Ein letztes Wort
… mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil
Herr Weil, los geht’s, keine Zeit für Sprüche, wir sprechen Mitte September, wie läuft der Wahlkampf?
Es ist natürlich eine ausgesprochene Stresszeit, aber ich bin ja sehr gerne unterwegs und unter Leuten. Allerdings habe ich noch nie so einen Wahlkampf erlebt wie jetzt. Die Besorgnis vieler Bürgerinnen und Bürger ist überall mit den Händen zu greifen und das prägt natürlich auch die Stimmung.
Sie sagen ja momentan sehr viel, was sich gut anhört: Entlasten, entlasten, entlasten. Aber wie wird das alles am Ende bezahlt?
Ich habe dazu eine ganz klare Haltung, der Staat muss in so einer Krise alles tun, was er kann, einschließlich Kreditaufnahmen. Das ist auch nichts Neues, das haben wir 2010 gemacht in der Bankenkrise und wir haben es während der Pandemie gemacht. Die Schuldenbremse ist in diesem Fall besser als ihr Ruf, denn sie sieht in Notlagen die Möglichkeit von Kreditaufnahmen vor. Und wann hatten wir je eine Notlage, wenn nicht jetzt? Und zur Frage, wie diese Kredite bezahlt werden sollen, stelle ich eine einfache Gegenfrage: Was kostet es, wenn wir das nicht machen? Wenn zum Beispiel Unternehmen aufgeben müssen, dann werden keine Gehälter, keine Sozialversicherungsbeiträge, keine Steuern mehr gezahlt, die Beschäftigten verlieren ihre Jobs, zahlen keine Steuern, keine Sozialversicherungsbeiträge mehr und die Kaufkraft verringert sich. Das ist gleichzeitig einschneidend für die Betroffenen, extrem schlecht für die öffentlichen Kassen und insgesamt Gift für die Volkswirtschaft. Das wäre die deutlich teurere Tasse Tee, davon bin ich überzeugt.
Julia Willie Hamburg findet Sie eher so mittelmäßig – freuen Sie sich auf die Koalition?
Die Grünen sind in der Opposition und es ist Wahlkampf, da wundere ich mich nicht über abfällige Bemerkungen. Wenn sich der Wahlkampf-Rauch verzogen hat, erwarte ich, dass wir mit den Grünen eine sehr vernünftige Zusammenarbeit hinbekommen können. Wir haben das ja schon einmal von 2013 bis 2017 gemacht und das hat gut funktioniert.
Würde ich jedes Wort im Wahlkampf auf die Goldwaage legen, kämen wir zu nichts.
Wie steht es um die alte Rivalität zwischen CDU und SPD? Wird es da noch ein bisschen mehr krachen?
Da haben die fünf Jahre Zusammenarbeit tatsächlich geholfen, dass wir uns jetzt nicht mehr nur mit der ‚Dachlatte‘ begegnen wie vorher. Aber in der Sache gibt es große Gegensätze.
Das ist ja beruhigend, dass die Dachlatten ausgedient haben. Aber die FDP teilt ganz gut aus, mit Birkner an der Spitze.
Ja, was sollen sie auch sonst machen?
Aber Birkner und Co. haben auch ein paar Punkte: Die Schulpolitik scheint mir tatsächlich ein ziemliches Desaster zu sein.
Kein Desaster, es gibt Probleme, genau wie in allen anderen Bundesländern. Aber man kann die Ursachen deutlich benennen. Wir haben so viele Lehrkräfte wie noch nie in Niedersachsen, aber die Lage ist differenziert. Der Mangel besteht vornehmlich in bestimmten Schulformen, Haupt, Real- und Oberschulen und damit auch in Gesamtschulen. Und weil wir dort Lücken zu füllen haben, müssen wir von anderen Schulformen Lehrkräfte abordnen. Wir wissen aber auch, was zu tun ist, um die Arbeit an diesen Schulen attraktiver zu machen. Insbesondere müssen wir die unterschiedliche Besoldung zwischen den Schulformen beenden. Alle Lehrkräfte sollen künftig zum Einstieg das gleiche Geld bekommen, nämlich im Beamtenbesoldungsrecht gesprochen A13. Ich hätte das gerne schon früher gemacht, aber leider hat die CDU auf der Bremse gestanden und in einer Koalition geht so etwas nun einmal nur gemeinsam.
Ich hoffe, dass wir nach der Wahl die einheitliche Bezahlung schnell umsetzen können und dann auch mehr junge Leute für die genannten Schulformen begeistern können. Es wurde aber bereits eine Menge auf den Weg gebracht: Wir haben etwa 3000 zusätzliche Lehrkräfte netto. Und wir entlasten die Lehrerinnen und Lehrer durch zusätzliches Personal, also zum Beispiel Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter.
In dieser Berufsgruppe haben wir deutliche Steigerungen. Eine Schwierigkeit ist in den vergangenen Jahren übrigens noch hinzugekommen. Ein immer größerer Teil von Schülerinnen und Schülern hat einen „erhöhten Förderbedarf“, auch das bindet Lehrerstunden. Deshalb kommt nicht alles, was wir an zusätzlichen Stunden haben, direkt im Unterricht an. Aber das Hauptproblem bleibt natürlich der Fachkräftemangel.
