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Ein letztes Wort im Januar

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Ein letztes Wort im Januar


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Mal wieder in nächtlichen Sitzungen, die es eigentlich nicht mehr geben sollte, hat sich die Ampel in Berlin nun über den Haushalt 2024 geeinigt. Sollte man für gute Entscheidungen und Kompromisse nicht eigentlich ausgeschlafen sein?
Ja, nach meinen Erfahrungen ist das besser. Ich persönlich habe Nachtsitzungen in schlechter Erinnerung. Sie sind wahnsinnig anstrengend und natürlich leidet am Ende oft die Qualität. Aber diese Nachtsitzungen sind durchaus Teil der politischen Kultur in Berlin, nach dem Motto: Alles, was vor Mitternacht fertig ist, ist keine echte Arbeit. Das ist sicherlich ein bisschen überspitzt formuliert, aber einer der Unterschiede zwischen Bundes- und Landespolitik.

Und darum hat es Sie nie in die Bundespolitik gezogen …
(Lacht) Da gab es noch ein paar mehr Gründe.

Können Sie mir erläutern, was diese Einigung nun im Einzelnen bedeutet? Wo genau wird gestrichen und gekürzt?
Wir sitzen ja hier Mitte Dezember, das heißt, die Einigung ist erst einen Tag alt. Und entsprechend ist noch vieles unklar. Es gibt unterschiedliche Meldungen aus den verschiedenen Bereichen und aus diversen Quellen. Ein Wert an sich ist tatsächlich zunächst mal diese Einigung. Denn diesen Monat zwischen dem Karlsruher Urteil und der Einigung habe ich als quälend empfunden. Und das zum Ende eines Jahres, in dem ohnehin die demokratische Ordnung unter Druck geraten ist. Das war nicht gut. Bei der Einigung ist nun vieles dabei, was ich richtig finde. Aber auch manches, was ich falsch finde. Ich bin mir sicher, wir werden nach unserem Gespräch und in den nächsten Tagen und Wochen noch zahlreiche Diskussionen über viele einzelne Aspekte erleben. Manches scheint mir da nicht recht zusammenzupassen. Wenn zum Beispiel gesagt wird, man wolle den Weg zur Klimaneutralität fortsetzen, dann passt dazu nicht die kurzfristige Streichung der Förderung für Elektroautos, während gleichzeitig der Strom teurer gemacht wird. Beides zusammen macht die Elektromobilität nicht attraktiver. Wir haben momentan bereits eine Nachfrage-Delle, es werden nicht so viele E-Autos gekauft, wie man sich das eigentlich gewünscht hätte. Oder ein zweites Beispiel: Wenn man von jetzt auf gleich bestimmte Förderungen komplett einstellt, dann haben die Betroffenen natürlich ebenfalls von jetzt auf gleich Probleme – die man vermeiden könnte. Stichwort Agrar-Diesel. Das Mindeste wäre aus meiner Sicht, dass man einen vernünftigen Übergangszeitraum anbietet, in dem nach Alternativen gesucht werden kann. Elektro-Trecker gibt es ja noch kaum und auch Wasserstoffantriebe stecken noch in den Kinderschuhen. Jedenfalls führt ein kurzfristiger Förderungsstopp immer zu Problemen.

Das sorgt dann wieder für die üblichen Erregungswellen.
Die man vermeiden könnte. Also, es gibt bei dieser Einigung noch so einiges, was mich nicht überzeugt. Und ich hoffe, dass sich einmal mehr das Strucksche Gesetz bewahrheitet, nämlich dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineinkommt.

Wie ist es mit den Kürzungen im Sozialbereich. Ist das jetzt abgewendet. Oder droht da noch was? Die Opposition zeigt mit dem Finger drauf. Die FDP wäre sofort dabei.
Ich glaube nicht, dass an der Stelle noch etwas droht. Die drei Partner haben ja wechselseitig bestimmte rote Linien markiert, und man sollte versuchen, die zu respektieren. Die SPD hat gesagt, dass wir keinen Sozialabbau zulassen werden.

Mir kommt es ein bisschen so vor, als würde die FDP viel mehr rote Linien ziehen als die anderen beiden Partner.
Kann ich verstehen, dass Sie diesen Eindruck haben.

Wie ist das mit den klimaschädlichen Subventionen – drei Milliarden sollen gestrichen werden – manche Recherchen sagen es könnten auch bis zu 65 Milliarden sein. Warum geht da nicht mehr?
Das mag grundsätzlich so sein, dass da noch Luft nach oben ist. Aber man muss im Einzelfall auch immer sehr genau hinsehen. Über den Agrar-Diesel haben wir ja eben gesprochen. Es ist sinnvoll, Übergangszeiträume zu schaffen. Es ist ein bewährter Weg, in mehreren Stufen vorzugehen. Wenn man einfach sagt, das war’s, wird das in vielen Fällen dazu führen, dass sich die Leute vor den Kopf gestoßen fühlen. Ich habe nichts gegen die Streichung klimaschädlicher Subventionen, aber man muss das einbetten in eine in sich schlüssige Konzeption. Und nach dem, was wir bisher so gehört haben, habe ich da meine Zweifel.

Was sagen Sie zum Dienstwagenprivileg?
Für die Autoindustrie wäre die Streichung sicher ein herber Einschlag. Aber man könnte ja mal darüber reden, welche Dienstwagen nicht mehr privilegiert werden sollten. Wenn wir die Umstellung voranbringen wollen, wäre es dann nicht ein Weg, dass man es bei der Förderung für E-Autos belässt und bei den Verbrennern schleichen wir uns langsam raus? Das scheint mir wesentlich schlauer, als an das Dienstwagenprivileg einfach einen Haken dranzumachen.

Machen wir mal einen Strich unter die Einigung. Zufrieden sind Sie nicht.
Ich bin mit Details nicht zufrieden. Vieles ist auch gut. Zum Beispiel, dass es beim Aufbau der Wasserstoffwirtschaft gerade im Nordwesten Niedersachsens keine Streichungen geben wird. Und auch die befürchteten Härten, die man beim Stichwort Sozialabbau haben musste, sind weitgehend ausgeblieben. Aber man muss trotzdem über die wunden Punkte reden.

So ein wunder Punkt ist die Schuldenbremse. Können Sie die in einem Satz erklären?
Der Staat soll in einem Jahr nicht mehr Schulden aufnehmen als er gleichzeitig tilgt. Und eine Ausnahme gibt es nur bei einer Notlage. Ganz kurz zusammengefasst. Der Abschnitt im Grundgesetz ist unendlich lang – was schon dagegenspricht, dass das eine besonders geglückte Regel ist.

Würden Sie die Schuldenbremse abschaffen?
Ich würde sie nicht abschaffen, aber verändern. Richtig ist, dass laufende Ausgaben durch laufende Einnahmen gedeckt sein sollten, sonst rutscht man in den Dispo und dann wird es teuer. Aber es ist umgekehrt häufig sehr sinnvoll, für Investitionen Kredite aufzunehmen, insbesondere wenn ich von diesen Investitionen länger profitiere. Ein Beispiel ist der Hauskauf. Beim Staat ist das nicht zulässig und das ist meines Erachtens ein Fehler. Außerdem hat Bundesverfassungsgericht auf die Jährlichkeit hingewiesen. Sprich: Eine Notlage für Ausnahmen von der Schuldenbremse muss jährlich neu erklärt werden, obwohl es vieles gibt, was wir über einen längeren Zeitraum angehen müssen. Ein Beispiel ist die Hilfe nach der Flutkatastrophe im Ahrtal. Dafür braucht es jetzt extra wieder ein neues Sondervermögen. Das zeigt, dass die aktuelle Regelung nicht praxisgerecht ist. Und da gibt es auch einen ganz grundsätzlichen Punkt. Wir werden auch in den kommenden Jahren immer wieder Notlagen haben, aber auch deswegen, weil wir jetzt die Weichen nicht richtig stellen. Es wäre viel klüger, diesen Notlagen vorzubeugen, also präventiv zu agieren. Also Deiche zu bauen, statt Flutschäden zu beheben. Dieser Gedanke passt bislang nicht zur Schuldenbremse.

