Wieder einmal blicken wir freundschaftlich auf unsere Stadt – heute von außen. Unsere Gesprächspartnerinnen aus dem Freundeskreis Hannover sind auch an ihren neuen Wohnorten begeisterte Hannoveranerinnen geblieben. Die Sängerin, Diseuse und Schauspielerin Alix Dudel (AD) lebt heute in Berlin und sagt: „Wer weiß, was noch kommt.“ Die Radiomoderatorin Laura Zacharias (LZ) hat es nach Tübingen verschlagen. Sie kämpft zu Anfang des Video-Calls mit Tonproblemen und denkt bei Stichwort „Vorstellungsrunde“ zunächst, dass sie – ganz Moderatorin – Alix Dudel vorstellen soll. Wir können sie beruhigen, heute ist sie Gast.
LZ – Ich stelle mich vor, okay (lacht). Ich bin gebürtige Hannoveranerin, im Friederikenstift geboren und praktisch auf dem Wakitu in der List aufgewachsen. Als Kind habe ich im Mädchenchor Hannover gesungen und wollte unbedingt Opernsängerin werden. Leider hatte ich später Probleme mit den Stimmbändern und musste mich von dieser Idee verabschieden. Nach vielen Überlegungen, was man sonst so mit „Stimme“ machen kann, bin ich dann über Umwege und ein Journalistik-Studium in Dortmund wieder nach Hannover und zum Radio gekommen. Damals wurde gerade ein völlig neuer Radiosender aus der Taufe gehoben, Radio Hannover. Ich wurde Redaktionsmitglied der ersten Stunde und habe die ganze Senderstruktur mit aufgebaut, begeistert von der Idee eines lokalen Radiosenders. Radio-Erfahrung hatte ich schon während meines Studiums bei anderen freien Lokalsendern gesammelt. Bei Radio Hannover war ich sechs Jahre und wäre wahrscheinlich auch nie weggegangen, wenn mein Mann nicht hier in Tübingen einen sehr spannenden Job bei Curevac bekommen hätte. Der musste in Hannover viel zurückstecken, weil ich fürs Radio natürlich sehr umtriebig und viel unterwegs war. Deswegen gestehe ich ihm das jetzt auch mal zu (lacht). Ich arbeite jetzt beim Südwestrundfunk, beim Fernsehen als Redakteurin.
Dann werfen wir den Ball mal rüber zu Alix.
AD – Ich bin auch ein hannoversches Urgestein, obwohl ich nicht in Hannover geboren bin, sondern in Krefeld. Ich bin aber schon mit vier Jahren nach Hannover gekommen und hier aufgewachsen. Jetzt sage ich schon „hier“, weil es sich so anfühlt (lacht). Ich bin in Hannover zur Schule gegangen, habe meine erste Liebe dort erlebt, meine Lehre gemacht und auch die Kunst und Kultur ist dort zu mir gekommen. In den 80er-Jahren habe ich Friedhelm Kändler getroffen, der mich sehr fasziniert hat und dessen Texte mich bis heute begleiten. Viel Spaß hat mir meine Zeit als Sprecherin beim NDR gemacht, das war in den 90er-Jahren. Gegen Ende der 90er bekam ich dann den Drang, etwas Neues auszuprobieren. Damals ergab sich die Gelegenheit für mich, zu Freunden aufs Land zu ziehen, in die Nähe von Hildesheim. Ich war aber die ganze Zeit noch sehr mit Hannover verbunden. Im Kanapee, das Erwin Schütterle damals kreiert hat, habe ich meine ersten Premieren gefeiert und viele meiner Lieder dort uraufgeführt. Jetzt ist es schon wieder zehn Jahre her, dass der nächste Wechsel dran war, der mich nach Berlin geführt hat. Trotzdem fühlt sich meine Seele immer noch sehr hannoversch an, das ist für mich immer noch Heimat, wo ich viele Freunde habe. Zwei meiner Geschwister leben auch da. Und ich bin immer wieder gern zu Gast, auch auf der Bühne.
Gibt es Aspekte in Hannover, die ihr von außen anders seht? Oder vielleicht auch Dinge, die ihr vermisst?
