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Ein offener Brief an die traurige Gemeinschaft der Scholz-Erklärer

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Ein offener Brief an die traurige Gemeinschaft der Scholz-Erklärer


Ihr Lieben, jetzt müssen wir euch zwischendurch mal ein bisschen den Rücken stärken. Es ist so traurig und quälend, das mit anzusehen. Aber haltet durch! Das Finale kommt bestimmt. Bald. Nur noch ein Weilchen. Bis es vorbei ist. Bis das Spiel gelaufen ist. Die Reihen schließen, ein Team sein! Team Scholz! Jetzt! Ab auf den Platz und Gras fressen! Und auch mal gegen den Ball spielen!

Entschuldigung, aber der Stepan Weil macht das auch immer. Fußball und SPD, das gehört ja irgendwie zusammen. Spätestens seit Gerhard „Acker“ Schröder. Mist, jetzt haben wir den bösen Namen gesagt, den niemand mehr sagen darf. Aber zumindest müsst ihr den jetzt nicht mehr erklären. Nur noch euren Scholz. Also, lieber Lars Klingbeil, liebe Saskia Esken, lieber Kevin Kühnert, liebe Katarina Barley, lieber Hubertus Heil, lieber Stephan Weil, liebes altgedientes Mitglied in Dortmund, liebe Genossin in Großheide und Nentershausen, liebe Gemeinschaft der Scholz-Erklärer, seid stark, auch wenn es weh tut. Auch wenn ihr euch quälen müsst wie ein Team unter Felix Magath. Ihr habt keine Wahl und unser Mitgefühl. Ihr müsst ihm jetzt die Treue halten, ihm den Rücken stärken. Alles andere wäre momentan auch politischer Selbstmord. Weil er im Hintergrund noch zu sehr die Fäden zieht. Wer jetzt den Aufstand wagt, riskiert den Kopf. Aufpassen! Der Scholzomat sieht alles. Also, Ruhe bewahren und bloß nicht öffentlich die Pistorius-Option erwähnen.

Diese Option bitte nur, wenn alle Türen zu sind. Dann kann man das unter vier Augen schon mal durchspielen. Ein bisschen in die Zukunft schauen. Demnächst diese Landtagswahlen. Die SPD degradiert zur Kleinstpartei im Osten. Es wird rumoren, es wird schwelen an der Basis, immer mehr werden Scholz den Rücken kehren, man wird sich noch weiter durchkämpfen mit ihm bis zum Sommer, bis zur Sommerpause, aber dann wird Schluss sein, dann wird Scholz zurückgetreten und Boris übernimmt exakt zwei Monate vor der Bundestagswahl. Der Clou! Die Union wird ihn in der kurzen Zeit kaum noch beschädigen können. Und der Sieg der Sozialdemokraten im September 2025 wird groß sein. Aber Pssst! Das gehört jetzt noch nicht in die Öffentlichkeit.

Jetzt ist erst noch eine ganze Weile „scholzen“ angesagt. Also Ungesagtes ergänzen, Gesagtes übersetzen, Grinsen zur Unzeit erklären, schlechte Witze relativieren, knappe Ansagen entschuldigen. Auch wenn es euch sichtbar körperliche Schmerzen bereitet. Auch wenn man euch den Widerwillen ansieht. Die leeren Augen, die hängenden Schultern. Lasst euch nicht beirren. Olaf Scholz ist der gewählte Kanzler und er wird Kanzler bleiben, er steht jetzt nicht zur Debatte. Und auch seine Kanzlerkandidatur im September 2025 steht nicht zur Debatte. Klar, ist ein Brüller. Wissen alle. Aber das ist jetzt das Wording. Bis zum Sommer 2025. Ist ja nicht mehr lang.

Und es könnte ja auch alles noch viel schlimmer sein. Zu „scholzen“ ist ja eigentlich relativ leicht. Man sagt einfach, dass er bestimmt das Richtige gemeint hat und dass er das halt nur mal wieder ein bisschen umständlich formuliert hat. Fertig. Stellt euch mal vor, ihr müsstet nicht „scholzen“, sondern „mützenichen“. Das, ihr Lieben, das wäre so richtig Folter.
● GAH
Foto: Tobias Rehbein / Pixabay.com

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El Kurdis Kolumne im Juli: Zwischen Seepferdchen und Diplomarbeit: Eine gebrochene Bildungsbiographie

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El Kurdis Kolumne im Juli: Zwischen Seepferdchen und Diplomarbeit: Eine gebrochene Bildungsbiographie


In diesem Jahr jährt sich der Abbruch meines Studiums zum 30. Mal. Offiziell, in der Statistik, gelte ich nämlich als „Studienabbrecher“. Inoffiziell, also quasi heimlich, habe ich selbstverständlich zu Ende studiert. Mit (fast) allem Drum und Dran. Nur zum Äußersten ließ ich es nicht kommen.

