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Ein letztes Wort im April

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Ein letztes Wort im April


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, der Fachkräftemangel scheint auch in der Staatskanzlei angekommen zu sein. Der Wettbewerb um die besten Köpfe kostet viel Geld ..
Und Sie sind ein Spaßvogel. Aber im Ernst, wenn jemand zehn Jahre lang schlechter bezahlt werden soll als eine Arbeit bewertet ist, dann muss man die Frage stellen, ob die Kriterien für eine solche Entscheidung richtig sind. Zumal auch im öffentlichen Dienst der demografische Wandel immer spürbarer wird und wir attraktive Arbeitgeber sein müssen. Und  wenn man dann noch feststellt, dass sowohl der Bund als auch die anderen angefragten Länder es anders machen als Niedersachen, dann muss man über Änderungen nachdenken.

Es gibt also keinen Skandal und Fehler wurden auch nicht gemacht?
Sicher hätten wir es uns und allen Beteiligten leichter machen können durch eine zeitliche Distanz zwischen der Änderung unserer bisherigen Praxis und der Entscheidung im Einzelfall. Inhaltlich stehe ich allerdings unverändert zu beidem. Dass jetzt versucht wird, aus diesem Vorgang politisches Kapital zu schlagen, müssen wir aushalten.

Womit wir schon fast bei dem Thema sind, über das ich heute eigentlich mit Ihnen sprechen wollte. Letztlich gehören die Skandalisierung, das Hochjazzen von Themen, dieses ständige Polemisieren – manche sprechen auch harmloser von Zuspitzungen – heute ja zum politischen Alltagsgeschäft …
Wobei ich da kurz einhaken möchte, weil ich mich nicht darüber beklage, dass über einen Vorgang in meinem Bereich kritisch berichtet wird. Es ist völlig okay, dass das hinterfragt wird und dass Opposition und Medien genau hinsehen. Das gehört zum politischen Geschäft. Die Amerikaner sagen mit Recht:  Wer keine Hitze verträgt, soll nicht in der Küche arbeiten.

Darüber haben wir an dieser Stelle schon öfter gesprochen. Was aber neu hinzugekommen ist in diesem Geschäft, in einer ganz anderen Qualität, das sind Lügen, Verzerrungen, Fake News und das ist in letzter Zeit auch immer mehr die Meinungsmache mittels KI beispielsweise über Social Bots. Das wird in Amerika demnächst bei der Wahl großen Einfluss haben, und wir müssen auch feststellen, dass das bei uns bereits ebenfalls Einfluss nimmt. Russland hat sich mit seiner Propaganda, mit seinen Narrativen in der deutschen Gesellschaft inzwischen festgesetzt. Wir erleben also eine fragwürdige neue politische Kultur und hinzu kommt noch diese Einflussnahme …
Wenn wir zunächst kurz bei dieser politischen Kultur bleiben, dann ist es auch aus meiner Sicht so, dass wir tatsächlich deutliche Veränderungen feststellen. Inzwischen ist der Skandal gewissermaßen der Regelfall. Und wir erleben immer öfter eine Reduzierung auf schwarz und weiß –  auch dort, wo man es mit sehr komplizierten Sachverhalten zu tun hat, die man durchaus unterschiedlich bewerten kann. Die Wirklichkeit ist aber ganz oft grau, in unterschiedlichen Schattierungen. Wenn alle sich das bewusst machen, kann man sachlicher und auch ruhiger diskutieren. Das ist nach meinem Eindruck tatsächlich weniger geworden und auch Folge einer neuen Medienwelt. Im Zuge der Digitalisierung sind Klicks zur eigentlichen Währung geworden, und damit ist der Reiz groß, es mit besonders knackigen und knalligen Messages zu versuchen oder mit provokanten Überschriften.

Was dann mit Qualitätsjournalismus leider nicht mehr viel zu tun hat.
Ich habe aber auch nicht wirklich eine Idee, wie die Medien, die ja im Wettbewerb stehen, das zurückdrehen könnten. Es gibt auch eine Tendenz zu immer kürzeren Formaten. Umfangreichere Kommentare, in denen noch unterschiedliche Akzente herausgearbeitet werden können, werden leider immer seltener.

Die Qualität leidet überall, auch in den Tageszeitungen.
Das ist teilweise so und das bedauere ich sehr. Es wird aber vielerorts auch nach wie vor sehr gute journalistische Arbeit geleitet, das gehört zur Wahrheit dazu.

Und ich bin ganz froh, dass wir ein Print-Monatsmagazin machen, ohne den Druck, laufend Push-Meldungen produzieren zu müssen. Wobei zu diesem Mechanismus ja auch zwei Seiten gehören. Die Leute klicken, weil das die Instinkte anspricht. Wenn etwas aufregt, Angst macht, dann wird geklickt. Das funktioniert über Emotionen. Aber das alles gehört im Grunde noch nicht zur neuen Problematik der Fake News und Propaganda. Wenngleich die beschriebene Verflachung solche falschen Nachrichten begünstigt. Es ist heute leichter, damit durchzudringen. Und dann liest jemand auf Facebook drei knackige Kommentare zum Konflikt in Israel und hat bereits eine Meinung – bei einem Thema, das unfassbar komplex ist.  
Das ist ein echtes Problem. Ich war in dieser Woche in einer Schule, in der es eine große Diskussion zu Europa gab mit vielen Schülerinnen und Schülern. Aber es ging die Hälfte der Zeit nicht um Europa, sondern um Palästina und Gaza. Und es ging sehr viel um den Begriff Genozid. Manche behaupteten, was Israel mache, sei ein Genozid. Und ich habe dagegengehalten und betont, dass ich mir sehr wünsche, dass die Gewalt dort sofort aufhört, aber dass wir es nicht mit einem Genozid zu tun haben. Dieser Begriff ist gerade vor dem Hintergrund der Shoah völlig unangemessen und faktisch falsch.

Es gibt ja sehr viele, reichlich schräge Erzählungen. Ich denke da beispielsweise an die Nazis in der Ukraine, ich denke an die angeblich gekaufte Maidan-Revolution, ich denke an den Vorwurf, dass die Ukraine im Donbass Russen ermordet haben soll. Diese russischen Narrative sind bei uns inzwischen eingesickert und sie wirken in den Hinterköpfen. Sehr viele Menschen halten diese Geschichten für wahr. Und sie positionieren sich entsprechend. Ist den politisch Verantwortlichen eigentlich klar, dass wir in dieser Hinsicht bereits seit vielen Jahren sozusagen im Krieg mit Russland sind?
Ich denke da auch an Corona und diese Geschichte, dass bei der Impfung irgendwelche Implantate von Bill Gates gespritzt worden sein sollen. Ich habe das damals zunächst abgetan, weil ich davon ausgegangen bin, dass das niemand glaubt. Aber nicht wenige haben das tatsächlich geglaubt und ich habe das wirklich unterschätzt. Doch zu ihrer Frage. Ja, ich glaube, inzwischen ist das vielleicht nicht allen, aber vielen klar. Über Social Media kann Schlimmes angerichtet werden, KI ermöglicht Manipulationen. Dieser Gefahr müssen wir uns bewusst sein und dagegen angehen. Das beginnt in der Schule mit der Vermittlung von Medienkompetenz. Und das hat jetzt immerhin auf EU-Ebene mal einen Anfang genommen, mit dem Artificial Intelligence Act. Damit wird zum ersten Mal versucht, ein Regelwerk aufzustellen und zu differenzieren zwischen Anwendungen, die eher risikoarm oder aber hochriskant sind. Die Technik ist einer Regulierung derzeit meilenweit voraus, diesen Abstand müssen wir entscheidend verkürzen. Da aufzuholen, ist für die Zukunft unserer Demokratien extrem wichtig.

