Tag Archive | "2017-08"

Ein letztes Wort im August …

Tags:

Ein letztes Wort im August …


Herr Weil, wir sprechen heute natürlich über das G20-Treffen in Hamburg. Geplünderte Geschäfte, brennende Autos, massive Zerstörungen, fast 500 verletzte Polizisten, es gab unter anderem den Beschuss mit Stahlkugeln aus Zwillen – ein Gewaltexzess, teilweise begleitet vom Beifall Schaulustiger. Die Eskalation dort hat im Vorfeld wohl kaum jemand für möglich gehalten. Was ist Ihnen bei diesen Bildern und Nachrichten durch den Kopf gegangen?
Die Bilder aus Hamburg sind erschreckend gewesen. Politische Demonstrationen sind ein wichtiger Teil unserer Demokratie, aber der Protest muss friedlich sein. Tatsächlich sind mir zwei Dinge durch den Kopf gegangen, die Entsetzen auslösen: Das eine ist die Tatsache, dass es einen europaweit agierenden Mob gibt, der zu solchen Aktionen anreist, und das zweite, dass es eine nicht nachvollziehbare Unterstützung der Gewalttätigkeiten über die Aktiven hinaus gab. Damit wird sich nicht nur Hamburg auseinandersetzen müssen.

Nun lassen die Schuldzuweisungen natürlich nicht lange auf sich warten. Der Hamburger Senat steht im Kreuzfeuer der Kritik. Hat man dort die Gefahr unterschätzt?
Als niedersächsischer Politiker bin ich weit entfernt davon, Einschätzungen zur Sicherheitslage in Hamburg abgeben zu können. Ich bin allerdings sicher, dass alle Beteiligten die Sicherheitsmaßnahmen für dieses Ereignis mit größter Sorgfalt geplant haben. Dennoch stellt dieses schlimme Wochenende im Nachhinein betrachtet eine klare Niederlage für den Rechtsstaat dar. Es kann nicht akzeptiert werden, dass Gewaltexzesse in einer deutschen Großstadt über einige Tage anhalten, ohne dass sie nachhaltig gestoppt werden können. Deshalb wird man jetzt im Nachgang über vernünftige Konsequenzen sprechen müssen.

Was kann man tun, um solche Eskalationen in Zukunft zu verhindern?
Das wird man sich im Einzelnen genau anschauen müssen. Was in Hamburg geschehen ist, wird jetzt gründlich und in Ruhe ausgewertet. Erst danach können Schlüsse gezogen werden.

Ich habe bei den Nachrichten an die Chaostage in Hannover 1995 gedacht. Können Sie sich erinnern, wie man in Hannover mit den Ereignissen im Nachgang umgegangen ist?
Meine Erinnerung ist, dass man solchen Phänomenen nicht allein durch polizeiliche Maßnahmen begegnen kann. Vielmehr muss in einer solchen Lage auch die Stadtgesellschaft mobilisiert werden. In Hannover hat man sich damals auf einen längeren, aber letztlich erfolgreichen Prozess eingelassen.

Schade finde ich, dass dieser Mob es nun geschafft hat, dass kaum noch jemand über all die friedlichen Demonstrierenden spricht, die ja ebenfalls in Hamburg waren und die mir mit ihrer Kritik teilweise durchaus sympathisch sind.
Die Gewaltexzesse in Hamburg sind tatsächlich nicht allein eine herbe Niederlage für den Rechtsstaat, sondern auch für die vielen Menschen, die aus guten Gründen gegen die aktuelle Weltpolitik demonstrieren wollten. Deren berechtigte Kritik ist völlig untergegangen. Trittbrettfahrer haben die Belange dieser Menschen missbraucht, um private Gewaltphantasien auszuleben. Wo sich ein schwarzer Block bildet, muss es sofort entschiedenen Widerspruch geben.

Was halten Sie denn grundsätzlich von solchen Veranstaltungen wie G20?
Wer redet, der schießt nicht, sagt ein Sprichwort. Deshalb halte ich solche Treffen grundsätzlich für sinnvoll. Es ist gut, wenn die wahrscheinlich wichtigsten Politikerinnen und Politiker der Welt sich in regelmäßigen Abständen treffen. Auch wenn möglicherweise nicht immer dabei herauskommt, was wir uns wünschen.

