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York

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Man kennt ihn (noch) gar nicht so richtig in Hannover, obwohl er auf eine eindrucksvolle Laufbahn als Profimusiker zurückblickt: Der Saxofonist, Komponist und Produzent York Ostermayer hat schon mit Größen wie Randy Crawford, Phil Collins, Mousse T. oder Jazzkantine zusammengearbeitet und kann auf Beiträge zu über 100 Alben verweisen. Mit seinem deutsch-afrikanischen Projekt „Culture Clan“ landete er in Südafrika einen Nr.1-Hit. Aber als der Mann, der im eigenen Studio am passenden Saxofon-Sound frickelt oder als gut gebuchter Studio- und Tourmusiker steht er selten im Vordergrund. Das soll sich jetzt ändern: Im September hat er sein erstes eigenes Album „The Soul Jazz Experience Vol. 1“ auf seinem Label „Upper Level Records“ herausgebracht.

„Jetzt muss ich mich mit Social Media beschäftigen“, lacht der gebürtige Bremer. „Klar, ich bin schon jahrelang im Geschäft, aber als Solo-Künstler und Songschreiber habe ich mich neu erfunden und muss mich jetzt erst einmal etablieren.“
Als Schüler hatte er, ganz klassisch, Flötenunterricht. „Bei einer strengen Lehrerin mit Dutt, die den Takt mit dem Bleistift auf den Notenständer geklopft hat.“ Durch die Radiosendung „Jazz rockt“ auf Radio Bremen lernte er Musiklegenden wie Joni Mitchell, George Benson, Roy Ayers oder Stevie Wonder kennen, deren Musik ihn bis heute prägt und begleitet. „Ich habe mir die Sendung aufgenommen und dann mitgeflötet“, lacht York. Mit Kumpels spielt er dann in einer Band und fand seine Flöte im Bandgefüge einfach zu leise. Ein Saxofon musste her und war auch bald gefunden – gebraucht, aus einer Haushaltsauflösung.
Abgesehen von einem zweijährigen Ausflug in die Schauspielerei, an einem freien Theater in Hannover, hat er von jetzt an immer Musik gemacht, in verschiedenen Bands und Projekten. Und vor allem geübt, geübt, geübt, sechs bis acht Stunden am Tag. „Ich habe mir sehr viel angehört, mir die Noten besorgt oder sie gleich selber herausgehört. Ich wollte immer wissen, wie das funktioniert. Später hat mir das Keyboard geholfen, die Harmonien zu verstehen. Ich war immer sehr fokussiert und motiviert, auch wenn das manchmal schwer war. Im Sommer, wenn alle draußen sind, gibt es ja Cooleres, als in einem schalldichten Kämmerchen stundenlang Tonleitern zu spielen.“
„Die Arbeit als Studiomusiker hat viel mit Einfühlungsvermögen zu tun“, beschreibt York diese Facette seiner Tätigkeit. „Man muss sich dem gewünschten Sound natürlich anpassen. Je mehr ich mit der Musik anfangen kann, desto leichter fällt mir das.“ Die Kombination von Hip-Hop und Jazz ist am ehesten sein Ding, oder auch die von Soul, Jazz und Funk, wie bei seiner Band Bahama Soul Club. Am allerliebsten spielt York, der sein Geld auch mit Film- und Theatermusik verdient, live und mit Band.
Nach Beginn der Pandemie musste er erst einmal den Schock verdauen, „dass der Kalender auf einmal weiß war“. Aber schon lange hatte er Ideen im Kopf, „Layouts“ nennt York sie, die darauf warteten, ausgearbeitet zu werden. „Dazu fehlte aber immer die Zeit. Wenn ich auf Tour bin, gucke ich mir vielleicht die Stadt an oder übe auf einem meiner vielen Instrumente, aber die Ruhe, an eigener Musik zu arbeiten, habe ich dann nicht“, so Ostermayer. „Als dann ein Termin nach dem anderen gecancelt wurde, drängten all diese aufgestauten Ideen nach außen und ich muss sagen, dass ich gerade einen Riesenspaß daran habe.“ Gleich mehrere Alben hat York produziert, unter anderem ein Seventies-Vintage-Funk-Album, bei dem er auch seine Leidenschaft für Vintage-Keyboard-Sounds ausleben kann.
Für „The Soul Jazz Experience“ hat Ostermayer sich vom Sound der frühen 70er-Jahre inspirieren lassen und mit KollegInnen zusammengearbeitet, die in der halben Welt verstreut leben. Im Arbeitsprozess werden Soundfiles mit Entwürfen, „Pilotspuren“ von den MusikerInnen hin und hergeschickt. „Die wissen sofort, wo es langgeht, nehmen ihren Part auf und senden mir das zurück.“ Bekommt man Musik, die auf diese Weise entstanden ist, überhaupt live auf die Bühne, wenn es endlich so weit ist? „Klar, für Profis ist das kein Problem“, so York, der erzählt, dass er die Musikerkollegen auf Jazzfestivals kennengelernt hat. „Man verbringt ja Backstage Zeit zusammen, isst zusammen und spinnt zusammen. Das ist wirklich schön und macht einen Riesenspaß.“
Und klar, normalerweise würde man jetzt ein Releasekonzert veranstalten. Das soll auch passieren, sobald es geht, am liebsten sogar eine internationale Tour mit mindestens acht Leuten auf der Bühne, hoffentlich gleich im nächsten Jahr.                                                                               ● Annika Bachem

Foto: Uli-Schuster

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Ein letztes Wort im Oktober

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Ein letztes Wort im Oktober


Herr Weil, wir führen dieses Interview kurz nach der Kommunalwahl, aber noch vor der Bundestagswahl. Die Leserinnen und Leser werden also klüger sein als wir, wenn das Stadtkind erscheint. Sprechen wir mal zu Beginn kurz über die Kommunalwahl. Sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen?
Alles in allem ja. Es ist natürlich ein buntes Bild. Besonders gefreut habe ich mich über das gute Abschneiden von SPD-Vorschlägen bei etlichen Landrats-, Oberbürgermeister- und Bürgermeisterwahlen. Und daneben gibt‘s auch ein paar Enttäuschungen.

