant sind. Menschen, die sich für unsere Gesellschaft einsetzen, sollen eingeschüchtert werden. Das werden und dürfen wir nicht zulassen. Solche Angriffe sind ein Anschlag auf unsere Demokratie!

Mich erinnert das tatsächlich an sehr dunkle Zeiten in Deutschland. So ähnlich hat es damals angefangen.
Naja, ganz so schwarz würde ich das nicht sehen. Richtig ist, dass der Ton und das Klima wesentlich rauer geworden sind in der politischen Auseinandersetzung. Gleichzeitig hatten wir aber zu Beginn dieses Jahres riesige Demonstrationen, bei denen wir gesehen haben, dass wirklich eine breite Mehrheit der Gesellschaft hinter unserer Demokratie steht und beispielsweise auch Gewalt ablehnt. Umgekehrt darf man aber auch nicht die Augen davor verschließen, dass nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Stimmungslage in der Bevölkerung, fast 13 Prozent der Befragten gesagt haben, sie würden der Aussage voll oder eher zustimmen‚ dass manche Politikerinnen und Politiker sich nicht wundern dürften, wenn es dann auch mal zu Gewalt käme – vor zwei Jahren war diese Zustimmung wesentlich geringer. Das zeigt, dass tatsächlich die Temperatur angestiegen ist. Wir müssen das sehr ernst nehmen, aber ein Vergleich mit der Weimarer Republik erscheint mir übertrieben.

Ich habe neulich versucht, jemandem zu erklären, dass aus meiner Sicht solche Angriffe nie in Ordnung sind. Dass also auch Übergriffe und körperliche Angriffe Richtung AfD nicht in Ordnung sind. Helfen Sie mir mal, diesen Standpunkt zu begründen …
Das ist relativ einfach: Unsere Demokratie beruht darauf, dass wir miteinander streiten, aber mit Argumenten und ohne Gewalt. Dieser Grundsatz gilt für alle und damit auch für die AfD. Und deswegen habe ich kein Verständnis gegenüber Gewalt an AfD-Mitgliedern. So sehr ich diese Partei politisch bekämpfe – auch deren Mitglieder haben einen Anspruch darauf, dass sie ihrer politischen Tätigkeit ohne Angst vor Gewalt nachgehen können.

Eine Demokratie muss also auch die Feinde der Demokratie aushalten, solange die sich im Rahmen der Verfassung bewegen. Das scheint aber zunehmend eine Herausforderung zu sein. Die Demokratie erlebt Druck vom linken und rechten Rand und neuerdings wird auch noch ein Kalifat gefordert. Mir kommt es so vor, als ob immer mehr Menschen unserer Demokratie nicht mehr viel abgewinnen können.
Richtig ist leider, dass das Vertrauen in die demokratischen Institutionen gesunken ist – das wissen wir auch aus Forschungsstudien und das ist ein Punkt, der uns allen Sorgen machen muss. Dennoch steht die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft unverändert zu unserer Demokratie, bei allen Macken, die diese auch haben mag – niemand wird behaupten, dass unser politisches System fehlerfrei wäre. Wie bereits erwähnt, kommt es vor allem darauf an, dass die Demokratinnen und Demokraten sich zeigen und deutlich machen: Wir sind viel, viel mehr und wir lassen nicht zu, dass das Klima durch deutlich kleinere, radikale Gruppen dominiert wird. Das ist etwas, was ich mir nicht nur wie am Jahresanfang bei Demonstrationen wünsche, sondern was das ganze Jahr durchgängig in unserer Gesellschaft präsent sein sollte.

Überzeugen Sie mal mich, in die Politik einzusteigen. Keine Angst – nur theoretisch.
Schade eigentlich! Sie würden eine Menge mitbringen, Herr Kompa. Es ist eigentlich relativ einfach. Ich bin seinerzeit in die SPD eingetreten, als mir klar wurde, dass punktuelles Engagement für ein Thema oder eine Sache sehr wertvoll ist, aber am Ende des Tages lebt eine Demokratie davon, dass auch dauerhaft Verantwortung übernommen wird. Man kann Parteien mit Fug und Recht kritisieren, einstweilen haben wir aber kein besseres Modell, wie diese dauerhafte Verantwortung organisiert werden soll. Parteien sind extrem davon abhängig, dass sie der Ort sind, wo sich viele Bürgerinnen und Bürger engagieren und sich einbringen. Wenn das nicht geschieht, dann trocknet die Demokratie gewissermaßen von unten aus. Deshalb wünsche ich mir ein großes Engagement und würde mich selbstverständlich auch über den Kollegen Kompa sehr freuen.

Sind Sie auch für härtere Strafen, angesichts der Übergriffe? Das wird ja jetzt vielfach gefordert.
Nun, die erste reflexhafte Reaktion ist häufig die Forderung nach härteren Strafen, meistens ist damit ein größerer Strafrahmen gemeint. Aber der Strafrahmen ist häufig gar nicht entscheidend, sondern die Strafe im Einzelfall. Unsere Justizministerin Kathrin Wahlmann hat, wie ich finde, einen sehr klugen Vorschlag gemacht: Bei den Strafzumessungsgründen, die wichtig für die konkrete Strafe sind, soll eine demokratiefeindliche Gesinnung mit berücksichtig werden. Das finde ich ausdrücklich richtig. Angriffe auf die Demokratie müssen auch durch spürbare Strafen geahndet werden – das gehört zu einer wehrhaften Demokratie.

Es wäre doch jetzt eigentlich an der Zeit, verbal abzurüsten und zu deeskalieren, oder? Aber wenn ich mich in der Politik so umsehe, habe ich da wenig Hoffnung. Inzwischen polemisieren auch bürgerliche Parteien der Mitte, was das Zeug hält. Ein echtes Spiel mit dem Feuer …
Dieses Risiko sehe ich auch. Es ist interessant, wenn man sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster anschaut bezüglich der Verfassungsschutzmaßnahmen gegen die AfD. Darin gibt es rauf und runter Zitate, die die Stimmung anheizen und insbesondere auch die Ausländerfeindlichkeit dieser Partei zum Ausdruck bringen.

