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Staatsoper Hannover: am Küchentisch mit Ketevan Chuntishvili

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Staatsoper Hannover: am Küchentisch mit Ketevan Chuntishvili


Ketevan Chuntishvili

Die in Tiflis geborene Sopranistin Ketevan Chuntishvili absolvierte ihr Studium an der Musikhochschule in Hannover und gab 2020 ihr Operndebut am Stadttheater Klagenfurt. Nach einiger Zeit am Stadttheater Cottbus und mehreren Stipendien und Auszeichnungen für ihr Gesangstalent, schloss sie sich zur Spielzeit 2023/24 nun dem Ensemble der Staatsoper Hannover an. Hier wird sie mit ihrer großartigen Stimme der Susanna aus Mozarts „Le Nozze di Figaro“ Leben einhauchen …

Du wurdest in Georgien geboren, einem Land, in dem die Musik eine große Rolle spielt. Und doch haben dein Musikstudium und große Teile deiner bisherigen Karriere nicht dort stattgefunden, sondern hier in Deutschland. Wie kommt das?
Das hat damit zu tun, dass meine Tante hier in der Nähe lebt und ich somit früh Zugang zu Deutschland hatte. Ich konnte mich hier schon vorher adaptieren und mich schlau machen, wie das mit dem Studium funktioniert. Außerdem müsste man selbst nach einem abgeschlossenen Bachelor in Georgien in Deutschland von vorne beginnen, weil er nur teilweise oder gar nicht anerkannt wird. Und das hätte ich schade um die Zeit gefunden, weil die für mich irgendwie schon lange schneller tickt. Mir ist erst später klar geworden, dass es eventuell nicht klappen könnte, denn ich hatte mich für nichts anderes beworben. Das war ein bisschen unbedacht. Ich habe sonst alles durchdacht, aber das nicht. Aber ich hatte damals diesen Drive, den ich hinterher immer wieder verloren habe, diesen Glauben und die Manifestation, dass alles klappen wird, ja… klappen muss. Ich denke, ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und bin froh, dass ich hier wirklich gute Bildung genossen habe.

Und wieso unbedingt Deutschland? Weil deine Tante und dein Onkel hier gewohnt haben?
Ja, das war ausschlaggebend. Außerdem ist das Studium in Georgien sehr teuer. Ich hatte das Gefühl, dass ich dort letzten Endes nichts erreichen kann, außer ich investiere nach dem Abschluss noch mal viel Geld, um nach Europa zu gehen, eventuell sogar einen weiteren Abschluss zu machen und Wettbewerbe, um gesehen zu werden und gehört zu werden. Es kamen mehrere Dinge zusammen.

Bist du jetzt nach einigen Jahren an die Staatsoper Hannover gekommen, weil du dich während deines Studiums in die Stadt hier verliebt hast, oder gab es dafür noch andere Gründe?
Es war die Mischung aus vielen Pros: In erster Linie ist die Staatsoper ein überaus begehrenswerter Arbeitsort, aber die Stadt hat auch einen besonderen Wert für mich, aufgrund der mit ihr verbundenen positiven Erinnerungen und Erfahrungen.

Aber nach deinem Studium hast du noch einige Abstecher gemacht, richtig?
Ja. Zuerst war ich eine Zeit in Klagenfurt, dann in Cottbus. Da blieb ich lange.

Als du wieder hierhergekommen bist, hast du da in dein ehemaliges Wohnviertel zurückgefunden?
Ich habe mich jetzt woanders niedergelassen. Ich habe insgesamt dreimal den Stadtteil gewechselt und zuletzt wohnte ich in Linden. Nun hatte ich Lust auf etwas Neues und wohne etwas weiter weg, im Grünen. Aber mit dem Fahrrad geht das superschnell. Ich genieße es, am Ufer des Maschsees entlangzuradeln.

Ist das dein Lieblingsort hier in der Stadt?
Tendenziell liebe ich alles, was grün ist und blüht. Während meiner Studienzeiten bin ich zum Beispiel häufig aus der Mensa in die Eilenriede gegangen. Da komme ich jetzt kaum noch hin. Dafür sind bei mir um die Ecke die Ricklinger Kiesteiche. Und ich mag auf jeden Fall den Maschsee, die List und die Altstadt!

Du hast vor einigen Jahren mit deinem Filmbeitrag zu dem „Lied Me!“-Projekt des Internationalen Liedzentrums Heidelberg über deine Unsicherheiten und „Die Stimme im Kopf“ gesprochen. Ist diese Stimme immer noch da?
Ja, aber die ist viel, viel, viel leiser. Und auch viel netter. Daran habe ich intensiv gearbeitet und tue es noch. Wir Sänger können uns nicht auch noch selbst fertig machen, wenn wir ständig damit konfrontiert sind, kritisiert und korrigiert zu werden. Ich selbst hatte da bis jetzt sehr viel Glück. Aber man hört immer wieder Gerüchte über Vorgesetzte, Dirigenten und Regisseure, die rumbrüllen und Kritik in wirklich offensiver Art und Weise äußern. Da müssen wir uns nicht noch selbst fertig machen und uns selbst umso mehr unter Druck setzen.