Die CDU bleibt landesweit stärkste Kraft. Die SPD liegt knapp dahinter, so rundum zufrieden können sie nicht sein …
Na ja, der Unterschied beträgt gerade mal 1,7 Prozentpunkte. Klar wären wir nach fünfzig Jahren gerne mal wieder die stärkste Partei bei Kommunalwahlen geworden, aber das landesweite Gesamtergebnis spielt bei Kommunalwahlen eine doch eher nachrangige Rolle. Anders nächstes Jahr um diese Zeit: Dann sind Landtagswahlen und dann ist diese Frage entscheidend.

Erfreulich fand ich, dass die AfD deutlich verloren hat.
Das geht mir auch so. Die AfD hat von allen Parteien die stärksten Verluste eingefahren und ist deutlich unter 5 Prozent gelandet. Die AfD bleibt in Niedersachsen eine kleine Kraft am rechten Rand, die große Mehrheit der Bevölkerung will mit ihr nichts zu tun haben.

Wie gesagt, über die Ergebnisse der Bundestagswahl können wir bei unserem Interview schlecht sprechen. Wir können aber über den Wahlkampf sprechen. Der war lange eher inhaltsleer, erst zum Ende wurde es stellenweise ein bisschen konkreter. Ist diese Vermeidung von klaren Inhalten nicht Gift für die Demokratie?
Es stimmt, die wichtigste Frage in diesem Wahlkampf war die K-Frage – wer wird Kanzlerin oder Kanzler? Das ist dann vor allem eine Personalisierung, aber Personen stehen immer auch für Inhalte. Nehmen Sie ein Beispiel, das mich selbst überrascht hat: Auf die Frage nach dem wichtigsten Thema ergibt sich in den Umfragen eine Mehrheit für „soziale Gerechtigkeit“. Das deckt sich nur wenig mit dem Inhalt von Schlagzeilen und Medienberichten, erklärt aber vielleicht durchaus zum Teil die Zustimmung für Olaf Scholz.

Was mich bei den zahlreichen Runden in den Medien oft sehr gestört hat, das war die offensichtliche „Beugung“ der Wahrheit. Wenn man so ein bisschen die Techniken zur Diskreditierung des politischen Gegners kennt, dann war dieses Schauspiel manchmal schwer zu ertragen. Ich habe da für mich ein paar recht hohe Ansprüche, Haltung ist mir wichtig, Aufrichtigkeit. Was ich aber gesehen habe, war teilweise schlicht Populismus. Und man hat versucht, den politischen Gegner mit Dreck zu beschmeißen, in der Hoffnung, dass etwas hängen bleibt. Ich finde, dass der Begriff Wahrheit in der Politik wieder ins Zentrum gehört. Sie auch?
Das stimmt natürlich, aber über die Wahrheit kann es im Einzelfall sehr unterschiedliche Meinungen geben. Deswegen würde ich im Wahlkampf einen anderen Begriff wählen – Fairness. Fairness schließt Lügen aus, Fairness setzt auf Argumente statt auf dumpfe Vorurteile und Fairness verzichtet auf die Verunglimpfung des politischen Gegners. In Niedersachsen ist uns das in den vergangenen Jahren übrigens ganz gut gelungen, finde ich.

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, an irgendeiner Stelle im politischen Tagesgeschäft nicht ganz aufrichtig gewesen zu sein? Zum Beispiel, etwas bewusst weggelassen zu haben?
Von Helmut Schmidt stammt der Hinweis, Politiker dürften niemals lügen, müssten aber auch nicht immer alles sagen, was sie wissen. Da ist etwas dran. Persönlich habe ich im Amt, so glaube ich, noch niemals gelogen.

Eine beliebte Technik ist ja, es einfach sehr kompliziert zu machen. Da werden dann Studien mit anderen Studien „widerlegt“, man zweifelt einfach die Richtigkeit der Ergebnisse an, oder die wissenschaftliche Herangehensweise – und plötzlich finden sich dann in den Parteiprogrammen der CDU/CSU, der FDP und der AfD angeblich ebenfalls große Entlastungen für Menschen mit geringeren Einkommen, obwohl es diese Entlastungen tatsächlich gar nicht gibt. Ist das nicht schlicht Täuschung?
Wie gesagt, es gibt immer wieder auch unterschiedliche Interpretationen. Aber mal ein praktisches Beispiel. Die SPD sagt klipp und klar, dass sie Menschen mit kleinem Geldbeutel entlasten, ihre Einkommen erhöhen will, zum Beispiel beim Mindestlohn. Andere Parteien sagen dagegen ganz offen, dass sie die Wohlhabenden entlasten und große Vermögen schützen wollen – das ist dann zumindest ehrlich.