Interview: Lars Kompa

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Im Gespräch mit Dr. Catrin Kuhlmann: Was macht eigentlich die Hannoversch-Britische Gesellschaft

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Im Gespräch mit Dr. Catrin Kuhlmann: Was macht eigentlich die Hannoversch-Britische Gesellschaft


Kannst du dich kurz vorstellen …
Ich bin studierte Anglistin und Germanistin und als freiberufliche Pressesprecherin, Texterin und Redenschreiberin tätig. Ich bin 2001 nach Hannover zur NORD/LB gekommen als Redenschreiberin für die Vorstände. Zwei der früheren Vorstandsvorsitzenden waren zugleich Honorarkonsule von Großbritannien. Über die Veranstaltungen des Konsulats bin ich mit der Hannoversch-Britischen Gesellschaft in Kontakt gekommen – und habe mich dort gleich sehr wohl gefühlt.

Stichwort Anglistikstudium: Hattest du schon immer Interesse an Großbritannien, Land und Leuten …?
Ich habe keinen familiären Bezug zu Großbritannien, aber ich reise regelmäßig dorthin und habe wie gesagt englische Literatur- und Sprachwissenschaft studiert und über den angloamerikanischen Autor Christopher Isherwood promoviert. Was ich an Großbritannien so mag, ist diese gewisse Gegensätzlichkeit. Einerseits kennen wir UK als das Land der Gentlemen und Ladies mit den perfekten Umgangsformen, ein Land von passionierten Hunde- und Pferdeliebhabern in Tweedanzügen mit einem untrüglichen Gespür für würdevolle, aber deutliche Selbstdarstellung. Und gleichzeitig haben die Briten zum Beispiel den Punk hervorgebracht, viele anarchistische Bewegungen, die rebellische Kultur der Street Art und so weiter. Das mag ich an Großbritannien: Es hat so viel Charakter, so viele Gesichter und Gegensätze, es ist ein Land von Individualisten – und dennoch zerfällt es nicht. Mehr noch, die Briten sind stolz auf ihr eigenes Land. Und was ich natürlich auch sehr liebe, ist der britische Humor. Der hilft in sehr vielen Momenten des Lebens mit der Botschaft „Nimm dich nicht zu wichtig. Mach einfach eine ironische feine Pointe draus und dann carry on“. Vielleicht könnte man sogar sagen, dass der Humor auch der Kitt ist, der das Land mit seinen vielen Facetten zusammenhält.

Und wieso hast du dich letztlich dazu entschlossen, Mitglied der HBG zu werden?
Das Honorarkonsulat hat damals jährlich eine große Queen’s Birthday Reception gefeiert. Dort hatte ich zunächst meinen Vorstandskollegen Torsten Oliver Deecke und dann weitere Vorstandsmitglieder kennengelernt – und dann ging es mit dem Vorstandsamt auch ziemlich schnell. 2014 haben mich die Mitglieder zur Schriftführerin gewählt und vor etwa drei Jahren zur Vorstandsvorsitzenden. Für mich war es wichtig, dass der damalige aktive Vorstand und die Mitglieder so engagiert und aufgeschlossen waren. Die Stimmung war und ist einfach immer gut in der HBG.

Wofür bist du in dieser Position zuständig?
Alles. (lacht)

Was bedeutet alles?
Das fängt bei ganz simplen Aufgaben wie der Verwaltung der Adressdateien an, geht über die Veranstaltungsplanung oder die Pflege der Webseite bis zur Kommunikation mit den Mitgliedern. Meine Arbeit umfasst auch die Netzwerkpflege zum Beispiel mit der britischen Botschaft, dem Netzwerk der deutsch-britischen Gesellschaften in Berlin und in verschiedenen deutschen Städten. Zum Glück sind wir ein siebenköpfiges Vorstandsteam, sodass die Arbeit immer auf mehrere Schultern verteilt ist.

Du hast ja einige Erfahrung in den Bereichen Journalismus und PR: Ist das bei der Arbeit, die du dort machst, von Vorteil?
Ja, absolut. Der persönliche Kontakt zu den Mitgliedern und wie man die Gesellschaft oder den Verein aufstellt, wie man ihn führt, das hat alles vor allem mit Kommunikation zu tun. Zurzeit ist ja insgesamt in Deutschland der Trend zu beobachten, dass Vereine mehr und mehr um Mitglieder kämpfen müssen, und in sehr vielen Vereinen übersteigt die Zahl der Austritte die Eintritte. In der Pandemie hat sich das verstärkt. Wir haben jedoch einen großen Mitgliederzuwachs in der HBG, und zwar ohne, dass wir aktiv Werbung machen. Ich bin überzeugt, dass die Kommunikation absolut zentral ist, damit eine Gesellschaft wie die unsere ein Gesicht und eine Identität bekommt, die es den Menschen leicht macht, sich anzuschließen und sich willkommen zu fühlen. Da hilft mir mein beruflicher Hintergrund sehr.

Gibt es denn bestimmte Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft?
Nein. Es ist nur wichtig, dass man sich allgemein für Großbritannien interessiert, für die Kultur und alles, was das Land und die deutsch-britischen Beziehungen betrifft. Ansonsten wünschen wir uns einfach nette, kommunikative Menschen, die aktiv teilnehmen, offen sind und sich einbringen. Wir haben Mitglieder aus den verschiedensten walks of life und quer durch alle Altersklassen, die sich auf unseren Veranstaltungen kennenlernen, miteinander sprechen und sich gegenseitig anregen.

Du hast gerade schon negative Entwicklungen für andere Vereine angesprochen. Bei euch steht die deutsch-britische Beziehung im Fokus: Hat der Brexit 2021 diese Beziehung verändert? Haben sich Probleme ergeben?
Definitiv. Zum einen sind der studentische Austausch und Schüleraustauschprogramme sehr schwierig geworden. Die Briten sind aus dem Erasmus-Programm ausgestiegen, und daher können britische Studierende nicht mehr so einfach für ein Auslandsjahr nach Deutschland kommen. Deutsche Studierende müssen in Großbritannien jetzt die vollen Studiengebühren für Studierende aus Drittländern bezahlen, die oft so um die 40.000 Pfund pro Jahr liegen. Es war natürlich schon immer sehr teuer, aber jetzt ist es nochmal über eine Schwelle getreten, die es noch weniger jungen Leuten oder ihren Eltern ermöglicht, ein Studium oder Auslandssemester in Großbritannien überhaupt in Betracht zu ziehen. Auch der Schüleraustausch funktioniert nur noch mit großem Aufwand. Zum einen nimmt das Interesse am Deutschlernen in Großbritannien kontinuierlich ab, und zum anderen sind die Bürokratie und Visumsanforderungen im Vorfeld unfassbar hoch. Gerade der Schüleraustausch ist ein Thema, für das sich sowohl der deutsche Botschafter in London als auch die britische Botschafterin in Berlin Jill Gallard sehr einsetzen. Ich hoffe, dass da bald wieder mehr möglich sein wird. Jedenfalls kann man feststellen: Der Brexit ist im Alltag auf beiden Seiten des Kanals angekommen.