AD – Für mich war Hannover immer ein guter Ort, um mich zu entwickeln. Ich wusste anfangs gar nicht, wo es mit mir hingehen soll. Viele meiner Freunde sind damals nach Berlin gegangen. Es hieß immer, da tobe das Leben, man müsse da hin, wenn man Kultur machen will. Ich glaube, ich wäre da untergegangen. In Hannover hatte ich die Möglichkeit, mich peu à peu zu entwickeln. Berlin, das merke ich auch jetzt, ist toll! Aber man muss aktiv sein und permanent sagen: „Hier bin ich!“ Und wenn man das nicht laut genug sagt, ist man praktisch nicht da. In Hannover habe ich das ganz anders erlebt. Die Menschen hier haben mich getragen und mich auch manchmal, wenn ich mich in meiner Kemenate versteckt habe, herausgeholt und gesagt: „Dudel, mach was!“ Und dann habe ich es gemacht (lacht). Zum Beispiel war es gar nicht mein Plan, Moderationen zu machen. Dann kam Udo Püschel, der damals das Programm beim GOP gemacht hat, und sagte: „Mach das doch mal, du bist so bekannt hier.“ Und so folgte ein Schritt auf den nächsten. Das wäre woanders so nicht passiert. Aber klar, das lag natürlich auch daran, dass ich hier Freunde hatte.
LZ – Da kann ich mich nur anschließen. Obwohl es eine Großstadt ist, ist Hannover, was die Menschen angeht, ein Dorf. Ende Oktober, kurz vor dem letzten Lockdown, bin ich ein einziges Mal durch die Innenstadt gegangen und habe bestimmt 40 Menschen getroffen, die ich kannte und mit denen ich sofort wieder anknüpfen konnte, als wäre ich nie weg gewesen. Ich habe mich unheimlich gefreut über diese Wärme!
Und was mir im Oktober total aufgefallen ist, ist diese Weite. In Süddeutschland guckt man praktisch immer gegen einen Berg. Das ist natürlich auch schön. Aber erst jetzt merke ich, wie sehr ich dieses platte Land mag!
Du hast beim Fernsehen jetzt wahrscheinlich nicht ganz so mit der Pandemie zu kämpfen, Laura.
LZ – Ja, ich arbeite in der Redaktion einer Talksendung, dem Nachtcafé, und bin sehr glücklich, dass ich jetzt beim SWR bin. In Hannover habe ich ja sehr viele Veranstaltungen moderiert und hatte schon den Gedanken, mich auch hier in Tübingen als freie Moderatorin selbstständig zu machen. Aber als ein Event nach dem anderen abgesagt wurde, war schnell klar, dass das im Moment nicht die allerbeste Idee ist. Ich biete das grundsätzlich schon noch an, aber Veranstaltungen, wie ich sie moderiert habe, gibt es eben im Moment nicht.
Wie geht es dir in der Situation, Alix? Ich habe deinen Blog gesehen und den einen oder anderen melancholischen Eintrag.
AD – Man schwebt ja durch die unterschiedlichsten Stimmungen im Laufe der Zeit. Anfangs war da ein großer Willen zum Durchhalten und viele Ideen, was man jetzt auf die Beine stellen könnte. Aber diese Energie bröckelt natürlich auch irgendwann. Je länger das dauert, desto lethargischer wird man leider. Ich komme ganz gut durch die Zeit. Ich habe mal eine Feldenkrais-Ausbildung gemacht und gebe jetzt online Unterricht. Das tut mir gut und hält auch mich fit. Dazu habe ich wieder angefangen, Gesangscoaching zu nehmen, als Vorbereitung auf die Zeit, wenn es wieder losgeht.
Ich hätte gedacht, du gibst Unterricht.
AD – Ich mache beides. Ich gebe Sprechunterricht, ich nehme ihn aber auch. Die Stimme verändert sich mit den Jahren und es schleichen sich Fehler ein, die man, wenn sich Auftritt an Auftritt reiht, oft gar nicht bemerkt. Es ist ganz interessant, jetzt die Zeit zu haben, etwas in die Tiefe zu gehen und hier und da mal etwas zu überprüfen.
Tut so eine lange Pause der Stimme vielleicht sogar gut, oder ist das eher gefährlich, sie so „abzutrainieren“?
AD – Gefährlich ist das nicht. Eine Pause ist schon ganz gut, aber man braucht zum Singen eine große Körperspannung. Da ist Sport und ein gutes Körperbewusstsein schon wichtig in einer Zeit, wo wir alle viel auf dem Sofa sitzen und gerne mal ein Glas Wein trinken (lacht).
LZ – Das ist bestimmt nicht leicht, sich fit zu halten, um in dem Moment, wo man wieder vors Publikum darf, vielleicht besser zu sein als je zuvor! Und keiner kann wirklich sagen, wann das sein wird. Wie motivierst du dich dafür?