Ich mache mir sehr große Sorgen, dass wir immer mehr diesen „Trumpismus“ auch in Deutschland erleben werden, dass es immer schwerer werden wird, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Das scheint schon ziemlich vorangeschritten, auch die Presse als neutrale Instanz wird inzwischen diskreditiert. Wie ist Orientierung noch möglich?
Natürlich ist das ein echtes Risiko, „fake news“ sind ein Erbe von Donald Trump und finden auch in Deutschland ihre Anhänger. Glücklicherweise verfügt Deutschland allerdings auch über eine vielfältige Medienlandschaft mit überwiegend hochwertigem Journalismus, die nach wie vor vielen Menschen eine gute Orientierung geben. Die Vermittlung von Medienkompetenz wird übrigens auch in der Bildung künftig eine noch stärkere Rolle spielen müssen: In der Schule und auch im Elternhaus müssen Kinder lernen, falsche Behauptungen von Tatsachen zu unterscheiden.

Ich finde, ein erster Schritt nach der Wahl sollte sein, ganz schnell sehr umfangreiche Regeln zur Transparenz in Sachen Lobby und Nebenverdienste einzuziehen. Was dazu bisher beschlossen worden ist, reicht nicht aus meiner Sicht. Wären Sie einverstanden?
Aber ja, und bis jetzt sind wir dabei noch längst nicht weit genug gekommen, wenn wir nur an die Maskenaffären denken. Die CDU hat das ununterbrochen gebremst oder behindert. Hoffen wir, dass damit nach den Bundestagswahlen Schluss ist.

„Sich ehrlich machen“, davon war im Wahlkampf viel die Rede. Ich finde, das gehört ganz an den Anfang der kommenden Legislaturperiode, egal wer regieren wird. Es wäre höchste Zeit, auch im Sinne unserer Demokratie, oder?
Wir müssen uns in vielen Dingen ehrlich machen, etwa was die soziale Situation in unserem Land anbelangt oder auch dahingehend, was notwendig ist, um dem Klimawandel wirklich zu begegnen. Wir können nicht so tun, als könnten wir auf der einen Seite einen großen Energie- und Industriewandel einleiten und dabei auf der anderen Seite gleichzeitig den Status quo erhalten – die Politik muss die nötigen Veränderungen auf den Weg bringen, aber auch gut erklären und begleiten. Ohne die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger den Weg mitzugehen wird das nicht funktionieren – auch das gehört zur Ehrlichkeit.

● Interview: Lars Kompa

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Gerechtigkeit

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Gerechtigkeit


Liebe Leserinnen und Leser,

Es geht in dieser Ausgabe in einem Gespräch mit Dr. h.c. Herbert Schmalstieg, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover a.D., um Gerechtigkeit. Mit der Chancengleichheit in Deutschland und dem Rest der Welt ist es so eine Sache. Der Zufall ist zutiefst ungerecht. Man fällt einfach irgendwo auf die Welt, man kann es sich ja nicht aussuchen. Und so kann man großes Glück haben und die Sonnenseite erwischen, oder großes Pech. Und manchmal auch sehr großes Pech. Das ist leider so. Ich denke darum, eine der wichtigsten Aufgaben, der sich Gesellschaften stellen müssen, ist die Bekämpfung dieses Zufalls. Es darf einfach keine so große Rolle spielen, wo man auf die Welt kommt und welchen Hintergrund die Eltern haben – wobei „einfach“ in diesem Satz absolut deplatziert ist. Das ist nicht so einfach. Wir scheitern an dieser Aufgabe sogar in Deutschland, einem der reichsten Länder. Abgesehen davon, dass wir auch in Deutschland genau hinschauen müssen, wer hier bei uns eigentlich reich, und wer ziemlich arm (dran) ist.

Ist das gerecht? Das ist eine sehr große Frage. Ich denke, dass wir uns immer wieder diese ganz großen Fragen vorlegen müssen. Und wir sollten uns Antworten zutrauen. So wie Herbert Schmalstieg im Gespräch auf Seite 48. Das macht Mut. Man darf ruhig groß denken, man darf Visionen haben. Ich bin sogar der Meinung, man muss Visionen haben. Dieses Gespräch ist übrigens der Auftakt einer neuen Serie im Stadtkind. Wir werden statt eines Titelthemas nun zunächst für ein Jahr jeden Monat ein Titelgespräch führen. Anhand eines monatlich neu gewählten Begriffs grüble ich, mit wem ich zu diesem Begriff ein Gespräch führen möchte. Wir hoffen, dass diese Gespräche dann allen Leser*innen genauso viel Spaß machen wie mir. Nicht zuletzt noch ein großes Dankeschön an Herbert Schmalstieg für seine Zeit und Mühe!

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Der Freundeskreis im Gespräch – Andreas Hüttmann und Alexander Rüter

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Der Freundeskreis im Gespräch – Andreas Hüttmann und Alexander Rüter


Alexander Rüter

Andreas Hüttmann

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir treffen die Freundeskreis-Mitglieder Andreas Hüttmann (AH) und
Alexander Rüter (AR) an einem ziemlich verregneten Tag Mitte September. Und sind gespannt, ob das Wetter zur Stimmung in der Branche passt. Der „Party Löwe“ Hüttmann startet momentan mit seiner H.AND Group durch, eine Dachmarke, unter der sich 14 Marken und Unternehmen versammeln. Und Alexander Rüter ist seit 2017 der Geschäftsführer im Central-Hotel Kaiserhof, das nun in der dritten Generation von der Familie geleitet wird. Ein Gespräch über Krisen und Chancen …