Kann es sein, dass wir uns in Deutschland mit dieser Schuldenbremse gerade die eigene Wettbewerbsfähigkeit und Zukunft verbauen?
Es gibt weltweit zahlreiche Ökonomen, die genau das sagen. Und ich teile diese Befürchtung.

Blicken wir zum Schluss noch einmal kurz zurück auf 2023 – wie würden Sie das Jahr mit drei Adjektiven beschreiben?
Da brauche ich nur ein Adjektiv: Anstrengend.

Und blicken Sie zuversichtlich auf das nächste Jahr oder eher mit einem flauen Gefühl im Magen?
Zuversichtlich bin ich eigentlich immer, aber gleichzeitig weiß ich, dass die Phase vieler einschneidender Veränderungen weitergehen wird. Und trotzdem müssen wir uns auch klarmachen, dass Deutschland viel stärker ist, als das momentan oft den Anschein hat. Wir suchen gerade immer das Haar in der Suppe, anstatt uns die Frage zu stellen, wie eigentlich die Suppe schmeckt. Wie haben viele, auch hausgemachte Baustellen, aber wir können überall mit unserer nach wie vor starken Gesellschaft auch zu guten Lösungen kommen. Wir sollten wieder selbstbewusster werden, finde ich.

Interview: Lars Kompa

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Staatsoper Hannover: Am Küchentisch mit Filippo Ferrari

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Staatsoper Hannover: Am Küchentisch mit Filippo Ferrari


©Aszure Barton

Seit der Spielzeit 2023/24 ist Filippo Ferrari das jüngste Mitglied der Compagnie der Staatsoper Hannover. Der Italiener war als Eleve allerdings bereits in der vergangenen Saison im Haus zugegen und erweiterte seine klassische Grundausbildung, die er in der Provinz Modena am Centro Studio Danza begonnen hat. Vorher führte ihn diese durch zwei junge Compagnien in Italien und dank zahlreicher Praktika und Intensiv-Workshops auch durch ganz Europa. Aktuell bereitet er sich mit der Compagnie auf Marco Goeckes „A Wilde Story“ und die im Januar folgende Premiere von „Du bist so schön“ vor.

Wie würdest du jemandem deinen Stil beschreiben, der dich noch nie tanzen gesehen hat?
Okay, so fangen wir also an (lacht). Ich würde sagen, dass ich ein tiefgründiger undgrooviger Tänzer bin. Wenn wir meinen Stil mit Musik vergleichen, wäre es ein bisschen der Groove von Michael Jackson und ein wenig Rock’n’Roll dazu. Ich liebe Kontraste. Ich mag es zum Beispiel, super smoothe und klare Bewegungen auszuführen, bin aber zu hundert Prozent eher der emotionale als der technische Tänzer. Ich liebe das Drama. Und ich zeige meinen Stil beispielsweise, wenn wir improvisieren und ich viel von mir selbst ausdrücken kann. Wenn wir Repertoire von Choreografinnen oder Choreografen lernen, versuche ich, meine eigene Vision vom Tanzen zu behalten und sie in deren Stil hineinzupacken.

Wann und wie hast du angefangen zu tanzen? Sicherlich bist du nicht einfach eines Tages aufgewacht und wusstest, dass du dein Leben dem Tanzen widmen willst.
Nein, eigentlich ist es die Schuld meiner Mutter (lacht). Ich sage Schuld, weil ich mit Hip-Hop und Break Dance angefangen habe, als ich sechs Jahre alt war, und erst zehn Jahre später mit Contemporary und Ballett. Ich weiß noch, wie ich im Auto saß und sie sagte: „Fili, willst du Ballett machen?“ Und ich sagte: „Nein, Mama, passt schon.“ Ich bin in einer kleinen Stadt geboren, deswegen hatte ich ein bisschen Angst davor. Ich erinnere mich noch an den ersten Tag in der Ballettschule, ich war der einzige Mann dort. Und als ich die Tür öffnete, sah ich all diese Ladies und Mädchen mit Ballettschuhen, super süß, und mich mit dem Kapuzenpulli und der Cap, super Hip-Hop. Das war ein bisschen Drama an dem Tag. Aber ich habe trotzdem weitergemacht und probiert und jetzt sage ich manchmal zu meiner Mutter: „Es ist zwar deine Schuld, aber das nächste Mal musst du es früher machen“ (lacht).

Was fandest du so toll am Tanzen?
Das ist eine gute Frage. Ich weiß nicht, warum. Ich habe getanzt, seit ich klein war. Ich erinnere mich, dass ich immer mit meiner Mutter auf dem Bett getanzt habe. Eines Tages habe ich dann gesagt, dass ich es ausprobieren möchte. Ich hatte mich in den Film „Step Up“ verliebt (lacht). Das einzige, womit ich ein bisschen gehadert habe, war, mich zwischen der Musik und dem Tanzen zu entscheiden. Ich war Schlagzeuger und ich liebe die Musik. Aber ich bin glücklich, dass ich das Tanzen gewählt habe. Musik kann ich immer noch später machen, wenn ich 35 oder 50 oder so bin, tanzen nicht (lacht).

Filippo Ferrari, Foto: Dan Hannen

Kannst du mir einen kurzen Überblick über dein bisheriges Leben geben und über die Stationen, die dich hierher an die Staatsoper Hannover gebracht haben?
Ja und das geht wirklich schnell. Ich bin erst letztes Jahr hierhergekommen und es ist meine zweite Saison. Mit 16 habe ich im Vergleich zu meinen Kollegen und Kolleginnen sehr spät angefangen, Ballett und Contemporary zu tanzen. In Italien habe ich dann irgendwann in zwei jungen Compagnien getanzt. Eine davon war auf Sizilien, die andere hieß „Balletto di Parma“ und war in Emilia-Romagna. Ich habe meinen ersten Wettbewerb auch erst mit 16 oder 17 Jahren gemacht. Ich fing erst wirklich an, diese Welt zu schätzen, nachdem ich eine Choreografie von Marco Goecke gesehen hatte, „Midnight Raga“. Ich weiß noch, wie ich dachte „Oh mein Gott, was zur Hölle? Das ist wunderschön! Ich will das machen!“ Danach habe ich angefangen, diese Welt mehr zu entdecken. In der letzten Saison habe ich Marco getroffen und war zum ersten Mal hier für mein Vortanzen. Ich hatte ein bisschen Angst (lacht) und natürlich war ich aufgeregt. Aber es lief wirklich gut. Ich hatte zwei Jahre davor an einem Wettbewerb teilgenommen und ein Kontakt von Marco hatte mich dort gesehen und ihm von mir erzählt. Und danach hat Marco mir eine Nachricht geschickt, auf Instagram glaube ich, und ich dachte: „Oh mein Gott, Marco Goecke hat mir geschrieben. Was passiert hier?“ Aber wir waren uns damals einig, dass ich mit 17 noch zu jung war, um mit ihm zu arbeiten. Also fragte ich ihn mit 19, ob ich vortanzen könne. Und er sagte ja und hat mich für den kommenden Samstag zur Audition eingeladen. Das Problem war nur, dass er mir das am Donnerstag derselben Woche sagte. Das war wirklich lustig, mit dem Flug und so. Okay, heute ist es wirklich lustig – in dem Moment war es gleichzeitig beängstigend und aufregend. Ich erinnere mich an den Tag, als wäre es gestern gewesen, einer der besten Tage in meinem Leben. Eine seiner Choreografien, „Wir sagen uns Dunkles“, allein vor ihm im Studio zu tanzen, das war verrückt und wunderschön. Ansonsten habe ich, bevor ich hierher kam, viele Praktika absolviert, und für anderthalb Monate in Dortmund am Summer-Intensive teilgenommen. Ich bin ein bisschen durch Europa gereist, um mir einen Eindruck von dieser Welt zu verschaffen, und habe danach beschlossen, dass ich das hier beruflich machen will. Das Reisen hat mir viel geholfen, weil ich so spät mit Ballett angefangen und deswegen keine klassische Ausbildung habe, so wie viele meiner Kolleg*innen. Noch heute entdecke ich manchmal Dinge, bei denen ich sie um Hilfe bitte. Und außerdem bin ich eh der Jüngste, also das Kind hier, und sie geben mir alle Ratschläge. „Fili, mach vielleicht das …“ Ich versuche, sie alle zu beherzigen, weil ich wirklich wunderbare Kolleg*innen habe, die mir schon sehr geholfen haben, mich weiterzuentwickeln.