Wo setzt ihr von der Hannover-Britischen Gesellschaft entsprechend mit eurer Arbeit an?
Wir konzentrieren uns stark auf die britischen Wurzeln in Hannover und füllen diese mit Leben. Dabei steht der Vernetzungsgedanke immer im Fokus. Unser Angebot an unsere Mitglieder ist sehr breit gefächert. Wir bieten wissenschaftliche Veranstaltungen und Besichtigungen, treffen uns zu Sportevents mit britischem Einschlag, richten gesellige Abende im Shakespeare Pub gemeinsam mit der Royal British Legion aus, wir feiern den King’s Birthday, spielen ein Croquet-Turnier im Jahr, machen gerade einen Lektürekurs zu britischer Literatur in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Stadtakademie und wir haben die Krönung von King Charles groß gefeiert im letzten Jahr. Zudem organisieren wir für unsere Mitglieder regelmäßig ein verlängertes gemeinsames London Weekend, und wir beteiligen uns organisatorisch am British Symposium auf Gut Remeringhausen im Juni. Besonders herausragend ist unser neues studentisches Reisestipendium, die Ten Days Of Freundship, mit dem wir die Beziehung zwischen den beiden Ländern wieder verbessern wollen. Das haben wir 2023 erstmals durchgeführt und werden das jetzt regelmäßig alle zwei Jahre machen. Dazu laden wir zwei bis drei Deutsch-Studierende der Uni Bristol ein, für zehn Tage nach Hannover zu kommen. Sie wohnen in Gastfamilien, und wir stellen für sie ein umfassendes Programm auf die Beine, mit dem sie die vielfältigen Verbindungen zwischen Großbritannien und Hannover bzw. Niedersachsen kennenlernen. Wir besuchen mit ihnen Orte wie den Landtag, die Herrenhäuser Gärten, die Madsack Mediengruppe, Volkswagen oder auch das Konzentrationslager Bergen-Belsen sowie andere Orte in und um Hannover, die für ein Stück gemeinsamer britisch-deutscher Geschichte stehen. Was mich besonders freut: Bei unseren Anfragen sind wir nahezu immer mit offenen Armen eingeladen worden. Sogar die Landtagspräsidentin Hannah Naber oder Hannovers MdB Adis Ahmetovic haben sich eine Stunde Zeit genommen für einen persönlichen Austausch mit unseren Gästen. Wenn die Studierenden zurückfliegen, nehmen sie unendlich viele neue Eindrücke mit – und ab dann sind sie ihr Leben lang quasi kleine Hannover-Botschafter in Großbritannien.

Darauf aufbauend schließen wir gerade ein weiteres Projekt an mit dem Namen Hannover Hangouts. In dessen Rahmen können Deutsch-Studierende aus Bristol über einen flexiblen Zeitraum nach Hannover kommen und bekommen von uns eine Gastfamilie aus unserer Mitgliederschaft vermittelt. Dort können sie kostenfrei wohnen und frühstücken. Über unser Netzwerk lernen sie die Stadt kennen und knüpfen mit vielen Mitgliedern persönliche Kontakte.

Gibt es ähnliche Angebote denn auch für Englisch-Studierende aus Hannover?
Leider nicht. Wir haben noch keinen Anlaufpunkt in Großbritannien gefunden, der sich auf diese Weise aus dem anderen Land heraus engagieren kann. Sollte jemand diese Zeilen lesen und eine entsprechende Verbindung in Großbritannien herstellen können, dann möge er oder sie sich sehr gerne bei uns melden!

Bei all den unterschiedlichen Angeboten, die ihr habt: Hast du ein Lieblingsprojekt? Etwas, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Wir haben 2021 einen englischen Schreibwettbewerb für Schülerinnen und Schüler aus Hannover und der Region organisiert. Das war Teil der offiziellen Jubiläumsfeierlichkeiten rund um den 75-jährigen Landesgeburtstag Niedersachsen und sollte an die Beteiligung der damaligen britischen Besatzer bei der Planung und Gründung des Bundeslandes erinnern. Die Aufgabe bestand darin, auf Englisch eine Geschichte, ein Gedicht, ein Essay oder irgendwas anderes über das Thema Freundschaft zu schreiben. Die Texte, die die Schüler*innen eingereicht haben, waren unfassbar toll und facettenreich. Es war total schön zu sehen, welches kreative Potenzial da schlummert.

Ein anderes Projekt, das mir auch sehr in Erinnerung geblieben ist, ist „Georgs Reise“. Vor zehn Jahren haben wir mit einer zweispännigen Reisekutsche die Fahrt des ersten hannoverschen Königs Georg von Hannover nach England zu seiner Krönung nachgestellt. Das Ganze hat knapp einen Monat gedauert. Die Kutsche ist am Leineschloss gestartet und auf den Straßen, die schon damals die Reisestraßen waren, über Belgien und Den Haag bis nach London zum St. James Palace gereist. Über den gesamten Weg waren die Plätze in der Kutsche so vermietet, dass einige Mitglieder ein Stück mitreisen konnten. Und eins unserer coolsten Mitglieder, Wilhelm Lilje, hat die komplette Reise im historischen Kostüm und mit Perücke den Kurfürsten bzw. König Georg verkörpert.

Wie viel Organisation steckt hinter so einem großen Projekt?
Eine Menge. Das ist unfassbar. Ich bin damals neu in den Vorstand gekommen, da war das meiste schon organisiert. Wir hatten das Glück, dass es in Deutschland eine große Kutschenfahrer-Szene gibt mit vielen begeisterten Menschen, die untereinander sehr gut vernetzt und sehr hilfsbereit und engagiert sind. An vielen Orten durfte die Kutschbesatzung samt Pferden auf den Höfen dieser netten Leute einkehren, die Pferde unterstellen und zum Teil auch übernachten. Außerdem wurde die Kutsche an vielen Orten entlang der Route mit viel Begeisterung empfangen. Oft gab es richtige kleine Events im Rathaus oder auf dem Marktplatz. Aber natürlich steckte noch viel, viel mehr Arbeit dahinter: die Kontakte zu den Verwaltungen in den verschiedenen Ländern, die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen, das Management mit den Verantwortlichen in den Orten entlang der Reise. In diesem Fall hat sich unser Vorstand Hugh Pierson monatelang reingehängt und alles in Bewegung gesetzt … Am Ende klappt sowas nur, wenn sich Menschen reinhängen und persönliche Beziehungen auf- und ausbauen – in diesem Fall war das unser Vorstand Hugh Pierson, der monatelang wirklich alles in Bewegung gesetzt hat.

Interview: Laura Druselmann

Mehr Infos: www.hannoverschbritischegesellschaft.org

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Ein letztes Wort im Februar

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Ein letztes Wort im Februar


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil


Herr Weil, wir haben zuletzt darüber gesprochen, was bei langen Nachtsitzungen in Berlin so herauskommt. Sie haben die Kürzungspläne schon einen Tag nach der sogenannten Einigung im Dezember sehr kritisch kommentiert. Inzwischen ist die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirtschaftsfahrzeuge wieder vom Tisch und beim Agrardiesel kommen die Streichungen auch nicht von jetzt auf gleich. Erklären Sie mir mal, warum die Bauern danach noch auf die Straße gegangen sind. War die Ampel noch nicht genug eingeknickt?
Da gibt es eine Geschichte hinter der Geschichte. Man konnte sich ja tatsächlich fragen, als es nur noch um den Agrardiesel ging, ob diese große Protestwelle eigentlich verhältnismäßig war. Aber wir sprechen über Prozesse, die schon länger als 20 Jahre laufen. Die Landwirte fühlen sich in einer Sandwich-Situation. Auf der einen Seite haben wir in unserer Gesellschaft immer höhere Erwartungen an unsere Landwirtschaft entwickelt. Und ganz oft enden die auf der Silbe -schutz: Umweltschutz, Tierschutz, Verbraucherschutz, Naturschutz usw. Und bei den Bäuerinnen und Bauern gab es dazu durchaus einen Lernprozess. Viele waren und sind bereit, diese Erwartungen möglichst zu erfüllen. Aber sie sagen eben auch, dass die Gesellschaft gleichermaßen anerkennen muss, dass sie mit ihren Betrieben Teil eines größeren internationalen Marktes sind. Sie können nicht selbst über ihre Erzeugerpreise bestimmen, das tun leider andere. Diese Sandwich-Situation ist ein strukturelles Problem in der Landwirtschaft. Und jetzt fordern sie schlicht Planungssicherheit. Und stellen eine berechtigte Frage: Wenn wir mehr leisten sollen – okay. Aber wie sollen wir dafür entsprechend das Geld verdienen? Gibt es dazu Perspektiven und Ideen? Sie fordern außerdem Verlässlichkeit in der Politik. Sie machen Stallumbauten und werden wenig später mit neuen und schärferen Anforderungen konfrontiert. Das ist natürlich problematisch bis existenzgefährdend. An dieser Stelle haben die Bauern ausdrücklich Recht. Das ist nur ein Beispiel. Sehr viel ist in den vergangenen zwanzig Jahren schlecht gelaufen. Und die drohenden Kürzungen waren jetzt einfach der berühmte Tropfen.