Also ein guter Ansatz?
Ja. Diese Treffen gehen übrigens auf eine Initiative von Helmut Schmidt zurück. Der hat 1975 das erste Treffen gemeinsam mit Giscard d’Estaing organisiert, damals im kleineren Kreis als G6.

Sollten solche Treffen künftig vielleicht besser irgendwo auf der grünen Wiese stattfinden?
Wir können und werden uns nicht von einigen wenigen Kriminellen diktieren lassen, wo Veranstaltungen stattfinden.

Kommt bei solchen Treffen wirklich irgendetwas Zählbares heraus?
Ich weiß nicht, ob man wirklich Zählbares benennen kann, aber vielleicht ist das auch gar nicht das Entscheidende. Aus meiner Sicht ist viel wichtiger, dass sich die Spitzen unterschiedlicher Staatsformen und Staaten miteinander auseinandersetzen. Es macht einen großen Unterschied, ob man eine Diskussion miteinander führt und sich dabei ins Gesicht sieht oder ob man seine Meinung über Twitter verbreitet.

Man will sich ja immer im Konsens auf eine gemeinsame Abschlusserklärung verständigen. Worüber man sich nicht einigen kann, das wird ausgeklammert.
Oder es werden sehr weiche Formulierungen gewählt. Ob ein knallharter Dissens bei einem Thema in der Abschlusserklärung dokumentiert wird oder nicht, ist nicht der entscheidende Punkt. Die Weltöffentlichkeit bekommt auch ohne ein solches Dokument mit, wer sich mit wem über welches Thema streitet. Und auch, wer wenig oder nichts für die Welt tun will, stattdessen vermeintlich nur für die Seinen Vorteile ziehen will.

Die Erklärung ist ja nicht bindend, soll aber eine Art Signalwirkung in die Welt aussenden.
Eine Signalwirkung geht eher vom Gipfeltreffen selbst aus. Das Format ist schon das richtige. Dass man sich vor dem Hintergrund ganz unterschiedlicher Interessen – was bei den G20-Staaten ja typischerweise der Fall ist – gemeinsam über globale Themen unterhält, ist nach wie vor unverzichtbar. So unvollkommen die Wirklichkeit dann auch sein mag.

Dann kommen wir doch noch mal zu der unvollkommenen Wirklichkeit beziehungsweise zu den Kritikern – aber jetzt zu den friedlichen Kritikern. Im Kern geht es bei aller Kritik ja um den Vorwurf, dass es die Politik nicht schafft, sich gegenüber den Interessen von Wirtschaft und Finanzwelt durchzusetzen. Muss man sich da nicht mal ehrlich machen und sagen: „Stimmt!“
Die Kritiker können für diese Aussage gute Gründe anführen, das lässt sich gar nicht bestreiten. Man kann sagen, dass sich der Kapitalismus zurzeit weltweit durchgesetzt hat. Und auch eine chinesische Wirtschaft, die keine rein kapitalistische ist, funktioniert inzwischen in hohem Maße nach den Spielregeln des Kapitalismus. Darum ist die Frage, wer ganz am Ende eigentlich bestimmt – die Politik oder die Wirtschaft – eine wichtige Frage. Das muss immer wieder kritisch reflektiert und beäugt werden. Ich finde deshalb auch die kritische Begleitung der G20-Treffen ausgesprochen sinnvoll. Das ist übrigens noch ein Argument für diese Treffen: Ohne G20 erhielten auch deren Kritiker weniger öffentliche Aufmerksamkeit.

Sie meinen, mit G20 bietet sich auch eine Chance für die vielen kritischen Organisationen, wahrgenommen zu werden und sich so einzubringen?
Ja, und das ist grundsätzlich gut. Denn es lässt sich ja nicht bestreiten, dass unsere Welt nicht in Ordnung ist. Die Frage, wer die Spielregeln bestimmt, ist durchaus berechtigt. Die Wirtschaft nimmt Einfluss, auch das stimmt. In Deutschland jedenfalls ist der Einfluss der Wirtschaft unbestreitbar vorhanden. Und trotzdem, das kann ich wirklich aus eigener Erfahrung bestätigen, hat die Politik am Ende das letzte Wort. Das muss auch so sein. Ob das bei allen anderen G20-Staaten auch so ist, sei dahingestellt.

