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Über Angst (Titel 2023-12)

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Über Angst (Titel 2023-12)


…und wie sie uns lähmt

Kein schönes Gefühl – aber ein verbindendes Gefühl. Denn Angst kennen wir alle. Egal wie stark, wie selbstbewusst und mutig wir auftreten, in irgendeinem Winkel unseres Hirns liegt sie ständig auf der Lauer. Da ist die Angst vor der Dunkelheit im Kinderzimmer. Hat sich jemand unter dem Bett versteckt? Da ist die Angst vor dem Gang in den Keller. Und dann haben wir Angst, weil wir morgen vor der ganzen Klasse ein Lied vorsingen müssen. Oder weil uns beim Arzt die Nadel der Spritze plötzlich doch sehr groß vorkommt. Wir haben Angst vor dem aggressiven Jungen in der Parallelklasse. Wir haben Angst, dass uns etwas Peinliches passiert und alle mit dem Finger auf uns zeigen. Wir haben Angst vor dem Versagen, vor der nächsten Klassenarbeit. Wir haben Angst, dass die anderen herausfinden, dass wir gar nicht so klug, so stark, so cool sind. Wir haben Angst, dass sich unsere Eltern wieder streiten. Wir haben Angst vor Gewalt. Vor Krankheit. Vor Bestrafung. Ganz sicher hatten die Menschen früher große Angst vor Gewittern, weil sie sich das Phänomen nicht erklären konnten. Und obwohl wir heute wissen, wie das alles funktioniert, ist die Angst geblieben. Wenn es donnert und blitzt, beschleicht viele ein mulmiges Gefühl. Und das ist gut so, denn Angst erfüllt ja einen Zweck. Sie schützt uns. Wenn wir potenziell gefährliche Situationen erkennen oder auch nur erahnen, kann Angst unser Leben retten. Aber sie kann uns auch lähmen. Uns handlungsunfähig, uns ohnmächtig machen. Dann sind wir im wahrsten Sinne des Wortes ohne Macht, dann sind wir ausgeliefert …

Die Angst entsteht in unserem Kopf in der Amygdala, eine Kernstruktur im Gehirn, die eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen spielt. Wir sammeln über unsere verschiedenen Sinne permanent Informationen und wenn diese als bedrohlich oder gefährlich interpretiert werden, bekommen wir Angst. Wir sind am Meer und plötzlich verschwindet das Wasser. Wir haben mal diese Dokumentation über Tsunamis gesehen. Uns stehen die Haare zu Berge. Was jetzt? Bleiben und kämpfen, irgendwo hochklettern, sich dort festbinden? Oder weglaufen? Fight or Flight, Kampf oder Flucht? Was ist jetzt die bessere Wahl? Unser Körper setzt Adrenalin frei, der Herzschlag beschleunigt sich, die Atmung wird schneller, die Muskeln spannen sich an. Die Angst mobilisiert den Körper, wir machen uns physiologisch kampfbereit, um der Bedrohung zu begegnen. Und die Angst mobilisiert im besten Fall gleichzeitig unsere kognitiven Fähigkeiten. Unsere Aufmerksamkeit ist geschärft, wir sind mehr als wach. Allerdings kann es sein, dass es in diesem Zustand ein bisschen bei der rationalen Entscheidungsfindung hapert.

Überhaupt scheint die Angst oft kein besonders guter Ratgeber zu sein. Und wenn irrationale Ängste ständig den Flight- oder auch Fight-Impuls auslösen, wird es problematisch. Wir sollten darum unsere Ängste beizeiten genau analysieren. Ängste können durch Lernen und Konditionierung verstärkt werden. Wenn wir negative Erfahrungen gemacht haben, die mit bestimmten Reizen oder Situationen verbunden waren, kann sich eine Angst allein vor diesen Reizen entwickeln. Und wenn unsere Eltern ständig Angst vor „dem schwarzen Mann“ haben, wird sich diese Angst sehr wahrscheinlich auf uns übertragen. Ähnliches wie in Familien passiert auch in Gesellschaften. Wenn bestimmte Ängste immer wieder thematisiert werden, fühlen wir uns irgendwann diffus bedroht, obwohl wir gar keine direkten Berührungspunkte mit dem haben, was allen so große Angst macht.

Wenn man sich momentan in unserer Gesellschaft umhört, dann ist die Angst allgegenwärtig. Es gibt kaum noch mutige, zuversichtliche Stimmen. Stattdessen wird gewarnt. Und konkrete Anlässe für diese Warnungen gibt es leider auch genug. Wir sehen überall auf der Welt die Kriege und Konflikte, wir sehen unfassbare Gewalt, wir erschrecken jeden Tag davor, zu welchen Gräueltaten Menschen fähig sind. Wir sind dazu tagtäglich konfrontiert mit den Folgen des Klimawandels. Wir sehen in den verschiedenen Medien was weltweit passiert, wo es brennt, wo es stürmt, wo Landstriche unbewohnbar werden, und manchmal kommen uns die Folgen der Erderwärmung auch schon hier bei uns in Deutschland ganz nah. Wir sehen und erkennen, dass unsere Welt zunehmend aus den Fugen gerät. Wir haben gerade erst eine Pandemie hinter uns. Die drohende Apokalypse gehört heute quasi zum medialen Grundrauschen. Und dann ist da noch die Angst vor dem sozialen Abstieg. Die Angst, dass Deutschlands Wirtschaft den Bach runtergeht, dass wir im globalen Wettbewerb verlieren. Und damit verbunden ist die Angst um unseren privaten Wohlstand. Wir haben zunehmend Angst, dass es unseren Kindern mal nicht besser gehen wird. Im Gegenteil, es wird immer mehr zur Gewissheit, dass es eher in die entgegengesetzte Richtung läuft. Wir haben all das permanent im Hinterkopf und die ständige Konfrontation mit immer neuen Problemen verstärkt kontinuierlich unsere Angst. Sie wird mehr und mehr zum seelischen Tinnitus. Sigmund Freud hat darauf hingewiesen, dass wohl eher die Erwartung eines fürchterlichen Ereignisses Angst macht als das Ereignis selbst. Die Angst nährt sich aus der Aussicht, einer Gefahr hilflos ausgeliefert zu sein, aus den üblen Vorstellungen, die man sich macht. Und genau damit beschäftigen wir uns leider inflationär. Wir malen uns die Zukunft schwarz.

Wir haben entsetzliche Angst zu verlieren, was wir haben. Aber ist das eigentlich ein Wunder? Wir in Deutschland haben sehr viel zu verlieren, so wie viele andere, sehr reiche westliche Gesellschaften. Und wir sind entsprechend ängstlich. Da wir aber gerne überall an der Spitze stehen wollen, zittern wir darüber hinaus noch einmal ein bisschen mehr als alle anderen. Wir sind berühmt für unsere German Angst. Wir sind besorgt, wir wägen ab, wir grübeln lieber mal ein paar Tage länger. Und wir haben uns mit der Zeit ein System erschaffen, dass uns maximale Sicherheit geben soll. Wir haben uns eine Vielzahl von Gesetzen und Vorschriften gegönnt, wir reglementieren in Deutschland wirklich alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Die Angst ist der Ursprung unserer heute bis zur Unübersichtlichkeit durchfunktionalisierten Gesellschaft. Unsere Bürokratie ist eine direkte Folge unserer Angst.

Und unser Bundeskanzler Olaf Scholz ist die fleischgewordene Büroklammer. Ein Zögerer und Zauderer, niemand, der mutig vorangeht, eher einer, der ein bisschen zurückbleibt, um zu analysieren, welche Richtung die wenigsten Gefahren bereithält. Viele kritisieren das. Aber im Grunde hält uns Olaf Scholz damit nur einen Spiegel vor. Olaf Scholz ist, wenn man so will, die personifizierte deutsche Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die ängstlich klammert, die sich permanent in Sicherheit bringen will. Das ist genau das, was uns in der Mehrheit jeden Tag beschäftigt und umtreibt. Wie sichern wir uns ab? Wie schaffen wir, dass es reicht? Dass es auch noch für morgen reicht und für übermorgen, wenn wir alt sind? Für die Sicherheit stecken wir täglich eifrig Münze um Münze in unsere privaten Geldspeicher, damit wir uns um die Zukunft möglichst keine Sorgen machen müssen. Was schon ein bisschen merkwürdig ist. Wir machen uns ständig Sorgen um die Zukunft, damit wir uns später keine Sorgen machen müssen.