Wenn man will, dass das Klima sich ändert, dann muss man zunächst bei sich selbst beginnen und vielleicht mal statt der knackigsten, zugespitzten Formulierung die sachlichere Variante wählen. Ich gebe mir da große Mühe und finde das auch angemessen. Ich würde mich sehr freuen, wenn alle Menschen in der Politik – egal aus welchen Parteien – endlich mal aufhören würden immer die maximal griffigste Formulierung zu wählen, die häufig auch verletzend ist und häufig auch schlichtweg falsch ist – auch das würde unserer Demokratie guttun: Streit in der Sache, aber in einem vernünftigen Ton.

Interview: Lars Kompa

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Im Interview: Christoph Platz-Gallus, Direktor des Kunstvereins Hannover

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Im Interview: Christoph Platz-Gallus, Direktor des Kunstvereins Hannover


Christoph Platz-Gallus
Photo: Marija Kanizay

Bevor wir über die aktuelle Ausstellung sprechen, zuerst ein Rückblick. Du bist im Frühjahr 2022 offiziell im Kunstverein gestartet. Wie waren damals der Start und die erste Zeit und wie würdest du deine ersten zwei Jahre resümieren?

Da war damals zuerst ein kleiner Spagat. Ich habe zu der Zeit noch beim „steirischen herbst“ gearbeitet, das ist ein interdisziplinäres Festival für zeitgenössische Kunst in Graz. Und mir war wichtig, dass ich auch mein fünftes Jahr noch gut abschließe. Meine Familie war auch noch dort. Ich brauchte also einen gleitenden Übergang. Das hat mir der Kunstverein ermöglicht, und so habe ich hier in Hannover zuerst das Programm von Kathleen Rahn abgeschlossen. Sie hatte zum Beispiel noch Yuri Ancarani eingeladen, die Ausstellung war Ende 2022, die habe ich bereits kuratiert. Und 2023 konnte ich dann mit meinem Programm starten, mit neuer Visual Identity und Website. Und natürlich macht man dazu noch das Übliche, wenn man startet: Komplett umstellen, ausräumen, neu streichen, die Räume anders benennen und ihre Nutzung ändern (lacht).

Kannst du mal erzählen, was das bedeutet, so ein Haus zu übernehmen … Man steht plötzlich zwischen fremden Wänden. Wie wird man heimisch? Ich denke da zum Beispiel auch an die Vereinsstrukturen, die Mitarbeitenden. Wo findet sich was? Da gibt es doch sicher viele Gespräche.

Dankenswerterweise gibt es hier Mitarbeitende, die teilweise bereits über 20 Jahre dabei sind. Die sind so ein bisschen die Seele des Hauses, und wenn man dann herzlich und offen aufgenommen wird, macht es richtig Spaß. Man erfährt in den Gesprächen ganz viel, auch über die Historie, über frühere Direktorinnen und Direktoren. Die bleiben ja meist nur ein oder zwei Perioden, so arbeiten seit der Professionalisierung eigentlich die meisten Kunstvereine. Die Direktorinnen und Direktoren, die Programmierenden wechseln, aber die Basis bleibt. Das ist das, was ich an Kunstvereinen so schätze. Sie bewirtschaften durch bürgerliches Engagement den Boden, auf dem man arbeiten kann. Großartig! Auch dieser Non-Profit-Gedanke, das ehrenamtliche Engagement. Das sollten wir in unserer Gesellschaft sehr wertschätzen. In vielen Städten, wie in Hannover auch, ist der Kunstverein die älteste Kunstinstitution der Stadt.

Kunstvereine waren auch immer die Experimentierräume, aus denen heraus Neues entstanden ist.

Sie waren ein Gegenentwurf und Vorläufer der meisten Museen der Zeit. Wenn man in die Historie der Kunstvereine und auch gerade der des Kunstvereins Hannover eintaucht, dann findet man zum Beispiel gleich die große Retrospektive von Niki de Sait Phalle 1969, oder um nur wenige zu nennen: Robert Rauschenberg, Piero Mazoni, Yves Klein, Donald Judd, Bridget Riley, Jasper Johns oder auch natürlich Joseph Beuys – man muss das im zeitlichen Kontext verstehen: das Sprengel Museum in Hannover gab es noch nicht. Die meisten dieser Namen hatten in der Museumswelt zu der Zeit noch überhaupt keine Relevanz und gehören heute zum Kanon. Man kann sagen, dass die damalige Studierendengeneration die Kunstvereine als Plattform, als Forum und Agora begriffen hat, für Kunst und Politik, für politische Kunst. Da wurde viel geraucht und debattiert. Und es gab natürlich auf der anderen Seite eine eher bürgerliche Basis in den Vereinen, die plötzlich mit einem ganz anderen Kunstbegriff konfrontiert war. Irgendwann haben dann die Museen mehr und mehr die Aufgabe übernommen, aktuelle Diskurse und Positionen aufzunehmen, womit wiederum die Kunstvereine ein bisschen Profil eingebüßt haben. Kontextualisierung dieser Geschichte und dieser Geschichten ist für mich als Kunsthistoriker absolut spannend. Wir bauen hier gerade das Archiv professioneller aus, denn viele Mitglieder unseres Vereins sind nicht selten Zeitzeugen.

Hast du dich in Hannover auch gleich gut vernetzen können?

Es gibt eine sehr gute Vernetzung zwischen den großen Kunstinstitutionen, dem Sprengel Museum, der Kestner Gesellschaft und dem Kunstverein. Aber auch zu anderen Kulturpartner*innen und neuerdings vielen Vereinen und Initiativen, wie dem Ukrainischen Verein Niedersachsen, Unter einem Dach oder Artist-Run-Spaces. Dazu ist es ein Glücksfall, in diesem Haus das kommunale Kino und das Literaturhaus zu haben. Und das Schauspiel sitzt nebenan. Viel Kultur, in diesem Kreis bewegt man sich natürlich zunächst hauptsächlich. Und dann lernt man nach und nach auch anderes kennen. Wo bekomme ich Vinylplatten, wo gibt es den besten Kaffee …