Wir beginnen wie immer mit einer kurzen Vorstellung.
AH – Ich habe ganz früher mal Koch gelernt und bin dann zunächst 10 Jahre durch die Weltgeschichte getourt. Anschließend war ich beim Lufthansa Party Service und habe die Niederlassung am Flughafen geleitet – damals hieß es noch Partyservice. Und dann bin ich 1996 im Bereich Event in Hannover hängengeblieben. Der Party Löwe wird manchem ein Begriff sein. Wir hatten dieses Jahr am 1. September unser 25-jähriges Jubiläum. Wow – 25 Jahre in diesem aufreibenden Job. Ich bin jetzt 54 Jahre alt, seit 30 Jahren glücklich verheiratet, ich habe eine Tochter, 27 Jahre alt, die einen tollen Job in München hat, sie wird also nicht meine Nachfolgerin.
AR – Ich bin jetzt seit viereinhalb Jahren Geschäftsführer bei uns im Central-Hotel Kaiserhof direkt am Hauptbahnhof, ein Hotel mit 78 Zimmern. Wir haben dort auch das Restaurant Brunnenhof und das Café Centrale. Ich bin 37 Jahre alt, gelernter Hotelfachmann, und ich bin bereits seit 18 Jahren in der Branche. Ich habe direkt nach dem Abitur Hotelfachmann gelernt und im Anschluss in diversen Hotelketten in Führungspositionen gearbeitet, auch im Ausland gelebt. Ich habe in der Branche also so eine ganz klassische Karriere gemacht, bevor ich zurück nach Hannover gekommen bin. Privat bin ich seit letztem Jahr glücklich verheiratet.

Dann steigen wir mal direkt ein in das große Corona-Thema. Die Branche hat es momentan alles andere als leicht …
AH – Wir haben natürlich auch schon vorher Krisen gesehen. 9/11 war eine Krise oder 2008 die Bankenkrise. Beide Krisen haben uns heftig mitgenommen. Und wir haben daraus durchaus gelernt. Wir sind deswegen wahrscheinlich bisher ganz gut durchgekommen. Beziehungsweise haben wir tatsächlich eher Vollgas gegeben. Mitten in der Pandemie sind wir durchgestartet, mit einer neuen Dachmarke, mit inzwischen 110 festen Mitarbeiter*innen und weiteren 300 Aushilfen. Spannend werden jetzt die kommenden Monate nach dem 1. Quartal 2022. Erfahrungsgemäß ist zu Jahresbeginn in der Branche nicht ganz so viel zu tun, das könnte für einige Kollegen knapp werden. Angesichts dessen ist natürlich gerade sehr viel Unruhe und Nervosität in der Branche.
AR – Ich denke auch, dass uns die schwersten Zeiten noch bevorstehen im nächsten halben Jahr. Wir müssen einfach sehen, dass wir jetzt erst einmal schnell wieder auf die normale Betriebstemperatur kommen. Uns hat die Krise voll im Peak getroffen, ich glaube, die gesamte Branche hatte 2019 sehr gute Umsätze, und dann kam quasi diese Vollbremsung. Überall dort, wo die Menschen sich normalerweise begegnen, feiern, schlafen, trinken, war plötzliche Stille. Insgesamt ein ganz seltsames Gefühl. Es gab nicht mehr diese flüchtigen Momente, diese besonderen Momente, in denen wir Menschen feiern. Das alles war ja mehr oder minder verboten. Ich bin aber zuversichtlich. Uns gibt es jetzt schon seit 130 Jahren, zumindest an diesem Ort. Und meine Familie betreibt das Unternehmen seit über 50 Jahren. Ich bin überzeugt, dass noch viele Jahre vor uns liegen. Bisher sind wir im Großen und Ganzen mit einem blauen Auge durch die Pandemie gekommen. Und ich glaube, durch das Schlimmste sind wir jetzt durch. Wobei auch ich, wie gesagt, noch ein bisschen skeptisch auf die kommenden Monate blicke.

Hättet ihr jemals gedacht, dass so eine große Krise drohen könnte?
AH – Ich kann tatsächlich sagen, dass 9/11 für mich eine Lehrstunde war. Wir haben damals 80 Mitarbeiter*innen konsequent entlassen müssen, es gab kein Kurzarbeitergeld. Alle sind für ein halbes Jahr nach Hause gegangen. Und alle Mitarbeiter*innen haben trotzdem weitergearbeitet, weil sie gesagt haben: Wir halten zum Unternehmen. Nach einem halben Jahr standen wir besser da als zuvor. Dann kam die Bankenkrise. Zu der Zeit war ich gerade in der glücklichen Situation, dass ich das Unternehmen an einen Schweizer Konzern verkauft hatte. Die haben es mir nach drei Jahren dann zurückverkauft – mit Freudentränen in den Augen. Die Bankenkrise war für mich also nicht nur schlecht. Aber: An unserem Unternehmen hingen damals 70 Familien. Das hat mich doch sehr geprägt. Und ich denke heute unternehmerisch anders. Seither ist mein Credo: Ein halber Jahresumsatz muss auf dem Konto sein. Das ist natürlich viel Geld. Aber das hat uns jetzt in dieser Pandemie zumindest 2020 sehr geholfen. Wir hatten dadurch einen ganz entscheidenden Vorsprung, wir konnten ein halbes Jahr ohne Auftrag überstehen, bei vollen laufenden Kosten. Und man kann dann natürlich, wenn man mit den Banken sprechen muss, aus einem Gefühl der Stärke heraus agieren. Das war in der Branche insgesamt ganz anders. Ich bin ja im Vorstand im Catering-Verband und habe darum einen ganz guten Überblick. Es gab viele, die bereits im April KfW-Mittel brauchten und die waren dann im August schon wieder weg. Wie das zurückzahlen? Das ist ein Hamsterrad, das hat sich dann schnell ausgedreht. Wir waren, weil wir aus den vergangenen Krisen gelernt hatten, gut aufgestellt. Man muss aus Krisen lernen und darf entsprechend Fehler nicht zweimal machen. Wobei dieses Credo, dass ich für mich festgelegt habe, natürlich überhaupt nicht üblich ist in der heutigen Zeit.
AR – Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich niemals erwartet hätte, dass es derart runter auf null geht, gerade in unserer Branche, die zwar nicht die margen-stärkste ist, aber gemeinsam mit dem ältesten Gewerbe doch krisenfest. Plötzlich dreht das auf null. Das war schon ein sehr mulmiges Gefühl am Anfang. Die Bankenkrise habe ich damals auch erlebt und das war ebenfalls eine große Herausforderung, in gewissem Sinne auch eine Vollbremsung. Aber diese Pandemie ist schon noch einmal etwas anderes.