Und jetzt nagt die Inflation an unserem privaten Geldspeicher. Und uns beschleicht die Angst, dass es vielleicht nicht reicht. Dass es uns nicht gelingen wird, genug beiseitezuschaffen. Aber was tun? Da ist plötzlich diese Verlustangst, weil es ganz konkret an der Supermarktkasse teurer wird. Und diese Angst vermischt sich mit all den diffusen Ängsten und Ungewissheiten, die uns jeden Tag über die Medien und Sozialen Kanäle in die Hirne gespült werden. Es fällt uns damit zunehmend schwerer, die Dinge rational zu betrachten. Das Irrationale gewinnt die Oberhand. Wir entwickeln Ängste, die rational keine Basis haben. So wie bei der Angst nachts auf einem Friedhof. Statistisch ist klar belegt, dass Friedhöfe nachts sehr sichere Orte sind. Was ja sofort einleuchtet. Mörder sind auch nur Menschen, warum sollten sie sich auf unheimlichen Friedhöfen herumtreiben? Und trotzdem haben wir nachts auf Friedhöfen Angst.

Und wie reagieren wir nun auf die inflationäre Angst, auf diese brisante Mischung aus tatsächlichen Gefahren und irrationalen Ängsten? Ganz einfach, mit Kampf oder Flucht. Und meistens mit einer guten Mischung. Unsere Fluchst ist das kollektive Verkriechen unter die Decke, der Rückzug ins Private. Unsere Flucht, das sind die zugezogenen Vorhänge, das ist die Alarmanlage. Und unser Kampf? Das ist zum Beispiel der Kleine Waffenschein. Und auch das Kreuz bei der AfD. Wer starke Ängste hat, der sehnt sich nach Schutz. Wir haben alle dieses frühkindliche Bedürfnis, wir sind als Babys und Kinder auf unsere sorgenden Eltern angewiesen. Darum neigen wir dazu, uns als Erwachsene ebenfalls vermeintlich starke Persönlichkeiten zu suchen, die uns Schutz versprechen. Wir schließen uns aus diesem Grund auch gerne „starken“ Gruppen an. Und werden vielleicht zu regelrechten Angstbeißern. Die Ängste eskalieren. Sie brechen sich Bahn in zerstörerischen Emotionen wie Wut, Ekel und Hass. Und diese Emotionen richten sich gerne gegen Minderheiten. Wenn sich Menschen hilflos fühlen, suchen sie nach Sündenböcken. Jemand soll die Verantwortung übernehmen. Jemand soll bestraft werden. Die Folge sind im Extremfall rassistisch oder religiös motivierte Straftaten. Eine nur auf den ersten Blick harmlosere Folge sind die Kreuze bei rechtsextremen Parteien, dessen Geschäftsmodell bekanntlich die Angst ist.

Das jedenfalls wird immer wieder erzählt. Die Rechten schüren die Ängste und den Hass. Sie verbreiten bewusst Falschmeldungen, sie setzen Verschwörungstheorien in die Welt, weil sie vom Klima der Angst profitieren. Und ja, das stimmt. Das ist das Konzept. Allerdings ist das Schüren von Ängsten längst nicht mehr nur das Metier der Rechten. Inzwischen gehört die Angstmacherei zum politischen Tagesgeschäft. Und angesichts der Bedrohungen werden Maßnahmen dann alternativlos. Die Angst ist ein willkommenes Hilfsmittel. Die Angst vor der Überforderung durch zu viele Flüchtlinge wird von allen Seiten beschworen, die Angst vor dem Klimawandel wird ebenfalls instrumentalisiert, genauso die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg. Alle Parteien, nicht allein die AfD, spielen inzwischen auf der Angst-Klaviatur. Und die gesellschaftlichen Folgen sind unübersehbar. Wir sehen bei uns immer mehr Egoismus, immer mehr Härte, immer mehr Kälte. Der Zusammenhalt geht verloren, die Solidarität, die Menschlichkeit. Wir kleben Menschen lieber Etiketten auf, um sie leichter ablehnen zu können. Es sind dann eben Flüchtlinge und keine Familien. Wir werden vor lauter Angst immer mehr zu solchen Menschen, vor denen die Flüchtlinge fliehen. Wir werden kollektiv zu Angstbeißern. Und schnappen mehr und mehr auch in Richtung Politik. Wenn die großen Volksparteien auf dem absteigenden Ast sind, so ist das auch eine direkte Folge ihrer Angststrategie der vergangenen Jahre. Und sie treiben das Spiel immer noch weiter, vor allem die CDU bekleckert sich in Sachen Angst-Populismus momentan nicht mit Ruhm. Mit Wonne wird der Untergang beschworen. Sie machen damit immer mehr Menschen zu Protestwähler*innen oder zu Nichtwähler*innen.

Warum? Wenn die Angst kein guter Berater ist, wenn ängstliche Gesellschaften zur Irrationalität neigen und Populisten auf den Leim gehen, wenn zitternde Gesellschaften dazu tendieren, ihre Demokratien abzuschaffen, wenn durch Angst das Bedürfnis nach Autorität, nach Führung steigt, wäre es dann nicht ziemlich klug, etwas gegen die grassierende Angst in unserer Gesellschaft zu unternehmen, statt sie immer weiter zu schüren? Wäre es nicht sehr viel sinnvoller, das Gute zu unterstreichen und zu betonen. Wäre es nicht klug, dass wir uns unterhaken? Um unsere Demokratie, unsere Freiheit, und ja, auch unseren Wohlstand zu schützen? Wir haben in der Welt sehr mächtige Gegenspieler, vor denen wir weitaus mehr Angst haben sollten als vor jenen Menschen, die von diesen Despoten vertrieben werden und zu uns flüchten. Wir sollten uns besinnen auf unsere Stärken. Und klar haben, wer die Starken und wer die Schwachen sind. Die Rechten sind die Jammerlappen. Die AfD-Gestalten sind die Deppen von der letzten Bank. Und klar, wenn die den ganzen Mist glauben, den sie tagtäglich verzapfen, dann zittern sie natürlich alle vor Angst und kommen mit entsprechend kruden Ideen um die Ecke, denn klar denken kann so ja niemand. Es ist jetzt die wichtigste Aufgabe verantwortungsvoller Politik, zurückzukehren zu ehrlichen, nicht populistischen Diskussionen. Das heißt nicht, dass die Probleme nicht mehr klar benannt werden sollten. Man sollte sie nur nicht allesamt immer wieder inflationär zur drohenden Apokalypse hochjazzen. Das hilft ganz am Ende nur den Falschen.

LAK

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Ein letztes Wort im Dezember

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Ein letztes Wort im Dezember


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, wir sprechen natürlich über die Geschehnisse in Israel. Und über das, was wir in der Folge nun in Deutschland sehen und erleben. Aber beginnen wir mit dem 7. Oktober. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
Wir kamen an dem Tag zurück von einer Delegationsreise nach Vietnam. Schon morgens am Flughafen gingen beunruhigende Push-Meldungen ein. Zunächst konnte ich die Berichte nicht wirklich einordnen. Aber es wurde dann im Laufe des Tages leider immer klarer, dass es sich um mehrere geplante, äußerst grausame und unbarmherzige Angriffe handelte, die vor allem gegen die Zivilbevölkerung in Israel geführt wurden. Eine neue, abscheuliche Art systematischer Kriegsführung.

Wann war Ihnen das ganze Ausmaß klar?
Eigentlich erst am nächsten Tag. Vielleicht weil sich alles in einem sträubt, eine Brutalität solchen Ausmaßes zu erfassen und als neue, bittere Wirklichkeit zu akzeptieren. Und auch, weil sich die Informationen erst mit der Zeit weiter verdichtet haben. Erst nach und nach wurde klar, wie hoch die Zahlen der Getöteten und Verletzten aber auch der Verschleppten waren – eine ganz besonders widerliche Facette dieses entsetzlichen Terrors. Diese Grausamkeit macht einen fassungslos. Für Israel war der 7. Oktober so etwas wie 9/11 für Amerika.

