Vorsitzende von Help for Congo Kids e.V.
Die in Hannover geborene Physiotherapeutin reiste 1988 das erste Mal nach Afrika. Zahlreiche Aufenthalte in verschiedenen afrikanischen Ländern später entschied sie sich Ende 2016, den Verein Help for Congo Kids e.V. zu gründen. Seitdem ist sie mehrmals im Jahr vor Ort, um Hygiene-Aufklärung und die Unterstützung von Waisenheimen zu organisieren und die Vereins-Schützlinge auf ihrem Weg in Richtung Selbstständigkeit voranzubringen. Im Therapiezentrum Südstadt sprach Kirsten Dohmeier mit dem STADTKIND über Help for Congo Kids e.V. sowie Ursachen und Folgen der großen Armut in der Demokratischen Republik Kongo.
„Mittlerweile ist das Therapiezentrum Südstadt eine GbR, was mir den Freiraum verschafft, zwei- bis dreimal im Jahr nach Afrika zu fliegen. Zuerst habe ich mich in einem Kinderheim in Kenia engagiert. 2014 bin ich zum ersten Mal in die Demokratische Republik Kongo gereist, weil ich total vernarrt in Berggorillas bin und den Film „Virunga“ gesehen hatte. Im Film, der sogar eine Oskar-Nominierung bekommen hat, sieht man André Bauma, den Leiter der Berggorilla-Auffangstation. Vor Ort entstand dann der Kontakt zu ihm und den Leuten von Virunga.“
Im Kongo hat Kirsten außer den Berggorillas auch ein Kinderheim besucht und dort die beiden Halbwaisen Jean Claude und Dieu Merci kennengelernt. Beiden Jungs wurden im letzten Krieg zwischen der Rebellengruppe M23 und dem Militär nicht nur jeweils ein Elternteil entrissen: 2012 wurde Jean Claude durch eine Bombe das linke Bein bis knapp unter der Hüfte genommen. Dieu Merci lief auf eine Tretmine und verlor den linken Unterschenkel. „Im Kongo ist es so, dass viele Kinder in den Heimen Halbwaisen sind, denn verliert man hier ein Elternteil, ist die Familie oft nicht mehr in der Lage, die Kinder zu ernähren. Kinder werden dann häufig ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen,“ erklärt Kirsten und berichtet weiter: „Ich habe dann angefangen, das Kinderheim zu unterstützen und dafür gesorgt, dass die beiden Jungs medizinisch versorgt werden, da floss sehr viel Geld rein bis wir sie später prothetisch versorgen konnten. Als immer mehr Anfragen für andere Waisenkinder kamen, die Hilfe benötigen, wurde mir klar: Das muss man breiter organisieren. Ende 2016 habe ich darum den Verein Help for Congo Kids e.V. gegründet. Seitdem unterstützen wir mit den Spenden verschiedene Projekte, einzelne Kinder und natürlich auch das Waisenhaus, in dem die beiden Jungs leben.“
Leider liegen die Heime in Gebieten, die nicht sicher sind. Vor zwei Jahren wurde ein Kinderheim überfallen; die kleine Solaranlage, das wenige Geschirr – alles, was da war, wurde geraubt. Ist es nicht auch jedes mal eine riesige Mutprobe, als europäische Frau in dermaßen unsichere Gebiete zu fahren, in denen letztes Jahr wieder Touristen entführt wurden? Kirsten nickt und sagt ernst: „Ich bin nur mit Ranger-Begleitung außerhalb von Goma unterwegs, wenn ich Heime besuche. Du sitzt da in einem Jeep mit Bewaffneten oder in einem Haus mitten im Regenwald, wo das Telefon nie funktioniert, natürlich habe ich da Angst. Derzeit gibt es mehr als 140 Rebellengruppen, außerdem sind Hutu-Milizen aus dem Nachbarland Ruanda (wo 1994 der Genozid an den Tutsi begangen wurde) immer noch in den Wäldern. Rebellen kommen auch über die Grenze von Uganda. Das alles findet in den Gebieten mit den Coltan-Minen statt. Coltan brauchst du für Computer, für Handys, für Batterien und Akkus (Stichwort Elektromobilität), das wird immer mehr – und ausländische Konzerne versuchen, sich die Minen unter den Nagel zu reißen. Die Bevölkerung bekommt rein gar nichts von den großen Geschäften ab, dafür gehen vierjährige Kinder in die Minen, Dörfer werden überfallen, Menschen abgeschlachet, Kinder als Soldaten rekrutiert. In einem Land, das so reich ist an Bodenschätzen, gehört die Bevölkerung zu den ärmsten der Welt. Auch medizinische Versorgung gibt es nur gegen Geld. Entweder du hast Geld, oder du stirbst.“
Kirsten hat sich in der deutschen Botschaft in Kigali beraten lassen und die beiden Jungs Dieu und Jean schließlich in Ruanda mit Prothesen versorgen lassen. Diese Prothesen waren bloß nicht richtig funktionstüchtig, weswegen Kirsten die Kinder schließlich selbst ausgemessen und die Prothesen in Deutschland bei Otto Bock bestellt hat. Nach diversen nachfolgenden Schwierigkeiten konnte sie dem glücklichen Jean beibringen, mit einer Prothese zu gehen. Sie hat den inzwischen 16-Jährigen vor ein paar Wochen erst wieder gesehen und musste zerknirscht feststellen, dass das Kniegelenk der Prothese defekt ist. Zudem ist sein anderes Bein total zertrümmert, wird immer instabiler und muss operiert werden – was im Kongo nicht funktionieren würde. Kirsten macht deutlich: „Den Jungen nach Deutschland zu holen ist natürlich extrem aufwändig und auch wegen der Operationen, bei denen wir mit Dr. Joseph Nounla und seiner Kinderchirurgie in der Südstadt zusammenarbeiten, müssen wir erst sehen, ob die möglich sind. Bei Gaudence haben wir das alles geschafft, aber die kommt auch aus dem Grenzgebiet Ruanda/ Demokratische Republik Kongo. So konnte alles über Ruanda abgewickelt werden.“
In Goma (DRC) hat Kirsten das spindeldürre Mädchen Gaudence beim Betteln angetroffen – und blickte in ein Gesicht ohne Nase. Eine NOMA-Erkrankung als Kind hatte sie gesundheitlich geschwächt und stark entstellt. NOMA ist eine bakterielle Erkrankung, die das Fleisch im Gesicht zerfrisst. Ursachen sind Mangelernährung, unsauberes Wasser, fehlende Mundhygiene und medizinische Versorgung. Dr. André Borsche von Interplast in Bad Kreuznach wollte 2017 ursprünglich ihre Nase rekonstruieren, was leider aufgrund mehrerer Nebenerkrankungen nicht möglich war. Daher bekam Gaudence eine Epithese, die vor wenigen Wochen bereits gegen eine neue ausgetauscht wurde.