Könnt ihr euch noch an den Beginn erinnern? Wann war das für euch, so gefühlt?
AR – Als ich KUG beantragt habe. Da hat mich die Dame ausgelacht: Herr Rüter, Sie wollen KUG beantragen? Eine Woche später haben wir telefoniert und sie hat gesagt: Um Gottes willen, hier sind in der letzten Woche 600, 700 Anträge aufgelaufen, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich habe durch meinen Hotelbackground viele Freunde in Asien, die in Peking und Hongkong arbeiten. Und die haben mir natürlich davon erzählt, ehe das Thema bei uns so richtig angekommen ist. Ich hatte also eine Ahnung, dass da etwas auf uns zurollt. Und ich habe natürlich versucht, sehr frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen und die Kosten zu prüfen. Natürlich hat das anfangs niemand so richtig ernst genommen. Aber dann ging es ja sehr schnell. Ich kann gar nicht sagen, ob uns diese Vorab-Infos groß geholfen hat. Vielleicht ja, weil ich gedanklich relativ schnell in den Krisenmodus gehen konnte. Mit dem Bewusstsein, dass wir jetzt im Unternehmen zusammenhalten müssen.
AH – Ich war damals eine Woche vorher noch auf Mallorca im Urlaub. Und plötzlich wurden die Hotels zugemacht. Teneriffa war schon zu. Wir hatten tatsächlich Sorge, ob wir überhaupt noch wegkommen. Nach meinem Rückflug habe ich dann sofort meine Führungsmannschaft zusammengeholt und habe gesagt: Da kommt etwas auf uns zu. Geht davon aus, dass wir ab morgen nicht mehr arbeiten dürfen. Und alle haben gesagt: Jetzt spinnt der Alte völlig. Das war am 3. März. Und am 10. März habe ich alle Mitarbeiter*innen bei uns im Schloss Herrenhausen unten im Auditorium versammelt und habe gesagt: Ab morgen arbeiten wir nicht mehr. Und ich weiß nicht, wie es weitergeht. Totenstille im Auditorium. Wir haben so um den 8., 9., 10. März am Tag im Schnitt etwa hundert Absagen von Veranstaltungen bekommen. In der einen Woche waren achteinhalb Millionen Umsatz weg. Gut fühlt sich das nicht an. Aber wir hatten wenigsten unseren Puffer. Ich habe natürlich trotzdem vorsorglich mit meinem Berater in der Bank telefoniert.
AR – Zu der Zeit waren die Banken noch recht entspannt.
AH – Ja, drei Wochen, dann läuft das wieder. Und ich habe gesagt, dass ich eher von sechs Monaten ausgehe. Und dass ich davon ausgehe, dass wir noch im nächsten Jahr damit zu tun haben werden. Im vergangenen Dezember hat der Bankberater mir gesagt, dass ich wohl der Einzige war, der davon ausgegangen ist, dass das länger dauert. Die Einschläge kamen dann ja ziemlich dicht, mit manchen unruhigen Nächten. Eng war es für uns im vergangenen November mit dem zweiten großen Lockdown. Die Geschäfte waren gerade erst wieder positiv angelaufen. Und dann diese erneute Vollbremsung, ohne dass bereits die politischen Werkzeuge bereitgestellt waren. Wir wussten nicht, ob es Kurzarbeitergeld gibt, ob Überbrückungshilfen gewährt werden. Glücklicherweise hat zu der Zeit unser größter Kunde seine Rechnung bezahlt und das hat uns über den Monatswechsel geholfen. Danach gab es die Überbrückungshilfen und das Kurzarbeitergeld und es konnte weitergehen. Aber das war zu der Zeit schon sehr ein Flug auf Sicht und nebenbei immer ein Blick in die Glaskugel, da war nicht klar, wie es in der Zukunft weitergeht.

Die Branche hat sich auch bemerkbar gemacht …
AH – Ja, wir waren sehr viel in Berlin, bei den Demos, bei Alarmstufe Rot. Das war zu Beginn auch sehr wichtig und notwendig. Wir, die Kollegen und Verbände, waren außerdem bei den Treffen mit Scholz, Altmaier und Co. Und wir sind mit unseren Aktionen der Veranstaltungsbranche, der Gastronomie und der Hotellerie ja irgendwann doch in das Bewusstsein der Politik vorgedrungen. Vorher kannte uns niemand, die Branche war für viele völlig fremd. Mittlerweile stehen die Unterhaltungsbranche, die Tourismusbranche und die Beherbergungsbranche im Text der Coronapolitik aber immer ganz vorne. Ich bin aber skeptisch, ob die Politik wirklich verstanden hat, dass uns das Thema noch mindestens bis zur Mitte 2022 beschäftigen wird. Ich gehe sogar vom kompletten nächsten Jahr aus. Wir werden kaum Messen haben, keine großen Businesskunden, die großen Konzerne feiern nicht … Und gleichzeitig muss man sehen, dass die KfW-Kredite in relativ kurzen Zeiträumen zurückbezahlt werden müssen. Solche Riesensummen zahlt man eigentlich in 10 bis 15 Jahren zurück und nicht in fünf Jahren. Ich glaube, viele im Markt werden da Probleme haben, und ich sehe durchaus noch politischen Handlungsbedarf an der Stelle.