Hier die Details: Ende des letzten Jahrtausends absolvierte ich an der Universität Hildesheim ein Studium der „Kulturpädagogik“. Dieser aus der Not der einstmals existierenden Lehrerschwemme geborene Studiengang war der Vorgänger der diversen „Kulturwissenschafts“-Studiengänge, die heute so in Hildesheim angeboten werden. Soweit ich informiert bin, sind die Studieninhalte aber immer noch ähnlich, nur etwas ausdifferenzierter. Ich vermute mal, dass das „Pädagogik“-Anhängsel in der Studiengangbezeichnung den Verantwortlichen irgendwann peinlich war, weil es zu sehr nach „Sozialpädagogik“ und 70er-Jahre klang. Also änderte man den Namen. Mal abgesehen davon, dass das Berufsfeld und die Ausbildung der Sozialpädagog*innen meiner Meinung nach zu Unrecht belächelt werden, hatte unser Studium tatsächlich sehr wenig damit gemein. Man konnte zwar Pädagogikkurse belegen, musste aber nicht, wenn man nicht wollte. Stattdessen konnte man auch Philosophie, Soziologie oder Politik als „Beifach“ zu den künstlerischen Fächern wählen. Oder so tun, als ob.

Wie dem auch sei: Die damalige Kulturpädagogik-Prüfungsordnung verlangte perfiderweise, dass man zunächst seine Abschlussprüfungen machte und erst dann, also im Anschluss, eine Diplom-Arbeit schrieb. Was dazu führte, dass eine erkleckliche Anzahl von Studierenden brav die mündlichen und schriftlichen Prüfungen absolvierte, um sich anschließend sofort und gnadenlos im Leben zu verfranzen. Indem sie ABM-Stellen annahmen, nachts in postmodernen Spelunken kellnerten oder schlicht depressiv wurden, weil die Freundin oder der Freund sich jetzt doch dafür entschieden hatte, lieber mit dem Ralf oder der Petra nach Freiburg zu ziehen.

Welche meine Gründe waren, kann ich nicht mehr genau rekonstruieren. Wahrscheinlich alle drei auf einmal. Vielleicht fand ich es auch einfach albern, diese Arbeit zu schreiben. Mein Lieblingsprofessor sagte in einer meiner mündlichen Prüfungen: „Sie machen den Eindruck, als ob sie es für eine Unverschämtheit halten, überhaupt geprüft zu werden.“ Ich konnte ihm nicht widersprechen. Schließlich hatte ich nicht nur die vorgeschriebenen neun Semester, sondern vor lauter Begeisterung sogar noch zweieinhalb Jahre länger in Seminaren und praktischen Übungen Engagement und neurodiverses Verhalten gezeigt, sogar hin und wieder die übermenschliche Leistung vollbracht, zu Veranstaltungen um 10 Uhr (s.t.) zu erscheinen, hatte mindestens drei Mal in der Woche in der am Bolognese-Tag nach Erbrochenem riechenden Uni-Mensa gegessen und dazu noch in meinem Nebenfach Musik eine Prüfung in „Ensembleleitung“ aka „Dirigieren“ nicht nur nicht verweigert, sondern – au contraire – auch noch bestanden, wofür ich mich heute noch ein bisschen schäme. Und jetzt sollte ich auch noch eine 100-Seiten-Arbeit schreiben? Pardon, irgendwo ist dann auch mal Schluss, finde ich.