Dein eigenes Programm ab 2023 fand ich bisher durchgehend sehr politisch. Habe ich da den richtigen Eindruck?
Falsch würde ich den Eindruck jedenfalls nicht nennen (lacht). Kunst ist immer politisch. Selbst Landschaftsmalerei ist politisch, wenn man sich anschaut, in welchem sozio-historischen Kontext sie entstanden und rezipiert worden ist. Wobei der Begriff „politisch“ aus meiner Sicht in letzter Zeit ein bisschen überstrapaziert und durch rechte Kräfte sehr negativ besetzt worden ist. Wir hatten hier im Literaturhaus neulich ein Gespräch mit Peter Laudenbach, der ein Buch geschrieben hat über die Strategien rechter Parteien, die Kultur zu beschädigen. Da wird dann beispielsweise behauptet, dass alle Theater linksversifft sind, dass es nur ein einseitig linkes Programm gibt. Und dass darum einerseits die finanzielle Unterstützung gekürzt werden müsse, und andererseits andere Inhalte und Themen zugelassen werden müssten. Insgesamt eine ziemlich perverse Verdrehung des demokratischen Gedankens der freien Meinungsäußerung. Weil es ja nicht stimmt, dass gewisse rechtskonservative Werte in der Kunst nicht aufgegriffen werden. Der Angriff auf die Kultur geht aber noch einen Schritt weiter. Da wird dann immer gerne gesagt, wir müssten in die Kindergärten investieren, statt in die Kultur. Natürlich müssen wir das. Aber wir müssen uns auch immer wieder gewahr machen, dass es gerade die Kultur ist, die den Menschen definiert. Und wenn die Kultur verlorengeht oder geraubt wird, verschwinden ganze Gesellschaften. Wir müssen da sehr genau hinsehen.

Bei deiner ersten Ausstellung im Kunstverein hast du die ukrainische Künstlerin Zhanna Kadyrova gezeigt. Auch eine politische Ausstellung …

Ja, eine erste Retrospektive von Zhanna Kadyrova, einer wirklich großartigen Künstlerin. Aber ja, es war eigentlich klar, dass mein Programm deutlicher politisch wird. Ich komme ja aus so einer Bubble von Großausstellungen und Biennalen. Und ich finde, diese Blase ist ein bisschen problematisch geworden in den letzten Jahren. Ich wollte gerne weg von diesen Durchlauferhitzern, die sich aufblähen, die wahnsinnige Ressourcenfragen stellen und wieder weg sind, oft ohne nachhaltige Effekte. Ich wollte in ein traditionelles Haus, das auf einem hohen Niveau operiert im Vergleich zu den großen Häusern agil ist und damit relativ spontan reagieren kann, nah am Zeitgeist, mit entsprechenden Einladungen in die Kunst. 2023 war dann auch kein Jahr mit einem großen Jahrestitel, es war geprägt von diesem Auftakt mit Zhanna Kadyrova, die übrigens gerade auf der Venedig-Biennale eine neue Installation gezeigt hat, eine große Orgel, gefertigt aus den Hülsen russischer Raketen, die auch gespielt werden kann.


Im Kunstverein gab es von Zhanna Kadyrova Brot.
Ja, es gab Brot aus Stein. Wir haben diese erste große Schau mit ihr im Kunstverein in Zusammenarbeit mit dem PinchukArtCentre gemacht, wo mein Vor-Vor-Gänger aus den 1990er Jahren, Eckhard Schneider, künstlerischer Gründungsdirektor war. Zhanna Kadyrovas ist in der Ukraine noch im UdSSR-Regime groß geworden und hat dann Geburt und Aufblühen der jungen Demokratie mitbekommen. Sie ist nach dem Angriff auf Kiew zuerst nach Deutschland geflohen, aber bereits nach zwei, drei Wochen nach Kiew zurückgekehrt. Zwischenzeitlich war sie auch in den karpatischen Gebirgen, wo sie diese Arbeit mit den Steinbroten entwickelt hat. Im Grunde war das eine Charity-Aktion, um ihre Leute zu unterstützen. Was aus diesen Ausstellungen verkauft wird, geht zu 100 Prozent in die Ukraine. Und die Künstlerin sagt ganz klar: Wenn ich davon Waffen kaufen könnte, würde ich das tun. Dafür reicht es aber nicht und sie ist eine Zivilistin. Sie kauft stattdessen etwa Armeestiefel für Leute, mit denen sie studiert hat und die jetzt an der Front sind.

Nach Zhanna Kadyrova kam dann die Doppelschau mit Simon Denny und Agnieszka Kurant.

Ja, mich hat diese Thema Technologie interessiert, gerade in Hannover. Die EXPO hatte ja dieses wunderbare Motto „Mensch, Natur und Technik – Eine neue Welt entsteht“, was für eine sehr Technologie-optimistische Zeit steht. Und heute sind wir angekommen bei Deepfakes und AI. Wir geraten da gerade in ganz neue Sphären. Es stellt sich immer wieder diese Fragen zwischen Moral und Technologie. Und Simon Denny und Agnieszka Kurant gehen beide auf eine ganz unterschiedliche Art und Weise kritisch mit der Technologisierung um.

Dann kam 2023 noch die Herbstausstellung, eine feste Größe im Ausstellungsplan, und ganz zuletzt Akinbode Akinbiyi.

Die Herbstausstellung ist ganz wichtig: hier können in festem Rhythmus regionale Künstler*innen ohne Altersbeschränkung Arbeiten für eine große Gruppenschau einreichen. Sie ist jedes Mal extrem gut besucht. Der Call für die Ausstellung 2025 geht bald raus. Akinbode Akinbiyi ist ein Künstler aus einer nigerianischen Familie, der in Oxford geboren ist und seit 30 Jahren in Berlin lebt. Er ist ein Jahr lang zwischen Hannover und Berlin gependelt und hatte immer seine analoge Kamera dabei. Er war auf dem Schützenfest, auf dem Maschseefest, er hat viel in der Fußgängerzone fotografiert, er war auch in Badenstedt im Afrikanischen Viertel, wo viele Straßennamen Klischees aus der Kolonialzeit bedienen. Er arbeitet analog, er entwickelt seine Fotos selbst. Und wir haben über 100 dieser neuen Schwarz-Weiß-Bilder gezeigt, von denen 90 aus Hannover waren.

In diesem Jahr gibt es nun auch eine Überschrift, sozusagen einen Jahrestitel.
Ja, „I hope this finds you well.“ Ich hoffe, das erreicht dich bester Dinge. Oder einfach ich hoffe, es geht dir gut. Das referiert natürlich auf den aktuellen Zustand, auf diese Polykrise, die wir erleben.