In Hannover hat der Loccumer Hof die Schließung angekündigt, wegen mangelnder Planungssicherheit.
AH – Momentan sind die Immobilienpreise weitaus besser als die Beherbergungspreise, da kann ich diesen Schritt ganz gut verstehen.
AR – Es ist schon eine schwierige Situation. Eine Sicherheit hat man gar nicht. Ich sehe es ähnlich wie Andreas, das kommende Jahr wird ein Übergangsjahr werden. 2020 war schwer, 2021 ist bisher schwer und bleibt schwer, 2022 müssen wir zusehen, dass wir langsam wieder auf unsere Umsätze kommen. Aber das Thema wird uns noch lange begleiten. Ich denke, wir müssen ähnlich wie die Airlines denken und davon ausgehen, dass sich unsere Geschäfte erst mit den Jahren 2023, 2024 und 2025 wieder normalisieren. Dass wir erst dann wieder an die Umsätze aus 2019 herankommen werden. Das wird also noch ein Marathon.

Wie bewertet ihr denn das Agieren der Politik bisher?
AR – Insgesamt muss ich sagen, dass alle versucht haben, bestmöglich zu reagieren und zu unterstützen. Mit den Sofortprogrammen, mit den Zuschussmaßnahmen, mit KUG. Auch die Stadt und Region haben zügig reagiert.
AH – In unserem Fall war es zu Beginn schwer, weil wir mit unserem neuen Dachunternehmen durch alle Raster gefallen sind. Das war zunächst sehr kompliziert und anstrengend. Bauchschmerzen hatte ich aber vor allem damit, dass man den Sommer 2020 verschlafen hat, sich also nicht vorbereitet hat auf den Herbst und Winter. Mit den bekannten Folgen. Und in diesem Jahr gab es dazu quasi ein Déjà-vu. Da sehe ich das größte Manko. Aber wie gesagt, spannend werden jetzt die kommenden Monate.

Ein Problem ist in der Branche auch das Personal, viele sind abgewandert.
AR – Wir haben während des Lockdowns nach dem Prinzip gehandelt, dass man als Gastgeber versuchen sollte, mit seinen Gästen in Kontakt zu bleiben. Darum haben wir sehr schnell einen Online-Shop aufgebaut und einen kleinen Lieferservice etabliert. Und wir sind dann in die Südstadt gefahren oder haben unsere Rouladen in die Nordstadt gebracht. So haben wir tatsächlich einen Großteil unserer Mitarbeiter*innen, etwa 80 Prozent, in der Gastronomie gehalten. Und die wenigen Stellen, die bei uns dann offen waren, haben wir in den vergangenen drei oder vier Monaten wieder besetzten können. Das war aber nur möglich durch unsere spezielle Initiative. Insgesamt höre ich in der Branche etwas anderes.
AH – Im Bereich Eventcatering und Veranstaltungen sieht es tatsächlich ganz anders aus. Im bundesweiten Vergleich sind wir die Einzigen, die die Betriebsstärke annähernd halten konnten, beziehungsweise durch unsere Neustrukturierung sogar ausgebaut haben. Ein typisches Beispiel ist ein Kollege in Würzburg, der hatte vorher 100 Mitarbeiter*innen und hat jetzt noch 14. Im Juli ging dann das Geschäft wieder los. Riesenalarm – wir schaffen das nicht! Das dreht sich dann natürlich sofort total ins Negative.
AR – Das geht sehr vielen so in der Branche.
AH – Wir haben diesen Bedarf gesehen und eine Personalagentur eröffnet im vergangenen Oktober 2020. Die boomt natürlich, weil gerade überall Hände gebraucht werden. Die Agentur stellt jeden Monat 60 bis 70 Mitspieler ein – Aushilfen, die dringend gebraucht werden. Das klassische Fachpersonal, also beispielsweise die Köche, die gibt es nicht mehr wie früher. Es ist das erste Jahr beim Party Löwen, dass wir keine Auszubildenden finden. Sonst hatten wir pro Lehrjahr neun oder zehn, in der Spitze auch mal 25 Auszubildende in unseren Küchen. Das ist vorbei. Und eine echte Herausforderung für die Zukunft.
AR – Wir müssen schon sehr umdenken und neue Wege finden, wie wir unseren Nachwuchs in unsere Häuser bekommen. Andreas hat die Köche angesprochen, bei den Hotelfachleuten sieht es ähnlich aus, wie haben in diesem Jahr nur einen Auszubildenden, normalerweise waren es immer mindestens vier oder fünf. Wir können das halbwegs auffangen mit dual Studierenden.
AH – Die Berufsschulen sind ebenfalls leer.
AR – Die große Frage ist, ob und wie es uns gelingt, den Bereich der Ausbildung wieder nachhaltig zu stärken. Das ist für meine Generation in den kommenden 20 Jahren wahrscheinlich die größte Herausforderung.
       ● Lars Kompa

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Tonträger im Oktober

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Tonträger im Oktober


Älice: Zebra
Auch Solo macht Alice Martin alias Älice, bekannt als Sängerin des Duos Chefboss, deutschen Female Dancehall. Die in Hamburg aufgewachsene Tochter einer polnischen Mutter und eines karibischen Vaters liefert ein breites, immer originelles Spektrum an Themen und Rhythmen, wendet sich gegen Sexismus und Homophobie und verdreht genreimmanente Klischees, um sie gekonnt und witzig in Szene zu setzen.