Ich gebe das hier auch nur zu Protokoll, damit nicht etwa irgendwann jemand sagt: „Wie bitte? Sie schreiben seit Jahrzehnten eine Stadtmagazin-Kolumne OHNE Hochschulabschluss? Wie können Sie es wagen?! Normalerweise braucht man dafür einen Dr. phil. oder einen PhD! Mindestens einen B.Sc., Sie Hochstapler, Sie!“

Also, ich hab’s ja jetzt zugegeben. Nicht, dass sich da demnächst die Investigativ-Journalisten des SPIEGELS oder der ZEIT dahinterklemmen. Außerdem kann es ja auch sein, dass ich doch noch mal in ein Ministeramt schlittere oder man mich zwingt, auf dem Intendantensessel eines Drei-Sparten-Theaters oder einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Platz zu nehmen. Spätestens bei der Besetzung eines solchen Postens wird ja inzwischen jeder Lebenslauf, jeder Abschluss, jede Doktorarbeit sofort faktengecheckt. Hat man abgeschrieben, falsch zitiert oder aus einem Strandurlaub in Italien ein Erasmus-Semester gemacht: Zack, weg vom Fenster! Damit das jetzt mal endgültig klar ist, liebe Hannoveraner*innen, sehr verehrtes Deutschland: Die einzigen Abschlüsse, die ich besitze, sind: a) Die Fahrradprüfung aus der 4. Klasse und b) ein solides Zweikommairgendwas-Abi. Und natürlich: das Seepferdchen.

Mal sehen, ob ich doch noch zurücktreten muss, von was auch immer, wenn jemand rausfindet, dass das mit dem Seepferdchen gelogen ist.
● Hartmut El Kurdi

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Neu in der Stadt: ELEA

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Neu in der Stadt: ELEA


Seit 14 Jahren in der Geibelstraße 18, in der Südstadt nun auch auf der Lister Meile.

Nachdem in der Südstadt festgestellt wurde, dass eine Nachfrage nach hochwertigen Olivenölen, Weinen und ausgesuchter Feinkost bis über die Grenzen der Stadt existiert, hat Inhaber Stefan Koszewski beschlossen sein besonderes Angebot auch in Hannovers List anzubieten.
Und welcher Ort würde sich dafür besser anbieten als die Lister Meile.

Nach inzwischen fast 6 Jahren Suche nach dem passenden Ladenlokal kam zum 01.06. endlich die Gelegenheit den zweiten Standort zu eröffnen.
Hier finden Kunden eine Auswahl von Olivenölen, sowie andere ausgesuchte Feinkostprodukte wie Weine, Schaumweine und Spirituosen.
Vom Gin bis Grappa zum Fruchtlikör können hier alle Feinkost-Wünsche erfüllt werden.

Außerdem veranstaltet der ELEA-Laden in den neuen und viel größeren Räumlichkeiten ab sofort Olivenölseminare und auch Weinprobenabende. Jeden Samstag von 10 bis 18 Uhr gibt es zudem die Probiersamstage, an denen Öle, Essige, Dips, Oliven, Salamis und auch Weine nach Herzenslust verkostet werden können.

 

 

 

 

ELEA-Laden
Lister Meile 51
30161 Hannover

Öffnungszeiten Di-Sa 10-18 Uhr.
E-Mail: info@elea-hannover.de
Tel. : 0511 49537797

https://www.facebook.com/ELEAOlivenoelWeinGutes
https://www.instagram.com/elea_olivenoel/

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Neu in der Stadt: POMP

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Neu in der Stadt: POMP


Mit POMP entwickelt die Landeshauptstadt die ohnehin virale Szene der Bildenden Kunst weiter.

In einer Gewerbeimmobilie in Hainholz, entsteht das neue Kultur- und Atelierzentrum POMP (AT).

Für dieses Projekt wird eine 700 Quadratmeter große Halle umgebaut und energetisch und barrierefrei saniert. „POMP soll zum einen dem Bedarf an nachhaltigen, bezahlbaren Arbeitsräumen für Künstler*innen in Hannover begegnen, als auch am Standort zur Demokratiebildung beitragen und eine Bereicherung sowohl für die Kulturlandschaft als auch die Stadtgesellschaft schaffen“, so Kulturdezernentin Eva Bender bei ihrem Besuch von POMP im Gespräch mit Künstler*innen.

Das Konzept sieht vor, dass hier neben Einzelateliers, Gemeinschafts- sowie Residenzateliers auch gemeinschaftlich zu nutzende Flächen wie ein Ausstellungsraum, – in dem Inklusion, Zugänglichkeit und Kooperation eine zentrale Rolle spielen – Werkstätten, ein offenes Foyer mit mobiler Cafébar sowie ein Gemeinschaftsraum mit Küche mitgedacht werden.
Das Projekt versteht sich als ein Ort für ein demokratisches Miteinander, als Ort, der eine Einladung zum Zusammenkommen ausspricht – an Künstler*innen, Besucher*innen und die Stadtgesellschaft.

