Gründungsmitglied und im kuratorischen Team vom Fuchsbau Festival
Er ist seit dem Beginn vor sieben Jahren dabei und macht die Programmkoordination, sprich kuratiert progressive Ideen, Kunst, Installationen und Performances jenseits von Disziplinen oder Sparten, Konzerte, elektronische Leckerbissen und avantgardistischen Pop für das Fuchsbau-Festival-Gelände in Lehrte. Christoffer Horlitz ist 27 Jahre alt und studiert Politik und Kulturwissenschaften in Berlin. Wie viele im 15-köpfigen Team, die inzwischen zwar woanders wohnen, aber zwischendurch immer wieder hier sind, kommt auch er aus Hannover (genauer: aus Garbsen). Im Festivalbüro in Linden erzählt er im Gespräch mit dem STADTKIND, wie sich das Festival entwickelt hat, was 2019 neben den goldenen Einkaufswagen neu ist und worauf er sich ganz besonders freut.
Trotz Wochenende sitzt ein Großteil des Fuchsbau-Teams um einen großen Tisch im Büro, ist mitten in der Planung und sichtbar gut gelaunt, als ich, trotz Wochenende, Christoffer zum Gespräch abhole. Dessen Enthusiasmus ist ansteckend und so lausche ich gerne seinem Bericht über die Anfänge und seither vergangenen sieben Jahre Fuchsbau: „2012, als das Ganze angefangen hat, haben wir in einer Gruppe von FreundInnen und weiteren Leuten gespürt, dass es da eine Lücke gibt; es fehlte an freien, jugendlichen oder jungen Kulturinitiativen in Hannover. Daraus entstand das Bedürfnis, etwas zu machen, und nach ein paar Gesprächen kristallisierte sich heraus, dass es ein Festival werden sollte. Dann hat sich ein Team gebildet und es gab eine Crowdfunding-Kampagne dazu, die auch relativ viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Das erste Fuchsbau Festival haben wir über anderthalb Tage im Musiktheater Bad gemacht, zu dem auch gleich 2500 Leute kamen. Von dort aus hat es sich bis heute ganz weit entwickelt, es ist jetzt ein ganz anderes Projekt als damals. Die Grundidee von ,Wir versuchen, die Kunst- und Politiklandschaft in Hannover um Initiativen und Projekte zu bereichern, die wir hier so nicht richtig sehen und für wichtig halten‘, ist aber noch da. Auch einen gewissen DIY-Charakter hat es immer noch und viele von den ursprünglichen Leuten sind weiterhin dabei. Aus verschiedenen Gründen (Bedürfnis nach mehr Platz, Auflagenprobleme an beiden Orten) sind wir aber gleich zweimal umgezogen, erst nach Springe und dann auf das Zytanien-Gelände bei Lehrte, wo wir jetzt im vierten Jahr sind.“
Diese Umzüge allein hätten bereits eine Entwicklung des Festivals mit sich gebracht, denn, so sagt Christoffer: „Die Orte haben immer auch den Charakter des Festivals verändert, weil Orte eine eigene Seele haben. Dann hat sich das Festival aber auch immer weiter verändert, weil es ein Ausdruck dessen ist, wer wir sind – es war schon immer sehr interdisziplinär, weil es Leute im Team gab, die Lust auf Kunst hatten, die Lust auf Literatur hatten, die Lust auf diese oder jene Art von Musik hatten. Heute sind wir ein sehr diverses Team, dessen Interessen sich im Laufe der Jahre weiter verschoben haben: Seit ein paar Jahren sind Diskussionsveranstaltungen wesentlicher Teil des Programms, und es sind nicht mehr nur Künstler aus Hannover sondern es ist alles viel internationaler geworden. Das ist uns wichtig, um eine bestimmte Weite der Kulturlandschaft widerzuspiegeln/abzubilden. Es ist alles größer geworden, aufwendiger geworden; wir haben jetzt auch einfach mehr Spielraum, Projekte umzusetzen, die wir spannend finden, denn es haben sich Netzwerke gebildet und wir können über Jahre hinweg mit Leuten zusammenarbeiten, die spannende Kunstprojekte umsetzen. Inzwischen gehen wir das Ganze auch thematisch an, sprich es gibt ein Oberthema, und dazu arbeiten wir dann spartenübergreifend. In diesem Jahr ist es ,Supermarkt‘.
Dabei geht es grob gesagt um Alltagspolitik: Was für Dinge gibt es in unserem Alltag, die wir politisieren möchten – oder auch nicht? Gerade Supermärkte sind da ein interessantes Objekt, zu dem viele Leute eine emotionale und/oder politische Beziehung haben und anhand dessen sich größere gesellschaftliche Konflikte abbilden. Einerseits geht es darum, mit wem möchte ich mich solidarisieren – sei es der kleine Biomarkt oder sogar letztlich die Person, die den Kaffee anbaut? Auf der anderen Seite geht es um die Frage: Was möchte ich von mir selber politisieren? Einmal hat man also die private Ebene; mit wem ich mich solidarisiere, aber auch mit wem ich schlafe, mit wem ich feiere – und mit wem nicht. Und dann die Ökologien, wo sich wieder dieselbe Frage stellt; mit wem solidarisiere ich mich, denn am Thema Klimawandel wird klar, dass es nicht reicht, sich mit den Leuten aus meiner Straße zu verbünden, sondern ich muss mich gezwungenermaßen auch mit den Leuten am anderen Ende der Erde auseinandersetzen. Weil wir halt alle zusammenhängen, ob wir das jetzt wollen oder nicht. Am Objekt Supermarkt können wir viele solcher Aspekte durchdenken.