Es gab bis in den April noch die „Akademie der Lebenserfahrung Intensive“, darüber haben wir bereits im Stadtkind geschrieben. Und auch über die Installation im Treppenhaus von István Csákány „Haus ohne Adresse / House Without Address“, die noch bis Anfang 2025 zu sehen sein wird. Jetzt aber zur aktuell laufenden Ausstellung „The Myth of Normal. Vom Können und Gönnen“. Ich habe mal aufgeschrieben, wer dabei ist. Viele Namen: Panteha Abareshi, Manuela Bolegue, Jeamin Cha, Emilie L. Gossiaux, Itamar Gov, Nikita Kadan, Marcos Lutyens, Berenice Olmedo, Perel, Benoît Piéron, Peter Schloss, Finnegan Shannon, Julischka Stengele und Imogen Stidworthy. Eine ganze Fußballmannschaft, passend zur EURO 2024 …

Konzept ist, vor dem Hintergrund der UEFA EURO 2024, die im Juni und Juli Hochleistungskörper in den sportlichen Wettkampf schickt, künstlerische Perspektiven zur Wahrnehmung und Erfahrung von Vulnerabilität, von gerade nicht solchen Körpern, zu zeigen und damit Populärkultur und Hochkultur zusammenzubringen. Wir injizieren auch Künstlerfilme in die Public Viewings. Wir stören die Spiele nicht, aber wir werden in der Halbzeitpause einen künstlerischen Kurzfilm zeigen. Während auf dem Platz die Sportspitze kämpft, erzählen im Kunstverein etwa chronisch kranke Künstler davon, wie man Normen ändern kann. Und dazu werden auch Blindenreporter für sehbehinderte Menschen von Hannover 96 dabei sein und sieben der Spiele moderieren, was weit über die Radioberichterstattung hinausgeht. Vielleicht ist auch mal das Bild aus (lacht). Es geht um solche Perspektivwechsel, das haben wir auch ganz stark in der Ausstellung: dass die Perspektiven von Künstlerinnen und Künstlern mit Einschränkungen, mit Behinderungen, ganz andere Horizonte aufmachen. Dass nicht die Idee von Behinderung als Einschränkung dominiert, sondern Variationen von Mobilität und Wahrnehmung das vermeintlich „Normale“ in Frage stellen, ergründen und auffächern. Ich erlebe immer wieder, dass uns Leute erzählen, sie haben eine Blindenführung mitgemacht und die Dinge plötzlich ganz anders verstanden. Die Annäherung auch an die Kunst ist anders. Wir glauben, dass die Themen Inklusion oder Accessibility nicht eine Übersetzungsleistung oder Reduktion sind, sondern eine Erweiterung.

Das Normale ist also nur ein Mythos.

Es gibt diese These des ungarisch-kanadischen Arztes und Bestsellerautors Gabor Maté, dass das Konstrukt des „Normalen“ als gesellschaftliche Interaktion verstanden werden muss, die es von unten nach oben zu erneuern gilt. Also ja, das Normale ist nur ein Mythos und wir befördern mit der Ausstellung einen Perspektivwechsel. Darum diese Gruppenausstellung, um eine Multiperspektivität zu öffnen, um das alles zu verschränken, mal mit Humor, mit einer persönlichen Geschichte, aber auch mit einer Trauma-Erfahrung.

Machen wir mal einen kleinen Rundgang durch die Ausstellung.

Es sind 14 Positionen, von denen allerdings einige performativ sein werden. Das Projekt hat drei Teile, die Ausstellung, ein Performanceprogramm und den „KunstRasen“ – das kulturelle Public Viewing mit dem KoKi, der Cumberlandschen, und dem Literaturhaus. Aber zur Ausstellung: Es wird eine große Videoarbeit von Jeamin Cha gezeigt, einer koreanischen Künstlerin, die etwas zum Thema ausbleibender oder uneindeutiger Diagnosen macht, das häufig Frauen betrifft. Dann gibt es eine wunderbare Installation von Julischka Stengele, die sich mit Körperbildern, Stigmatisierung und der Leistungsgesellschaft beschäftigt. Marcos Lutyens setzt sich mit Körper und Geist über Neurologie und Spiritualität auseinander. Er hat in einer Klinik für Herz- und Schlaganfallpatient*innen zu Fragen der Therapie mit olfaktorischer und haptischer Erfahrung geforscht: Der Geruchssinn aktiviert etwa viel stärker Erinnerung, als es das Sehen macht. Hier gibt es in der Schau also auch viel zu ertasten und zu riechen. Wir haben Emilie L. Gossiaux dabei, sie hat gerade eine große Einzelausstellung im Queens Museum in New York. Sie macht Kunst mit ihrem Blindenhund. Die Künstlerin ist mit 16 Jahren aufgrund eines Unfalls erblindet und sie arbeitet viel über die Symbiose von Mensch und Tier als Erweiterung des Körpers.

Ein israelischer Künstler ist auch dabei.

Ja, Itamar Gov, der in Berlin und in Rom arbeitet. Er zeigt eine Arbeit zur Farbe Blau, eine große Farbtafel mit 100 Variationen von Blau, wobei eine Farbe fehlt, nämlich Preußischblau oder Berlinblau. Das ist das erste moderne, künstliche entwickelte Pigment, das vor 300 Jahren durch einen Zufall entstanden ist und in den Nürnberger Prozessen eine forensische Rolle spielte. Seine Arbeit thematisiert Zusammenhänge von individueller Wahrnehmung und kollektiver Erinnerung. Dann ist noch Berenice Olmedo dabei, die sich mit dem Optimierungsgedanken durch Technik innerhalb der medizinischen Welt auseinandersetzt, die also zum Beispiel mit Prothesen arbeitet. Ein zentraler Indikator der menschlichen Überlegenheit hängt wesentlich mit dem aufrechten Gang zusammen, den wir lernen müssen und auch wieder aufgeben. Und Benoît Piéron ist ein chronisch kranker Künstler, der wirklich wahnsinnig viel Lebenszeit in Krankenhäusern verbringt. Er arbeitet humoristisch zum Beispiel mit Bettlaken, die er zu Stofftieren umwandelt, oder macht aus einem Infusionsständer spielerisch eine bunte Lampe.