Vermisst du, jetzt, da du in Deutschland lebst, „la dolce vita“?
Das Einzige, was ich vermisse, ist der Sonntag wie in Italien (lacht). Hier ist alles geschlossen, aber das ist mehr oder weniger der einzige freie Tag, den wir haben. An anderen Tagen auszugehen ist oft schwierig. Jetzt gerade ist es cool, weil es den Weihnachtsmarkt und andere Sachen gibt, aber normalerweise… Das Essen ist eigentlich nicht schlecht hier, es gibt sogar viel gute Pizza.

Hast du ein Lieblingsrestaurant in Hannover, in dem du dich wie zu Hause In Italien fühlst, wenn es draußen grau und winterlich ist?
Ja, die Pizzeria Bestia oder auch das Restaurant Leonardo, das ist direkt hinter dem Theater und es ist ein wirklich gutes italienisches Restaurant. Und Francesca & Fratelli ist auch nicht schlecht, das muss ich zugeben.

Gibt es ein bestimmtes Stück, das du schon immer mal tanzen wolltest oder einen Choreografen, dessen Choreografien du unbedingt lernen möchtest?
Ja, das war „Wir sagen und Dunkles“ von Marco Goecke und ich habe es letztes Jahr getanzt. Marco hat mich während des Vortanzens gefragt, ob ich ihm von meinem Traum erzählen kann, und ich dachte mir, dass ich das nicht kann, weil das zu viele wäre (lacht). Was hätte ich sagen sollen? „Mein Traum ist, dass ich in deinem Stück tanze“? (Lacht) Aber ich habe es getan, ich habe das Stück getanzt und das vor seinen Augen. Es war großartig. Ich hatte wirklich Angst, aber gleichzeitig konnte ich das ganze Adrenalin und die Energie spüren, bevor ich auf die Bühne ging und das war irre. Man kann etwas in sich spüren, wenn man die Bühne betritt, obwohl das Publikum einen wegen des Vorhangs noch nicht sehen kann, aber man ist schon drin. Und man spürt die Energie der Bühne und riecht ihren Duft.

Hast du noch andere Favoriten?
Oh ja, da gibt es viele! Ich habe nur zuerst meinen Bestie genannt (lacht). Es gibt viele Choreograf*innen, die ich mag. Ich mag Sharon Eyal sehr, ich mag Hofesh Shechter, Marcus Morelli, Ekman, Forsythe. Es gibt viele Choreografien, die ich lernen möchte. Mal sehen, ich habe ja gerade erst angefangen, vielleicht in Zukunft …

Wie viel Training hast du pro Woche?
Sechs oder sieben Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche. Manchmal trainieren wir auch weniger am Samstag. Es hängt auch von der Jahreszeit ab, wie das Vorstellungspensum ist. Momentan ist es zum Beispiel sehr anstrengend, weil wir eine neue Premiere für Januar vorbereiten. Wir machen aktuell „Du bist so schön“ von Liliana Barros, Sharon Eyal und Aszure Barton und außerdem haben wir eine Show am 25. Dezember. Wir müssen jeden Tag vier Stücke trainieren und deshalb ist der Zeitplan sehr tough und eng. Das heißt, dass wir nachts richtig gut schlafen müssen, sonst sind wir echt schlecht dran am nächsten Tag (lacht).

Wie sorgst du dafür, dass dein Körper bei all dem gesund bleibt? Tanzen gilt in den USA nicht umsonst als der körperlich anspruchsvollste Beruf …
Ja, es ist wirklich hart. Es gibt Tage, an denen man sich nicht bewegen kann und super steif ist und es einem sogar schwerfällt, den Arm zu heben. Man muss also sehr schlau sein, sich gut aufwärmen, viel dehnen und dem Körper geben, was er will. Denn manchmal fangen wir langsam an und haben Zeit, uns auf das Tanzen einzustimmen, aber manchmal heißt es einfach nach einem kurzen Warm-up: „Okay, Leute, los!“ Und wir müssen zwanzig, fünfundzwanzig Minuten am Stück tanzen. Und wenn man dann nicht bereit ist, kann man sich dabei verletzen. Verletzungen passiert in der Regel nicht, weil der Körper müde ist, sondern weil der Geist müde ist. Wenn dein Körper müde ist, du aber mit deinem Geist noch sehr präsent bist und an jeden einzelnen Schritt denkst, ist es in Ordnung. Wenn du anfängst, beim Tanzen abzuschalten und an etwas anderes zu denken, kann man sich schnell und leicht verletzen.

Aktuell tanzt du „A Wilde Story“. Das Stück erzählt kurz gesagt die Geschichte von Oscar Wilde, aber worum geht es in diesem Ballett genau?
Es ist ein sehr tiefgründiges Stück. Es geht um Agonie und Drama. Man kann in dem Ballett viele Kontraste sehen, Liebe, Traurigkeit. Das Schöne an „A Wilde Story“ ist, dass es, wenn man es sich zweimal anguckt, beim zweiten Mal anders sein wird. Die Choreo ist dieselbe, aber jedes Mal können sich deine Gefühle ändern, und wie du die Charaktere wahrnimmst. Vielleicht vermittelt dir eine Figur den einen Tag Traurigkeit, aber wenn du sie in der nächsten Woche noch einmal siehst, Liebe. Und das ist schön, weil Marco Goecke in diesem Stück viel mit dieser Art von Kontrasten spielt. Auf eine Art und Weise ist es so menschlich, du kannst all diese Dinge in deinem normalen Leben finden: Traurigkeit, Liebe, gute Tage, schlechte Tage, Probleme. Wenn man es auf die Bühne bringt, ist es gleichzeitig wie ein Film, wie eine Geschichte, wie Oscar Wilde. Aber das ist meine persönliche Meinung, vielleicht würde die Antwort ganz anders sein, wenn du einen anderen Tänzer fragen würdest. Ich liebe es einfach, das Stück zu tanzen.

Du hast bereits gesagt, dass du HipHop, Contemporary und Breakdance gemacht hast. Machst du das immer noch?
Für mich allein.