So viel Stress. Dabei warst du Stipendiatin eben jener Lied-Akademie des Heidelberger Frühlings und vieler weiterer Organisationen und hast bereits zahlreiche Preise wie den Max-Grünebaum-Preis gewonnen. Ist Unsicherheit eine Art Berufskrankheit, die sich durch die Branche zieht?
Ich glaube, dass das etwas super Persönliches, Individuelles ist. Ich verstehe jedoch, warum der Eindruck entsteht, dass das eine Berufskrankheit ist. Der Beruf an sich ist einfach so persönlich. Man gibt etwas von sich selbst preis, man entblößt sich sehr oft, im übertragenen Sinne natürlich. Man zeigt seine Psyche und sein Inneres nach außen und das macht einen verletzlich.

Schön zu hören, dass es dir damit mittlerweile besser geht. Was hast du dagegen gemacht oder was hat sich seitdem gebessert?
Ich habe Therapie gemacht. Viel reflektiert, mich anderweitig schlau gemacht. Ich höre mir gerne Podcasts beim Joggen an, um auch noch außerhalb von dieser Bubble, in der wir leben, etwas mitzubekommen. Sonst ist man morgens und abends in der Oper. Regulär. Und in der Mittagszeit bereitet man sich für die Proben am nächsten Tag vor. Außerdem haben wir meistens Kontakt mit Sänger*innen, gezwungenermaßen, weil wir ansonsten für nichts anderes Zeit haben, und da geht es auch meistens um die Themen rund um den Gesang. Dadurch kann man, glaube ich, ein bisschen durchdrehen, wenn man sich nicht ab und zu Schlupflöcher in andere Themen sucht.

Ein weiteres Thema, mit dem du dich innerhalb des HIDALGO Festivals 2021 auseinandergesetzt hast und das sich ebenfalls in „Le Nozze di Figaro“ findet, ist der sexuelle Missbrauch. Ist es Zufall, dass sich dieses wichtige Thema häufiger in Projekten, die du wahrnimmst, findet?
Ja (lacht). Es ist Zufall, aber ich bin froh, dass ich doch etwas dazu beitragen konnte. Ich gehört zu denen, die bis jetzt keine schlimmen persönlichen Erfahrungen mit dem Thema gemacht haben. Es gab auch bei mir mal Ansätze davon, aber jetzt nichts so Krasses, was ich da verkörpert, vertont oder dargestellt hätte. Es ist einfach verrückt, dass so etwas passiert. Wir haben den Stoff gehabt, um den die Idee und das Projekt entstanden sind, aber ich wünschte ehrlich gesagt, diese ganzen Storys würden gar nicht erst existieren.

Dann lass uns über die Oper reden. „Le Nozze di Figaro“, ist das für dich nicht mittlerweile schon ein alter Hut, den du in- und auswendig kennst?
Ja, ist es. Ich kenne mich mit dieser Oper sehr gut aus, trotzdem lerne ich bei jeder Probe so viel Neues dazu. Da gibt es unendlich viel zu verfeinern. Aber ja, es ist die Partie, die ich bis jetzt am häufigsten gesungen habe.

Die Oper soll recht schwer zu beschreiben sein, aber du als Profi kannst das sicher trotzdem versuchen.
Also …Wie soll ich’s zusammenfassen… Wir haben ein Paar, das jede Minute heiraten möchte, Susanna und Figaro. Sie sind beide angestellt im Hause von Graf und Gräfin Almaviva. Zwischen diesem Ehepaar läuft es nicht mehr so gut. Der Graf sucht Ablenkung und Fun bei allen anderen Frauen außer bei seiner eigenen. Er kennt wirklich keine Grenzen. Und jetzt hat er ein Auge auf Susanna geworfen. Sie spürt das, traut sich aber nicht, ihrem Mann gegenüber etwas zu sagen, weil die Männer gut befreundet sind und sie sich deswegen auf dünnem Eis bewegt. Außerdem ist der Graf ihr Vorgesetzter, woraus sich ein Machtgefüge ergibt. Letzten Endes erfährt Figaro von ihr davon und ist außer sich. Er legt den Grundstein für die Revolution.