Der Terror richtet sich gezielt gegen Familien, gegen Kinder …
Ein extremer Terror, der sich am Vorgehen des IS orientiert. Und ich kann gut verstehen, warum die Israelis sagen, dass diese Art von Terror nie wieder passieren darf, dass sie nicht weiter unter einer ständigen Terrorbedrohung leben können. Es ist nicht akzeptabel, wenn jemand wie Erdoğan sagt, die Hamas sei im Grunde so etwas wie eine Befreiungsorganisation. Die Hamas ist eine Terrororganisation, eine Bande von Verbrechern und Mördern.

Die Hamas herrscht in diesem Landstrich seit Jahren mit unerbittlicher Härte, sie haben sich Gaza sozusagen unter den Nagel gerissen …
Das ist so, und die Opfer unter der Zivilbevölkerung in Gaza sind Teil einer zynischen Gesamtkalkulation. Es handelt sich um einen seit Jahrzehnten fortgeschleppten Konflikt, der danach schreit, dass es endlich doch eine friedliche Lösung gibt. Ein wesentliches Element einer solchen Lösung ist unabdingbar das Existenzrecht und die Sicherheit Israels. Der Terror muss aufhören.

Seit Rabin ist nicht mehr viel in dieser Richtung passiert. Und nun ist es vollends eskaliert. Israel war kurz in Schockstarre und schlägt jetzt unerbittlich zurück. Von Beginn an begleitet von Ressentiments, von Unterstellungen, von Hass, von Antisemitismus.
Israel hat das Recht, sich zu verteidigen. Und auch das Recht, die Wurzeln dieses Terrors zu beseitigen. Aber Israel hat dabei natürlich die Verpflichtung, die Zahl der Opfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung so gering wie irgend möglich zu halten. Tote Kinder sind furchtbar, ganz egal auf welcher Seite der Grenze.

Wir erleben weltweit und auch in Deutschland nun ein Aufflammen von Antisemitismus …
Es ist wirklich beschämend, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Angst haben, sich mit Symbolen ihres Glaubens in der Öffentlichkeit zu bewegen. Dagegen muss der Staat tun, was er tun kann, aber am Ende auch alle Bürgerinnen und Bürger. Wir müssen uns allerdings vor kollektiven Zuschreibungen hüten. Es gibt beispielsweise in der arabischen Community eine große Mehrheit, die mit Terrorismus und Antisemitismus rein gar nichts am Hut hat, denen es aber gleichzeitig tief unter die Haut geht, mit anzusehen, dass von 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen nun anderthalb Millionen auf der Flucht sind. Es sind dort inzwischen viele tausend Opfer zu beklagen, auch viele Kinder und Jugendliche. Das lässt niemanden kalt. Auch mich nicht. Es gehört zum Kalkül der Hamas, die Zivilbevölkerung zu missbrauchen und viele Opfer in Kauf zu nehmen. Und es ist nicht leicht für Israel, unter diesen Bedingungen die Verhältnismäßigkeit zu wahren, aber das müssen wir fordern. Und wir brauchen endlich eine dauerhafte Lösung, einen echten Frieden. Was soll entstehen in einem Gazastreifen, der zu weiten Teilen nur noch ein Trümmerhaufen ist? Wir kann man verhindern, dass daraus neuer Hass entsteht? Diese furchtbare Spirale muss endlich durchbrochen werden.

Eine friedliche Lösung hätte nur mit großer internationaler Anstrengung ganz vieler Staaten eine Chance und man müsste insbesondere dafür sorgen, dass die Unterstützung von Terrororganisationen aufhört.
In der Tat muss sich die internationale Gemeinschaft stark engagieren für einen Frieden in Nahost. Man muss jetzt zu einer echten Friedensordnung kommen. Auch ich halte – wie der Bundeskanzler – trotz oder vielleicht sogar gerade wegen dieses Krieges – eine Zweistaatenlösung für dringend notwendig. Mit breiten internationalen Sicherheitsgarantien für Israel müsste gewährleistet sein, dass von einem palästinensischen Staat für Israel keine Bedrohung mehr ausgeht. Gleichzeitig wäre eine Unterstützung für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung in Palästina erforderlich.

Das klingt immerhin nach einer Möglichkeit.
Jedenfalls ist meine Fantasie ansonsten sehr begrenzt.

Meine Fantasie ist dahingehend begrenzt, ob das mit der Netanjahu-Regierung in Israel möglich sein wird.
Jedenfalls ist Israel eine sehr gefestigte Demokratie, übriges die einzige im Nahen und Mittleren Osten. Eine Demokratie, in der es sehr lebendige innenpolitische Auseinandersetzungen gibt. Das haben wir ja in den letzten Monaten gesehen bei dem wirklich beeindruckenden zivilgesellschaftlichen Protest gegen die Pläne für eine sehr problematische Justizreform. Ich habe großes Vertrauen in die demokratischen Prozesse in Israel. Wir hören doch, wie es um das Vertrauen in die amtierende Regierung bestellt ist. Insofern bin ich zuversichtlich, dass man in Israel die richtigen Schritte gehen wird. Dass sich die politisch Verantwortlichen in Israel in dem aktuellen Kriegszustand aber zunächst auf eine Einheitsregierung verständigt haben, kann ich gut nachvollziehen.

Israel ist momentan, und im Grunde ja schon seit vielen Jahren, in einem Dilemma, sie haben diesen Druck, sich human zu verhalten, aber man hat dort auch gelernt, dass es durch ein Zurückweichen nie besser geworden ist, sondern oft nur bedrohlicher …
Es gibt dieses Dilemma. Israel fühlt sich dem Völkerrecht verpflichtet, die Hamas aber nicht. Ein Rechtsstaat gegen eine Terrorbande. Dennoch muss Israel sich fortwährend prüfen, ob es den Erwartungen an einen Rechtsstaat und seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen entspricht.

Was denken Sie, wenn Sie die Demonstrationen in Deutschland sehen, teils offen antisemitisch?
Wir sehen momentan drei verschiedene Demonstrationsformen. Es gibt die Demonstrationen zur Unterstützung Israels und zur Solidarität mit den Jüdinnen und Juden in aller Welt. Es gibt jene, mit denen die Organisatoren ihre tiefe Betroffenheit über die zivilen Opfer im Gazastreifen ausdrücken, aber nicht mehr. Und dann gibt es Demonstrationen, die antiisraelisch und judenfeindlich sind. Letztere werden in Niedersachsen konsequent verboten. Wir wollen an dieser Stelle überhaupt keinen Zweifel aufkommen lassen, wo der deutsche Staat steht. Bei uns darf man seine Meinung frei äußern, aber im Rahmen der allgemeinen Gesetze.

Es hat sich gezeigt, dass wir in Deutschland anscheinend ein vielschichtiges Problem mit Antisemitismus haben …
Wir haben Rechtsextremismus in Deutschland, und von dem geht, auch nach den Verfassungsschutzberichten, die größte Gefahr aus. Wir haben aber Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden leider auch bis in die Mitte unserer Gesellschaft hinein. Und natürlich haben wir den vielzitierten zugewanderten Antisemitismus. Gar keine Frage. Aber ich habe das hier mal bewusst in dieser Reihenfolge gesagt, denn wir haben nicht nur unsere Hausaufgaben hinsichtlich der letztgenannten Form von Antisemitismus zu erledigen. Wir müssen uns auch um die beiden anderen Formen kümmern. Das ist eine Aufgabe für alle Bürgerinnen und Bürger, für die ganze Gesellschaft. Wir müssen überall laut und deutlich widersprechen, in der Kneipe, in den Schulen, in den Vereinen, überall.