Pomp
Schulenburger Landstraße 150/152
30165 Hannover

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Die aufgehetzte Republik (Titel 2024-06)

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Die aufgehetzte Republik (Titel 2024-06)


Warum Gewalt Konjunktur hat

Spätestens seit den Attacken auf den sächsischen Europaabgeordneten der SPD Matthias Ecke sowie einen Wahlkampfhelfer der Grünen in Dresden wird lautstark diskutiert in Deutschland. Wobei sich natürlich alle einig sind, „dass Gewalt gar nicht geht“. Und schon mal überhaupt nicht, wenn sich die Gewalt gegen Ehrenamtliche richtig, die auf der lokalen Ebene die Basis unserer Demokratie bilden. Gefordert werden nun natürlich schnelle und harte Maßnahmen gegen die Gewalttäter. Und mal wieder wird konstatiert, dass Deutschland nicht erst seit diesem Vorfall, sondern bereits seit Jahren einen beunruhigenden Trend erlebt, eine zunehmende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft. Diese Entwicklung zeigt sich in verschiedenen Bereichen, von politisch motivierten Straftaten über alltägliche Gewalt im öffentlichen Raum oder in den Schulen bis hin zu extremistischen Anschlägen. Was ist da bloß passiert in Deutschland? Was ist da verrutscht? Warum diese Gewalt?

Was die extremen Rechten angeht, ist die Antwort denkbar einfach: Wer Angst hat, engagiert sich nicht. Wer sich nicht mehr auf die Straße traut, klebt keine Plakate. Es geht also schlicht um die Einschüchterung des politischen Gegners. Menschen ziehen sich vorsichtshalber aus der Politik zurück. Das Feld wird allmählich dem vermeintlich Stärkeren überlassen. Was die extremen Linken angeht ist es übrigens ganz genauso. AfD-Wahlplakate sind ein beliebtes Ziel und auch verbale und körperliche Übergriffe sind an der Tagesordnung. Beides ist nicht zu rechtfertigen. Gewalt hat in einer Demokratie unter keinen Umständen etwas zu suchen – auch wenn man solche Aktionen gegen Mitglieder der AfD zunächst vielleicht sympathisch, nachvollziehbar oder sogar unterstützenswert findet. Spätestens auf den zweiten Blick sollte man sich eines Besseren besinnen. Gewalt ist an den politischen Rändern ein durchaus probates Mittel, um Ziele zu erreichen, sie gehört zur Strategie, Gesellschaften zu beeinflussen. Diese Strategien müssen darum mit Nachdruck abgelehnt und bekämpft werden. Was allerdings verwundert: Nicht allein extreme Rechte und Linke werden übergriffig. Vermehrt rasten inzwischen auch die Normalos aus, die man eben noch zur Mitte zählen durfte. Es scheint reichlich Druck auf dem Kessel zu sein.

Die Eskalation der Gewalt hat dabei viele Ursachen, die tief in den sozialen, politischen und kulturellen Strukturen unseres Landes verwurzelt sind. Einer der Hauptgründe für die zunehmende Gewalt in Deutschland ist ganz sicher die wachsende soziale Fragmentierung. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Kluft zwischen verschiedenen sozialen Gruppen deutlich vergrößert. Dies betrifft sowohl ökonomische als auch kulturelle Aspekte. Während die wirtschaftliche Ungleichheit zunimmt, fühlen sich viele Menschen von den politischen und gesellschaftlichen Eliten abgehängt und marginalisiert. Diese Ungleichheit schafft ein Klima der Frustration und des Ressentiments, was die Gewaltbereitschaft fördert. Menschen, die sich in ihrer Existenz bedroht fühlen oder die keine Perspektiven für eine bessere Zukunft sehen, sind anfälliger für extremistische Ideologien und Gewalt. Sie werden gerne mal zu Angstbeißern. Und das betrifft inzwischen längst nicht mehr nur sozial benachteiligte Gruppen, sondern auch Teile der Mittelschicht, die sich durch die Globalisierung, den technologischen Wandel, aber auch durch Kriege oder Naturkatastrophen zunehmend bedroht fühlen. Auf dieser Klaviatur der Ängste lässt sich natürlich wunderbar spielen.