„Brom Epithetik in Heidelberg ist so nett und stellt die Epithesen umsonst für uns her, aber auch das Material, die Hautreinigung und das Kleben, das ganze Drumherum kostet Geld. Gaudence hat im letzten Jahr lesen und schreiben gelernt, ein Dach über dem Kopf haben wir für sie auch gefunden. Jetzt versuchen wir, einen Job für sie zu finden, sodass sie – selbst fast noch ein Kind – ihre beiden Kinder großziehen kann. Solange unterstützen wir sie weiter,“ erzählt Kirsten. Familien helfen, damit die ihre Kinder nicht in Heime stecken müssen, auch das ist ein Punkt, den der Verein für wichtig hält. Zusätzlich zu finanzieller Unterstützung betreibt er Aufklärung in Sachen NOMA und Hygiene, verteilt Zahnbürsten und Medikamente. „Du hast im Kongo geschätzt eine Millionen Waisen, kriegsgeschädigte Kinder, Albino-Kinder (die ohne Schutzcreme nicht ins Freie können), an Polio oder an NOMA erkrankte Kinder (die aus Scham vor den anderen Dorfbewohnern versteckt werden, ausgestoßen werden, verhungern). Wir arbeiten mit der DodoBahati Stiftung von Marlene Zähner in der Schweiz zusammen und auch mit einer Kirche vor Ort, die Sorge trägt, dass die Hilfe dort hinkommt, wo sie auch benötigt wird,“ stellt Kirsten klar.
Vieles bezahlt die Vereinsgründerin selbst. Sie betont: „Ob ich mir jetzt ein teures Kleid kaufe oder Jean ist glücklich über sein neues Bein – das ist ja keine Frage, wofür ich mich da entscheide. Wenn ich etwas sehe, das ich ändern kann, dann mache ich das. Es macht mich glücklich, dass die Kinder im Heim jetzt Betten haben oder dass Jean zur Schule gehen kann. Ich mache das gerne und übernehme gerne die Verantwortung, nur alleine kann ich das finanziell nicht stemmen. Deshalb suchen wir Paten für einzelne Kinder und ganz allgemein Vereinsmitglieder. Und noch eins: André Bauma von Virunga hat im Kongo (DRC) einen Fußballverein für Kinder, die Silverbacks, gegründet und sucht einen Partnerverein, der diesen unterstützt – mit einer Patenschaft von Verein zu Verein. Bei den Silverbacks handelt es sich um Jugendliche, die entweder aus einem Waisenhaus kommen oder aus sehr armen Familien, die André von der Straße holen will. Wenn sich da ein deutscher Fußballverein melden würde, wäre das großartig.“
Alle Infos und Kontaktdaten sind online unter helpforcongokids.net zu finden.
Interview: Anke Wittkopp
Kurz gefragt
Was zieht dich nach Afrika?
Ich fühle mich in Afrika wohl. Ich mag den Geruch, das Wetter, die Tierwelt, die Menschen.
Wo hat es dir am besten gefallen, und warum?
Ich fühle mich extrem wohl, wenn ich Berggorillas im Kongo besuche.
Was war dein berührendstes Erlebnis in Zusammenhang mit dem Verein?
Als Gaudence zum ersten Mal ihre Epithese vor das Gesicht gehalten bekommen hat. Da liefen ihr die Tränen über das Gesicht. Dann lohnt sich alles.
Wovor hast du Angst in Afrika?
Davor, dass ich auf dem Weg zu einem Kinderheim im Kongo entführt werde oder schlimmer? Menschliches Verhalten, egal in welchem Land, ängstigt mich manchmal. Vor Tieren habe ich gar keine Angst.
Dein afrikanisches Lieblingsessen?
Ich esse vegan, in Afrika unheimlich gerne Sukuma Wiki – ein afrikanisches Grünkohlgericht.
Du bist freie Künstlerin?
Ich mache Fotoarbeiten, schreibe Bücher und entwerfe Kleidung (z. B. Fair Trade Stiefel aus afrikanischen Materialien, erhältlich bei Sam Nok).