Beim Thema Landwirtschaft liegen also viele Fragen ungelöst seit zwanzig Jahren auf dem Tisch. Und man hat das bisher weitgehend ignoriert, obwohl die Kreuze ja schon seit einigen Jahren auf den Äckern stehen und auf die Situation der Betriebe hinweisen.
Ja, diese grünen Kreuze sieht man auch in Niedersachsen häufig. Viele niedersächsische Dörfer hatten früher fünf oder sechs Vollerwerbshöfe. Heute finden Sie in ganz vielen Dörfern nur noch einen größeren Betrieb, der die gesamte Fläche bewirtschaftet. Es gab über viele Jahre hinweg diese, wie ich finde, verhängnisvolle Strategie: Wachsen oder Weichen. Damit hat sich die Landwirtschaft deutlich verändert. Und jetzt sind es vor allem die übrigen, kleinen und mittleren Betriebe, die nicht wissen, wie sie ihre Zukunft planen sollen. Darum haben auch viele Kinder von Landwirten ihre Zweifel, ob sie den Betrieb übernehmen möchten. Und das ist für die Eltern schwer. Viele sitzen seit etlichen Generationen auf derselben Hofstelle. Und noch etwas hält die nachwachsenden Generationen ab: Es geschieht nicht selten, dass die Landwirtschaft als Umweltsünderin diskreditiert wird. Ohne dass gesellschaftlich anerkannt wäre, dass dort harte und verantwortungsvolle Arbeit geleistet wird.

Ein Problem ist der Handel. Die Preise sind einfach viel zu niedrig, oder?
Ja. Und problematisch ist auch, dass man gar nicht weiß, wo die Zutaten für die Produkte herkommen. Wenn Sie zum Beispiel Nudeln oder Fertiggerichte kaufen und es sind darin Eier verarbeitet, dann wissen Sie nicht, woher diese stammen und unter welchen Bedingungen die Hühner gehalten werden. Da kommt die internationale Konkurrenz ins Spiel. Viele Bauern empfinden den Markt als unfair, und da ist eine Menge dran. Es gibt politischen Handlungsbedarf. Und dazu: Wenn die Gesellschaft mehr Forderungen an die Landwirte hat, dann muss sie auch bereit sein, selbst mehr zu leisten, also mehr zu bezahlen. Tierwohl hat einen konkreten Preis. Tatsächlich ist es aber so, dass am Wochenende an der Fleischtheke im Supermarkt dann doch das Sonderangebot nachgefragt wird. Zu Spottpreisen.

Was müsste denn dringend passieren?
Es gibt gute Vorschläge, zum Beispiel von der Borchert-Kommission zur Tierhaltung. Das sind alles keine neuen Erkenntnisse. Trotzdem gibt es keine entsprechenden Entscheidungen. Und genau das macht die Bäuerinnen und Bauern zunehmend wütend. Bei den jüngsten Beschlüssen war es nun so, dass sich alle gewachsenen Vorbehalte gegenüber der Politik voll bestätigt haben. Niemand hat vorher mit den Landwirten geredet, es wurden einfach Entscheidungen getroffen. Und auch die Rücknahme von Entscheidungen fand nicht statt auf der Basis eines Gesprächs, sondern wiederum einseitig. Ich finde, man kann daraus eine Menge lernen.

Ich finde, man hätte schon längst etwas lernen können. Beziehungsweise hätte man es wissen müssen. Ich habe wirklich gegrübelt, wie man als Ampel eigentlich noch mehr ins offene Messer laufen kann, so richtig mit Ansage. Gibt es da keine Berater*innen?
Es ist ja bekannt, dass da ein sehr kleiner Kreis zusammengesessen hat. Bei dem beispielsweise der Bundeslandwirtschaftsminister nicht involviert war. Er hat klar gesagt, dass er dringend abgeraten hätte. Aber das ist jetzt vergossene Milch, um im Bild zu bleiben.

Wenn ich mir die vergangenen Jahre ansehe, mit all den Landwirtschaftsminister*innen der CSU/CDU, von Seehofer bis Klöckner, dann habe ich in Erinnerung, dass es eher eine Allianz gab mit den Landwirten. Die Stoßrichtung war immer eher zukunftsabgewandt. Bloß keine Veränderungen.
Nun, es gab in Berlin auch große Bauerndemos gegen die Politik von Klöckner und anderen. Sicherlich waren vor zehn Jahren noch weniger Landwirte veränderungsbereit. Aber die Landwirte wissen heute genau, dass es Entwicklungen geben muss. Sie erleben ja den Klimawandel hautnah, Stichwort Dürresommer. Veränderungen sind unumgänglich. Und das haben die Landwirte auch beim Tierwohl längst erkannt. Ich habe mal während eines eintägigen Praktikums auf einem großen Milchviehhof festgestellt, dass man sich sehr gut um die Tiere gekümmert hat. Und der Eigentümer hat das auch begründet. Wenn es den Tieren gutgehe, dann gehe es auch ihm gut, weil die Tiere so höhere Erträge brächten.

Wobei es auf der anderen Seite auch schon viele Skandale gab, und nach wie vor viel Mist passiert in der Landwirtschaft, um auch im Bild zu bleiben.
Ja, wobei man deshalb nicht immer eine ganze Branche in Mithaftung nehmen sollte. Und es hat sich auch viel getan. Heute sehen wir beispielsweise Freiluftställe mit Melkrobotern. Die Kühe können sich frei bewegen und selbst bestimmen, wann sie gemolken werden.

Wenn ich auf das Thema Landwirtschaft blicke, dann entdecke ich eine Parallele zu anderen Themen, die wir in Deutschland haben. Die Probleme sind schon Jahre bekannt, aber Lösungen gibt es nicht. Bei der Bildung, beim Verkehr, beim Wohnungsbau, bei der Gesundheit und Pflege, beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Liste ist lang. Die Versäumnisse sind stellenweise atemberaubend. Und dann blicke ich auf die Performance der Ampel und auf die Bereitschaft der einzelnen Akteure, konstruktiv miteinander zu arbeiten. Und was ich sehe, lässt mich ratlos zurück. Haben Sie Hoffnung, dass sich das demnächst noch mal positiv dreht?
Da würde ich zuerst gerne ein bisschen Wein in das von Ihnen dargebotene Wasser gießen. Erstens gab es noch keine Regierung, die so viel mit von außen kommenden Krisen zu tun hatte, vom ersten Tag an. Zweitens sind viele der Strukturprobleme, die Sie eben genannt haben, wesentlich älter als die Ampel. Sie werden nur jetzt immer offensichtlicher. Diese Strukturprobleme, die über Jahre gewachsen sind, lassen sich leider nicht von heute auf morgen lösen. Eine schnelle Reparatur ist einfach nicht realistisch. Und drittens leben in unserer Gesellschaft viele, viele Menschen unter ziemlich auskömmlichen Bedingungen. Nicht alle, das will ich ausdrücklich dazusagen. Aber wenn man sich anschaut, wie unsere Großeltern gelebt haben und wie Menschen in vielen anderen Teilen der Welt leben, dann kann schon feststellen, dass heute bei uns nicht alles schlecht ist.