Ein paar fehlen noch …

Imogen Stidworthy ist dabei mit Filminstallationen zu Neglect- und Aphasie-Patienten. Dazu hat sie einige Zeit in einer Klinik in Göttingen geforscht. Eine sehr feinsinnige Video- und Audio-Installationen zu ganz individuellen Geschichten. Dann haben wir Peter Schloss, der Kunstwerke in Brailleschrift zeigt, die wir als meist Sehende nicht beherrschen. Wir brauchen also jemanden, der das übersetzen kann. Er hat aber auch eine Bodeninstallation entwickelt, die sich durch die Ausstellung zieht: ein Leitsystem für blinde Menschen und gleichzeitig eine konzeptuelle Bodeninstallation, die zu der Kunst führt, die man anfassen kann und auch zu Audiodeskriptionen per QR-Code. Und dann haben wir noch Nikita Kadan, ein ukrainischer Künstler, der mit so einer Prothese eine Geschichte eines Veteranen erzählt und der auch über die Nutzung von medizinischem Cannabis und anderen Opiaten als Versehrter in der Ukraine berichtet. Nicht zu vergessen ist Panteha Abareshi, eine junge Künstlerin aus L.A., die an Sichelzellanämie leidet, das ist eine Blutkrankheit. Sie braucht sehr viel Dialyse, weil permanent ihr System verklumpt. Sie zeigt einen Film mit dem Titel „Not a Body“, in dem sie sehr symbolhaft diese Kunststoffbänder zeigt, die wir sowohl im Kreißsaal als auch auf der Palliativstation kennen, sobald man als „Körperobjekt“ im Gesundheitssystem mäandert. Und bei den Performances geht es schließlich auch um Körperlichkeit, um Körperpolitik. Um Normen, die natürlich nur ein Konstrukt der Mehrheit sind. Wir leben in einer Welt der Stigmatisierung, denn die Behinderung liegt außerhalb der Norm und wird als eine extreme Einschränkung wahrgenommen; vor wenigen Dekaden hat man Menschen im Rollstuhl oder mit Neurodiversität nicht in der Öffentlichkeit gesehen. Und mittlerweile gibt es in einigen Supermärkten einen Tag der Stille und auch Menschen mit nicht diagnostizierten „Einschränkungen“ empfinden das als unglaublich erholsam. Das ist der Perspektivwechsel.

Und die Vorbereitungen auf 2025 laufen auch schon, richtig?

Ja, wir werden im Januar wieder Künstler aus der Ukraine zeigen. Es kommt momentan sehr viel hochqualitative Kunst aus der Ukraine. Wir haben beispielsweise zwei junge Filmemacher, die in den 90er-Jahren geboren sind, die zeigen unter anderem einen Film über ein systematisch ausgeraubtes Heimatmuseum in Cherson. Da geht es den russischen Aggressoren natürlich darum, die identifikatorischen Elemente zu zerstören, die durch die Kultur gestiftet werden. Es geht darum, die Geschichte auszulöschen. Wenn jemand sagt, Kultur, das sei doch nur so ein bisschen Kino und Theater, dann zeigt dieser Film, dass es ganz anders ist, dass es um einen extrem identifikatorischen Punkt geht. Kultur wird ja gerne als Luxus bezeichnet, womit dann auch Kürzungen gerechtfertigt werden. Sie ist de facto aber Lebensmittel.

● Interview: LAK

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Der Freundeskreis im Gespräch im Mai

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Der Freundeskreis im Gespräch im Mai


Dieses Mal waren wir mit dem neuen Vorstandsteam des Freundeskreises im Gespräch: Konstanze Beckedorf und Hajo Rosenbrock. Die beiden haben uns von ihren Plänen für die Zukunft des Vereins und von möglichen Herausforderungen erzählt.

Sprechen wir zu Beginn kurz darüber, wie ihr zum Freundeskreis und letztlich in den Vorstand gekommen seid…

Konstanze Beckedorf + Hajo Rosenbrock (c) Amanda Reich

KB – Ich bin während meiner beruflichen Tätigkeit als Dezernentin bei der Landeshauptstadt zum Verein gekommen. Die Satzung des Freundeskreises enthält Regelungen, dass der Verein auch jemanden aus einem Dezernat der Landeshauptstadt in den Vorstand berufen kann. Und als ich damals das Kulturdezernat übernahm, bin ich Beisitzerin im Vorstand geworden und bin das bis heute.

HR – Der Turn-Klubb Hannover ist schon lange Mitglied im Freundeskreis. Zunächst war ich als Geschäftsführung und Vorstand der TKH nur über den Verein dabei; war hin und wieder bei einer Versammlung und bin dann auch ehrenamtlich im Kuratorium gelandet. Im Oktober gab es einen Wechsel bei uns im Kuratorium und ich wurde gefragt, ob ich es mir im Sinne des Generationenwechsels vorstellen könnte, Kuratoriumssprecher zu werden. Es war für mich eine Ehre, das mit Konstanze machen zu dürfen. Und so kam es dazu, dass wir gesagt haben, wenn der Verein das auch so möchte, führen wir die Vorstandsgeschäfte in diesem Jahr fort. Seitdem sind wir ganz intensiv drin. Aber auch schon bevor wir Vorstand geworden sind, haben wir, ich glaube die letzten vier Monate, jede Woche jeder individuell ein paar Stunden mehr ehrenamtlich gewirkt, als man das so vorher dachte.

Und jetzt wollt ihr eine neue Ordnung reinbringen?

HR – Wir sind sozusagen gerade dabei. Dieser Verein hat ja viele Mitglieder – die auch gerne unsere Veranstaltungen besuchen. Und wenn ein Verein dann ca. 1.000 Mitglieder hat, dann sind da natürlich viele zur Unterstützung mit dabei. Da Vorsitzender und Geschäftsstellenleitung wechselten, gibt es jetzt viel zu tun …

KB – Es hat ja auch jeder seine eigenen Vorstellungen. Wir haben eine Form der organisatorischen Abläufe vorgefunden – insbesondere in der Geschäftsstelle – und sind nun erstmal dabei, uns einen Überblick zu verschaffen. Hajo macht das ja auch noch neben seiner Hauptberuflichkeit. Und wir haben halt schon so ein paar Punkte gefunden, bei denen wir sagen: „Nein, das würden wir eben gerne auch in den Abläufen einfach ganz anders organisieren und regeln.“ Aber wenn wir mal nicht mehr in der Verantwortung sind, dann werden das Nachfolgende wieder anders machen.