Du hast schon an andere Inszenierungen mitgewirkt. Was macht diese hier so besonders? Was sind ihre Eigenheiten?
Diese Inszenierung ist auf eine Art düster und irgendwie grotesk. Sie hat einen gruseligen, spukigen Touch. Ich bin ein großer Fan der Regisseurin, Lydia Steier. Sie hat einen so frischen Blick auf die Oper geworfen, indem sie sich mit etwas beschäftigt hat, über das immer spekuliert wird. Was empfindet Susanna denn eigentlich für den Grafen? Ist das nur Ekel? Ist sie einfach nur genervt von ihm? Oder gibt es eine gewisse Anziehung? Es ist superinteressant zu beobachten, wie sich diese Spannung im Laufe der Akte immer mehr entwickelt.

Was gefällt dir generell an der Figur der Susanna? Magst du sie?
Ja, sehr. Ich mag, dass sie den Überblick über alles hat. Und ich mag, dass sie trotz des Wahnsinns, der um sie herum passiert, die Contenance bewahrt, professionell bleibt und weiterhin ihre Arbeit macht. Sie ist trotzdem so liebevoll, so herzlich, lebendig und fleißig.

Ließe ihr Kampf sich nicht fast als Mozarts-Version einer Me-Too-Geschichte auslegen?
Total! Es ist eine Me-Too-Geschichte schlechthin, wegen der übergriffigen männlichen Figuren. Allen voran der Graf.

Könnte man das Happy End des Stücks dann schon fast als empowernden Triumph Susannas und Figaro als den edlen Helden auslegen, weil er sich mit dem Grafen anlegt?
Ich denke, bei uns geht das nicht. Bei uns ist alles ein bisschen anders. Besonders das Ende ist so anders als alles, was ich bisher miterlebt habe. Unsere Inszenierung weicht ein bisschen ab von der Originalhandlung und das löst Lydia eigentlich sehr gut durch die letzte Szene. Normalerweise sind alle Paare vom Anfang wieder zusammen, der Graf ist bei der Gräfin und bereut sein Verhalten und Figaro ist bei Susanna. Für den Moment verzeihen alle einander und sind happy. Aber trotzdem wissen wir nicht, ob es morgen wieder von vorne losgehen wird. Bei uns sind viele Menschen am Ende nicht happy, vor allem Susanna und der Graf.

Manche werfen der Figur des Figaros vor, sie würde nur aufbegehren, um aufzubegehren, und eigentlich gar kein klares Ideal haben. Siehst du das auch so? Es handelt sich immerhin, um deinen „Geliebten“?
Ja, er ist eben auch nur ein Mann … Das sehe ich auch so. Im Figaro steckt etwas… Im Kern ist er ein leicht gewalttätiger, leicht übergriffiger Macho-Typ und ich glaube, nur seine Position erlaubt ihm nicht, das auszuleben. Je mehr er vordringt und mit seiner Revolte erreicht, umso mehr zeigt er auch seine wahren Triebe und die narzisstische Art.

Wenn du einen anderen Charakter aus dieser Oper singen müsstest, egal ob männlich oder weiblich, welcher wäre das?
Der Graf (lacht). Ich finde seine Arie richtig geil. Außerdem kann man den Grafen auf so viele verschiedene Arten und Weisen darstellen. Das geht sowieso mit allen Charakteren, aber gerade bei ihm gibt es Millionen Wege. Die Psychoanalyse des Grafen fände ich auch superinteressant. Ich habe das Gefühl, dass er die ganze Zeit eine Fassade errichtet hat und ich würde gerne entdecken, was dahintersteckt.

Die Inszenierung wurde mit großartigen Kostümen ausgestattet. Hat man da als Darsteller oder als Darstellerin eigentlich irgendein Mitspracherecht? Kann man sich bestimmte Details wünschen?
Wenn irgendwas gar nicht passt, dann werden wir auf jeden Fall gehört. Wir dürfen was sagen, so war zumindest bis jetzt immer meine Erfahrung. Aber ich bin auch ziemlich entspannt und vertraue da den Kostümbildnern. Ich weiß, dass sie wissen, was sie tun, und ihr Bestes geben, damit wir uns wohlfühlen und auch möglichst gut aussehen. Ob mir jetzt eine bestimmte Farbe steht oder nicht, ist völlig egal. Darum geht es nicht. Hauptsache, es drückt nicht an der Stelle, an der ich atmen muss, und nimmt nicht so viel Fokus von meinem Gesang, damit ich mich wohlfühle. Darauf passen die schon immer auf und ich habe bisher wirklich gute Erfahrungen gemacht.

Zuletzt eine Art Doppelfrage: Welche Stelle in der Oper singst du am liebsten und welche Szene wird euer Publikum am meisten umhauen?
Welche Szene ich am liebsten singe … Erst einmal die Arie im vierten Akt und dann die Szene mit Figaro und Susanna, in der wir diesen Kampf haben und sie ihn schlägt. Ich finde die Szene unglaublich schön und sie hat einen guten Aufbau. Da explodiert alles und dann beruhigen sie sich wieder. Ich glaube, das wird das Publikum umhauen, was er da in dieser Szene mit ihr macht.

●Filine Hunger

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