Interview: Lars Kompa

(Das Interview wurde bereits im November 2023 geführt)

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Staatsoper Hannover: Am Küchentisch mit Martin G. Berger

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Staatsoper Hannover: Am Küchentisch mit Martin G. Berger


Für die Uraufführung des Musicals „Kasimir und Karoline“ holt sich die Staatsoper den freischaffenden Übersetzer, Regisseur und Autor Martin G. Berger ins Haus. Der gebürtige Berliner ist allerdings alles andere als ein Neuzugang, denn seine vielseitige Karriere begann er als mehrjähriger Assistent im Festengagement an der Staatsoper Hannover und der Oper Dortmund. Mittlerweile ist er in seinen vielen Tätigkeiten im ganzen deutschsprachigen Raum unterwegs und war in der Spielzeit 2021/22 Operndirektor am Mecklenburgischen Staatstheater. Zusätzlich wurde er mit zahlreichen Preisen, wie dem deutschen Theaterpreis FAUST in der Kategorie „Beste Regie Musiktheater“ (2020) und dem „Orpheus für besondere Verdienste um die Operette“ (2018), ausgezeichnet.

Du bist in deinem Leben schon ziemlich herumgekommen und arbeitest mittlerweile als erfolgreicher Freischaffender für zahlreiche Opernhäuser. Meinst du, du könntest mir eine kurze Tour durch deinen Lebenslauf geben?
(Lacht) Das ist natürlich mal eine Aufgabe. Also nach dem Abitur wollte ich unbedingt Theater machen. Die Mutter einer ehemaligen Klassenkameradin war Kostümbildnerin und über sie habe ich dann eine Hospitanz bekommen. Das ist so eine Art Praktikum im Theater, wo man im Prinzip vieles machen kann und bei vielem dabei sein kann. Ich hatte vorher natürlich schon Theater in der Theater-AG gemacht, aber das war der Moment, in dem es bei mir klick gemacht hat und ich wusste, ich will unbedingt Regie machen. Und dann hab ich eigentlich einen relativ altmodischen Lebenslauf gemacht. Ich hab so ein bisschen vor mich hin studiert und war dann aber ziemlich schnell nach dem Abi mit 21 fester Regieassistent in Dortmund. Und dann bin ich tatsächlich lustigerweise zwei Jahre später hierher nach Hannover gekommen, war hier auch nochmal Assistent und hab dann unter Michael Klügl die Chance gehabt, „Die Fledermaus“ auf der großen Bühne zu machen. Das war ziemlich erfolgreich und seitdem inszeniere ich eigentlich überall so vor mich hin und arbeite durchgängig als Regisseur. Ich war jetzt zwei Jahre auch mal Operndirektor in Schwerin. Das war auch mal ein spannender Einblick, aber ich bin gerade ganz froh, dass ich wieder freischaffend bin und mich ganz auf die Kunst konzentrieren kann.

Du bist Autor, Regisseur und Übersetzer. Was macht dir davon am meisten Spaß?
(Lacht) Ganz schwer zu sagen, ich finde alle drei Sachen machen unglaublichen Spaß, je nachdem auch, mit welchem Stück man sich beschäftigt. Regie ist schon mein Hauptjob, aber ich darf in letzter Zeit auch ziemlich viel schreiben. Das ist total schön! Ich übersetze auch wahnsinnig gerne, insbesondere, wenn es um wirklich tolle Musicals geht, wie die von Stephen Sondheim, dann ist Übersetzen eigentlich fast das, was am glücklichsten macht, weil man sich ganz ganz intensiv mit einem großartigen Stoff auseinandersetzt. Aber das Gute ist, dass sich Übersetzen und Schreiben natürlich sehr ähnlich in der Arbeitsweise sind, aber Regie noch mal was ganz anderes ist. Da geht es um viel pragmatischere Sachen, das ist ganz viel Arbeit mit Menschen und Kommunikation. Und als Autor und Übersetzer sitzt man natürlich alleine am Tisch. Das ist einerseits irgendwie auch schön, weil keiner einem auf den Senkel geht (lacht), aber auf der anderen Seite ist es natürlich eine viel unkommunikativere Arbeit. Und deswegen liebe ich es, alle drei Aspekte ausleben zu dürfen.

Welche Sprachen übersetzt du alle?
Ich hab aus verschiedenen Sprachen übersetzt. Der Witz beim literarischen Übersetzen, also beim singbar machenden Übersetzen, ist, dass du vor allen Dingen deine eigene Sprache richtig gut können musst, damit alles auf die Melodie passt und sich reimt und singbar ist. 99 Prozent all dessen, was ich mache, sind englische Musicals. Ich hab „La Cage aux Folles“ zuletzt für die Komische Oper übersetzt. Ich hab mehrere Sondheim-Sachen, wie „Follies“ und „Candide“, übersetzt. Ich hab tatsächlich aber auch schon mal eine dänische Oper übersetzt. Und das war auch spannend, weil ich zwar in dem Sinne kein Dänisch kann, aber es eine ganz ganz intensive wörtliche Übersetzung gab und ich so über Umwege verstanden habe, wie so die Sprache und ihr Sound sind.

Du hattest ja schon erwähnt, du hast in der Vergangenheit fest für die Staatsoper Hannover gearbeitet. Wie ist es, wieder hier zu arbeiten? Hat sich viel verändert?
Ach ja, das ist schon ein steter Wandel. Also ich hab jetzt ja das Glück gehabt, dass ich unter zwei Intendanzen arbeiten durfte und damit bin ich seit 2011 eigentlich immer wieder im Haus gewesen. Ich merke schon, dass ich, wenn ich hier auf die Bühne gehe, einfach die Kollegen kenne. Natürlich versuche ich, andere Häuser auch möglichst kennenzulernen und zu wissen, wer wer ist, aber das ist dann oft unmöglich in der kurzen Zeit, die man da ist. Und das ist schon familiär und schön, dass man immer wieder hierher kommt und irgendwie auch weiß, wo es vielleicht ein bisschen hakt, und weiß, was besonders gut geht, und weiß, wie so die einzelnen Leute ticken. Das ist schon schön und deswegen bin ich immer wieder gerne hier.

Du bist nicht nur der Regisseur, sondern auch der Mitautor von „Kasimir und Karoline“. Wie kann ich mir die Arbeit eines Mitautors vorstellen?
(Lacht) Also wir haben einfach gemeinsam geschrieben. Schon vor über zwei Jahren war klar, wir wollen eine Uraufführung machen, das hat Laura Berman in Auftrag gegeben. Und sie wollte gerne, dass ich die mit Martin Mutschler und Jherek Bischoff, dem Komponisten, zusammen schreibe. Und in dem Fall war es so, dass wir erst einmal das Originalstück bearbeitet haben. Wir haben zum Beispiel relativ behutsam die Sprache aktualisiert aber dabei versucht, viel Horváth übrig zu lassen. Das Besondere war, dass Komponisten meist Texte vertonen und es hier oft umgekehrt war, weil Jherek Bischoff kein deutscher Muttersprachler ist. Jherek hat zu den Szenen Musikstücke geschrieben, die ihm atmosphärisch richtig vorkamen. Und auf seine erfundenen Melodien haben Martin und ich dann die Liedtexte geschrieben. Und so langsam setzt sich das dann mehr und mehr zusammen. Außerdem hatten wir einen Workshop, wo wir die meisten Sängerinnen und Sänger aus der Besetzung getroffen haben und schon mal herausgefunden haben, was können die gut singen, was für Tonarten sind gut für sie. Gerade in einem Genre, das manchen fremd ist. Und das haben wir auch mit in unsere Betrachtung genommen und so entsteht dann so ein Stück (lacht).

Das klingt nach sehr enger Zusammenarbeit. Gab es, während des Schreibprozesses, Momente, in denen du deine Kollegen gerne in guter, alter „Kasimir und Karoline“-Manier verprügelt hättest?
(Lacht) Verprügelt nicht, aber so ein Prozess ist natürlich intensiv und jeder hat sein eigenes Tempo. Gerade mit der Sprachbarriere haben wir oft miteinander gerungen, aber gar nicht gegeneinander, sondern wirklich miteinander und um die Sache eher. „Wie sind wir da am effizientesten, wo kommen wir da hin, wo wollen wir mit dem Stück hin?“ Wir waren eigentlich inhaltlich immer total d’accord alle und es gab eigentlich, muss man wirklich sagen, keine größeren Konflikte innerhalb des Teams. Wir hatten einfache eine sehr gute gemeinsame Idee davon, wo wir hin wollen.