HR – Aber so eine, so eine Geschäftsstelle ist ja nicht das Thema, das nach außen ins Schaufenster gehört. Der Verein muss sich im Moment wieder nach innen neu strukturieren, damit er nach außen so glänzen kann, wie er gerne geglänzt hat. Bis Corona hat er ja auch lange sehr gut geglänzt, aber dann gab es sicherlich eine kleine Delle. Jetzt gibt es wieder tolle, schöne Veranstaltungen – aber der Bereich muss weiter ausgebaut werden: Wir wollen ihn themenmäßig ganz unterschiedlich ausbauen, da können wir gleich einmal drauf blicken. Und wir wollen unsere Mitglieder mitnehmen – und die Stadt, so wie sie ist. Gestern Abend hatte ich zum Beispiel ein Telefonat mit Steffi Eichel darüber, dass wir einen Lauf für die Demokratie machen wollen. Und jetzt überlegen wir, ob wir Anfang Juni einen Termin finden, an dem wir das machen können. Das ist ein Thema, wo wir beide bestimmt nicht gesagt haben: „Ende des Jahres oder nächstes Jahr wollen wir unbedingt einen Lauf der Demokratie machen“. Genauso haben wir am 31.12. nicht gesagt: „Wir wollen hier Demonstrationen für 35.000 Menschen veranstalten …“ Sondern das ist einfach passiert. Wir planen natürlich auch, das Ehrenamt ins Schaufenster zu stellen: andere Leute darin zu ermutigen, sich für diese Stadt einzusetzen – gerne auch im bürgerschaftlichen Engagement. Wir wollen vielen Strömungen aus Hannover eine Stimme geben, so wie es der Freundeskreis eigentlich schon immer gemacht hat: Wir bringen gerne Menschen zusammen. Wir organisieren auch gerne Dinge. Und an der Stelle kann man mit dem Freundeskreis eine Menge planen, wo Menschen zusammenkommen, die es vielleicht auch brauchen, dass andere etwas für sie organisieren. Und das tun wir gerne.

KB – Und wir haben eben beide unsere Netzwerke. Teilweise überschneiden sie sich, aber teilweise sind sie auch unterschiedlich: Ich war ja früher für Kultur, Soziales und Sport zuständig und habe natürlich aus dieser Funktion heraus unglaublich viele Leute in Hannover kennengelernt. Und Hajo über den Sport. Damit sind wir so breit aufgestellt, dass das für den Freundeskreis durchaus ein Gewinn sein kann.

HR – Und wir gehen auch mehr auf unsere Mitglieder zu als es in der Vergangenheit der Fall war, laden auch alle ein, mitzuarbeiten. Aber das Fundament muss gut gesetzt sein, damit die Zukunft auch unabhängig von uns beiden gut funktionieren kann.

KB – Und das merken wir jetzt auch. Die ersten Schritte sind getan. Hajo ist sehr kreativ, was neue Ideen und neue Projekte angeht. Ich zeige mich ein bisschen bei den Mitgliedern … und wir sind in den ersten Austausch mit den Mitgliedern gegangen, haben alle mit einem Mitgliederbrief informiert, der ein unglaublich positives Feedback bekommen hat. Und so ist genau der richtige Duktus. Es ist einfach erstmal wieder wichtig, dass die Menschen, die Mitglied im Verein sind, auch das Gefühl haben, dass sie gesehen werden – und dass ihre Mitgliedschaft durchaus wertgeschätzt wird. Also die Stimmung ist, glaube ich, ziemlich gut.

Das Feedback, das ihr bekommt, stellt euch also zufrieden?

HR – Ja, naja … Es gab ja eine sehr kontroverse Mitgliederversammlung. Es darf, soll und muss ja jeder unbedingt in Vereinsgremien seine Meinung sagen. Bloß: Themen aus der Vorvergangenheit mit Menschen zu besprechen, die damit gar nichts zu tun haben, war für mich ein bisschen befremdlich. Dinge, die jetzt nicht funktioniert haben, dort anzusprechen, das ist richtig. Aber nicht wahrnehmen zu wollen, dass Dinge jetzt gerade im Neuaufbau sind: das ist auch nicht vereinsfördernd. Also da war für mich persönlich die Mitgliederversammlung nicht unbedingt der motivationale Faktor nach vorne, dass ich mich jetzt hier ehrenamtlich total verdinge.

KB – Wir waren aber auch ein Stück weit selbst schuld, weil wir uns gegenüber den Mitgliedern positioniert haben. So fühlten wir uns dann sehr angesprochen, obwohl wir eigentlich wussten, dass wir gar nicht gemeint waren.

Aber umso schöner, wenn jetzt alles gut ist.

HR – Nun ist ja auch alles geklärt und der Übergang funktioniert dank der guten Zusammenarbeit mit Matthias Görn gut. Dennoch ist es viel Arbeit.

KB – Nein, es war auch in Ordnung, dass Kritik geäußert wurde. Und die Kritik, die geäußert wurde, die haben wir aufgenommen. Wir werden die Mitglieder, die diese Kritik geübt haben, aber auch in die Pflicht nehmen. Da kam durchaus der Wunsch: „Wir wollen mehr mit einbezogen werden, wir wollen uns aktiv beteiligen.“ Und das Angebot werden wir machen.

HR – Genau. Wir wollen, dass die Mitglieder eine größere Chance haben, sich zu beteiligen. Dazu werden wir auch ein Zukunftsforum – eine Zukunftswerkstatt oder ähnliches – im Laufe des Jahres bieten, bei dem Ideen, Wünsche und Kritik geäußert werden können. Haltung und Meinung unserer Mitglieder sind uns sehr wichtig.

Kommen wir zu den kreativen Ideen, die ihr angesprochen habt. Was können wir uns darunter vorstellen?

HR – Es gibt ja unterschiedliche Stufen. Erstmal gibt es die niedrig hängenden Früchte, die man relativ zügig umsetzen kann. Und dann gibt es natürlich mittel- und langfristige Dinge. Wir wollen einen Freundeskreis-Podcast machen – und haben mit Jan Egge Sedelies auch einen super Moderator gefunden; jemanden, der vom Fach mit dabei ist und bei uns gerne ehrenamtlich aktiv sein möchte. Dann gibt es ja unseren Stadtkulturpreis; aber wir wollen ein Format aufstellen, dass unabhängig davon Einblicke in die Stadt und die Menschen gibt – einfach eine Veranstaltung, bei der Hannoveraner*innen ihre Erfahrungen teilen. Wir denken an Köpfe, die man nicht so häufig in der Öffentlichkeit sieht. Vielleicht finden wir aber auch mal einen Schauspieler oder Musiker aus Hannover. Wir werden auch eine neue Homepage kriegen. Außerdem treffen sich die Freundeskreis-Mitglieder alle vier Wochen zum Frühstücken. Und wir haben uns gefragt: „Warum kann man das eigentlich nicht mal umdrehen und sagen, dass man auch mal alle vier bis acht Wochen abends was macht?“ Man könnte ja zum Beispiel bei Hannover Gin einmal durch den Keller bis nach oben gehen und eine Gin-Verkostung machen. Vielleicht gibt es auch mal eine Weinprobe. Also unterschiedliche Formate. Und – last but not least – als kurzfristige Sache: Wir denken über eine Freundeskreis-Party im Palo oder in der Baggi nach. Das betrifft eine ganz andere, vergleichsweise junge Zielgruppe. Es geht uns nicht darum, nur die bestehenden Pfade noch besser zu gehen, sondern auch mal rechts und links etwas auszuprobieren. Und wenn etwas nicht funktioniert, dann wird es sicherlich nicht wiederholt. Und wenn was richtig gut funktioniert, dann halt doch.