Im Club?
Das hundertprozentig (lacht). Ich bin ein totaler Hip-Hop-Typ. Ich bin buchstäblich mit Hip-Hop-Musik aufgewachsen und ich brauche es. Meine Kollegen machen sich manchmal über mich lustig, weil sie sich vor dem Unterricht alle dehnen, und ich währenddessen mit meinen Kopfhörern in der Ecke stehe und den „Harlem Shake“ mache. Ich brauche das, um Energie zu tanken und den Tag positiv zu beginnen. Ich denke, man kann das verstehen, wenn man Hip-Hop-Musik mag.

Aber Ballett magst du am meisten?

Ballett ist mir sehr wichtig, auch wenn HipHop meine erste Leidenschaft ist. Man muss dafür super geradlinig sein. Und ich entdecke jeden Tag etwas Neues. Ich war früher einer von denen, die sagen, dass sie kein Ballett brauchen. Aber nach nur einem Monat hier habe ich meine Meinung komplett geändert (lacht). Ich bin mit HipHop aufgewachsen, also dachte ich, ich hätte meine Basics und meinen Groove und all das, aber nein – für bestimmte Dinge, die man tänzerisch darstellen möchte, braucht man einfach Ballett.

Ganz zuletzt und ohne zu viel zu verraten, warum sollte man sich „A Wilde Story“ ansehen?
Ich würde gerne eine sehr kurze Antwort geben, eine dramatische (lacht). Es gibt einen guten Grund: Erst, wenn das Stück vorbei ist, fängt man wieder langsam an zu atmen. Während des Stücks sitzt man einfach mit weit aufgerissenen Augen da. Und danach beginnt man dann über die Emotionen nachzudenken. Ich denke, jede und jeder wird etwas in sich spüren. Das ist das Schöne daran, eine von Marcos Choreografien zu erleben. Du kannst ihn mögen oder nicht, aber du wirst danach auf jeden Fall etwas fühlen. Auf eine gute oder schlechte Art und Weise. Wenn man also eine intensive Erfahrung möchte, muss man sich einfach „A Wilde Story“ ansehen.

Filine Hunger

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Über Gut & Böse (Titel 2024-01)

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Über Gut & Böse (Titel 2024-01)


Foto: OpenClipart-Vectors / Pixabay.com

Es geht wahrscheinlich allen ganz ähnlich momentan, wir starten in ein neues Jahr und unsere Erwartungen halten sich in Grenzen. Zu viele Konflikte weltweit, zu viele Probleme im eigenen Land. Wir sollen optimistisch in die Zukunft blicken, wir sollen zuversichtlich sein – so hört man es jetzt zum Jahreswechsel überall in den Sonntagsreden, aber das fällt unglaublich schwer. Wobei sich die Gründe für den allgemeinen Pessimismus durchaus unterscheiden. Für manche ist die Einwanderung das zentrale Thema, und ihre Begrenzung ein wichtiges Ziel, andere pochen dagegen auf die Menschenrechte und mahnen, die eigenen Maßstäbe nicht zu sehr zu schleifen. Wieder andere befürchten den Niedergang unserer Wirtschaft, während die nächsten davor warnen, sich selbst immer mehr in die Krise zu diskutieren. Über den Klimawandel sind fast alle besorgt, aber bei den Konsequenzen ist man geteilter Meinung. Für einen Großteil der Menschen ist die Stärke der AfD ein Desaster, während manche sich auf die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg freuen. Und dann sind da noch, wie schon gesagt, die vielen Kriege und Konflikte in der Welt. Und wir mittendrin, weil sich Deutschland positionieren muss. Aber auf welche Seite schlägt man sich? Auf die der Ukraine, ohne Wenn und Aber? Es gibt nicht wenige Stimmen in Deutschland, die genau das kritisieren. Und jetzt dieser Krieg gegen die Hamas in Israel. Wie stellen wir uns dazu? Sehr viele Menschen in Deutschland solidarisieren sich eher mit der Terrorgruppe Hamas. Für sie ist Israel das Böse schlechthin. Für andere ist umgekehrt die Hamas das personifizierte Böse. Gut und Böse – wir stehen gerne auf der richtigen Seite. Aber welche Seite ist die richtige?

Das kommt ganz darauf an. Du bist ein Kind in Afghanistan, in Pakistan, in Somalia oder im Jemen, du spielst mit deinen Freunden auf einem Hinterhof, deine Welt ist ganz okay und halbwegs heile, doch dann hörst du oben im Himmel ein seltsames Brummen und einen Moment später hast du vielleicht keine Eltern und keine Freunde mehr. Wer ist dann fortan für dich der Teufel? Natürlich der, der diese Drohne geschickt hat. Sehr wahrscheinlich die USA. Amerika setzt bereits seit 2002 gezielt überall auf der Welt Drohnen ein, um Terroristen zu töten. Eine ausgesprochen fragwürdige Strategie, denn so dürfte der Nachschub an Terroristen kaum je versiegen.

Ähnliche Folgen könnte das aktuelle Vorgehen Israels gegen die Hamas haben. Die Terrorgruppe bekommt schon jetzt sehr viel Zustimmung, sie wird sich in einigen Jahren über viele neue Terroristen freuen dürfen. Noch sind es schwer traumatisierte Kinder. Sie lernen gerade, dass die Israelis das Böse sind. Während zuvor die Israelis nahe des Gazastreifens gelernt haben, dass die Hamas durch und durch böse und bestialisch agiert. Und wir hier in Deutschland schauen aus der Ferne zu und erlauben uns eine Meinung zu einem unfassbar komplexen Thema, die wir dann auch gerne mal auf die Straße tragen. Weil wir uns positionieren wollen – auf der richtigen, der guten Seite. Schon haben wir wieder zwei Lager und man steht sich unerbittlich und feindselig gegenüber, mitten in Deutschland. Und auf beiden Seiten ist man überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen.

Bild von 愚木混株 Cdd20 auf Pixabay

Wie kommen wir eigentlich zu diesen Urteilen? Klar, durch unsere Umgebung und unsere Erziehung, durch Erfahrungen, durch unsere Sozialisation, durch unsere Religion, durch unsere Kultur. Wir haben alle diverse Werte und Überzeugungen im Rucksack. Und die tragen wir in die Welt. Oft mit großer Überzeugung und einem hoch erhobenen Zeigefinger. Wir kritisieren ja von der richtigen Seite. Was bei uns in Deutschland der Maßstab ist, sollte auch in anderen Ländern der Maßstab sein. Erfahrene Diplomaten warnen allerdings eindringlich vor diesem Selbstverständnis. Denn wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Und wer sich Zeit nimmt und sich auch mal in die Rolle des Feindes versetzt, der wirft vielleicht gar keine Steine mehr. Es ist schwierig, sich klar zu positionieren. Wir in Europa blicken ganz anders auf die Welt als beispielsweise China oder auch die USA. Unser eurozentrischer Blick wirkt andernorts gerne mal abgehoben und arrogant. Und fast unmöglich wird eine Positionierung, wenn die Lage kompliziert ist, wenn es unübersichtlich wird, wenn Schwarz und Weiß sich zu einem schwer durchschaubaren Grau vermischen. Grautöne mögen wir nicht. Wir mögen klare Kanten. Wir sehnen uns nach Ordnung. Und die Sehnsucht wird umso größer, je unübersichtlicher die Lage ist. Wegen dieser Sehnsucht sind wir so anfällig für die einfachen Antworten der Populist*innen. Und natürlich versuchen nicht nur diese Kapital aus der Sehnsucht zu schlagen. Wenn in diesen Tagen die CDU mal wieder das Thema Leitkultur ausgräbt, dann versucht sie ebenfalls an genau dieser Stelle zu punkten. Klare, eindeutige Werte, ein Konsens bei diversen Fragen. Was gehört sich, was gehört sich nicht? Gehört sich der Islam in Deutschland? Oder gehört sich nur das Christentum? Markus Söders Kreuzerlass ist gerade erst für rechtens erklärt worden. Ein Hinweis, wo man zumindest in Bayern bei dieser Frage steht. Wobei sicher nicht alle in Bayern den Kreuzerlass begrüßen. Es wird da schon so ein paar „woke Grüne“ geben, die das ganz anders sehen.

