Ganz am Anfang war es tatsächlich eine Schnapsidee. Wenn auch vielleicht kein Schnaps, wurde zumindest reichlich Bier getrunken, als 2012 eine sechsköpfige Doppelkopf-Runde, total geflasht vom Auftritt der rumänischen Balkan-Brass-Band Fanfare Ciocarlia im Pavillon beschloss: „Das machen wir auch, und dann fahren wir nach Guča.“ Dort nämlich, etwa 120 Kilometer südlich von Belgrad, findet alljährlich das größte Trompetenfestival der Welt statt, und was dem Metalhead sein Wacken, ist dem Brass-Freak das Festival von Guča. Da war es gut, dass einer aus der Runde bereits sehr gut Trompete spielte …
Das war der Start, und es war ein durchaus holpriger, denn die Übrigen mussten sich erst einmal Instrumente besorgen – und üben. Man verstand sich als offenes Kollektiv und schnell kamen Mitspieler dazu, vom ambitionierten Laien bis zum Profimusiker. 2013 – sie waren schon 12 oder 13 Leute und noch nie öffentlich aufgetreten – wurden sie vom Theater Agentur für Weltverbesserungspläne für das Stück „Parzellenglück“ von Ulrike Willberg eingeladen. Für dieses Theaterstück wurden die Bandmitglieder mit ihren Fantasieuniformen aus weißen Gummistiefeln, Blaumännern und Schulterstücken aus Wischmop-Bezügen ausgestattet, in denen sie, zusammen mit Schauspielerinnen die Kochstraße hinauf und hinunter marschierten. Die Uniformen sind geblieben und jeder neu dazugestoßene Musiker bekam fortan eine Art Bauplan und die Aufgabe, sich eine solche Garnitur zusammenzustellen.
In den Folgejahren wuchs das Ensemble, das sich in den ersten Jahren für jeden Auftritt einen neuen Namen gab, auf 25 Musiker an, auch ein Sänger kam dazu. So richtig weiß keiner mehr, wann das genau war, aber nach einem frühen Song nannte man sich „Königliche Braut“ und der Name blieb genauso hängen wie die Uniform.
25 Leute sind allerdings die Schmerzgrenze für die Bandproben, die erst in einem Schrebergarten, später in einem Jugendzentrum und seit 2017 im Vereinsheim der Kleingartenkolonie „Lindener Alpen“ stattfinden. Eine Probe mit 25 Blechbläsern zu leiten und ihre Aktivitäten zu koordinieren, ist, wenn man dabei relativ basisdemokratisch unterwegs ist, eine echte Herausforderung. Die musikalischen Ideen bei der Königlichen Braut kommen nicht von ein, zwei Leuten, sondern eher von zehn. Auch die Ansprüche zwischen „Ich will auf die großen Bühnen“ und „Ich will eigentlich nur einmal die Woche ein bisschen Musik machen“ klaffen dann schnell auseinander. Was sie allerdings immer wieder eint, ist die gemeinsame Idee, in allererster Linie Spaß zu haben.
Ein Vorteil der Bandgröße ist, dass es relativ leicht ist, genug Mitspieler für einen Auftritt zusammenzubekommen. Ab zehn Leuten sind sie je nach Einsatz-Idee spielfähig und tun das auch gerne, wenn sie nicht eingeladen sind – guerilla-mäßig beim Kölner Karneval zum Beispiel. Als Bläsertruppe kommen sie dann auch mal ohne Strom aus, der Sänger benutzt ein Megafon und der Drummer bastelt sich ein mobiles Set zusammen. So ein Auftritt, bei dem sie sich einfach an eine Straßenecke stellen, kann toller sein als einer auf der großen Bühne. Gern lassen sie sich dann treiben und ein paar haben immer noch Zeit, wenn abends jemand irgendwo Geburtstag feiert.
Auch wenn Profimusiker dabei sind, muss keines der Bandmitglieder von der Königlichen Braut leben. In der Regel spielen sie tatsächlich für Wurst und Bier, und haben so das Privileg, nicht auf jeder Hochzeit tanzen (beziehungsweise spielen) zu müssen. Stattdessen suchen sie sich aus, wozu sie Lust haben und spielten schon auf dem Balkon des Opernhauses, im Kunstverein oder beim Masala Weltbeat-Festival.
Und die Musik? Polka, genreoffen zu allen Seiten, rau und ungeschliffen, mit lustigen, gern auch mal fantasiesprachigen Texten, keine Coverversionen. Nachzuhören ist das ganz aktuell auf dem zweiten Album der Bräute „Keine Termine“, das seit Januar auf gängigen Streaming-Portalen und als CD bei Rockers in der Weckenstraße zu haben ist. Und was so Corona-konform klingt, ist der Titelsong und gleichzeitig Harald Juhnkes Definition von Glück: „Keine Termine und leicht einen sitzen“. Die Produktion des Albums hat die Band mental über ein für alle schwieriges und für Bands katastrophales Jahr gerettet, in dem sie so gut wie gar nicht proben konnten. Ein Riesenglück dabei: Unmittelbar vor dem Lockdown Ende Februar 2020 hatten sie schon das Grundgerüst des Albums im Kasten, das live mit allen Instrumenten eingespielt werden musste. Alles Weitere konnte dann in Einzelaufnahmen eingespielt und zusammengefügt werden und hat die Band über das ganze Jahr immer wieder beschäftigt. Jetzt ist das Album eine schöne Möglichkeit, die Wartezeit bis zu den ersten sommerlichen Open-Air-Konzerten ein bisschen bunter zu gestalten.
Nach Guča übrigens ist die Königliche Braut nie gefahren. Ein unterschwelliger Aberglaube, dass sich damit ein zu gewaltiger Kreis schließt und das das Ende der Königlichen Braut bedeuten könnte, hat das bisher verhindert. Aber wer weiß, vielleicht fahren sie mal ganz spontan los.
● Annika Bachem
Mehr Infos auf https://koeniglichebraut.de