KB – Und dann darf man auch nicht vergessen, dass der Freundeskreis – das haben wir nicht zuletzt durch die Demo Ende Januar wieder gezeigt – für eine bestimmte Haltung zu den momentanen politischen und gesellschaftlichen Themen steht. Auch da werden wir natürlich weiterhin aktiv bleiben.

HR – Genau, das hatte ich vergessen: Was wir jetzt sofort umsetzen, ist eine Kampagne auf Social Media. Dort kann jeder sagen: „Ich wähle am 9. Juni Europa, weil …“ Und mit einem Testimonial wird ein Foto in eine Grafik von uns eingebettet, so dass wir ganz viele Gesichter – normale Gesichter, Vorbilder oder auch Politiker – zeigen und einfach Menschen darauf hinweisen, dass an dem Sonntag eine wichtige Wahl stattfindet. Ich glaube, zur EU-Wahl sind wir alle dazu aufgerufen, zumindest zu sagen: „Komm, geht wählen, schützt die Demokratie!“ Dieses demokratische Thema liegt uns beiden sehr am Herzen.

KB – Wir hatten am Samstag das Frühstück, von dem Hajo gerade sprach. Und da habe ich auch nochmals auf die Kampagne hingewiesen und habe gesagt, dass der Freundeskreis für eine bestimmte Haltung steht: für Demokratie, für Freiheit … Da hat man gemerkt, dass das auch einen unglaublichen Zuspruch findet. Und nochmals zum unterschiedlichen Altersspektrum: Den Freundeskreis gibt es seit mehr als 30 Jahren. Und es gibt Menschen, die von Anfang an Mitglied mit dabei sind. Aber genauso haben wir jüngere Mitglieder. Wir wollen die jüngere Generation jetzt gerne noch stärker ansprechen und neue Mitglieder dazugewinnen. Dafür brauchen wir auch ein entsprechendes Portfolio an Angeboten. Wer Lust hat, kann zum Frühstück kommen. Aber es ist eben so, dass das Frühstück eher eine Veranstaltung für die ältere Generation ist. Jüngere Generationen, die zum Beispiel Familien mit kleinen Kindern haben, die haben am Samstagmorgen um 9.30 Uhr schlichtweg keine Zeit zum Frühstück zu gehen. Das muss man mal ganz deutlich sagen. Aber die kommen vielleicht gerne zum Feierabend-Gin oder -Wein. Das so umzusetzen, dass sich alle gesehen und wertgeschätzt fühlen, dass sich alle damit identifizieren können: Das ist durchaus auch eine Herausforderung.

● CK/LD

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Stadtkinder essen: Das kleine Museum

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Stadtkinder essen: Das kleine Museum


Gefühlt seit immer, vielleicht sogar, seit Linden noch eine eigene Stadt war, gibt es das Kleine Museum. Glücklicherweise noch immer nicht weggentrifiziert, nicht Studi- oder Hipster- überlaufen und nicht zu einer Shishabar umfunktioniert, steht es wie eine Festung in der Grotestraße, Ecke Ahlemer Straße.

Innen ist es gemütlich bis putzig – mit einigem Erstaunen nehmen wir wahr, dass ein leibhaftiges Krokodil von der Decke baumelt – und zwar eines, das mal gelebt hat. Daneben sitzt ein ausgestopftes Wesen, bei dem wir bis zum Schluss nicht sicher sind, ob es sich um ein großes Marderexemplar oder um einen Vielfraß handelt, während über uns eine geschnitzte Schrumpfkopffigur mit fluffigen Haaren auf einem Regal thront. Ein Kuriositätenkabinett!
Die Deko ist eigenwillig, aber das war sie schon immer.

Anders ist: Seit einiger Zeit gibt es einen neuen Besitzer und somit eine neue Speisekarte. Im Kleinen Museum bezieht man sein Fleisch jetzt von der Nordseeküste, sei es das „Küstenswien“ vom gleichnamigen Lieferanten, als auch das hochwertige Rindfleisch von der Wagyu-Zucht Nordfriesland. Zumindest Letztere beliefert ansonsten auch die Yuppie-Edelhotels auf Sylt und in Sankt Peter Ording, schlecht wird‘s also nicht sein. Allerdings klingt die Speisekarte eher nach gehobener Südstadtküche als nach Linden – wir sind gespannt. Aber weil das Fleisch so weit gereist ist um uns zu sehen, wollen wir es nicht enttäuschen. Wir entscheiden uns aber weder für Wagyu-Gulasch noch für eine Wagyu -Roulade. Das fühlt sich irgendwie so an, als würde man Pavarotti bitten „Old MacDonald had a farm“ zu singen.

Batamog soll‘s geben – und zwar die Wagyu-Variante. Was irgendwie nach Vietnam oder Korea klingt, ist tatsächlich eine hannöversche Erfindung aus den 60ern. In der Urvariante besteht es aus Schweinemedaillons, mit Palmherzen belegt und einer Sambal-Hollandaise garniert.
Hier gibt es das mit Rindersteak, Bratkartoffeln und einem Beilagensalat (26,90€). Wir bestellen das Fleisch medium-rare und bekommen es auch ganz genau so. Hatten wir das zuvor schon mal? Keine Ahnung, aber die Freude ist groß, ebenso wie das Fleischstück. Dessen Qualität ist wirklich herausragend. In anderen Fällen hätten wir uns vielleicht ein Löffelchen mehr Sambal in der Sauce gewünscht, das ist hier nicht nötig – das Fleisch spricht für sich und alles andere wäre Ablenkung.