AD – Ach, das ist unterschiedlich. Mein Gitarrist Sebastian Albert und ich hatten im Februar 2020 gerade ein neues Programm vorgestellt, im März war dann alles zu. Wir waren aber genau an dem Punkt, wo man, um weiter am Programm zu arbeiten, das Publikum braucht. Ich habe dann angefangen zu lesen und bin dabei auf eine polnische Schriftstellerin gestoßen, Wisława Szymborska, die mich sehr interessiert. Sie ist in Deutschland gar nicht so bekannt, obwohl sie 1996 den Literaturnobelpreis bekommen hat. Ich habe Kontakt aufgenommen zu einer polnischen Kollegin, mit der ich sehr gern arbeiten möchte, Celina Muza. Da habe ich jetzt Feuer gefangen und gucke, wie ich daraus mit Musik ein Programm formen kann. Und irgendwann wird der Augenblick kommen, wo Auftritte wieder möglich sind.
Arbeitest du immer so, dass du Texte suchst und sie dann vertonst? Wer schreibt die Musik dazu?
AD – Die Texte von Friedhelm Kändler hat zum Beispiel oft Andreas Tarkmann vertont, oder auch Uli Schmid, mit dem ich in den letzten Jahren ganz viel gearbeitet habe. Von Georg Kreisler oder Hildegard Knef gibt es schon Vertonungen, die wir dann nehmen und anpassen. Jetzt arbeite ich mit dem Jazzgitarristen Sebastian Albert, und der bearbeitet die Musik dann für sein Instrument. Wenn ich mit einer Band arbeite wie im Frankfurter Tigerpalast, dann suchen die sich zusammen, was es gibt, und bearbeiten das für ihr Setting. Es gibt Lieder, die begleiten mich seit Anfang der 90er-Jahre, weil sie einfach so toll sind. Ein wunderbares Lied, das ich vielleicht nie wieder singen darf, heißt „Darf ich mal durch?“, und ich drängele mich dabei durch das Publikum zwischen den kleinen Tischen hindurch. Das ist ja im Moment überhaupt nicht mehr vorstellbar.
LZ – Dieser Gedanke schmerzt schon sehr. Mir geht das auch immer so, wenn ich alte Bilder sehe von Veranstaltungen. Auch bei der der Talkshow, die wir jetzt schon lange Zeit unter Corona-Bedingungen ohne Publikum produzieren, merkt man, dass das was mit den Leuten macht. Schrecklich, der Gedanke, dass man diese Nähe vielleicht nie wieder aufbauen kann.
Diese Gewöhnung ist gruselig, dass man jetzt ältere Filme sieht und denkt „Die stehen aber dicht zusammen!“. Aber du wirst dieses Lied bestimmt wieder singen!
AD – Wollen wir es hoffen. Gestern wurde ich geimpft. (Allgemeines Hurra!) Noch merke ich keine Nebenwirkungen. Vielleicht merkt ihr was?
Sieht alles gut aus.
AD – Na, schauen wir mal. Ich habe zwei Livestreams gemacht in diesem Jahr und muss sagen, dass mich das nicht so begeistert. Es ist mir sehr fremd, nur für die Kameras zu spielen. Das ist ein ganz anderes Arbeiten. Und man ist sehr abhängig von der Qualität der Kameras, des Lichts und des Tons. Das kann ich selbst gar nicht kontrollieren. Wenn ich vor Menschen auftrete, kann ich aus dem Publikum so viel aufnehmen und umsetzen! Das sind gar keine direkten Kommentare, sondern eher Stimmungen. Ich merke, ob das Publikum aufgekratzt ist, ob die Menschen zugewandt sind oder vielleicht müde. Das macht etwas mit meiner Energie. Und so etwas spürt man von einer Kamera natürlich überhaupt nicht.
LZ – Ja, man muss sich immer wieder ausprobieren. Ich liebe einfach Gespräche mit Menschen und deshalb auch den Job als Moderatorin. Ich habe jetzt ein paar Podcasts ins Leben gerufen, das macht auch wirklich Spaß. Aber es ist letztlich doch etwas völlig anderes als ein Gespräch mit einem Gegenüber.
Bei dir, Laura, finde ich ja interessant, dass du Stadionsprecherin warst.