Eine weitere Rolle bei der Zunahme der Gewalt spielen die Medien. Sowohl die traditionellen Medien als auch die neuen Medien konkurrieren um die Werbeetats der Unternehmen. Und Unternehmen überzeugt man mit Reichweite. Darum werden Überschriften heute so kreiert, dass sie eine möglichst große Zahl an Zugriffen provozieren. Ob die Botschaften dabei noch den Tatsachen entsprechen, tritt gerne mal in den Hintergrund. Bereits mit den Überschriften wird polarisiert. Wir erleben diese Tendenzen inzwischen sogar bei den Öffentlich-Rechtlichen, die allerdings für viele Menschen als Informationsquelle ohnehin längst ausgedient haben, gelten sie doch als vom „System“ bezahlt und darum wahrscheinlich manipuliert.

Keine kleine Rolle bei der Meinungsbildung spielen natürlich auch die sozialen Netzwerke. Sie dienen vielen Menschen mittlerweile als einzige Informationsquelle und haben ganz erheblichen Einfluss. Besonders problematisch ist dabei die Tendenz der Medien, Gewaltakte übermäßig zu dramatisieren und zu skandalisieren. Das führt zu einer verstärkten Wahrnehmung von Bedrohung und Unsicherheit in der Bevölkerung, obwohl die tatsächliche Bedrohung im Zweifel gar nicht zugenommen hat. Was ganz am Ende der Sensationsjournalismus und die sozialen Netzwerke noch nicht schaffen, das erledigen ganz am Ende verlässlich die Fake News. Ängste und Vorurteile werden immer weiter befördert, bis sich die Realitäten tatsächlich verschieben. Es wird kopiert und nachgeplappert, was ins eigene Weltbild passt. Garniert man das Ganze dann noch mit ein bisschen Hassrede und Extremismus, dann ist irgendwann angerichtet. Menschen radikalisieren sich, die Gewaltbereitschaft steigt.

Das Muster ist dabei immer ähnlich. Zuerst verändert sich die Sprache. Und Vermutungen werden zu Gewissheiten. Dann ist die EU das Schlimmste, was Deutschland je passieren konnte, man darf gar nichts mehr sagen, Gendern zerstört die deutsche Sprache, die Jugend ist kollektiv faul, Bürgergeldempfänger ebenfalls, die Grünen sind eine Verbortspartei, die wollen Urlaubsflüge und das Auto verbieten, Polizisten sind alle rechts, die Flüchtlinge ziehen uns das Geld aus der Tasche, Deutschland tut mehr für Fremde als für die eigenen Leute, junge Politikerinnen und Politiker haben alle noch nie richtig gearbeitet, in deutschen Gefängnissen sitzen überwiegend ausländische Straftäter, vegane und vegetarische Ersatzprodukte sind alle mit Chemie verseucht, queer sein ist ein Trend, der irgendwann auch wieder vorbeigeht und viele Frauen fühlen sich als Hausfrauen und Mütter sehr wohl. Man möge sich aussuchen, was auch immer passt.

Und wie reagiert auf all das nun die Politik? Sie polarisiert. Der politische Diskurs wird immer aggressiver und konfrontativer. Statt konstruktiver Debatten dominieren persönliche Angriffe und Verunglimpfungen. Und natürlich glänzt hier besonders die AfD. Aber sie glänzt nicht allein. Auch die CDU/CSU teilt gehörig aus, teilweise ohne jede Achtung vor dem politischen Gegner. Wenn beispielsweise Markus Söder davon spricht, dass sein Hund „Molly“ im Gegensatz zu SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang eine Ausbildung habe, dann kann es flacher kaum noch werden. Friedrich Merz ist ebenfalls kein Kind von Traurigkeit, wenn es darum geht, einen billigen polemischen Punkt einzufahren. Und einem Jens Spahn scheint inzwischen fast alles recht, um den politischen Gegner zu diskreditieren. Wenn er zum Beispiel beim Thema Atomausstieg nun ständig von alternativen Fakten spricht, die man geschaffen habe, dann schafft er ganz nonchalant sehr wahrscheinlich alternative Fakten. Die Achtung vor dem politischen Gegner scheint in Deutschland mehr und mehr aus der Mode zu kommen. Eigentlich war es stets Konsens, sich bei aller Streiterei doch immer mit einem gewissen Respekt zu begegnen. Davon ist kaum noch etwas übrig. Das alles schafft ein Klima der Intoleranz und Feindseligkeit. Die Grünen? Man darf sie hassen. Man darf sie gefährlich finden. Es liegt ziemlich nahe, dass man sich entsprechend auch wehren darf gegen die schrecklichen Grünen, die alles verbieten wollen.