Auch das „Küstenswien Wiener Art“ kommt mit Salat und Bratkartoffeln (17,90€) und zudem, das sei an dieser Stelle ausdrücklich betont, mit perfekter Garnitur, bestehend aus Zitrone, Kapern und Sardelle. Hat man auch nicht alle Tage! Das Fleisch ist sehr zart (und groß! Groß ist es!) und die Panierung perfekt souffliert.
Dazu gibt es passende Weine (6,90€, 2dl) wie zum Beispiel einen sehr angenehmen Weißburgunder Riesling.

Mit aller Kraft futtern wir uns durch unsere Gerichte – zum Glück haben wir keine Vorspeise bestellt – und sind rundherum selig. Das gute Essen, das kullige Ambiente und der wirklich herausragend herzliche Service verlangen förmlich, dass wir bald wiederkommen. Machen wir auch. Machen wir ganz bestimmt!

Das Kleine Museum
Grotestraße 10
30451 Hannover
0511-21342930
www.daskleinemuseum.eatbu.com

www.facebook.com/KleineMuseum

www.instagram.com/daskleinemuseum_hannover/

● IH, Fotos Gero Drnek

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Der besondere Laden: Fahrradkontor

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Der besondere Laden: Fahrradkontor


Stadträder, E-Bikes und Zubehör – das und vieles mehr gibt es bei Fahrradkontor in der Oststadt. Seit über 40 Jahren steht das Geschäft mit angrenzender Werkstatt für Qualität, kompetente Beratung und Nachhaltigkeit. „Wir wollen in den Menschen die Lust aufs Radfahren auslösen und stärken“, betont Dennis Saß aus der Geschäftsführung.

Betritt man den Laden an der Ecke Kriegertraße/Spichernstraße, wird man nicht nur von dem freundlichen Verkaufsteam, sondern von einer großen Auswahl an Fahrrädern in den unterschiedlichsten Ausführungen empfangen. Auf 340 Quadratmetern Verkaufsfläche finden sich Trekking-, Stadt- und Rennräder, Gravelbikes, Pedelecs und Kinderräder. „Bei uns gibt es all das, was man beim Radfahren im Alltag braucht: selbstverständlich Fahrräder, aber zum Beispiel auch passende Schuhe, Helme, Regenjacken und Sonnenbrillen.“, erklärt Saß. Außerdem umfasst das Fahrradkontor-Sortiment die notwendigen Ersatzteile und Zubehör, „um das Fahrrad selbst in Bewegung zu halten“, darunter Luftpumpen und Schläuche – auch außerhalb der Öffnungszeiten im Schwalbe-Automaten vor dem Laden. „Damit die Radsportlerinnen und Radsportler auch selbst Reparaturen vornehmen können, bieten wir entsprechende Service-Kurse an“.

Für diejenigen, die nicht selbst an ihrem Fahrrad schrauben möchten, für größere Reparaturen und für Wartungen befindet sich direkt nebenan die Werkstatt. In Notfällen können Fahrradkontor-Kund*innen, die ihr Zweirad vor Ort gekauft haben, ohne Terminabsprache in die Werkstatt kommen. Der Service des Mechanikerteams reicht vom Wechseln der Bremsbelege, über Softwareupdates von motorisierten Rädern bis hin zu regelmäßigen Ölwechseln für Fahrräder mit speziellem Getriebe. Saß, der selbst gelernter Zweiradmechaniker ist, lobt: „Unsere zwei Meister in der Werkstatt und ihr Team sind echte Profis“.

Das sechsköpfige Werkstattteam wird derzeit von einer Auszubildenden unterstützt. Bezüglich einer Ausbildung im Fahrradkontor – ob in der Werkstatt oder im Geschäft – sagt Dennis Saß: „Bei uns kann man sich austoben!“ und lächelt. Während der Ausbildungszeit erhält man zum einen tiefgreifende Einblicke in die Abläufe innerhalb einer Werkstatt, den Aufbau verschiedener Fahrradtypen und bekommt vor allem Teamarbeit vorgelebt. Zum anderen gewinnt man vielfältige Eindrücke von der Einzelhandelsbranche, „denn bei uns gibt es nicht nur den Verkauf, sondern wir kümmern uns auch selbstständig um das Marketing, das Ladenbild mit Schaufenstergestaltung und regelmäßigen kleinen Renovierungsarbeiten“, verdeutlicht Saß. „Das geht über das normale Fahrradverkaufen oder Fahrradreparieren weit hinaus“.

Zusätzlich zu der Arbeit im Laden und der Werkstatt, unterstützt das Fahrradkontor drei Radsportvereine aus der Region: die RSG Hannover, den RC Wunstorf und den SV Nienhagen. Letztere werden vor allem finanziell unterstützt, während die RSG Hannover als „Haus- und Herzensverein“, wie ihn Dennis Saß nennt, zusätzlich durch jährliche Räder-Check-Ups und die Ausstattung mit Fahrrädern in der Jugendarbeit unterstützt wird. „Radfahren ist ein teures Hobby und wir möchten es jedem Kind ermöglichen, das Freude daran hat. Hierfür stellen wir einen Pool von Fahrrädern zur Verfügung, aus dem die Kinder und Jugendlichen sich ein passendes aussuchen können“. Neben den drei Vereinen werden auch zwei Rennsportgemeinschaften gesponsert: ein Cyclocross-Team und ein Straßenteam mit jeweils einer Damen- und Herrenmannschaft.

„In einer Zeit, in der wir das Gefühl haben, das Fahrrad verliert im Vergleich zu E-Scootern zunehmend an Wert, ist es uns ganz besonders wichtig, dazu beizutragen, dass Radfahren wieder attraktiver wird und auch bleibt“. Das Fahrradkontor-Team besteht aus 17 Mitgliedern, deren Herzen allesamt für das Zweirad schlagen: „Wir haben viele Kollegen, die ihr Hobby bei uns zum Beruf gemacht haben und die das Radfahren lieben. Das ist etwas, das uns ausmacht, und, das wir gern an unsere Kundinnen und Kunden weitergeben wollen“.

Laura Druselmann

Fahrradkontor
Spichernstr. 7
30161 Hannover
Tel. 0511 391573
E-Mail: shop@fahrradkontor.de
www.fahrradkontor.de

www.facebook.com/fahrradkontor

www.instagram.com/fahrradkontorhannover/

Öffnungszeiten:
Mo bis Fr: 11 bis 18.30 Uhr
Sa: 11 bis 14 Uhr

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