Okay, es ist nicht alles schlecht.
Na, immerhin.

Aber trotzdem …
Das war ja auch nur die Vorbemerkung zu Ihrer Vorbemerkung. Generell muss Politik die Probleme anpacken und lösen, völlig klar. Ich finde, dass sich die Ampel erstens das Leben selbst sehr schwer macht, weil sie in vielen Fällen durchaus vernünftige Arbeit geleistet hat und weiterhin leistet. Leider bekommt das nur vor lauter öffentlichem Streit kaum noch jemand mit. Zweitens würde ich es sehr begrüßen, wenn man realistische Ziele kommunizieren würde. Sonst weckt man Erwartungen, die einfach nicht zu erfüllen sind. Und drittens wünsche ich mir, dass sich die demokratischen Kräfte in Deutschland jetzt miteinander verständigen und die Reihen schließen. Das ist vielleicht sogar das Wichtigste, angesichts der Entwicklungen um die AfD.

Interview: Lars Kompa

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Ein letztes Wort im Dezember

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Ein letztes Wort im Dezember


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, wir sprechen natürlich über die Geschehnisse in Israel. Und über das, was wir in der Folge nun in Deutschland sehen und erleben. Aber beginnen wir mit dem 7. Oktober. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
Wir kamen an dem Tag zurück von einer Delegationsreise nach Vietnam. Schon morgens am Flughafen gingen beunruhigende Push-Meldungen ein. Zunächst konnte ich die Berichte nicht wirklich einordnen. Aber es wurde dann im Laufe des Tages leider immer klarer, dass es sich um mehrere geplante, äußerst grausame und unbarmherzige Angriffe handelte, die vor allem gegen die Zivilbevölkerung in Israel geführt wurden. Eine neue, abscheuliche Art systematischer Kriegsführung.

Wann war Ihnen das ganze Ausmaß klar?
Eigentlich erst am nächsten Tag. Vielleicht weil sich alles in einem sträubt, eine Brutalität solchen Ausmaßes zu erfassen und als neue, bittere Wirklichkeit zu akzeptieren. Und auch, weil sich die Informationen erst mit der Zeit weiter verdichtet haben. Erst nach und nach wurde klar, wie hoch die Zahlen der Getöteten und Verletzten aber auch der Verschleppten waren – eine ganz besonders widerliche Facette dieses entsetzlichen Terrors. Diese Grausamkeit macht einen fassungslos. Für Israel war der 7. Oktober so etwas wie 9/11 für Amerika.

Der Terror richtet sich gezielt gegen Familien, gegen Kinder …
Ein extremer Terror, der sich am Vorgehen des IS orientiert. Und ich kann gut verstehen, warum die Israelis sagen, dass diese Art von Terror nie wieder passieren darf, dass sie nicht weiter unter einer ständigen Terrorbedrohung leben können. Es ist nicht akzeptabel, wenn jemand wie Erdoğan sagt, die Hamas sei im Grunde so etwas wie eine Befreiungsorganisation. Die Hamas ist eine Terrororganisation, eine Bande von Verbrechern und Mördern.

Die Hamas herrscht in diesem Landstrich seit Jahren mit unerbittlicher Härte, sie haben sich Gaza sozusagen unter den Nagel gerissen …
Das ist so, und die Opfer unter der Zivilbevölkerung in Gaza sind Teil einer zynischen Gesamtkalkulation. Es handelt sich um einen seit Jahrzehnten fortgeschleppten Konflikt, der danach schreit, dass es endlich doch eine friedliche Lösung gibt. Ein wesentliches Element einer solchen Lösung ist unabdingbar das Existenzrecht und die Sicherheit Israels. Der Terror muss aufhören.

Seit Rabin ist nicht mehr viel in dieser Richtung passiert. Und nun ist es vollends eskaliert. Israel war kurz in Schockstarre und schlägt jetzt unerbittlich zurück. Von Beginn an begleitet von Ressentiments, von Unterstellungen, von Hass, von Antisemitismus.
Israel hat das Recht, sich zu verteidigen. Und auch das Recht, die Wurzeln dieses Terrors zu beseitigen. Aber Israel hat dabei natürlich die Verpflichtung, die Zahl der Opfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung so gering wie irgend möglich zu halten. Tote Kinder sind furchtbar, ganz egal auf welcher Seite der Grenze.

Wir erleben weltweit und auch in Deutschland nun ein Aufflammen von Antisemitismus …
Es ist wirklich beschämend, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Angst haben, sich mit Symbolen ihres Glaubens in der Öffentlichkeit zu bewegen. Dagegen muss der Staat tun, was er tun kann, aber am Ende auch alle Bürgerinnen und Bürger. Wir müssen uns allerdings vor kollektiven Zuschreibungen hüten. Es gibt beispielsweise in der arabischen Community eine große Mehrheit, die mit Terrorismus und Antisemitismus rein gar nichts am Hut hat, denen es aber gleichzeitig tief unter die Haut geht, mit anzusehen, dass von 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen nun anderthalb Millionen auf der Flucht sind. Es sind dort inzwischen viele tausend Opfer zu beklagen, auch viele Kinder und Jugendliche. Das lässt niemanden kalt. Auch mich nicht. Es gehört zum Kalkül der Hamas, die Zivilbevölkerung zu missbrauchen und viele Opfer in Kauf zu nehmen. Und es ist nicht leicht für Israel, unter diesen Bedingungen die Verhältnismäßigkeit zu wahren, aber das müssen wir fordern. Und wir brauchen endlich eine dauerhafte Lösung, einen echten Frieden. Was soll entstehen in einem Gazastreifen, der zu weiten Teilen nur noch ein Trümmerhaufen ist? Wir kann man verhindern, dass daraus neuer Hass entsteht? Diese furchtbare Spirale muss endlich durchbrochen werden.

Eine friedliche Lösung hätte nur mit großer internationaler Anstrengung ganz vieler Staaten eine Chance und man müsste insbesondere dafür sorgen, dass die Unterstützung von Terrororganisationen aufhört.
In der Tat muss sich die internationale Gemeinschaft stark engagieren für einen Frieden in Nahost. Man muss jetzt zu einer echten Friedensordnung kommen. Auch ich halte – wie der Bundeskanzler – trotz oder vielleicht sogar gerade wegen dieses Krieges – eine Zweistaatenlösung für dringend notwendig. Mit breiten internationalen Sicherheitsgarantien für Israel müsste gewährleistet sein, dass von einem palästinensischen Staat für Israel keine Bedrohung mehr ausgeht. Gleichzeitig wäre eine Unterstützung für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung in Palästina erforderlich.

Das klingt immerhin nach einer Möglichkeit.
Jedenfalls ist meine Fantasie ansonsten sehr begrenzt.