Überhaupt, diese verdammten woken Grünen. Diese verdammten Idioten auf der anderen Seite, in der anderen Ringecke. Diese verdammten Nazis im Osten. Diese verdammten Wessis. Die verdammten Gutmenschen. Die verdammten Kriegstreiber. Die verdammten Putin-Versteher. Die verdammten Klima-Kleber. Das ist der Nachteil unserer Positionierungssucht. Es braucht immer einen Feind. Und es scheint, dass sich in unserer Gesellschaft die Menschen tatsächlich zunehmend immer feindseliger gegenüberstehen. Bereits 1979 hat ein Künstler namens Robert Long folgendes gesungen: „Will einer nicht dein Bruder sein, dann schlag ihm gleich den Schädel ein. Wenn er nicht deiner Meinung ist, dann mach ihn lieber tot, am besten für den lieben Gott.“ Diese Zeilen passen (leider) ganz wunderbar auch in unsere Zeit. Es ist anscheinend nicht besser geworden. Wahrscheinlich ist es sogar eher schlimmer geworden. Und jetzt? Wie arbeiten wir gegen die Gräben, die sich überall auftun, wie verhindern wir die Spaltung in unserer Gesellschaft? Und wie kann es gelingen, auch global das Rad wieder in eine andere Richtung zu drehen? Kann das überhaupt gelingen?

Wir sind schon wieder beim Pessimismus, der sich überall breitmacht und die Spaltung weiter befördert. Und wir sind damit bei der Aufgabe, optimistisch zu bleiben. Nicht aufzugeben. Nicht zu resignieren. Eine echte Herkulesaufgabe. Aber was wäre denn die Alternative? Zuzusehen, wie sich die Autokratien in der Welt breitmachen. Wie die Freiheit mehr und mehr verschwindet. Wie unsere Werte (nicht unbedingt deckungsgleich mit denen der CDU) den Bach runtergehen. Das darf nicht sein.

Aber wenn es unübersichtlich wird, wenn es viele Meinungen gibt, wenn diverse Informationen kursieren, darunter auch immer mehr gefälschte Informationen, dann droht genau das. Dann wackeln die Demokratien. Dann ist unsere Freiheit in Gefahr. Wobei hier bestimmt manche einwenden, dass man uns diese angebliche Freiheit in Deutschland ja nur vorgaukelt, während wir längst alle Sklaven einer geheimnisvollen Macht sind. Klar. Und je mehr Menschen diesen Schwachsinn glauben, desto weniger werden sie sich für unsere Demokratie einsetzen. Ein geschickter Schachzug der Gegenseite, der bösen Seite. Ja, es gibt diese böse Seite. Aber vorher noch kurz ein paar Sätze zu dem, was unsere gemeinsame Basis sein sollte. Und dazu sollte auf jeden Fall der Wille gehören, die Wahrheit wissen zu wollen. Das ist meistens gar nicht so kompliziert. Ein bisschen Quellenanalyse, ein paar skeptische Nachfragen, das reicht oft schon. Nicht danach suchen, was die eigene Meinung und die eigenen Vorurteile bestätigt, sondern bewusst nach Argumenten suchen, die der eigenen Meinung widersprechen, das ist keine so schlechte Technik. Man sollte sich unbedingt diese Mühe machen, um nicht im Lügenmeer Internet zu ertrinken. Wenn es uns gelingt, die Fakten ähnlich anzusehen und zu beurteilen, dann haben wir auch eine Chance und gegen das Böse zu wehren.

Aber was ist das Böse? Auch das ist gar nicht so schwer. Weil wir etwas sehr Gutes haben, nämlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Das sollte unser Konsens sein. Daran sollten wir uns immer wieder messen. Und dann wird es denkbar einfach. Die Menschenrechte stellen hohe Ansprüche. Gesellschaften, die sie zumindest annähernd erfüllen, stehen auf der richtigeren Seite. Länder, in denen beispielsweise Menschen versklavt, gefoltert oder diskriminiert werden, in denen es keine Gleichberechtigung gibt, in denen Minderheiten verfolgt werden, in denen Zensur herrscht, in denen es krasse Ungerechtigkeiten gibt, in denen Willkür herrscht, stehen dagegen auf der grundfalschen Seite. Die einen gut, die anderen böse. Et voilà, wer sich Orientierung wünscht in diesen unsicheren Zeiten, wer wissen möchte, was eigentlich wichtig ist, der sollte sich hin und wieder mal alle 30 Artikel in der Erklärung der Menschenrechte zu Gemüte führen, statt im Internet nach immer neuen Bestätigungen für die längst fertige eigene Meinung zu suchen.

Und wer tatsächlich so unfassbar dämlich sein und demnächst die AfD wählen möchte, dem sei diese Lektüre ebenfalls empfohlen. Was davon würde mit einer regierenden AfD in Deutschland übrigbleiben? Nicht so viel. Wahrscheinlich eher gar nichts. Schon jetzt ist es so, dass man vor allem in einigen Gebieten im Osten Deutschlands (leider) erkennen kann, wohin die Reise gehen würde. Benjamin Fredrich, Herausgeber, Chefredakteur und Gründer des Katapult-Magazins hat am 17. Dezember eine Art Hilferuf geschrieben. Rechte versuchen in Mecklenburg-Vorpommern bereits seit geraumer Zeit die Macher*innen des Magazins einzuschüchtern. Man will Angst und Schrecken verbreiten. Und das gelingt leider immer mehr. Darum sucht Fredrich nun mehr Mitstreiter*innen. „Ich suche Menschen, die gegen Korruption, Rassismus, Antisemitismus, Kriminalität und Extremismus (kurz KRAKE) einstehen“, schreibt er. Wer mag, ist herzlich eingeladen, diesen Verlag zu unterstützen.

Es ist übrigens bemerkenswert, hier werden Menschen gesucht, die „dagegen einstehen“. Dann muss es im Umkehrschluss also Menschen geben, die bewusst für Korruption, Rassismus, Antisemitismus, Kriminalität und Extremismus sind. Was mögen das für Menschen sein? Schaut man sich auf der weltpolitischen Bühne um, findet man tatsächlich schnell ein paar von der Sorte. Aber sie sind da oben ja nicht allein, sie haben Armeen von skrupellosen mordenden und vergewaltigenden Menschen hinter sich. In was für Gesellschaften entwickeln sich solche Monster? In unfreien, autokratischen, egoistischen und unsolidarischen Gesellschaften.

Wir sollten alle sehr wachsam sein, dass wir in Deutschland nicht mehr und mehr in dieses Fahrwasser geraten.
Wir sollten uns bemühen, die Guten zu sein.
Ganz gelingen kann das wahrscheinlich nie, aber der Wille zählt.