Also wehrt man sich. Und belässt es nicht bei „harmlosen“ Galgen, die man mit dem Traktor durch Deutschland kutschiert. Man bedrängt, man nötigt. Und irgendwann wird dann auch zugeschlagen. Was wiederum andere dazu animiert, ebenfalls zuzuschlagen. Die Gewaltbereitschaft steigt. Die Gesellschaft wird zunehmend dünnhäutiger.

Wie kommt man nun dagegen an? Zumal in einer Zeit, in der der vorherrschende Trend noch von außen befördert wird? Was könnte beispielsweise für Russland besser sein, als eine deutsche Gesellschaft, die immer gespaltener ist, die sich mehr und mehr selbst zerfleischt? Bereits heute gibt es tagtäglich Versuche der Einflussnahme. Und mittels KI wird sich das noch massiv verstärken in den kommenden Jahren. Wie werden wir als Gesellschaft resilient? Da gäbe es einen ganzen Katalog.

Bildung ist natürlich ein Schlüssel, insbesondere Medienkompetenz und natürlich die politische Bildung, um das Verständnis für demokratische Werte und Prozesse zu fördern. Dazu sind aber auch nicht nur präventive, sondern auch repressive Maßnahmen notwendig, um der Gewalt entgegenzuwirken. Wie wäre es beispielsweise mit einer tatsächlich konsequenten Strafverfolgung und einer vollen Ausschöpfung des Möglichen bei den Strafen. Es braucht klare Signale in die Gesellschaft, dass Gewalt absolut nicht toleriert wird.

Wichtig bleibt dazu, was wir in Deutschland glücklicherweise noch haben: Eine Vielzahl an Initiativen und Organisationen, die sich für Toleranz, Integration und den gesellschaftlichen Dialog einsetzen. Sie können durchaus Brücken bauen und dazu beitragen, Spannungen abzubauen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Besonders wichtig ist dabei das Engagement auf lokaler Ebene. In Städten und Gemeinden können Bürgerinitiativen und lokale Vereine einen direkten Einfluss auf das soziale Klima nehmen und dazu beitragen, dass Konflikte frühzeitig erkannt und entschärft werden. Diese Graswurzelbewegungen sind oft weitaus effektiver als nationale Programme.

Aber all das zusammengenommen wird es noch nicht wieder richten. Letztlich liegt die größte Verantwortung wohl bei der Bundespolitik. Wenn es nicht bald gelingt, unter Demokraten wieder einen anderen Stil miteinander zu pflegen, dann wird das Problem künftig eher noch größer werden. Man sollte sich in Berlin dieser Verantwortung unbedingt bewusst sein, in der Regierung, aber auch in der Opposition.

 ● LAK

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Ein letztes Wort im Juni

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Ein letztes Wort im Juni


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Stephan Weil (r) und Lars Kompa (l)

Herr Weil, wir führen unser Interview knapp einen Monat vor der Europawahl, der Wahlkampf läuft auf Hochtouren. Und die Stimmung ist aktuell teils ausgesprochen aggressiv, Politikerinnen und Politiker werden angegriffen, während sie ihre Plakate aufhängen wollen, es gibt Diffamierungen und Übergriffe auf allen Ebenen. Wir lesen und hören eigentlich jede Woche von Gewalttaten. Der sächsische Europa-Abgeordnete Matthias Ecke ist sogar krankenhausreif geschlagen worden. Was macht das mit Ihnen ganz persönlich? Haben Sie bei öffentlichen Auftritten jetzt neuerdings ein mulmiges Gefühl?
Nein, mit mir persönlich macht das relativ wenig, weil Ministerpräsidenten ja gut geschützt sind. Aber ich weiß, dass zum Beispiel Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker immer wieder beleidigt und bedroht werden und die haben keinen solchen Schutz, wie ich ihn habe. Oder denken Sie an Einsatzkräfte von Rettungsdiensten, da gab es zuletzt leider auch in Niedersachsen wieder Meldungen über Angriffe – das sind Nachrichten, die gehen auch mir unter die Haut.