Meine Fantasie ist dahingehend begrenzt, ob das mit der Netanjahu-Regierung in Israel möglich sein wird.
Jedenfalls ist Israel eine sehr gefestigte Demokratie, übriges die einzige im Nahen und Mittleren Osten. Eine Demokratie, in der es sehr lebendige innenpolitische Auseinandersetzungen gibt. Das haben wir ja in den letzten Monaten gesehen bei dem wirklich beeindruckenden zivilgesellschaftlichen Protest gegen die Pläne für eine sehr problematische Justizreform. Ich habe großes Vertrauen in die demokratischen Prozesse in Israel. Wir hören doch, wie es um das Vertrauen in die amtierende Regierung bestellt ist. Insofern bin ich zuversichtlich, dass man in Israel die richtigen Schritte gehen wird. Dass sich die politisch Verantwortlichen in Israel in dem aktuellen Kriegszustand aber zunächst auf eine Einheitsregierung verständigt haben, kann ich gut nachvollziehen.

Israel ist momentan, und im Grunde ja schon seit vielen Jahren, in einem Dilemma, sie haben diesen Druck, sich human zu verhalten, aber man hat dort auch gelernt, dass es durch ein Zurückweichen nie besser geworden ist, sondern oft nur bedrohlicher …
Es gibt dieses Dilemma. Israel fühlt sich dem Völkerrecht verpflichtet, die Hamas aber nicht. Ein Rechtsstaat gegen eine Terrorbande. Dennoch muss Israel sich fortwährend prüfen, ob es den Erwartungen an einen Rechtsstaat und seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen entspricht.

Was denken Sie, wenn Sie die Demonstrationen in Deutschland sehen, teils offen antisemitisch?
Wir sehen momentan drei verschiedene Demonstrationsformen. Es gibt die Demonstrationen zur Unterstützung Israels und zur Solidarität mit den Jüdinnen und Juden in aller Welt. Es gibt jene, mit denen die Organisatoren ihre tiefe Betroffenheit über die zivilen Opfer im Gazastreifen ausdrücken, aber nicht mehr. Und dann gibt es Demonstrationen, die antiisraelisch und judenfeindlich sind. Letztere werden in Niedersachsen konsequent verboten. Wir wollen an dieser Stelle überhaupt keinen Zweifel aufkommen lassen, wo der deutsche Staat steht. Bei uns darf man seine Meinung frei äußern, aber im Rahmen der allgemeinen Gesetze.

Es hat sich gezeigt, dass wir in Deutschland anscheinend ein vielschichtiges Problem mit Antisemitismus haben …
Wir haben Rechtsextremismus in Deutschland, und von dem geht, auch nach den Verfassungsschutzberichten, die größte Gefahr aus. Wir haben aber Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden leider auch bis in die Mitte unserer Gesellschaft hinein. Und natürlich haben wir den vielzitierten zugewanderten Antisemitismus. Gar keine Frage. Aber ich habe das hier mal bewusst in dieser Reihenfolge gesagt, denn wir haben nicht nur unsere Hausaufgaben hinsichtlich der letztgenannten Form von Antisemitismus zu erledigen. Wir müssen uns auch um die beiden anderen Formen kümmern. Das ist eine Aufgabe für alle Bürgerinnen und Bürger, für die ganze Gesellschaft. Wir müssen überall laut und deutlich widersprechen, in der Kneipe, in den Schulen, in den Vereinen, überall.

Interview: Lars Kompa

(Das Interview wurde bereits im November 2023 geführt)

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Ein letztes Wort im November

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Ein letztes Wort im November


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, wir treffen uns am 11. Oktober, wenige Tage nach dem Angriff der Hamas auf Israel …

Und es ist unfassbar, was dort geschehen ist. Fürchterliche Terrorangriffe, Grausamkeiten, die wirklich sprachlos machen. Mich hat das alles, wie viele andere, zutiefst erschüttert. Es ist völlig klar, dass wir in einer solchen Situation an der Seite Israels stehen. Und wir werden in Niedersachsen Sympathiebekundungen für den Terror der Hamas konsequent unterbinden. Israel hat das Recht, sich zu verteidigen. Das Ende des Terrors ist auch die Voraussetzung dafür, dass es für die Menschen in Gaza wieder zu einigermaßen erträglichen Lebensbedingungen kommt.

Es fällt schwer, so ein Thema in unserem Gespräch auszuklammern, aber wenn das November-Stadtkind in gut zwei Wochen erscheint, haben wir wahrscheinlich schon wieder eine ganz andere Situation in Israel. Wie es dort weitergeht, darüber könnten wir jetzt nur spekulieren. Darum zurück nach Deutschland und zu den aus SPD-Sicht sicher traurigen Wahlen in Hessen und Bayern. In Bayern waren es für die SPD noch 8,4 Prozent …

Ich war drei Tage unterwegs, um in beiden Ländern den Wahlkampf zu unterstützen, und ich muss ehrlich zugeben, dass mich die Ergebnisse dann nicht mehr überrascht haben. Die Stimmung war für die SPD in beiden Ländern spürbar schlecht. Aber was mir in Bayern besondere Sorgen macht, das ist einerseits eine starke AfD mit 14,6 Prozent und dazu die Freien Wähler mit 15,8 Prozent. Das sind zusammen über 30 Prozent! Und hinzu kommt noch eine CSU mit 37 Prozent, die unter diesen Bedingungen dann schon die Partei der Mitte ist. Und weniger als 30 Prozent für Liberale, SPD und Grüne – das beunruhigt mich sehr. Mich haben auch schon die Reaktionen auf die Affäre-Aiwanger erschrocken. Verfehlungen, die vor 35 Jahren geschehen sind, sind natürlich schon lange her, aber wenn so etwas passiert ist, dann muss man wenigstens anständig damit umgehen. Glaubt wirklich irgendjemand, dass Herr Aiwanger die Wahrheit gesagt hat? Und trotzdem fühlen sich viele von ihm nicht etwa hinters Licht geführt, sondern solidarisieren sich mit ihm. Was ist da los? Ich fürchte, dass in unserer Gesellschaft teilweise ein paar moralische Grundlagen verloren zu gehen drohen.

In Hessen waren es für die SPD 15,1 Prozent, weit hinter der CDU mit 34,6 Prozent und auch hinter der AfD mit 18,4 Prozent …

In Hessen müssen wir einfach einen großen Erfolg der CDU konstatieren. Und die SPD dort ist noch mehr als in Bayern in die Bundesdiskussion mit reingezogen worden. Die Stimmung der Ampel gegenüber ist wirklich nicht gut. Hinzu kommt, dass wir tatsächlich zu hohe Zuwanderungszahlen haben. Und die Bundesinnenministerin steckte als Spitzenkandidatin mitten in dieser Debatte. Das hat sicherlich eine Rolle gespielt.

Für die SPD waren die Wahlen ein Desaster.

Da ist so.

Würde es in Niedersachsen am kommenden Sonntag anders aussehen?

Die letzte Umfrage für Niedersachsen gab es im Juli, da war das Ergebnis für die SPD noch sehr passabel. Aber wir werden demnächst zum einjährigen Bestehen der Landesregierung sicher neue Umfragen bekommen. Mal sehen, wie die ausgehen. Niedersachsen ist keine Insel, aber wir sind in Niedersachsen – so mein Eindruck – auf einem wesentlich gefestigteren Boden unterwegs.