Kommen wir zu dem Stück, worum geht es bei „Kasimir und Karoline“ überhaupt? Hier an der Staatsoper wird es als Musical aufgeführt, aber war es nicht ursprünglich ein Theaterstück?
Die Vorlage ist ein Theaterstück, genau, von Ödön von Horváth. Eigentlich ein Klassiker, bei dem es um Kasimir und Karoline geht, wie der Titel schon sagt. Die beiden sind ein Paar, aber es ist keine klassische Geschichte, wo ein Paar sich findet, sondern es ist eine Geschichte, wo ein Paar über die Zeit, in der das Stück spielt, auseinanderdriftet. Und das ist, finde ich, ein ziemlich aufregender Vorgang. Es ist ein Sozialdrama. Es geht um zwei Menschen, die nicht in der obersten Schicht Zuhause sind. Kasimir hat an dem Abend davor seine Arbeit verloren, möchte eigentlich nicht feiern gehen. Karoline hat sich schon ewig darauf gefreut, an dem Abend wegzugehen. Und es ist einfach schwierig, weil die beiden ganz unterschiedliche Wünsche haben in diesem Moment. Und nach und nach driften sie auseinander. Der Kern von „Kasimir und Karoline“ ist, wie der Kapitalismus und die Frage danach, welchen Wert wir haben für die Gesellschaft und welchen Wert wir mitbringen, sich auf unsere persönlichen Beziehungen und schlussendlich auch auf unsere gesamte Gesellschaft auswirken.

Also ist es eine Kapitalismuskritik. Gibt es einen Grund, weshalb gerade jetzt dieses Musical ins Programm genommen wird?
Leider ja. Wir erleben im Prinzip momentan, dass der Kapitalismus noch viel schlimmer geworden ist in den letzten hundert Jahren, weil er durch die Globalisierung noch mal ganz andere schreckliche Züge angenommen hat. Und wir merken, dass der Grund für den Aufschwung von rechter Politik ist, dass die Menschen Angst haben, dass der Lebensstandard, den sie haben, ihnen durch Migration abhanden kommt. Diese Migration kommt ja aber daher, dass der Kapitalismus nicht dafür gesorgt hat, dass es allen gleich gut geht, sondern, dass wir hier auf Kosten von anderen Ländern leben. Zum Beispiel kann man Schokolade eigentlich nicht essen, weil 80 Prozent davon einfach überhaupt nur möglich sind, durch Kindersklaverei in super armen, afrikanischen Ländern. Aber natürlich ist auch die Klimaerwärmung ein weiterer absoluter Grund für Migration. Aber jedenfalls finde ich das Stück deswegen total aktuell. Und wie jedes gute Stück, und da rede ich jetzt erst einmal über Horváth und seine Vorlage, schafft es, das in Figuren zu erzählen und nicht mit dem Zeigefinger und mit der Vorlesung.

Gibt es Anspielungen auf aktuelle Geschehnisse in der Welt?
In unserer Fassung spielen wir ganz eindeutig im Jetzt, also das ist ganz klar. Und es gibt nicht die eine aktuelle Anspielung, aber Kasimir hat bei uns einen Migrationshintergrund und hat Angst um seinen Aufenthaltsstatus, weil er seine Arbeit verloren hat. Wir haben die Figuren einfach relativ behutsam ins Jetzt geholt und damit glaube ich sind wir an vielen aktuellen Debatten durch die Figurenzeichnung auch mit dran.

Es klang gerade schon ein bisschen an. Was denkst du ist die Verantwortung von modernen Stücken? Müssen sie gesellschaftskritisch sein?
Das ist leider genau so eine Diskussion, weil wir natürlich auch im Theater den Kapitalismus spüren. Das Theater als gesellschaftliche Institution, in der die Leute sind, um das, was auf der Bühne ist, zu diskutieren und Anregungen mitzunehmen ist leider seit Corona endgültig relativ stark eingeschränkt. Auch da gibt es eine Amazonisierung. Man möchte wissen, was man für sein Geld bekommt und deswegen zahlt man lieber dafür, dass man weiß „heute wird es lustig.“ Ich glaube, dass der Anspruch von Theater immer sein muss, unterhaltsam zu sein und dabei gleichzeitig Fragen zu stellen. Kunst stellt Fragen, Mario Barth reproduziert nur Klischees. Finden alle lustig, aber es ist keine Kunst. Und ich finde Kunst hat die Verpflichtung, nicht immer hochintellektuell zu sein. Das ist dieses Stück auch gar nicht. Es zeigt sehr fleischige Figuren, sehr reale Figuren und es spielt in einem Klubabend und hat eine unglaublich süffige Musik, eine auch moderne, poppige Musik mit eingängigen Melodien. Und es hat überhaupt keine Scheu für Emotionen. Das ist kein trockener Precht-Abend, wo über Politik gequatscht wird. Aber das Süffige ist der Eingang und ich finde Theater und Kunst sollten immer Menschen auch mit Fragen nachhause schicken. Nicht unbedingt mit Antworten, nicht mit Belehrungen, nicht mit „so ist die Welt unbedingt“, sondern einfach mit Gedankenanstößen fürs eigene Leben.

Früher wurde das Theater als Medium benutzt, um das Publikum zu erziehen. Denkst du, das funktioniert?
Nein! Erziehung ist immer falsch, Gespräch ist richtig. Das Theater darf keine Erziehungsanstalt sein. Ich finde, wenn junge Menschen und auch erwachsene Menschen ins Theater gehen, können sie dort eine Sache lernen: Interpretation und Fantasie. Im Theater, kann ein Stuhl auch die Titanic sein oder man ruft „sieh nur dort, ein Elefant!“ und man glaubt das. Und man hat denselben Text und sieht ihn in verschiedenen Produktionen und Interpretationen und sieht dadurch, dass es verschiedene Meinungen und Auffassungen gibt. Und das ist das, was wir im gesellschaftlichen Diskurs brauchen, wir brauchen Menschen, die Fantasie haben und die in der Lage sind, sich in andere Meinungen hineinzuversetzen. Das ist genau das Problem unserer Gesellschaft, dass man immer nur noch sagt „was ich für richtig halte, das muss auch stimmen.“ Wir leben in einer Zeit, in der offensichtlich zu wenige Menschen ins Theater gehen. Diese wunderbare Grundeigenschaft von Theater ist ja auch: kein Sitz ist derselbe und jeder sieht einen anderen Abend. Deswegen finde ich es auch gut, wenn Leute eine Interpretation von mir doof finden, denn das ist doch der Beginn eines Gesprächs. Und das ist eigentlich für mich die Aufgabe von Theater, immer Fragen zu stellen und nie nur einfach zu sagen „wir sind lustig“. Es sollte aber immer auch lustig und schön anzugucken sein. Es ist kein Ort, in dem man trocken die Sachen verhandelt, sondern es ist ein Ort, in dem man spielerisch all unsere gesellschaftlichen Fragen verhandelt und das ist eigentlich die große Chance.

Hast du ein Thema, das deiner Meinung nach zu selten momentan in Musicals, Theaterstücken und Opern Platz findet?
Also ich hab demnächst seit etwa vier Jahren ein Kind und ich muss sagen, dass ich wirklich viel darüber nachdenke, dass die Realität und Perspektive, was ein Kind für Menschen bedeutet, was es für Einschränkungen bedeutet und was das mit der Frage der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in unserer Gesellschaft macht, wirklich erstaunlich wenig stattfindet. Und auch ein Thema, das bei „Kasimir und Karoline“ vorkommt: ich finde, dass zu wenig mit einer Liebe, und nicht als Parodie, Menschen aus nicht komplett gebildeten Schichten dargestellt werden. Und das ist etwas, was wir hier wirklich mit einer großen Ernsthaftigkeit versuchen. Solche Sachen müssen mehr dargestellt werden und wir müssen versuchen, da ein Abbild zu schaffen.