Wie geht’s denn Ihrer Security-Mannschaft bei Ihren öffentlichen Auftritten? Sie sind ja niemand, der den Leuten aus dem Weg geht. Für Ihr Sicherheitsteam ist es gerade Stress pur, oder?
Nun, das müssten die Personenschützerinnen und Personenschützer des LKA eigentlich selbst beantworten. Grundsätzlich hat jeder Beruf seine Risiken. Gleichwohl haben wir in Niedersachsen sicherlich andere Verhältnisse, als sie uns aus Sachsen berichtet werden. Nach dem Anschlag auf Matthias Ecke ist ja bekannt geworden, dass dort nahezu täglich Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer drangsaliert werden und welche bedrohliche Atmosphäre dort im Wahlkampf herrscht. Das ist schwer erträglich, zum Glück gibt es in dieser Hinsicht doch deutlich bessere Verhältnisse in Niedersachsen.

Ich stelle es mir nicht so einfach vor, bei all dem, was so passiert, keine Angst zu bekommen, also standhaft zu bleiben und nicht zurückzuweichen, und das vor allem auf der lokalen Ebene. Übergriffe gab es auch in der Vergangenheit, aber das alles erreicht gerade ein neues Level. Und die ehrenamtlichen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer haben – wie sie eben gesagt haben – keine Security …
Ja, das ist auch der Teil, der mir wirklich große Sorgen macht. Unsere politische Ordnung geht ja davon aus, dass am Ende das Volk entscheidet und die Parteien an der Willensbildung des Volkes mitwirken. Dies tun sie durch viele ehrenamtlich engagierte Menschen, die in Wahlkämpfen mithelfen. Wenn es die nicht mehr geben würde, dann würde unsere Demokratie großen Schaden nehmen. Hinzu kommt: Wir brauchen auch engagierte Personen, die für Mandate kandidieren wollen, wenn es etwa bei Kommunalwahlen um die Besetzung von Ortsräten, Räten und Kreistagen geht. Wirklich besorgniserregend finde ich, dass viele Angriffe, von denen wir hören, nicht spontan passieren, sondern diese auch geplant sind. Menschen, die sich für unsere Gesellschaft einsetzen, sollen eingeschüchtert werden. Das werden und dürfen wir nicht zulassen. Solche Angriffe sind ein Anschlag auf unsere Demokratie!

Mich erinnert das tatsächlich an sehr dunkle Zeiten in Deutschland. So ähnlich hat es damals angefangen.
Naja, ganz so schwarz würde ich das nicht sehen. Richtig ist, dass der Ton und das Klima wesentlich rauer geworden sind in der politischen Auseinandersetzung. Gleichzeitig hatten wir aber zu Beginn dieses Jahres riesige Demonstrationen, bei denen wir gesehen haben, dass wirklich eine breite Mehrheit der Gesellschaft hinter unserer Demokratie steht und beispielsweise auch Gewalt ablehnt. Umgekehrt darf man aber auch nicht die Augen davor verschließen, dass nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Stimmungslage in der Bevölkerung, fast 13 Prozent der Befragten gesagt haben, sie würden der Aussage voll oder eher zustimmen‚ dass manche Politikerinnen und Politiker sich nicht wundern dürften, wenn es dann auch mal zu Gewalt käme – vor zwei Jahren war diese Zustimmung wesentlich geringer. Das zeigt, dass tatsächlich die Temperatur angestiegen ist. Wir müssen das sehr ernst nehmen, aber ein Vergleich mit der Weimarer Republik erscheint mir übertrieben.

Ich habe neulich versucht, jemandem zu erklären, dass aus meiner Sicht solche Angriffe nie in Ordnung sind. Dass also auch Übergriffe und körperliche Angriffe Richtung AfD nicht in Ordnung sind. Helfen Sie mir mal, diesen Standpunkt zu begründen …
Das ist relativ einfach: Unsere Demokratie beruht darauf, dass wir miteinander streiten, aber mit Argumenten und ohne Gewalt. Dieser Grundsatz gilt für alle und damit auch für die AfD. Und deswegen habe ich kein Verständnis gegenüber Gewalt an AfD-Mitgliedern. So sehr ich diese Partei politisch bekämpfe – auch deren Mitglieder haben einen Anspruch darauf, dass sie ihrer politischen Tätigkeit ohne Angst vor Gewalt nachgehen können.