Wir sehen in Deutschland ganz eindeutig einen Rechtsruck. Und mich wundert das gar nicht. Denn was ich feststelle, ist, dass sich die demokratischen Parteien allesamt immer wieder vor den Karren der AfD spannen lassen. Die AfD setzt die Themen und treibt die anderen Parteien. Und plötzlich klingen im Sound alle fast gleich. Ich habe mir neulich mal einen Vergleich der europäischen Länder angesehen. Wie werden Flüchtlinge, Asylbewerber*innen, Migrant*innen bei uns behandelt, wie werden sie in anderen Ländern behandelt? Das Ergebnis: In vielen anderen Ländern geht man schäbig mit diesen Menschen um. Sie werden in erbärmlichen Behausungen untergebracht, sie werden schlecht behandelt, sie bekommen keine Unterstützung, keine Freundlichkeit. Nichts. Während wir in Deutschland uns bisher immerhin größte Mühe geben. Bei der Unterbringung, bei der Integration. Da ist sicher Luft nach oben, doch vergleichsweise verhalten wir uns bisher wirklich human, menschlich. Aber sind wir darauf stolz? Sehen wir das positiv? Nein, stattdessen gibt es inzwischen einen Wettbewerb, wie wir es den anderen Ländern nachmachen können, wie auch wir es diesen Menschen, die zum Teil zutiefst traumatisiert sind, möglichst noch schwerer machen können. Das kann es doch nicht sein. Kleine, längere Ansprache, Entschuldigung.

Zum Teil haben sie recht. Wir müssen aber – egal was die AfD sagt – auch einfach feststellen, dass wir in vielen Städten und Gemeinden riesige Probleme mit der Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten haben. Wir sind kaum noch in der Lage, grundlegende Integrationsleistungen so zu erbringen, wie wir das für notwendig erachten. Die Situation ist schwieriger als 2015/16, weil der Sockel wesentlich höher ist. Schon im letzten Jahr waren wir deutschlandweit bereits bei etwa 250.000 Menschen, bis Endes des Jahres werden wahrscheinlich noch einmal 300.000 dazukommen. Ganz zu schweigen von den Aufnahmen in den Vorjahren. Hinzu kommen in Niedersachsen noch etwa 130.000 Menschen aus der Ukraine, die bei uns Zuflucht gefunden haben. Die allwöchentlich große Zahl neuer Geflüchteter macht insbesondere den Kommunen große Sorgen. Es hat leider schon einen Grund, wenn die allgemeine Verunsicherung wächst. Und beim Thema Migration wird dann verständlicherweise die Frage gestellt, warum wir acht Jahre nach dem Herbst 2015 noch keine kontrollierte Migration haben. Wir brauchen keine Politik der Schikane, aber wir brauchen eine Kombination aus europäischen und nationalen Maßnahmen, um Menschen ohne Bleibeperspektive zügig zurückschicken und denjenigen, die vor Krieg, Verfolgung und Vertreibung fliehen, effektiv Schutz gewähren zu können.

Und dann kommt Friedrich Merz und spricht davon, dass sich die Leute hier die Zähne machen lassen. Der Chef der Partei mit dem „C“ im Namen. Das ist doch AfD pur und hat mit der Suche nach Lösungen rein gar nichts zu tun.

Das war unterirdisch, da gebe ich Ihnen Recht. Und ja, das war AfD-Sprech, das hilft auch der CDU nicht. Wir müssen die echten Probleme klar benennen und gute Lösungen finden. Der Sound verantwortungsbewusster Politikerinnen und Politiker muss ein anderer sein. Wenn wir Handlungsfähigkeit beweisen, werden wir auch Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen.

Mir fehlt dazu trotzdem eine Art Perspektivwechsel. Wir werden unsere Gesellschaft nicht zusammenhalten, wenn wir Neiddebatten führen, Angst verbreiten, Missgunst sähen, sondern wenn wir uns daran erinnern, dass wir solidarisch und human sein sollten, dass wir über Menschen sprechen, und dass wir nach wie vor ein starker Staat sind, der sehr viel leisten kann. Diese Ansprache fehlt mir momentan.

Aber neben schönen Ansprachen wollen die Menschen auch Taten sehen. Machen wir uns nichts vor, wir brauchen jetzt kontrollierte Verfahren und spürbare Verbesserungen in Europa und in Deutschland. Klar ist, dass wir das Grundrecht auf Asyl schützen und bewahren wollen. Und wir wollen unsere humanitären Verpflichtungen erfüllen. Auch deshalb müssen Menschen, die kein Schutzrecht haben, unser Land wieder verlassen. Geflüchtete aus Nordafrika haben beispielsweise eine Anerkennungsquote von unter einem Prozent. Wir können nicht alle Menschen bei uns aufzunehmen, die sich das wünschen, auch wenn viele Motive nachvollziehbar sind. Ich tue mich schwer mit der Vorstellung, dass Europa sich an seinen Grenzen abriegelt, aber ich halte das inzwischen für notwendig. Und es ist wohl leider auch notwendig, bereits an den Außengrenzen der EU über die Bleibeperspektive zu entscheiden. Und für Deutschland ist es besonders wichtig, dass wir eine gleichmäßige Verteilung über ganz Europa hinbekommen. Das alles ist noch ein dickes Brett, aber zumindest bin ich inzwischen zuversichtlich, dass wir zum ersten Mal zu einer europäischen Asylpolitik kommen. Das wäre ein ganz wichtiger Schritt.

Interview: Lars Kompa

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Ein letztes Wort im August

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Ein letztes Wort im August


 mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, es geht in die politische Sommerpause und ich bin ganz erleichtert – zwei Monate kein Ampel-Streit. Danach fetzen sich dann wieder alle ausgeruht wie die Kesselflicker, oder erwarten Sie, dass sich an der Performance demnächst wirklich etwas ändert? Hat man dazugelernt?

Menschen sind lernfähig und wir lernen alle täglich dazu. Dass von der ja in vielen Bereichen guten Arbeit der Bundesregierung derzeit primär die Streitigkeiten wahrgenommen werden, ist bitter. Die Ampel in Berlin hat viel bewegt in schwierigen Zeiten: der Mindestlohn ist gestiegen, das Kindergeld auch, die Energiekrise ist zumindest einstweilen überwunden, erneuerbare Energien werden jetzt schneller ausgebaut, die Bundeswehr wird ertüchtigt und die Ukraine unterstützt. Der allzu häufige Streit in der Koalition aber führt leider dazu, dass all das, was sie richtig gut macht, nicht mehr durchdringt. Darunter leidet das Ansehen einer Regierung und das ist gerade in diesen herausfordernden Zeiten schlecht für die Demokratie. Darum wünsche ich mir wirklich, dass alle Beteiligten in den Sommerferien sehr intensiv darüber nachdenken, wie man trotz unterschiedlicher Auffassungen ruhig und freundlich miteinander Politik machen kann. Es wird immer Themen geben, über die man sich streiten muss, aber bitte in Zukunft doch lieber intern. Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass die politische Führung eines Landes konstruktiv an den für sie relevanten Themen arbeitet und dass sie zu plausiblen Lösungen kommt, die die Menschen mittragen können. Das Heizungsgesetz war ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte. Am Ende ist niemand mehr durchgestiegen und viele Menschen wissen nicht mehr, was die jetzt in der Regierung geeinten Regelungen für sie persönlich bedeuten. De facto ist es übrigens so, dass der jetzt auf dem Tisch der Abgeordneten liegende Entwurf wesentlich besser ist als die Ausgangsfassung. Aber das hat infolge der aufgeheizten öffentlichen Debatte kaum jemand gemerkt. Also, langer Rede, kurzer Sinn, ich hoffe auf die Sommerpause als Nachdenkpause.

Bisschen wandern, übers Nebelmeer gucken, nachdenken …

So in etwa. Das würde ich mir wünschen.