Eine weniger politische Frage zum Abschluss: Worauf können sich Operngänger*innen am meisten bei „Kasimir und Karoline“ freuen?
Man kann sich freuen auf ein wirklich tolles Stück, das, finde ich, sowohl lustig ist, als auch harte gesellschaftliche Fragen verhandelt. Was mit einer ganz tollen Besetzung ist, wir haben wirklich ganz tolle Leute, die das singen und spielen. Man kann sich da sowohl auf eine hohe schauspielerische als auch eine sehr hohe sängerische Qualität freuen. Man kann sich auf total neue Musik freuen, die ganz anders klingt, als alles, was hier in diesem Opernhaus war und trotzdem genau auch die Stärken mitnimmt, die so ein Orchester und ein Chor und alle weiteren Kräfte hier auch haben. Und ja, da kann man sich wirklich auch auf eine fette Show freuen, die einen total unterhält und mitnimmt und bei der man einen schönen, leichten Abend haben kann und genauso aber auch einen Abend zum Nachdenken.

Filine Hunger

 

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Der Freundeskreis im Gespräch im Dezember

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Der Freundeskreis im Gespräch im Dezember


Freundeskreis Interview (17.11.23)
Diesen Monat haben wir uns mit Uwe Berger von der B&B. Markenagentur (UB) und der Moderatorin und Journalistin Anne-Kathrin Berger (AB) unterhalten. Die zwei sind nicht nur Mitglieder des Freundeskreis Hannover e.V., sondern auch Mutter und Sohn, die seit vielen Jahren in Hannover leben und arbeiten. Sie haben mit uns über das Image der Stadt, ihre Nachhaltigkeit und Zukunft gesprochen.

Beginnen wir damit, dass ihr euch kurz vorstellt: Wer seid ihr? Was macht ihr?
UBMein Name ist Uwe Berger. Ich bin 1966 in Stuttgart geboren und lebe seit 1982 in Hannover. Damals bin ich als junger Schüler gekommen und habe dann relativ schnell die Liebe zur Stadt entdeckt. Dank meiner Mutter durfte ich immer viel sehen – von Konzerten bis hin zu großen Festen. Ich habe die Gesellschaft der Stadt sozusagen schon als kleiner Junge kennengelernt und das hat sich so bei mir verfestigt, dass ich gesagt habe: „Ich will auf jeden Fall in Hannover arbeiten.“ So habe ich auch mein ganzes Arbeitsleben bei einem Arbeitgeber hier in Hannover verbracht: Ich bin als Auszubildender in die B&B. Markenagentur gekommen und habe jetzt den Status geschäftsführender Gesellschafter inne. Ich bin also seit 33 Jahren am Wirtschaftsstandort für Kommunikation tätig. Und ich bin bekennender Hannoveraner und liebe diese Stadt, weil sie eine tolle Größe hat: Sie war mir nie zu klein, aber auch nie zu groß.
AB – Mein Name ist Anne-Kathrin Berger. Ich bin in Magdeburg geboren und über Duisburg, Stuttgart und Wolfenbüttel nach Hannover gekommen. Hier wurde ich 1975 Lokalredakteurin bei BILD Hannover, später verantwortliche Redakteurin für Kommunalpolitik und Landespolitik, 1990 Redaktionsleiterin. Das habe ich bis 2002 gemacht, also 27 Jahre. Ich bin meinem Sohn in der Erwerbsbiografie sehr ähnlich mit nur einem Arbeitsschwerpunkt über Jahrzehnte. Das ist auch Freude, wenn man seine Arbeit liebt und sich sein ganzes Arbeitsleben voll um eine Aufgabe kümmern kann. Danach gab es noch die sehr reizvolle Station in Magdeburg, vier Jahre Regierungssprecherin von Sachsen-Anhalt. Nach der Rückkehr nach Hannover habe ich erst die Sendung „Warum, Herr Weil?“ bei h1 gemacht (da war MP Weil noch OB von Hannover), seit über zehn Jahren lade ich zweimal im Monat Menschen aus Politik und Wirtschaft, Kirche und Kultur, Sport und Gesellschaft auf das h1-Sofa ein. Nicht nur Promis, auch Obdachlose und Migranten waren da. Auch ich liebe diese Stadt. Hannover steckt voller interessanter Menschen und es ist spannend, ihnen zu begegnen und mehr über sie zu erfahren.

Wie blickt ihr mit eurer langen Erfahrung hier in der Stadt – ihr kennt die Menschen und die Unternehmen schon seit vielen Jahren – auf das Image von Hannover?
UB –
Hannover hat ein wunderbares Image, aber es fällt den Hannoveraner*innen manchmal etwas schwer, sich darüber auch positiv zu freuen. Da sind wir oft eher zurückhaltend. Ich glaube, Hannover hat das Image, dass man einfach erst einmal da gewesen sein muss und dann erlebt man diese Stadt. Wir haben einen kleinen Außenauftritt-Hänger, weil wir eben nicht das Hofbräuhaus oder den Hafen oder irgendeinen Leuchtturm, der weltweit bekannt wäre, haben. Und ich glaube, da wir so etwas nicht haben, müssen wir uns auch immer wieder ein bisschen neu erfinden. Wir haben kein Image, das man in einer Zeile zusammenfassen könnte. Dafür ist Hannover einfach zu vielschichtig, zu vielseitig. Aber genau das ist eigentlich das, was die Attraktivität dieser Stadt ausmacht.
AB – Mit der Expo 2000 hatte Hannover durchaus die Chance auf einen dauerhaften internationalen Leuchtturm. Das ist leider nicht gelungen, der Zustand des Expo-Geländes heute spricht Bände. Aber die Innensicht auf die Stadt ist doch auch wichtig. Die Menschen leben gerne hier, fühlen sich wohl. Und dann haben wir ja auch die Messe, die Herrenhäuser Gärten, das Sprengel Museum. Wir müssen das vielleicht noch bisschen besser verkaufen.

Wie könnte man denn an dem Image arbeiten? Müsste da etwas anders laufen?
UB –
Es läuft schon vieles gut. Hannover hat eine unheimliche Kraft der Innovation, die man vielleicht manchmal gar nicht so spürt. Ich finde, wir haben eine sehr gute Mobilitätskonzeption, wir haben eine unheimlich breite Wissenschaftslandschaft und mit der MHH, mit der Tierärztlichen Hochschule, mit den Hochschulen und der Universität auch unheimlich viel Power. Ich glaube, wir sind auch eine gut aufgestellte Stadt im Punkt Nachhaltigkeit – und da stellt sich auch ein bisschen die Zukunft unserer Stadt dar. Wir haben eine Chance, die wir natürlich ergreifen müssen; und das gelingt am besten, wenn die Kommunikation läuft.

Inwieweit hilft denn der Freundeskreis dabei?
UB –
Der Freundeskreis ist eine tolle Schablone für interdisziplinäres Zusammenarbeiten und interdisziplinäres Denken. Wir leben in einer vernetzten Gesellschaft. Wir vernetzen unsere Autos, unsere Dinge – aber wir sind manchmal noch nicht maximal mit den Menschen vernetzt. Der Freundeskreis bietet eine Plattform dafür. Wenn sich in Hannover diese persönliche Vernetzung, dieses Beziehungsgeflecht, noch mehr einstellt, dann entsteht meines Erachtens auch schneller diese eine Stimme, die in die Zukunft führt, diese eine Möglichkeit, gemeinsam eine Stadt neu aufzustellen.

