Liebe Leser*innen,
der Juni ist der Pride Month, die LGBTQI+-Community feiert auf verschiedenste Arten stolz die eigene Existenz. Der Monat steht für Toleranz und Selbstbewusstsein, alle kämpfen gemeinsam gegen Kriminalisierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung. Und leider ist das noch immer bitter nötig. Denn nach wie vor haben viele Menschen, auch in Deutschland, große Probleme mit der sexuellen Orientierung anderer, mit der Geschlechtsidentität oder der geschlechtlichen Ausdrucksform von Menschen. Sie lehnen alles ab, was von der sogenannten gesellschaftlichen Norm abweicht, die sie natürlich höchstselbst definieren. Ich würde mir sehr wünschen, dass das irgendwann mal aufhört und wir alle miteinander realisieren, dass die gesellschaftliche Norm Vielfalt ist.
Aber das scheint wohl doch nur ein schöner Traum. Mir sind Menschen, die ein Problem mit dieser Vielfalt haben, ein echtes Rätsel. Was treibt die an? Illi Hinzberg hat in ihrem Text über Queerfeindlichkeit ab Seite 54 sehr klare Worte dafür gefunden, was mir bei diesem Thema immer wieder durch den Kopf geht: „Was auch immer in deinem Ausweis steht – wenn du ein Arschloch bist, bist du ein Arschloch. Mit entsprechenden Pronomen.“ Das bringt es für mich ganz einfach und klar auf den Punkt. Wichtig ist, wer da oben im Kopf wohnt. Und wenn da kein Arschloch wohnt, ist mir das sympathisch. Die sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität oder die geschlechtliche Ausdrucksform ist mir dabei völlig egal.
Und ich finde es ausgesprochen ärgerlich, dass wir uns im 21. Jahrhundert noch immer mit diesem Thema beschäftigen müssen. Dass es nach wie vor verschiedenste Formen der Diskriminierung gibt. Ablehnung, Hass, Stigmatisierung, Mobbing, Gewalt, soziale Ausgrenzung und nicht zuletzt rechtliche Benachteiligungen – die Liste ist lang. Queerfeindlichkeit ist ein echtes Problem und kein netter Spaß im Bierzelt. Betroffene Personen kämpfen oft mit psychischen Belastungen wie Depressionen oder Angstzuständen, sie machen Gewalterfahrungen und haben Suizidgedanken. Ich finde, das ist eine Schande für unsere Gesellschaft. Es ist höchste Zeit, dass wir endlich einen nächsten großen Schritt in Sachen Zivilisation wagen und unsere Vorurteile und Ressentiments vollständig ablegen. Wie schaffen wir das? Ganz einfach, durch Begegnung. Durch Neugier. Durch Offenheit. Aber nicht durch Toleranz, denn Tolerieren im Sinne von Dulden geht am Thema absolut vorbei, das schafft eine Hierarchie, die es nicht gibt. Oder geben sollte.
Leider habe ich die Befürchtung, dass dieser nächste Zivilisationsschritt so bald nicht kommen wird. Im Gegenteil, ich vermute, dass wir momentan eher eine Ehrenrunde drehen. Wenn ich sehe, wie bei ganz jungen Menschen längst überwunden geglaubte Rollen und Muster momentan eine Renaissance erleben, wie plötzlich wieder sehr konservative Werte hochgehalten werden, bin ich ziemlich alarmiert. Und befürchte eher ein Rollback in die 50er-Jahre. Es hilft wohl nichts, wir müssen an dem Thema dranbleiben, wir müssen aufklären über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, über das, was wirklich normal ist – immer wieder und immer wieder von vorne.
Lars Kompa
Herausgeber Stadtkind