Vor allem während der ersten Monate des Krieges in der Ukraine hatte ich den Eindruck, dass die Ampel letztlich recht pragmatisch zu Entscheidungen gekommen ist. Man war sich ein bisschen uneinig über die Geschwindigkeit bei den Waffenlieferungen, aber es ging dann doch insgesamt ganz gut voran. War das einfach der Druck der Krise?

Das war sicherlich der Druck der Krise, aber auch Mut und Entschlossenheit der Bundesregierung. Aber jetzt sind wir in einer ganz anderen und vielleicht deutlich schwierigeren Phase.

Jetzt muss es ums Gestalten gehen, um die Umsetzung von Zukunftsideen, um die richtigen Weichenstellungen?

Jetzt kommt die Phase, in der wir alle organisieren müssen, wie es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten unter schwierigeren Bedingungen weitergehen kann. Es gibt zahlreiche sich überlagernde Probleme und parallele Herausforderungen. Wir können uns beispielsweise nicht beim Klimaschutz eine Auszeit nehmen, bis der Krieg in der Ukraine zu einem Ende kommt. Die Menschen spüren die sehr grundlegenden Veränderungen, sie werden unruhig und machen sich Sorgen. Gerade in solchen Zeiten ist es umso wichtiger, dass Politikerinnen und Politiker deutlich machen: Wir wissen, was wir tun und wir werden gemeinsam einen guten Weg finden; jede und jeder einzelne ist gefordert, aber wir setzen alles daran, dass keiner überfordert wird. Ich bin zuversichtlich, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger bereit sind, die aktuellen Probleme mit anzugehen und die aktuellen Krisen mit der Politik und der Wirtschaft zusammen zu überwinden. Das aktuell geringer werdende Grundvertrauen in die Politik in Berlin, macht es leider extremen Parteien allzu leicht, sich mit plumpen Parolen und ohne eigene Lösungsansätze als Ventil anzubieten.

Wenn es jetzt um die Weichenstellungen geht, dann sitzen da aber leider drei Parteien in der Koalition, die teilweise völlig unterschiedliche, entgegengesetzte Grundüberzeugungen haben. Das kann doch auf Dauer nicht funktionieren, oder?

Mir fehlt da die Erfahrung, ich hatte bisher immer das Glück, in Zweierkonstellationen regieren zu können. Das ist natürlich wesentlich leichter. Und ich habe es auch bislang immer mit Koalitionspartnern zu tun gehabt, die ebenfalls lösungsorientiert gearbeitet haben. Das war auch mit der CDU während der vergangenen Legislaturperiode so. Wir waren uns einig, dass wir nicht den Eindruck von Zerstrittenheit vermitteln dürfen, weil das die Menschen in schwierigen Zeiten zusätzlich verunsichert und unsere demokratischen Strukturen schwächt. Mit den Grünen läuft das jetzt ähnlich, nur noch einmal konstruktiver und dynamischer. Natürlich haben wir auch immer mal wieder unterschiedliche Positionen, aber die Diskussionen werden weit überwiegend intern geführt. Auch bei im Einzelnen unterschiedlicher Auffassungen kann man zu gemeinsamen Entscheidungen kommen, wenn man sich darauf besinnt, worum es eigentlich geht. Beim Klimaschutz zum Beispiel um nicht weniger als den Erhalt der natürlichen Lebensbedingungen.

Man sollte sich also gelegentlich an die größeren Ziele erinnern?

Ja, wobei das alleine natürlich nicht reicht. Bei dem Heizungsgesetz geht es unzweifelhaft um einen ganz wichtigen Schritt hin zu mehr Klimaschutz. Diesen Schritt haben viele frühere Regierungen nicht gewagt und es ist gut und richtig, dass die Ampel sich dieser Herausforderung stellt. Dabei gibt es dann theoretisch zwei mögliche Lösungswege. Man könnte versuchen, alles über den CO₂-Preis zu regeln, also den CO₂-Preis so lange zu erhöhen, bis die Menschen ihre Heizungen erneuern. Von diesem Weg rate ich dringend ab, weil er Menschen mit kleinem Einkommen überfordert – sie können irgendwann die Energie nicht mehr bezahlen, aber auch nicht den Umstieg bei ihrer Heizung. Klüger ist in der Tat ein ordnungspolitisches Vorgehen, also klare Vorgaben zum Betrieb von Heizungen. Dabei müssen dann aber von vornherein alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen eng mit eingebunden werden, die Kommunen beispielsweise, die Energieunternehmen und die Handwerker, die die neuen Heizungssysteme einbauen sollen. Das ist leider am Anfang komplett unterblieben und hat sich bitter gerächt. Ganz sicher wäre bei einer solchen frühen Beteiligung u.a. der Hinweis auf den Vorrang kommunaler Wärmenetze gekommen. Hätte man eine kluge kommunale Wärmeplanung schon beim ersten Gesetzentwurf in den Mittelpunkt gestellt, wäre viel Ärger vermieden worden. Man sieht daran: Vernünftige Ordnungspolitik ist eigentlich kein Hexenwerk.

Und so bekommt man die Dinge geräuschlos auf die Strecke?

Mindestens wesentlich leichter. Weil eben schon im Vorfeld viele Risiken und Fallstricke identifiziert werden.

Wenn ich so meine Analyse dieser Dreierkonstellation mache, dann stelle ich fest: die FDP kocht ständig ihr eigenes Süppchen und ein Ende der Ampel wird es trotzdem nicht geben, weil die Umfragen nichts Gutes verheißen. Ist da was dran?

Das weiß ich nicht, da müssen Sie die FDP fragen. Aber ohne gemeinsame Überzeugungen geht es in keinem Fall. Die Ampel hat in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich einen richtig guten Kompass vereinbart, dazu muss man zurückkehren. Es kommen jedoch bedauerlicherweise insbesondere aus den Reihen der Liberalen immer wieder sehr destruktive Äußerungen in die Diskussion auf Bundesebene. Das mag gut sein für kurzfristige Profilierungen, aber der dadurch angerichtete Schaden ist nachhaltig.

Was ich bei all dem nicht verstehe, ist die Strategie von Olaf Scholz. Sich aus allem herauszuhalten, bis die Lage zwischen den kleineren Koalitionspartnern eskaliert, um es dann auf den letzten Metern nur so halbwegs einzufangen, scheint mir ebenfalls nicht besonders konstruktiv.

Diesen Eindruck teile ich nicht.

Die Antwort hatte ich erwartet.

Natürlich mischt sich Olaf Scholz ein. Aber die berühmten Machtworte, nach denen immer gerufen wird, ersetzen keine gemeinsame Überzeugung und kein gemeinsames Verantwortungsgefühl. Ein Regierungschef könnte noch so oft mit der Faust auf den Tisch hauen, er könnte gute Zusammenarbeit und gemeinsame verantwortungsvolle Politik nicht erzwingen. Und um an den Ausgangspunkt unseres Gesprächs zurückzukehren: mein Wunsch wäre es wirklich, dass die Koalitionäre in Berlin aus der Sommerpause mit der Einsicht zurückkehren, dass man eine gemeinsame Verantwortung hat und dieser auch gemeinsam gerecht werden will.

Mir fehlt bei Olaf Scholz trotzdem Führung, Klarheit, Kommunikation, Nahbarkeit.

Auch da widerspreche Ihnen aus vollem Herzen. Wir alle kommunizieren unterschiedlich. Olaf Scholz ist sich selbst treu geblieben – über viele Jahre hinweg. Er ist authentisch und hat mit seiner Politik viel Gutes bewirkt. Und er hat immer wieder Wahlen gewonnen. Ganz falsch kann er also nicht liegen.

Interview: Lars Kompa

(18.07.2023)

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