Du moderierst ja die Sendung „Auf dem h1-Sofa“: Ist es zu hoch gegriffen, zu sagen, dass du mit deiner Sendung ebenfalls eine vernetzende Funktion verfolgst?
AB –
Nein, das ist auf keinen Fall zu hoch gegriffen. Die Menschen sind das Wichtigste in einer Stadt. Ich habe irgendwann erkannt, dass ich bei h1 die Chance habe, ein lebendes Stadtarchiv aufzubauen, wie es wahrscheinlich keine andere Stadt hat. Ich hatte bisher rund 270 Gäste. Viele, wie Keks-Konsul Hermann Bahlsen, Schuhkönigin Helene Gisy oder Modezar Michael Schulz leben längst nicht mehr. Wenn diese Sendung nicht nur als interessantes Einzelgespräch wahrgenommen wird, sieht man, welche Menschen diese Stadt gestalten oder gestaltet haben, wie sie denken oder wie sie gedacht haben. Ich arbeite da gewissermaßen an der Bewahrung, während Uwe quasi an der Zukunft baut, für die Zukunft arbeitet. Da ergänzen sich zwei Welten – oder zumindest zwei Arbeitsbereiche.
UB – Vielleicht noch als Ergänzung: Vernetzung basiert ja immer auf Transparenz. Ich kann nur diejenigen vernetzen, die einander ein wenig kennen, und ich glaube, dass so eine Sendung wie das h1-Sofa und vielleicht auch meine eigene Sendung, der „Vinyltalk“, dazu führen, Menschen nochmals anders kennenzulernen. Man sieht sie nicht mehr nur in ihrer Rolle, in der sie vielleicht im politischen Kontext oder in journalistischen Darstellungen abgebildet sind. Dieser People’s Talk kann eine Tür öffnen, um überhaupt in Vernetzung zu kommen. Beim „Vinyltalk“ bitte ich meine Gäste zu einem 45-minütigen Gespräch an die Plattenteller: Sie sollen vier Platten mitbringen, die ihnen gefallen, und dabei geht es um die Idee, dass man einen Menschen anhand von Musik besser kennenlernen kann. Das ist ein Hintertürchen in die Persönlichkeit, wenn jemand über eine Platte spricht; und darüber, was ihn dazu gebracht hat, genau diese Platte auszuwählen. Wir sprechen unter dem Thema „Think, Learn, Innovate“ aber nicht nur über Musik, sondern auch über Themen wie Stadtentwicklung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Wie schätzt du denn Hannovers Nachhaltigkeit ein? Sind wir da ganz gut aufgestellt?
UB –
Wir waren schon fast besser, würde ich sagen. Bezüglich Solaranlagen auf Hannovers Dächern würde ich mir noch viel mehr wünschen, Windkraft ist ja sozusagen in der Region angesiedelt und was das Thema Mobilität betrifft, so ist der öffentliche Personennahverkehr ein großer Schlüssel und läuft bei uns, wie ich glaube, ziemlich gut. Das heißt also: Wir haben viele Facetten, um nachhaltiger werden zu können; aber Nachhaltigkeit ist gekommen, um zu bleiben. Wir müssen immer weitermachen. Klimaneutralität ist das, was uns enkelfähig macht. Und da gibt es noch viel zu tun. Wir von der Agentur haben vor einiger Zeit ein Unternehmen gegründet, um die Nachhaltigkeitseinstellung der Menschen messen zu können. Das heißt CHOYZE. Nachhaltigkeitspräferenzmessung ist ein spannendes Thema und darin erkennen wir natürlich, dass es auch ablehnende Haltungen gibt. Ein gewisser Prozentsatz von Menschen sagt eben: „Brauche ich nicht, will ich nicht, Enkel habe ich auch nicht.“ Das müssen wir akzeptieren, aber das darf uns natürlich nicht auf dem Weg irritieren, nachhaltiger zu werden.

Wie verhält es sich mit dem Image hinsichtlich einer anderen großen Debatte dieser Zeit: des Einsatzes für Diversität und Sichtbarmachung, des Angehens gegen Diskriminierungen? Schauspiel und Oper sind da ja etwa gut aufgestellt …
UB –
Da kann ich im Detail nicht viel zu sagen, aber im Großen und Ganzen ist das Thema Diversität für uns, so glaube ich, eine riesengroße Chance. In dem Punkt müssen wir alle etwas lernen … oder andersrum gesagt: Ich glaube, dass sich Generationen natürlich über viele, viele Jahre sozialisiert haben. Ich selber habe manchmal eine Art Scharnierfunktion, denn ich habe am Ende des Tages ein relativ traditionelles Bild als 1966 Geborener, der in den 70er-Jahren groß geworden ist. Damals war einfach alles sehr traditionell. Da ich aber mit ganz vielen jungen Menschen regelmäßig in der Agentur zusammenarbeite, erlebe ich natürlich auch deren Alltag und deren Realität, sodass ich glaube: Es braucht noch eine Übersetzerfunktion für die Gesellschaft. Es gibt ja keine Schraube, die man einfach nur dreht – und zack ist die Welt für alle gleich; sondern man muss das ansprechen, man muss das thematisieren. Und dann kommt es auch zu Lerneffekten. Das macht Hannover eigentlich auch schon ganz gut. Aber das wird natürlich immer wieder neue Facetten bekommen. Resilienz für das Neue ist auch eine Fähigkeit, die wir unseren Kindern beibringen müssen. Wir haben einfach nicht mehr die Stabilität der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern eine sehr schnelle, disruptive Veränderungswelle. Wir haben Technologie, Gesellschaft, Globalisierung, im gleichen Moment aber auch Regionalisierung, weil wir uns Mühe geben, nicht mehr diese Abhängigkeiten zu haben. Da kann die Stadt Hannover noch eine Menge tun, aber am Ende des Tages beginnt es auch bei jedem einzelnen Menschen selbst. Da müsste die Stadt es vielleicht schaffen, Rahmenbedingungen zu geben – aber letztendlich muss jeder Einzelne das im Kopf für sich auflösen.
AB – Da lerne ich als Teil der älteren Generation natürlich viel von meinem Sohn und seiner Arbeit. Es ist ja nicht nur so, dass die Jungen auf dem Weg in die Zukunft mitgenommen werden, sondern auch meine Generation. Da gibt es viele Herausforderungen: Der unumkehrbare Weg aus der analogen in die digitale Welt, der Umgang mit künstlicher Intelligenz, veränderten Arbeits- und Lebenswelten, Nachhaltigkeit und Klimaschutz im eigenen Alltag. Jedes für sich große Zukunftsthemen. Da ist es wunderbar, einen Gesprächspartner wie Uwe zu haben, der mit seinem Team alle diese Zukunftsthemen verantwortungsvoll aufgreift und umsetzt und mich auf diesem Weg mitnimmt.
UB – Am Ende des Tages ist Hannover aber immer auch das Ergebnis der Vorherigen, die gewirkt haben. Natürlich leben wir in der Gegenwart, aber die Gegenwart hat auch immer eine Vergangenheit. Und nun reden wir gemeinsam über die Zukunft, denn die Zukunft können wir alle gestalten. Es ist wichtig, das Vergangene wertzuschätzen und zu wissen, wie diese Stadt geprägt wurde. Wir wollen sie ja nicht abschaffen oder verändern – sondern sie in der Gesamtperspektive betrachten, in der Hannover sich gerade entwickelt.

● CK/LD

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Stadtkinder essen: Voi

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Stadtkinder essen: Voi


Mitten in die Gastro-Landschaft am Thielenplatz schmiegt sich das Voi, auch, wenn es auf den ersten Blick nicht wirklich als Restaurant zu erkennen ist, wirkt es doch eher wie ein schickes Möbelhaus. Späht man aber durch die Fenster, eröffnet sich einem ein enormer Gastraum mit etlichen Tischen und Nischen, die von einem übergroßen Druck der Mona Lisa bewacht werden. Es ist sehr stylish hier drinnen, aber trotz seiner Größe und der gefühlten Deckenhöhe von fünf Metern nicht ungemütlich.

Die Karte zeigt … ja, was eigentlich? Sehr viele, sehr internationale Gerichte, von Italien über Spanien und Aserbaidschan bis in die Türkei. Ein bisschen verwirrend ist das Ganze schon, aber schließlich entscheiden wir uns für zwei Vorspeisen: Lamm-Tatar (13,50 €) und Polenta-Pommes mit Trüffelmayonnaise (7,90 €). Dazu zwei Gläser wirklich hervorragenden Rieslings (6,90 € / 0,2l).