 

 

 

 

James Hersey: Fiction
Der in Wien lebende US-amerikanische Elektropop-Musiker gibt sich nach beeindruckenden Klickzahlen für seine 2017er Single „Miss You“ nun mit einem Debütalbum in voller Länge die Ehre. Zwischen Singer-Songwriter und lupenreinem Pop angesiedelt, verbindet er sehr eingängige Melodien mit ausgefeilten Produktionen und schafft es dabei, gänzlich unlangweilige Songs zu fabrizieren.

 

 

 

 

 

School Of X: Dancing Through The Void
Das zweite Album des dänischen Multi-Instrumentalisten Rasmus Littauer nach seinem Debüt „Armlock“ ist eine Sammlung sehr unterschiedlicher Indie-Pop-Songs. Verklammert werden sie von Littauers weicher, prägnanter, in den besten Momenten leicht schnarrender Falsettstimme. Bekannt als Drummer der Band MØ spielt er neben dem Schlagzeug auch Gitarre, Klavier und Bass.

 

 

 

 

 

Ouzo Bazooka: Dalya
Wer lässt denn da alles grüßen? Kula Shaker und die Beatles und vielleicht noch Supergrass schon mal gleich im Opener „Monsters“. Die Psych-Rock Band aus Tel Aviv verschmilzt auf ihrem fünften Album erneut Surf-Rock und Garage mit mittel- und nahöstlichen Klängen, aufgenommen auf einer Vintage-Tascam-Tonbandmaschine. Wer hier keine gute Laune bekommt, ist wahrscheinlich tot.

 

 

 

 

 

Clara Pazzini: Boxes
Das Debütalbum der Hamburger Sängerin versammelt einen avantgardistischen Mix aus Pop, Soul, Rap-Parts, Spoken Word, orchestralen Sounds und elektronischen Beats. Mittels Vocoder, Klassik-Elementen, Pop-, Sprach- und Operngesang, mehrsprachigen Lyrics und eingängigen Popmelodien schafft sie ein poetisches, komplexes und anstrengendes Panoptikum mit herzzerreißend schönen Momenten.

 

 

 

 

 

Moritz Krämer: Die Traurigen Hummer
Es ist eine unterschwellige Schönheit in den mit brüchiger Stimme seltsam schluffig und leicht lallend vorgetragen Songs des Schweizer Wahlberliners, voller ausschweifender Musikalität und Melancholie. Nach „Wir können nix dafür“ und seinem Doppelalbum „Ich hab einen Vertrag unterschrieben“ das dritte Studioalbum des Gründungsmitgliedes von Die Höchste Eisenbahn.

 

 

 

 

 

York: The Soul Jazz Experience Vol. 1
Der Saxofonist, Komponist und Arrangeur, bisher in erster Linie Studio- und Tourmusiker, wandelt auf Solopfaden: Viele Ideen sind es, die hier nach Außen drängen. Für seinen Erstling ließ sich der Musiker mit Faible für Vintage-Instrumente von Soul und Jazz der späten 60er/ frühen 70er-Jahre inspirieren. Dazu auch von Rock, so ist der Opener, ein flockiges Latin-Cover von „I Can‘t Get No Satisfaction“, ganz von Rotz befreit. Eine entspannte Grundstimmung zieht sich durch die weiteren Tracks, auf denen Yorks den Großmeistern Miles Davis und Charlie Parker huldigendes Saxofon, seine Querflöte oder Bassklarinette immer wieder den Sängerinnen Pat Appleton, Guida de Palma und Yane Singh die Bühne überlässt. Unüberhörbar ist der gut vernetzte Hannoveraner mit seinen internationalen KollegInnen hier mit viel Spaß am Werk. Und das Albumtitel verrät: Das war noch nicht alles.

 

 

Keshavara: Kabinett der Phantasie
Das zweite Album des deutsch-indischen Musikers, Produzenten und Entertainers Keshav Puroshotham als Keshavara und das erste mit seinem Partner, dem Drummer und Produzenten Niklas Schneider. Die zugehörige Schublade wurde mit „Phantastische Musik“ gleich mitgeliefert und passt gut zur exotischen, fein abgestimmten Mischung aus Synth-Pop, Hip-Hop und Krautrock, garniert mit surrealistisch anmutenden Schnörkeln und Elementen der klassischen indischen Musik. Live präsentieren Keshavara das „Kabinett der Phantasie“ als Musiktheater mit Moderator und Tänzern. Der gleichnamige Film erscheint begleitend zum Album und verwebt Musik, Schauspiel und Tanz zu einem avantgardistischen Spektakel, in dem indische Masken, Göttergeschichten, magische Instrumente und Tänze die Zuschauer an den Ort hinter den Spiegeln zu einer psychedelisch-fantastischen Party entführen.
 ● Annika Bachem

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Stadtkinder bewältigen den Alltag – The XXX-Files