LAK

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Der Freundeskreis im Gespräch im Januar

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Der Freundeskreis im Gespräch im Januar


Katharina Sterzer, Matthias Görn

Diesen Monat haben wir mit Matthias Görn (MG), dem Vorstandsvorsitzenden des Freundeskreis e.V., und mit Katharina Sterzer (KS), noch Geschäftsführerin des Freundeskreises sowie frischgebackene Geschäftsführerin des Asphalt-Magazins, gesprochen: über ihre Zeit beim Freundeskreis sowie über Werte und Ziele des Vereins.

Beginnen wir damit, dass ihr erzählt, wie ihr zum Freundeskreis gekommen seid und wie ihr das Konzept des Vereins erklären würdet.
MG –
Der Freundeskreis ist die schönste Art, mit Hannover verbunden zu sein. Das kann man so auf den Punkt bringen, weil wir das verbinden, was Hannover lebenswert und liebenswert macht. Und das macht es so interessant, sich bei uns für eine Stadt, in der wir alle leben, zu engagieren.
KS – Da habe ich nichts zu ergänzen. Als ich zum Freundeskreis kam – das war 2017 –, war ich gerade im Ausland und habe ein interkulturelles Zentrum gebaut und wollte meine Veranstaltungsagentur hier in Hannover auflösen, weil ich mich nach einem größeren Spielplatz gesehnt habe. Und dann kam ich zurück nach Hannover und habe nach diesem Spielplatz gesucht, denn ich wollte immer an etwas arbeiten, das nachhaltig in dieser Stadt resoniert. Ich war schon vorher Mitglied im Freundeskreis, voller Stolz, und irgendwann habe ich einfach mal von meinen Plänen erzählt und so haben wir zueinander gefunden. Das war wirklich eine intensive Zeit und da merkt man auch, dass so ein Verein nur funktioniert, wenn wirklich alle mit anpacken. Und mit ‚alle‘ meine ich nicht nur den Vorstand und die Geschäftsstelle, sondern alle ehrenamtlichen Mitglieder und auch die Menschen innerhalb der Stadtgesellschaft
MG – Bei mir ist es eine ganz lustige Geschichte. Roger Cericius, mein Vorgänger, und ich haben uns kennengelernt, weil wir im Rahmen der Ausstellung „Als die Royals aus Hannover kamen“ zum Teil zusammengearbeitet und uns schätzen gelernt haben. Und so hat er mich bei einer Tasse Kaffee gefragt: „Mensch, hast du nicht Lust hier im Freundeskreis mitzuwirken?“ Das war 2015. So kam ich zum Freundeskreis und zwei Jahre später hat er mir dann erneut bei einer Tasse Kaffee eröffnet: Es wäre doch schön, wenn ich sein Nachfolger werden würde. Und so kam es dann auch. Es ist eine unglaublich intensive Zeit. Eine Zeit, die ich nicht missen mag und die voller Entdeckungen war. Wir, mit Katharina zusammen, haben uns das Ziel gesetzt, das Thema Geschäftsstelle, aber vor allem auch die Sichtbarkeit des Freundeskreises anders auszugestalten. Das waren unglaublich tolle Erfahrungen, auch mit so einem Team zusammenarbeiten zu können.
Was muss man denn mitbringen, um Mitglied im Freundeskreis werden zu können?
KS –
Lust an Hannover.

Das ist die einzige Voraussetzung? Unabhängig davon, was man z. B. beruflich macht …
KS –
Genau. Das ist eben das Schöne an einem Bürger*innenverein, dass es hier nicht darum geht, was man beruflich macht, sondern darum, dass uns alle eins verbindet: dass wir nämlich gerne in dieser Stadt wohnen. Für eine Mitgliedschaft braucht es tatsächlich nicht mehr als das.
MG – So ist das unter der Mitgliedern auch, da werden keine Unterschiede gemacht. Da ist ein Ministerpräsident genauso Mitglied in dem Verein wie jemand, der einen normalen Beruf ausübt. Das ist auch eine unserer großen Stärken, dass jeder herzlich willkommen ist. Eine Sache, die uns aber sehr wichtig ist, ist, dass wir gemeinsam Werte teilen, also zumindest die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Ansonsten ist jeder herzlich willkommen, Teil dieses Vereins zu werden.

Gab es schon mal Fälle, in denen ihr gezweifelt habt?
KS –
Nein. Nenn man als Verein für gewisse Werte einsteht und Wörter wie Vielfalt und Demokratie proklamiert, dann ist das meistens schon ein Ausschlusskriterium in sich.

Wenn ihr auf die vergangenen Jahre zurückblickt: Was würdet ihr als die größte Herausforderung bezeichnen, mit der ihr im Verein umgehen musstet?
MG –
Also ich glaube, jeder, der in einer führenden Position wie wir war oder ist, hat für eine Zeit lang die Verantwortung, so einen Verein weiterzuentwickeln. Wenn man auf die letzten Jahre zurückschaut, dann sehen wir: Es hat sich eine Menge getan. Wir haben den Verein gemeinsam zukunftsfähig gemacht. Wir haben ihn in ein neues Gewand gepackt. Wir haben versucht, Geschichten anders zu erzählen, die Homepage neu gemacht. Aber, was viel wichtiger ist, wir haben auch die inhaltliche Basis dazu neu aufgebaut. Die Vereinsstrukturen zukunftsfähig zu machen, das war, denke ich, eine der großen Aufgaben, die wir in Angriff genommen haben. Und bezüglich unserer Projekte: Da hat Katharina Sterzer ein wunderbares Händchen gehabt. Man muss sich vor Augen führen, dass die meiste Arbeit gar keiner sieht. Das sind tausende Mails, die im Jahr beantwortet werden. Das sind tausende Telefonate, die geführt werden. Und wenn die Helfer zusammenkamen und den Rundbrief, also unseren Newsletter, eingetütet haben, dann war das immer so ein tolles Gemeinschaftserlebnis. Das ist so eine schöne Art, die da einfach an den Tag gelegt wurde. Wir arbeiten viel mit Leuten, die ein freiwilliges soziales oder kulturelles Jahr gemacht haben und die richtig gewachsen sind, weil sie unglaublich viel selbst getan haben. Sie haben viel Eigenverantwortung bekommen, haben dadurch viel lernen können und sind dem Verein im Regelfall bis heute noch immer verbunden. Das sieht man auf jeder Veranstaltung.
KS – Eine Herausforderung ist auch, dass so ein Verein auch wirtschaftlich stabil stehen muss. Und das war etwas, worin ich als Geschäftsführerin sozusagen meine größte Verantwortung gesehen habe. Wir haben untereinander immer so eine Rollenverteilung gehabt, dass ich das Geld einspare und Matthias es ausgibt. Da hätte ich auch gern einmal die Rollen getauscht. Das ist tatsächlich für mich die größte Herausforderung gewesen. Und wir haben jetzt einen Verein, der eine Buchhaltung hat, wie ein Unternehmen sie führen würde. Das ist etwas, das am Ende extrem viel Arbeit erfordert, die zwar keiner sieht, die aber wichtig ist, um so einen Verein zukunftsfähig zu machen. Und wenn wir über Ehrenamt sprechen, dann muss auch das natürlich betreut werden. Man sagt immer, dass man etwa pro Ehrenamtsstelle ungefähr eine Viertel Personalstelle braucht. Das ist unsagbar viel, wenn man bedenkt, dass wir um die 40 Ehrenamtlichen haben, die uns über das Jahr in verschiedenster Funktion mal weniger und mal mehr betreuen. Das ist dann auch schon sehr aufwendig gewesen.