Neu ist: Wir haben eine Dramaturgin dieses Jahr. Wir experimentieren jedes Jahr damit, wie wir dieses Festival machen, damit uns auch selbst nicht langweilig wird, und wir möchten dieses Mal quasi das gesamte Festival als Performance wahrnehmen. Von dem Moment an, an dem ich mein Ticketbändchen bekomme, ist das auf eine Art schon inszeniert – und das wollen wir dieses Jahr auch so wahrnehmen und denken das ganze Festival von A-Z nach dem Oberthema durch.“
Der Anteil von Musik und Feierei sei grundsätzlich gleich geblieben, drumherum gäbe es aber mehr Diskussion und Kunst, sinniert Christoffer: „Gerade bei primär Musikfestivals hat man in den letzten Jahren schon eine Entwicklung hin zu partizipativen Ansätzen wie Workshops und ein bisschen Mitmachkunst. Mit denen stehen wir zwar in einer Reihe, aber wir haben eben per se ein interdisziplinäreres Programm, wo das nicht als Rahmenprogramm läuft, sondern Teil des Hauptprogramms ist.“
Im vergangenen Jahr hat das Team das Festival ausgesetzt, weil nach fünf Jahren Ehrenamt einfach mal eine Pause sein musste. Christoffer erinnert sich: „Wir wollten das Hamsterrad von Projekt zu Projekt mal anhalten, uns Zeit nehmen, das Gesamte zu durchdenken. Die Hyperkultur-Konferenz im Mai 2018 war dazu gedacht, trotzdem mit den Leuten aus Hannover zusammenzukommen, miteinander Themen durchzudiskutieren, die wir gerade im Hinblick auf kollektive Kulturarbeit wichtig fanden wie Diversität. Und Fragen: wie kann man besser zusammenarbeiten, was wollen wir überhaupt bezwecken? Auf eine Art war das auch ein Stück weit ein Selbstfindungsprozess, und das Resultat ist jetzt ein geschärftes Profil. Einerseits war es ganz schön, sich mit Leuten aus der Kultur- und Musikszene auszutauschen, andererseits auch das weiterzutragen, was wir in den letzten Jahren gelernt haben. Dafür war die Hyperkultur-Konferenz natürlich DAS Format. Das Fuchsbau Festival hat aber auch an sich relativ offene Strukturen, das heißt, unser Team verändert sich konstant, es gibt viele Wege, wie man mitmachen kann.
Dass wir den Anspruch haben, Sachen zu machen, die man sonst in Hannover nicht findet, hat man auch den Bewerbungen zum Open call angemerkt. Zum Beispiel hat da eine Frau geschrieben, die durch die Sets von Shanti Celeste und Deena Abdelwahed beim Fuchsbau 2017 inspiriert wurde, endlich als Frau selber aufzulegen, was sie immer schon machen wollte und es jetzt endlich getan hat. Genau aus dem Grund buchen wir ein super-diverses Line-up, führen Diskussionen darüber, unterfüttern das Ganze mit Politik, um neue Über-den-Tellerrands-Gruppen zu stiften. Zum anderen sind wir in Hannover natürlich auch in der Kulturarbeit aktiv, um im Rahmen unserer Möglichkeiten etwas an und in die Gesellschaft zurückzugeben. In diesem Jahr haben wir ganz bewusst auch Kollektive eingeladen, z.B. One Mother aus Hamburg, ein nicht-weißes, feministisches HipHop-Kollektiv und Creamcake, ein queeres Musik- und Kunstkollektiv (mit experimenteller Musik von dekonstruierten Clubsounds bis Trap), die bei uns Abende kuratieren, mit denen ein Austausch stattfindet und die uns wieder inspirieren.
Die persönliche Favoriten von Christoffer auf dem Fuchsbau Festival 2019:
Ich freue mich auf Apparat, einen Musiker, der seit Jahren in Deutschland in Sachen elektronischer Musik unterwegs ist und der seinen einzigen Festival-Gig in Deutschland auf dem Fuchsbau hat. Dann auf Colin Self, ein Performer und Musiker aus New York, der jetzt in Berlin wohnt, der ein Projekt zum Thema queere Solidarität/ Wahlverwandschaften gemacht hat, was sehr zu unserem passt, der mit einem lokalen Chor und Streichern auftritt, was ich total schön finde. Ich freue mich auf Avalon Anderson, die generell Housemusik aber bis hinüber zum Twist macht. Und auf Munroe Bergdorf aus London, das erste Transgender-Modell in Großbritannien und inzwischen eine Aktivistin, die mit uns über die Ästhetik von Protest diskutiert und über Instagram Protest redet – eine neue Protestform, die im „Vorbeiscrollen“ passiert, aber heutzutage glaube ich einen ziemlich großen Einfluss bekommen kann, auch spannend im Bezug auf unser Thema Alltagspolitik.
Interview: Anke Wittkopp, Foto Christopher Horlitz: Roxana Rios, übrige Fotos: Fuchsbau Festival