Als WahlhelferIn „eingezogen“ zu werden, ist gar nicht so unwahrscheinlich, auch wenn einen das Losglück sonst eher nicht so leicht trifft. Nach einer Abstinenz von mehreren Legislaturperioden war ich in diesem Jahr mal wieder dabei. Was soll‘s? Irgendjemand muss es ja machen, ich betrachte das als Mini-Praktikum in angewandter Demokratie. Doofer wird man nicht davon.
Das Team, das ich am Sonntagmorgen um 7.30 Uhr vorfand, wirkte zunächst etwas unorganisiert, aber sehr bemüht. Unser Wahlvorsteher V. war ein sehr freundlicher und vor allem kommunikativer Mensch, schob allerdings deutlich Panik, weil er keine Ahnung hatte, was zu tun war und auch nur noch sehr schlecht sehen konnte. Ich fand es irgendwie stimmig, ihn mit einem „Wir schaffen das“ zu beruhigen.
Ansonsten stach noch M. heraus, der schon ein paarmal Wahlhelfer war und das Bedürfnis hatte, uns öfter mal mitzuteilen, sein Team sei IMMER das allerletzte beim Auszählen der Stimmen. Dass das bei uns anderen nur so mittelgut ankam, hat ihn nicht gestört. Es war dann schnell 8 Uhr und schon der erste Wähler wirkte schlecht gelaunt, weil wir erst um fünf nach mit den Vorbereitungen fertig waren. Ich durfte mich zunächst einmal verabschieden, da ich für die zweite Schicht eingeteilt war. Bei meiner Rückkehr um 13 Uhr fand ich eine Menge wartendes Wahlvolk auf dem Schulhof vor.
Schnell war klar, dass viele Leute unfassbar lange brauchten, um ihre Kreuzchen zu setzen. Klar, die Zettel waren wirklich groß, sehr klein bedruckt und es waren gleich vier, da kann man sich schon mal etwas gefordert fühlen, vor allem wenn man älter ist und nicht mehr gut gucken kann. Aber ich habe sehr viele junge, fitte Menschen gesehen, die für fünf Minuten oder länger hinter den Pappwänden verschwunden sind, die wir etwas großsprecherisch „Wahlkabinen“ nennen. Das ist echt lang. Wenn man sieht, wie die Schlangen draußen immer länger werden und die Laune der Wählenden immer schlechter, ist das sogar sehr sehr lang.* Wir haben dann eine dritte Wahlkabine für unseren Raum angefordert, die auch bald kam. Das hat geholfen, aber die Schlangen wurden an diesem Tag nicht mehr kürzer. Um 18 Uhr wurde das Tor zum Schulhof geschlossen, wer es bis dahin auf den Hof geschafft hatte, durfte noch von seinem Wahlrecht Gebrauch machen.
Mit 45-minütiger Verspätung konnten wir mit dem Auszählen anfangen, meine Hoffnung, ich würde wie früher, als ich ein paarmal beim Auszählen der Briefwahl dabei war, um 22 Uhr nach Hause gehen, war da schon ziemlich geschrumpft. Einen guten Anteil daran hatte aber auch M. mit seinem fröhlich wiederkehrenden „Wir sind immer die Letzten!“.
Okay, jetzt also auszählen. Das ist keine Raketenwissenschaft, aber man muss sich schon sehr konzentrieren, wenn man nicht ständig nachzählen möchte. Das Ausfüllen der Unterlagen ist zum Teil etwas tricky. Das liegt aber in erster Linie am Behördendeutsch der Erklärungen. Warum gibt es die nicht in „Einfacher Sprache“, in der heute schon die allermeisten behördlichen Broschüren zu bekommen sind? Ansonsten sortiert man Stimmzettel (bei vier verschiedenen natürlich stundenlang), bildet akkurate Zehner- oder Zwanzigerstapel und macht so viele einfache Additionen wie seit der vierten Klasse nicht mehr – mit dem Unterschied, dass man jetzt einen Taschenrechner benutzen darf. Auf eine etwas kranke Art macht das ja Spaß, und ich mag diese „So, das ist echt viel Arbeit, aber wir machen das jetzt alle zusammen fertig“-Situationen. Nicht zuletzt konnten wir ja auf die Unterstützung von V. bauen, der unsere Zählerei alle zwei Minuten mit einem „Na, ich sehe, bei euch läuft es ja spitze, oder?“ auflockerte und dabei auch die eine oder andere Anekdote einstreute. Mithelfen konnte er aufgrund seiner Sehschwäche leider nicht, die mentale Unterstützung aber ließ nichts zu wünschen übrig. Time flies when you’re having fun. Alarmiert vom wütenden Geschrei des Hausmeisters, der Feierabend haben wollte, stellten wir fest, dass es schon halb zwölf war. Gerade hatte ich ein so nettes Gespräch mit einer der Mitarbeiterinnen der Stadt, deren Job es war, die Schnellmeldungen entgegenzunehmen. Da ich dieses Berta-Emil-Zeppelin-Alphabet nicht beherrsche, hatte ich alternative Wörter benutzt, das hat sie sehr gefreut. „Wir müssen alle AfD-Stimmen noch einmal nachzählen, bei uns stimmt was nicht“ krähte M. fröhlich aus der anderen Ecke. Das hat den Hausmeister wiederum nicht so sehr gefreut.
Also noch einmal. Am Ende hat alles gestimmt, selbst der verstimmte Hausmeister war gegen einen geduldigen Stellvertreter ausgetauscht worden, der um halb eins die mit Rollen ausgezählter Zettel und sonstigem Wahl-Klabaster gefüllten Mülltonnen, die als Urnen gedient hatten, herauskarrte, irgendwohin in einen tiefen, kühlen Rathauskeller.

* Herzlichen Dank an alle Wählenden, die trotzdem noch gute Laune hatten (ja, die gab es!) und besonderen Dank an die Frau, die uns Hanuta mitgebracht hat.

        ● Annika Bachem

Foto: Gerd Altmann / Pixabay

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