Da der wirtschaftliche Aspekt gerade angesprochen wurde: Gab es Ziele oder Vorhaben, die ihr gern umgesetzt hättet, wenn der wirtschaftliche Hintergrund des Freundeskreises keine Rolle gespielt hätte?
KS –
Ach, na klar. Hätten wir tatsächlich ein unendliches Budget, dann fände ich ein Haus der Kultur toll. Ein Haus, in dem Ballettschüler*innen und Musiker*innen, Vereine und Verbände einfach unter einem Dach sitzen. So etwas fehlt Hannover. Dann gäbe es einen gemeinsamen Ort, an dem jeder sein Ding machen kann – und man ist trotzdem zusammen. Und gerade die Vereine, die sich in der kulturellen Landschaft tummeln, unter ein Dach zu bringen, wäre mein persönlicher Traum gewesen.
MG – Man muss ja sehen, wo wir herkommen. Wir haben den Verein, glaube ich, zukunftsfähig gemacht … und ihn souverän durch eine Corona-Zeit geführt. Wir haben uns sehr stark gemacht für so eine Bewerbung „Kulturhauptstadt Europas“, die wir nicht geworden sind. Wir kommen ja aus einer Zeit, in der wir die Expo-Zeiten noch vor Augen haben. Wir hatten ein großes Stadtjubiläum. Diese Kulturhauptstadtbewerbung ist ein mutiges Thema gewesen. Dafür haben wir uns stark gemacht. Jetzt kommt der Kirchentag nach Hannover, da freuen wir uns drauf. Ja, und vielleicht auch eine Bewerbung für Olympia … Es ja immer wieder die Frage: Wie können wir eine Begeisterung für diese Stadt auslösen? Was ist ein Ereignis, was verbindet? Das liegt nicht alleine in der Verantwortung des Freundeskreises – aber wir sind eine ganz starke Stimme der Stadtgesellschaft.
KS – Und wenn wir über das Profil des Vereins und die Stimme der Stadtgesellschaft sprechen, dann bedeutet es auch mal, in unangenehmen Momenten die Stimme zu erheben und eben aus einer bürgerschaftlichen Perspektive heraus zu sagen: Das geht so nicht. Oder: Das muss so gehen. Und wir sind da gerade in den letzten Jahren auch extrem politisch geworden. In der Corona-Zeit haben wir uns zum Beispiel einfach mit 3.000 Menschen auf dem Opernplatz getroffen und den Corona-Toten gedacht. Solche Sachen macht der Freundeskreis innerhalb kürzester Zeit. Das ist unsere Stärke: schnell mobilisieren, ein Gefühl für den Zeitgeist haben und verstehen, wo gerade der Schuh drückt, um dann aus bürgerschaftlicher Perspektive dafür aufzustehen.

Glaubt ihr, dass sich dabei jede*r über den Freundeskreis repräsentiert fühlt?
MG –
Es ist gar nicht unbedingt unser Ziel, jeden zu repräsentieren. Was wichtig ist, ist, dass wir als Stadtgesellschaft nicht nur da sind, sondern auch eine Stimme haben. Und das wird geschätzt. Man kann zu einzelnen Themen unterschiedliche Meinungen haben. Das ist auch gut so. Das ist eine Stärke unserer Demokratie. Wofür wir uns aber stark gemacht haben, ist das Einstehen für die Werte, die unser Zusammenleben bestimmen. Das haben wir bisher immer dann gemacht, wenn wir das Gefühl hatten, das braucht es jetzt. Letztlich hat der Freundeskreis eine unglaublich große Stärke, die allseits geschätzt wird: Er ist nicht parteiisch, er ist unabhängig, hat eine Plattform, die ist nicht Partei, nicht Kirche, nicht Gewerkschaft, nicht Stadt.

Mitunter wird ja pessimistisch auf die Zukunft geblickt, was die Entwicklung von Demokratien betrifft. Ihr hattet schon gesagt, dass es keine Fälle gab, in denen Mitglieder unvereinbare Werte sich gebracht haben. Seid ihr anhand eurer Erfahrungen beim Freundeskreis dennoch zuversichtlich, dass das so bleiben wird? Oder glaubt ihr, dass sich die wie die Gesellschaft auch die Einstellung der Mitglieder über die Jahre verschieben kann?
KS –
Also zu so einem gesamtgesellschaftlichen Wandel kann ich gar nichts sagen. Da bräuchte man eine Glaskugel. Aber die Aufgabe des Freundeskreises ist es, auch dann trotzdem optimistisch nach vorne zu schauen und sich – was auch immer sich gesamtgesellschaftlich verschieben sollte – dagegen zu stellen. Der Freundeskreis steht dann aber nicht gegen so einen Wandel – sondern für die Werte, die wir eben besprochen haben.
MG – Was wir sehen, ist, dass die Mehrheit eher selten das Wort ergreift. Die Ränder sind dagegen sehr laut. Und ich glaube, wir haben eine sehr große Mehrheit der Hannoveraner*innen, die sich auch dahinter vereinigen können. Deswegen habe ich keine Sorge. Der Freundeskreis hat ein ganz klares Profil. Wenn wir aber auf Themen schauen, die für unsere Stadt relevant sind, über die auch viel gesprochen wird, dann ist es sehr wichtig, dass wir die Menschen in den Blick nehmen und sie auf den Weg mitnehmen. Wir müssen eine Balance finden.

Welche Wünsche habt ihr denn für die Zukunft?
KS –
Der Freundeskreis hat sich – seit es ihn gibt, seit über 30 Jahren – immer und immer wieder weiterentwickelt. Ich würde mir wünschen, dass es genau so weitergeht; dass er nicht da stehen bleibt, wo er jetzt gerade ist – sondern, dass sich die Geschäftsstelle, der Vorstand und die Mitglieder gemeinsam mit der ganzen Stadt nach vorne entwickeln. Wo auch immer vorne dann sein wird.
MG – Genau. Und, dass jeder Einzelne auch ein Stück dazu beiträgt. Es ganz wichtig, dass wir nicht nur Ideen formulieren, sondern auch bereit sind, dass jeder Einzelne die Ärmel hochkrempelt und versucht, ein Stück daran mitzuarbeiten. Am Ende ist es viel mehr wert, wenn jeder etwas dazu beigetragen hat. Und ansonsten, wie du (KS) es gesagt hast: Der Verein hat sich über 30 Jahre lang sehr gut entwickelt. Er ist heute einer der größten Bürger*innenvereine in Deutschland. Ich würde mich freuen, wenn es gelingt, immer wieder junge oder engagierte Mitglieder zu gewinnen. Und jeder Einzelne wird andere Akzente setzen, die ihm wichtig sind. Jede Zeit hat ihre Themen.

CK/LD

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Stadtkinder essen: Buafah

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Stadtkinder essen: Buafah


Mitten in der Altstadt, an der Ecke Knochenhauerstraße und Corviniusweg und in Sichtweite zur Kreuzkirche befindet sich das Buafah. Ein kleines, gemütliches und mit Grünpflanzen vollgestopftes Bistro, das authentische Thaiküche anbietet. „Authentisch“ – schwierig zu überprüfen, wenn man weder aus Thailand kommt, noch jemals da war. Trotzdem geben wir mal die großen Connaisseure – wird schon irgendwie werden!