Eine Demokratie muss also auch die Feinde der Demokratie aushalten, solange die sich im Rahmen der Verfassung bewegen. Das scheint aber zunehmend eine Herausforderung zu sein. Die Demokratie erlebt Druck vom linken und rechten Rand und neuerdings wird auch noch ein Kalifat gefordert. Mir kommt es so vor, als ob immer mehr Menschen unserer Demokratie nicht mehr viel abgewinnen können.
Richtig ist leider, dass das Vertrauen in die demokratischen Institutionen gesunken ist – das wissen wir auch aus Forschungsstudien und das ist ein Punkt, der uns allen Sorgen machen muss. Dennoch steht die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft unverändert zu unserer Demokratie, bei allen Macken, die diese auch haben mag – niemand wird behaupten, dass unser politisches System fehlerfrei wäre. Wie bereits erwähnt, kommt es vor allem darauf an, dass die Demokratinnen und Demokraten sich zeigen und deutlich machen: Wir sind viel, viel mehr und wir lassen nicht zu, dass das Klima durch deutlich kleinere, radikale Gruppen dominiert wird. Das ist etwas, was ich mir nicht nur wie am Jahresanfang bei Demonstrationen wünsche, sondern was das ganze Jahr durchgängig in unserer Gesellschaft präsent sein sollte.

Überzeugen Sie mal mich, in die Politik einzusteigen. Keine Angst – nur theoretisch.
Schade eigentlich! Sie würden eine Menge mitbringen, Herr Kompa. Es ist eigentlich relativ einfach. Ich bin seinerzeit in die SPD eingetreten, als mir klar wurde, dass punktuelles Engagement für ein Thema oder eine Sache sehr wertvoll ist, aber am Ende des Tages lebt eine Demokratie davon, dass auch dauerhaft Verantwortung übernommen wird. Man kann Parteien mit Fug und Recht kritisieren, einstweilen haben wir aber kein besseres Modell, wie diese dauerhafte Verantwortung organisiert werden soll. Parteien sind extrem davon abhängig, dass sie der Ort sind, wo sich viele Bürgerinnen und Bürger engagieren und sich einbringen. Wenn das nicht geschieht, dann trocknet die Demokratie gewissermaßen von unten aus. Deshalb wünsche ich mir ein großes Engagement und würde mich selbstverständlich auch über den Kollegen Kompa sehr freuen.

Sind Sie auch für härtere Strafen, angesichts der Übergriffe? Das wird ja jetzt vielfach gefordert.
Nun, die erste reflexhafte Reaktion ist häufig die Forderung nach härteren Strafen, meistens ist damit ein größerer Strafrahmen gemeint. Aber der Strafrahmen ist häufig gar nicht entscheidend, sondern die Strafe im Einzelfall. Unsere Justizministerin Kathrin Wahlmann hat, wie ich finde, einen sehr klugen Vorschlag gemacht: Bei den Strafzumessungsgründen, die wichtig für die konkrete Strafe sind, soll eine demokratiefeindliche Gesinnung mit berücksichtig werden. Das finde ich ausdrücklich richtig. Angriffe auf die Demokratie müssen auch durch spürbare Strafen geahndet werden – das gehört zu einer wehrhaften Demokratie.

Es wäre doch jetzt eigentlich an der Zeit, verbal abzurüsten und zu deeskalieren, oder? Aber wenn ich mich in der Politik so umsehe, habe ich da wenig Hoffnung. Inzwischen polemisieren auch bürgerliche Parteien der Mitte, was das Zeug hält. Ein echtes Spiel mit dem Feuer …
Dieses Risiko sehe ich auch. Es ist interessant, wenn man sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster anschaut bezüglich der Verfassungsschutzmaßnahmen gegen die AfD. Darin gibt es rauf und runter Zitate, die die Stimmung anheizen und insbesondere auch die Ausländerfeindlichkeit dieser Partei zum Ausdruck bringen.

Wenn man will, dass das Klima sich ändert, dann muss man zunächst bei sich selbst beginnen und vielleicht mal statt der knackigsten, zugespitzten Formulierung die sachlichere Variante wählen. Ich gebe mir da große Mühe und finde das auch angemessen. Ich würde mich sehr freuen, wenn alle Menschen in der Politik – egal aus welchen Parteien – endlich mal aufhören würden immer die maximal griffigste Formulierung zu wählen, die häufig auch verletzend ist und häufig auch schlichtweg falsch ist – auch das würde unserer Demokratie guttun: Streit in der Sache, aber in einem vernünftigen Ton.

Interview: Lars Kompa

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