Das Essen kommt zügig und ist sehr hübsch angerichtet. Mein innerer Monk ist begeistert von den exakt geschnittenen und gleichmäßig frittierten Polentastäbchen, die nicht nur auf einem Gitter von Trüffelmayonnaise serviert, sondern auch gitterförmig aufgestapelt und großzügig mit geriebenem Parmesan bestreut wurden. Die Stäbchen sind ein bisschen salzarm, aber das ist schon okay, denn in Kombination mit der sehr intensiv schmeckenden Mayo funktioniert das gut. Das Tatar ist sehr zart und kommt sowohl mit reichlich Kapern als auch einer kleiner Portion eingelegter Ananas – Fusionküche der besseren Art! Mit gut 150 Gramm Fleisch auch keine kleine Vorspeise, die aber trotzdem Lust auf mehr macht. Zum Beispiel auf schwarze Manti (kleine Teigtaschen) gefüllt mit Flusskrebsfleisch – die hätten wir gerne gehabt, waren aber aus, weshalb wir uns zum einen für „Sweet Octopus“ (19,90 €) und zum anderen für die „Oriental Bowl“ (13,90 €) entscheiden.

Der Oktopus kommt im Ganzen, gedünstet und schmackhaft, auf einem fruchtig abgeschmeckten Süßkartoffelpüree, garniert mit Sprossen und Kirschtomaten. Das Tier ist zwar sehr zart, aber nahezu völlig ungewürzt, während das Püree eher nach Frucht als nach Süßkartoffel schmeckt. Gut, aber nicht herausragend, weshalb das Gericht hinter der Vorspeise deutlich zurückfällt.

Gleiches gilt leider auch für die Oriental Bowl: Angekündigt mit Couscous, Taboulleh, Hummus, Falafelbällchen, gegrilltem Käse und Blattsalatbeilage stellen wir uns eine Farben- und Gewürzpracht vor und werden leider enttäuscht. Die Taboulleh fehlt ganz, der Salat ist nicht angemacht, die Falafelbällchen sind so blass wie mehlig und der Käse ist nicht gegrillt – es handelt sich um eine Scheibe Ziegenkäse direkt aus der Lake (die einzige Salzquelle des Gerichts), die ein kleines bisschen mit Zucker abgeflämmt wurde. Gewürze fehlen dem Teller leider ebenso wie Farbe. Als wir dies dem Kellner gegenüber anmerken, möchte der auf der Stelle im Boden versinken und bietet sofort Alternativen an: Das gleiche Gericht noch mal, ein anderes Gericht, ein Dessert, Espresso, Glas Wein? Wir möchten nichts dergleichen.
Dem armen Mann ist die Situation derart unangenehm, dass wir daraus schließen, dass es sich um eine Ausnahme handelt und Reklamationen dieser Art selten vorkommen – auch die anderen Gerichte sprechen dafür. Dennoch räumt er uns beim Bezahlen einen deutlichen Rabatt ein. Alles in allem ist unser Fazit trotzdem positiv: Spannende Gerichte, exzellente Weine und super Service!

Voi Restaurant
Joachimstraße 8
30159 Hannover

www.voi-hannover.de

IH, Fotos Gero Drnek

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Der Wunschbaum im Freiwilligenzentrum Hannover

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Der Wunschbaum im Freiwilligenzentrum Hannover


Ehrenamtliches Engagement – Der Wunschbaum im Freiwilligenzentrum Hannover

Weihnachten steht vor der Tür! Durch die Wunschbaum-Aktion des Freiwilligenzentrums Hannover e.V. kann jede*r zur Weihnachtselfe werden und Kindern Weihnachtswünsche erfüllen, bei denen sonst die Armut einen Strich durch die Wunschliste macht.

Das Büro des Freiwilligenzentrums Hannover in der Innenstadt verwandelt sich kurz vor Weihnachten in eine Weihnachtselfenzentrale – in jedem Raum stapeln sich dann liebevoll verpackte Geschenke für Kids, die an Weihnachten sonst leer ausgehen würden. Dahinter steckt die Wunschbaum-Aktion des Freiwilligenzentrums Hannover. „Das Angebot richtet sich an von Armut betroffene Kinder“, erklärt Constance Meuer, die gemeinsam mit Kurt Kühnpast für diesen Weihnachtszauber verantwortlich ist.

Aus den Quartieren und über Kooperationen wie mit Notruf Mirjam, der Nachbarschaftsarbeit Canarisweg, Geflüchtetenunterkünften und vielen weiteren Anlaufstellen werden Weihnachtswünsche von Kindern bis 12 Jahren gesammelt. Ab Ende November steht dann der Wunschbaum im Eingang des Freiwilligen Zentrums. An ihm baumeln unzählige Anhänger, darauf ein Name, das Alter und ein Wunsch. „Den pflückt man quasi vom Baum und lässt sich eintragen in eine Liste“, erklärt Constance. Jede*r kann so zum Wunscherfüllenden werden – man muss lediglich während der Öffnungszeiten in das Freiwilligenzentrum kommen und sich einen Wunsch aussuchen. Das Geschenk muss besorgt und spätestens bis zum 13.12. im Freiwilligenzentrum abgegeben werden. Mit der Unterstützung von Ehrenamtlichen wird dann dafür gesorgt, dass die Geschenke in die Kinderhände gelangen.

„Die Gemeinschaft, die Dankbarkeit, die man da spürt – das ist wirklich schön“, meint Constance. Knapp 500 Wünschen werden so dieses Jahr erfüllt. „Wir merken einfach, dass der wirtschaftliche Druck auf viele Familien größer geworden ist. Auch aus den Quartieren bekommen wir widergespiegelt, dass dieses Projekt wirklich ein wichtiger Beitrag ist, weil die Familien sich sonst schlicht und ergreifend diese Geschenke nicht leisten könnten“, betont Kurt. Möglich ist das ganze aber nur durch Bürger*innen, die zu Weihnachtselfen werden. „Die Bereitschaft zum Schenken ist weiterhin groß. Das beweist, dass es schon noch Solidarität in der Gesellschaft gibt. Und das ist schön und sehr beruhigend zu wissen“, meint Constance.

Den Wunschbaum gibt es seit 2006. Entsprungen ist diese Idee aus einer Weihnachts-Päckchen-Aktion, bei der es darum ging, alleinerziehende Mütter zu unterstützen. „Und das hat sich dann entwickelt. Ein Rest ist von diesem Projekt immer noch übriggeblieben“, erklärt Kurt. Die Päckchen sind inzwischen zu Säcken geworden. „Spenden sind natürlich auch immer sehr willkommen. Je mehr Spenden, desto mehr kann in den Weihnachtssäcken mitgegeben werden“, erklärt Constance.

Und auch, wenn man sich für das neue Jahr vornimmt, sich ehrenamtlich zu engagieren, und noch auf der Suche nach der passenden Stelle ist, ist man beim Freiwilligenzentrum genau an der richtigen Adresse. „Wir sind für die Stadt die Anlaufstelle, wenn es um bürgerschaftliches Engagement geht. Wir beraten Bürger*innen, die ein Ehrenamt suchen“, erklärt Kurt. Mit rund 800 Vereinen und Projekten ist das Zentrum vernetzt. „Wir gucken für jeden, was er leisten möchte, was er mitbringt, was er an Zeit erübrigen kann. Und sprechen dann eine Empfehlung aus“, erklärt Kurt weiter. Außerdem hat das Freiwilligenzentrum auch eigene ehrenamtliche Projekte, wie das „Sprachzauber“-Projekt, mit dem Ziel, Sprachkompetenzen von Kindern in Kindertagesstätten zu fördern. Oder die „Ausbildungspaten“, die Jugendliche in der Berufsorientierung unterstützen. „Auch hier suchen wir laufend Ehrenamtliche“, betont Constance.

Nächstes Jahr feiert das Freiwilligenzentrum 25-jähriges Jubiläum. „Ich bin den ganzen Protagonist*innen sehr dankbar, die dazu getragen haben. Und zuallererst natürlich den Ehrenamtlichen. Ehrenamt ist tatsächlich nie out.“

Jeweils bis zum 13.12. können Wünsche vom Wunschbaum erfüllt werden. Spenden sind immer willkommen an Sparkasse Hannover, IBAN: DE87 2505 0180 0910 2051 16.

Freiwilligen Zentrum Hannover e.V.
Georgstr. 8A, 30159 Hannover
Tel.: 0511 / 30 03 44-6
Öffnungszeiten Mo und Mi 10-16 Uhr, Di und Do 10-18 Uhr
https://www.freiwilligenzentrum-hannover.de/

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