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El Kurdis Kolumne im Mai: Der rauchende Mormonen-Colt

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El Kurdis Kolumne im Mai: Der rauchende Mormonen-Colt


Manchmal bin ich extrem neidisch. Auf andere Sekten. Wie ich ja schon öfter hier berichtete, verbrachte ich meine Kindheit bei den Zeugen Jehovas, einer bizarren, in den USA gegründete „religiösen Sondergemeinschaft“ – wie die Wissenschaftler*innen solche Kulte inzwischen nennen. Immer wenn ich Menschen von meinen diesbezüglichen Erfahrungen berichte, ernte ich verwunderte, neugierige Blicke. Liefere ich Details, werden diese Blicke mitleidig: Predigtdienst von Tür zu Tür, keine Weihnachts-, Ostern- oder Geburtstagsfeiern, das Verbot von Bluttransfusionen (auch bei Lebensgefahr, auch bei Kindern), der täglich drohende Weltuntergang, kein Sex vor der Ehe, striktes Masturbationsverbot, Homophobie deluxe …

Was andere verstört, war für mich normal: Aufstehen, Mini-Schlips und Mini-Sakko anziehen und mit einem Erwachsenen von Haus zu Haus gehen. Religiöses Klinkenputzen. Öffnete jemand, musste ich Sätze sagen wie: „Haben Sie sich schon mal gefragt, warum es soviel Elend auf der Erde …?““ Rumms, Tür zu. Nervig, repetitiv, deprimierend. Eine knochentrockene, freudlose Buch-Religion, die man nur durch ein gemäßigtes Doppelleben ausgleichen konnte. Das hieß als Kind z.B.: Einen Zündplättchen-Revolver in einem Schuhkarton unterm Bett verstecken – und als Jugendlicher: Bravo lesen und leichtes Petting mit Regina Grunewald. Mit anschließendem schlechten Gewissen.

Was ich damals noch nicht wusste, war, dass es vergleichbar strenge Kulte gibt, die zwar nicht besser, aber in ihrer Lehre und Historie viel interessanter – weil noch durchgeschepperter – als die drögen Zeugen Jehovas sind.

Aus naheliegenden Gründen bin ich inzwischen Hobby-Sektologe und habe mich vor allem mit den klassischen, im 19. Jahrhundert entstandenen christlichen Kleingruppierungen beschäftigt. Hier nun das Ergebnis meines kopfinternen Votings zur prickelndsten Schrullen-Religion. Trommelwirbel: Die Mormonen!

Es gibt viele Gründe für meine Wahl: Ihr Glauben, dass Gott in der Nähe des Planeten „Kolob“ in der Sternengruppe der „Kokaubeam“ lebt, die heilige mormonische Unterwäsche, die Vielehe – inzwischen nur noch von fundamentalistischen mormonischen Sekten, also von Sekten-Sekten, praktiziert – oder die Lehre, dass Jesus nach seinem Tod eine Stippvisite in Amerika machte, um zu den dortigen Bewohnern zu predigen …

Das Faszinierendste aber ist: Die Mormonen haben ihren eigenen Revolverhelden, mit einem richtigen Revolverhelden-Namen: Porter Rockwell. Sein Beiname: „The Destroying Angel of Mormondom“. Rockwell war ein Jugendfreund und später der Leibwächter des Sektengründers Joseph Smith. Er gehörte zu den ersten getauften Mitgliedern der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ – wie die Mormonen offiziell heißen. Er trug einen langen Western-Staubmantel, soff wie ein Loch (obwohl die Mormonen Alkohol verbieten) und schnitt sich – wie der biblische Simson – nie die Haare, weil Smith ihm prophezeit hatte, langhaarig sei er unbesiegbar. Rockwell soll hunderte von Leuten umgelegt haben und wird mit dem Satz zitiert: „I never killed anyone who didn’t need killing„. Als Porter Rockwell angeklagt wurde, ein – missglücktes – Attentat auf einen mormonenfeindlichen Politiker verübt zu haben, verteidigte er sich völlig logisch: „I’ve never shot AT anybody.  If I shoot, they get shot“. Womit er sagen wollte: „Wäre ich es wirklich gewesen – dann wäre er jetzt tot.“

Ich kann mir gut vorstellen, dass ein solcher Outlaw mein zehnjähriges, heimlich „Rauchende Colts“ schauendes und Spielzeug-Knarren versteckendes Doppelleben-Ich auf eine ambivalente Art schwer fasziniert hätte. Aber sowas gab es bei den Zeugen nicht. Im Zeugen-Jehovas-Königreichssaal wurde Gewaltverzicht gepredigt. Außer man bestrafte seine Kinder („Wer seine Rute zurückhält, hasst seinen Sohn“, Sprüche 13:24). Damals wurden elterliche Schläge ganz offen z.B. im „Wachtturm“ empfohlen, heute hält man sich diesbezüglich bedeckt. Meiner Meinung nach aus rechtlichen Gründen, aber ich mag mich täuschen. Die ultimativ erlaubte Gewalt aber ist natürlich die Gottes: Wenn Jehova bei Armageddon alle Ungläubigen in einem großen Feuersturm (oder ähnlichem) vernichtet. Aber sonst: Love and Peace.

PS: Interessant ist, dass die Mormonen Porter Rockwell und ihre auch ansonsten oft von Gewalt geprägte Geschichte inzwischen gerne mal unter den Tisch fallen lassen. So wie auch Protestanten nicht unbedingt freiwillig über die antijüdische Hetze Martin Luthers sprechen. Transparenz sieht allerdings anders aus…

● Hartmut El Kurdi

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