Als wir ankommen, ist es gerammelt voll. Kein Wunder, zur Zeit unseres Besuchs ist der Weihnachtsmarkt in vollem Gange und außerdem ist Wochenende. Nichts, wovon sich das Personal aus der Fassung bringen ließe. Die freundliche Servicekraft bringt uns die Karten und deutet mit dem Kopf in Richtung der zeitgleich mit uns eingetrudelten Großgruppe. Wir verstehen, besser fix bestellen. Machen wir auch.
Wir entscheiden uns erst einmal für ein Singha Bier (3,50€) und ein großes Ginger Ale (0,5l für 4,20€).
Als Vorspeisen wählen wir eine klassische Tom Kha Gai und Muu Ping (jeweils 5,50€). Letzteres Gericht mit dem niedlichen Namen besteht aus drei Spießen würzigen, gegrillten Schweinefleischs mit einem pikanten Dip. Das Fleisch ist gleichmäßig gebräunt und schön saftig – ein sehr guter Einstieg!
Die Tom Kha Gai dürfte so ziemlich die beste gewesen sein, die uns bisher untergekommen ist (was einiges bedeutet, wenn man sich zu Studienzeiten doch nahezu komplett davon ernährt hat): Mild, aber intensiv, mit reichlich Galgantstücken, Limettenblättern und zartem Hühnchen. Mehr, bitte!

Der Hauptgang lässt auch nicht lange auf sich warten.
Clever gemacht: Das Buafah bietet vegane und vegetarische „Grundgerichte“ an, die Proteinquelle dazu ist frei wählbar aus Tofu, Hähnchen, gebackenem Hähnchen, Ente, Rindfleisch oder gebackenem Fisch.
Wir entscheiden uns für Phat Krapau mit Rind (14,50€), frisches Wokgemüse mit Krapau-Blättern, als Beilage gibt es Reis. „Scharf, bitte!“ Und das ist es auch – aber auf die angenehme Art, die Schärfe spürt man auf der Kopfhaut, aber die Aromen selbst sind alle noch gut herausschmeckbar. Perfektes Handwerk!
Als zweiten Hauptgang bestellen wir Guay Tiaow Pat See mit gebackenem Huhn (13€). Dabei handelt es sich um gebratene Reisnudeln (die optisch an Tagliatelle erinnern) mit Blumen- und Chinakohl, Brokkoli, Karotten und zarten Eierblumen. Dieses Gericht ist nicht scharf, aber die Servicekraft bringt uns eine Menagerie mit offensichtlich selbst hergestellten Würzpasten und –pulvern zum Nachschärfen. Es schmeckt ausgewogen, das Gemüse hat noch genug Biss, der Backteig des Hühnchens ist perfekt souffliert. Wir sind ziemlich begeistert.
Das Buafah bietet von Dienstag bis Freitag (12:00-15:00h) auch Mittagstisch an, hier ist es vielleicht nicht unbedingt nötig, einen Platz zu reservieren. Abends (die Küche schließt um 20:30h) sei aber unbedingt dazu geraten, weil der Gastraum eher klein ist.

Buafah – Thai Art Bistro
Knochenhauerstraße 13
30159 Hannover
0511 – 35354645
www.buafah.de

Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag 12:00-21:00 Uhr

IH, Fotos: Gero Drnek

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KinderHelden

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KinderHelden


Ehrenamtliches Engagement – KinderHelden

Von Bildungs- und Chancengleichheit ist das deutsche Bildungssystem Meilen entfernt. Wie erfolgreich man durch seine Schuljahre kommt, hängt noch immer von ökonomischen und sozialen Faktoren ab. Die KinderHelden setzten da an, wo das System versagt.

Kinder starten nicht alle mit den gleichen Voraussetzungen in die Schule: Wenn die Alleinerziehenden lange arbeiten müssen und nicht mittags nach der Schule ihren Kleinen bei den Hausaufgaben helfen können. Wenn zu Hause kaum Deutsch gesprochen wird. Wenn viele Geschwisterkinder ebenso nach Aufmerksamkeit verlangen. Die Lebensrealitäten sind vielfältig, doch diese Unterschiede prägen oft den Bildungsweg entscheidend. Diese Lücken fängt das Schulsystem nicht genügend auf. „Diese Kinder haben schon beim Schulstart einen riesigen Nachteil, den sie ihr ganzes Bildungsleben mit sich herumtragen werden“, betont Laura Held, die Projektmanagerin von KinderHelden.
Die KinderHelden wollen dem entgegenwirken. Grundschulkindern mit schwierigen Startbedingungen werden ehrenamtliche Mentor*innen an die Seite gestellt. „Je früher wir ansetzen, desto mehr können wir bewegen, damit dieser Nachteil gar nicht erst so groß wird“, fährt Laura fort.
Denn Kids brauchen Menschen, die ihnen zuhören, ihnen Anregungen geben, sie ermutigen und unterstützen – auch außerhalb der Familie. „Die Mentor*innen sind für die Kinder Vorbilder, Gesprächspartner*innen, Lernunterstützungen, Freizeitbegleiter*innen“, erklärt Laura. Einmal die Woche treffen sich die Tandems für zwei, drei Stunden an einem öffentlichen Ort. „Aber wie die gemeinsame Zeit gestaltet wird, ist wirklich total unterschiedlich bei jedem Tandem. Weil auch die Kinder so unterschiedlich sind.“ Ob schwimmen gehen bei gutem Wetter, ein Besuch im Landesmuseum, Hausaufgaben machen, das Einmaleins im Park üben oder bei vermeintlichem Schietwetter bei einem Spaziergang in Pfützen springen – die Möglichkeiten für die Gestaltung der Zeit sind vielfältig. „Das ist ja auch alles Lernen. Und so wichtiges – nämlich wie kann ich meine Freizeit gestalten? Das sind oft sehr lebenspraktische Sachen“, meint Laura.

Alle Kids, die an diesem Projekt teilnehmen, machen das freiwillig. Und mit großer Freude: „Es ist halt jemand, der nur für sie kommt. Jemand ganz Besonderes. Diese Bezugsperson müssen die Kinder nicht teilen, nicht mit den Geschwistern, nicht mit den Klassenkamerad*innen – sondern es ist ein*e Kinderheld*in nur für sie.“

In Hannover gibt es dieses Projekt seit 2019. Finanziert wird der Verein über Spenden. „Wir haben in Hannover das Glück, dass wir eine ganz tolle Unterstützung von der Swiss Life Stiftung haben“, betont Laura. Jedes Jahr können im Rahmen der KinderHelden ca. 100 Kinder in sechs Kooperationsschulen in Hannover gefördert werden. Bundesweit sind es jährlich sogar 1400 Kids.
Und das Projekt zeigt Wirkung. „Es gibt bei uns tolle Erfolgsgeschichten von Kindern,
die es dank ihrer Mentor*innen als erste aus ihrer Familie aufs Gymnasium geschafft haben.“ Auch die Evaluation, die im letzten Jahr durchgeführt wurde, zeichnet eine positive Bilanz. Die Lesekompetenzen der Kinder, ihr Selbstwert und psychisches Wohlbefinden – all das ist im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Tandems gestiegen. „Das ist so wertvoll!“, unterstreicht Laura.

Damit noch mehr Grundschüler*innen von diesem Projekt profitieren können, braucht es mehr Mentor*innen. „Ich glaube, dass jede*r Mentor*in sein kann. Wer irgendwie neugierig ist und Lust hat, sich auf das Projekt einzulassen, kann uns gerne die Zeit schenken.“ Sobald man 16 Jahre alt ist, verlässlich zwei, drei Stunden die Woche Zeit hat und das Interesse mitbringt, auf eine andere Lebenswelt zu stoßen, ist man bei den KinderHelden goldrichtig. Zeit, die nachhaltige Veränderungen bewirken kann: „Man kann als Mentor*in für den*die Einzelne*n den Unterschied machen.“

Jule Merx

KinderHelden
Swiss Life Platz 1, 30659 Hannover
www.kinderhelden.info
Telefon: 0511-90204850
Instagram: @kinder_helden_ggmbh

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