Was ist mit den Quereinsteiger*innen? Mehr davon? Gute Idee?
Ja, das ist eine Möglichkeit und wir setzen auch verstärkt darauf, aber das hat seine Grenzen. Nicht alle, die gerne Lehrerin oder Lehrer werden wollen, sind auch dafür geeignet.
Anderes Thema, das aber auch die Schulen betrifft: Wie geht es voran mit der Digitalisierung?
Da gibt es deutliche Fortschritte, aber natürlich sind wir noch nicht am Ende der Fahnenstange. Es gibt dabei vor allem ein Thema, das mich stört. Wir haben 2019 den sogenannten Digitalpakt zwischen Bund und Ländern geschlossen. Der sieht für Niedersachsen mehr als eine halbe Milliarde Euro für Investitionen zur Digitalisierung an den Schulen vor, insbesondere für WLAN, Whitboardanschlüsse etc. Und drei Jahre später ist davon nur die Hälfte abgerufen worden. Es gibt anscheinend Schulträger, die nicht das notwendige Tempo vorlegen und das muss sich ändern.
Woran liegt das? Vielleicht an der Bürokratie?
Vieles, was ich an Einwänden höre, überzeugt mich nicht. Oft wird behauptet, das sei viel zu kompliziert. Aber andere – darunter auch kleine Kommunen mit kleiner Verwaltung – haben die Mittel längst abgerufen, wie haben die das geschafft? Es scheint also eine lösbare Aufgabe zu sein. Ich akzeptiere den Hinweis, dass Corona sehr viel Kraft und Energie gebunden hat. Und ja, wir haben auch noch Lieferkettenschwierigkeiten. Aber dass nach drei Jahren nur die Hälfte des Geldes abgerufen wurde, und gleichzeitig von manchen die mangelnde Hilfe des Landes beklagt wird, dafür fehlt mir das Verständnis.
Was sind Ihre wichtigsten Themen für Niedersachsen für die nächsten fünf Jahre, vorausgesetzt Sie bleiben in der Verantwortung?
Aktuell geht es vor allem darum, dass wir die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste Energiekrise und Preiswelle in den Griff bekommen. Die derzeitige Koalition hat bereits einen 100 Millionen Euro Hilfsfonds zugesagt, vor allem zur Unterstützung kommunaler Härtefallfonds.
Die Zuschüsse für die Tafeln und Schuldnerberatungen wurden bereits erhöht. Wir müssen aber noch mehr machen.
Im Falle eines Wahlsieges plane ich ein Hilfsprogramm von rund einer Milliarde Euro – damit wir u.a. kleine und mittlere Betriebe unterstützen können, die Kultur- und Veranstaltungsbranche, Sportvereine, Krankenhäuser und soziale Einrichtungen.
Auch dabei wird es aber voraussichtlich nicht bleiben können, wir werden eine große gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern benötigen, einschließlich auch einer notwendigen Kreditaufnahme. Das sagt in Niedersachsen übrigens mittlerweile sogar die FDP.
Darüber hinaus kommt Niedersachsen bei der Energieversorgung eine Schlüsselrolle zu. Mit großem Tempo bauen wir LNG-Terminals für Flüssiggas als Alternative für russisches Erdgas. Über diese Häfen soll dann später grüner Wasserstoff importiert werden. Und auch wenn ich mir das früher und ohne diesen Anlass gewünscht hätte: durch die Krise nimmt der Ausbau von Windenergie endlich an Fahrt auf. Ich möchte, dass wir das Bundesland sind, das am meisten erneuerbare Energien produziert, insbesondere Solar- und Windstrom, vor allem im Offshore-Bereich.
Niedersachsen soll als Energieland Nr. 1 gestärkt aus der Krise hervorgehen. Denn es gilt der Leitsatz: Industrie folgt Energie. Wir wollen den Klimaschutz vorantreiben und gleichzeitig die Wirtschaftskraft in unserem Land stärken.
Müssen wir uns in Deutschland nicht auch endlich von unseren vier großen Energiekonzernen unabhängiger machen? Stichwort: Dezentralisierung.
Da hat sich schon sehr viel geändert und es wird in Zukunft noch wesentlich dezentraler werden. Mit der Energiewende wird die Energiewirtschaft entschieden vielfältiger als vorher.
Ich hätte mir sehr gewünscht, dass die Politik schon viel eher die Warnungen aus der Wissenschaft ernst genommen und die Energiewende weitaus entschiedener angegangen wäre, dann hätten wir längst eine neue Energiewelt.
Wenn Ihre Kritik ist, dass die Klimaschutzpolitik zu lange viel zu zögerlich beschritten worden ist, dann ist diese Kritik absolut berechtigt. Es gab aber nicht wirklich ein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit.
Wie Sie aus vielen unserer Gespräche wissen, setze ich mich seit langem für den Ausbau der Erneuerbaren – insbesondere der Windkraft – ein. Es rächt sich, dass die CDU in dieser Frage so lange blockiert hat.
Interview: Lars Kompa