LZ – Ja! Das war eine verrückte Episode! Die Leute vom VFV Borussia 06 Hildesheim waren auf mich aufmerksam geworden und wollten diesen Job einfach gern mal weiblich besetzen. Ich bin überhaupt keine Fußball-Expertin, aber fand das sofort spannend. Nach einer Zeit in Hildesheim wurde ich vom HSC Hannover abgeworben und habe das da noch eine Saison gemacht. Es ist ja leider immer noch so, dass viele es ablehnen, wenn eine weibliche Stimme durch den Lautsprecher erklingt. Es gab auch durchaus solche Äußerungen in den sozialen Medien. Ich habe damals beschlossen, das einfach auszusitzen. Ein Mehr an weiblichen Stimmen würde diesem sehr männlich geprägten Umfeld sehr guttun. Aber selbst als Stadionsprecherin müssen Frauen sich ganz anders beweisen als Männer, da werden kleinste Fehler ganz anders wahrgenommen. Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, diese Tätigkeit hier fortzusetzen. Leider ist ja der Amateurfußball auch im Lockdown.
Aber dafür würdest du jetzt nicht als Gaststar nach Hannover einfliegen?
LZ – Doch! Das habe ich mit den Leuten vom HSC so besprochen, die haben gesagt: „Wann immer du in Hannover bist und Zeit hast am Sonntagnachmittag.“ Sobald es wieder Spiele mit Publikum gibt, mache ich das. Auch für solche Vereine ist es ja ein Thema, diese Zeit ohne ihren „zwölften Mann“ durchzustehen.
Es gibt angeblich sogar Fußballer, die im leeren Stadion besser spielen, weil sie dann nicht so aufgeregt sind. Gibt es SängerInnen, die besser sind, wenn keiner guckt?
AD – Das ist eine Typsache. Ich habe im Kanapee gelernt, sehr nah am Publikum zu sein. Für manche, die gewöhnt sind, auf der großen Bühne mit viel mehr Abstand „ins schwarze Loch” zu singen, ist es dann total aufregend, das Publikum während des Auftritts zu sehen. Ich war dann wiederum auf der großen Bühne extrem aufgeregt, weil es mir so ungewohnt war, niemanden zu sehen. Man kann aber beides lernen.
Wie geht es denn bei dir weiter, Alix?
AD – In Hannover bin ich, wenn es klappt, am 11. Juni in der Kulturkatakombe Wettbergen. Üblicherweise trete ich vor allem zwischen September und März auf und habe im Sommer eine kreative Pause. Jetzt werden im Sommer Bühnen im Freien aufgebaut und die Zuschauer nach draußen gesetzt. Mal sehen, ob das was wird. Wir hangeln uns wirklich ein bisschen durch.
Deine Art von Musik findet normalerweise draußen ja eher selten statt.
AD – Ja, ich habe das auch lange eher ungern gemacht, weil ich den Raum brauche. Musikalisch-literarische Programme wie mein Mascha-Kaléko-Programm sind so intim und bezaubernd, da möchte man nah beieinander sitzen. Das neue Programm mit der Jazzgitarre hat eine andere Farbe, das geht auch draußen. Im Freien muss man kurzweiliger sein, weil Texte da so verfliegen. Ein längerer Text oder Gedichte haben eine Tiefe, für die man einfach eine andere Atmosphäre braucht. Da schafft das Licht zum Beispiel auch kleine Räume.
LZ – Krass, wie sich das Erleben von Kultur gerade wandelt. Ich mag Open Airs, aber ich vermisse schon dieses Intime …
AD – Ja. Aber in diesen kleinen Theatern konnten wir im letzten Jahr zum Teil nur zehn Leute empfangen. Das macht man, damit man überhaupt etwas macht, aber damit kann man natürlich kein Geld verdienen. Aber es wird Möglichkeiten geben, und es werden auch wieder bessere Zeiten kommen.
Stichwort Freundeskreis: Ihr seid beide Mitglieder, obwohl ihr nicht mehr in Hannover lebt.
AD – Ich habe nach wie vor Kontakt zu Erwin Schütterle, der ja lange Geschäftsführer war. Der hat mir einfach mal ein Beitrittsformular auf den Tisch gelegt und gesagt: „Dann bekommst du auch das Stadtkind.“ (lacht). Das habe ich keine Sekunde bereut und lese so von alten Bekannten und was es so Neues gibt. Das ist meine Verbindung zu Hannover.
LZ – Mir geht das auch so. Ich war ja sehr aktiv im Freundeskreis und habe zum Beispiel die Kulturpreisverleihung oder Podiumsdiskussionen moderiert. Das passte einfach perfekt zu dem, was ich schon immer für Hannover tun wollte. Harald Schmidt hat mal gesagt, Stuttgart sei das Hannover des Südens. Vielleicht ist Hannover ja das Stuttgart des Nordens? Eine solche Verbindung muss ich unbedingt halten.
● Annika Bachem
Foto L. Zacharias: Ulrich Stamm, Foto A. Dudel: Heinz-Günter Hamich