Interview: Lars Kompa

Abgelegt unter MP-InterviewEinen Kommentar verfassen...

wollana & wollout

Tags:

wollana & wollout


Was 1983 in Lehrte begann, feiert diesen August 15-jähriges Hannover-Jubiläum: Seit 2002 führen die Schwägerinnen Evamaria und Petra Haverkamp ihre Wolloase „wollana“ mit integriertem „wollout“ bereits in Hannover, seit 2006 präsentiert sich das Ladengeschäft freundlich am jetzigen Standort in der Fußgängerzone zwischen Platz der Weltausstellung und Marktkirche. Alleinstellungsmerkmal ist die Sortimentskonzentration auf kreatives Strickdesign und modische, hochwertige Garne, die ausschließlich aus italienischen Spinnereien kommen. Altbackene Strickware von vorgestern sucht man hier vergebens – hier findet man bestrickend bunte, tolle Wolle, die ganz klar zeigt: Wool is cool! Und der August ist der perfekte Monat, um bei wollana vorbeizuschauen: Neben speziellen Jubeltagsangeboten sind sowohl die Sommerqualitäten als auch schon Garne und Modelle für die Herbstsaison erhältlich.

In dem ordentlich bunten, aber übersichtlichen Laden findet sich nicht nur fast das gesamte Lana-Grossa-Sortiment in Mode- und Standardfarben, sondern auch besonders attraktive Qualitäten, u. a. der Firmen Lang, Opal, Langendorf und Schmiechelpartner, ergänzt durch Besonderheiten kleinerer Spinnereien. Das Sortiment geht von extrafeiner, waschmaschinenfester und filzfreier Merinowolle, Baumwollmelange in Natur- und zarten Pastelltönen, edlen Seidengarnen und gewebten Bändchen in Missoni-Optik bis zu Effektgarn mit Lurex, Leder- oder Leinenlook. Auch Microfasergarne sowie kuschelige Kid Mohair-, Cashmere- und Alpakawolle in Rein- und Mischformen liegen bereit für die Nadel, welche es selbstverständlich, genauso wie Knöpfe, ebenfalls zu erstehen gibt.

Beratung ist den Wollexpertinnen Haverkamp das Wichtigste, das merkt man: die Kundinnen stöbern entspannt-neugierig in den vielen Strickzeitschriften, holen sich Anregungen und lassen sich von der Fülle an flauschigen Knäueln inspirieren, dann beginnt der Woll-Expertinnen-Schnack. Was passt zu wem, welche Farbe darf es für die neue Strickjacke sein, welches kratzneutrale Garn eignet sich bei Wollallergie des Enkels? Alle Wollanerinnen beraten die interessierten Handarbeiterinnen intensiv kundenorientiert. Besonders Evamaria Haverkamp weiß, wovon sie redet: das Stricken hat sie von ihrer Großmutter schon vor dem Lesen und Schreiben gelernt. Seitdem ist viel an Erfahrung und Fachwissen hinzugekommen, von dem die wollana-Kundinnen profitieren können; die im Ladengeschäft aushängenden Modelle sind von den Inhaberinnen und ihren Mitarbeiterinnen – oft nach eigenen Entwürfen – hergestellt. Die jeweilige Strickanleitung geben die wollana-Wollfachkräfte gerne mit dem passenden Garn sowie entsprechenden Tipps weiter. Das wollout, die extra Schnäppchenetage im 1. OG, lockt ganzjährig mit Qualitätsgarnen zu reduzierten Preisen – bis zu 50% können Strickerinnen und Stricker und natürlich auch Häkelbegeisterte hier sparen. Für jeden Geldbeutel und jeden Anspruch ist also bei wollana etwas zu finden – besonders mit Ausblick auf den in Norddeutschland schon am Horizont stehenden „kleinen Herbst“ und die nächste Wintersaison, die wieder viele neue, interessante Garne und Modelle bereithält. Na dann – bis zum nächsten Bund! Und auf die nächsten 15 Jahre wollana!

Anke Wittkopp

wollana-Jubeltage!
Vom 15.-31. August 2017 gibt’s 20% Rabatt auf
alles und extra
Jubiläumsangebote!

Grupenstr. 1, 30159 Hannover
Tel. (0511) 220 35 65
info@wollana.de, www.wollana.de

Öffnungszeiten
Mo bis Fr 10-18 Uhr, Sa 10-16 Uhr

Abgelegt unter Der besondere LadenEinen Kommentar verfassen...

Almut Breuste – Künstlerin

Tags:

Almut Breuste – Künstlerin


Ein ehemaliges E-Werk in Ahlem. In der Turbinenhalle und auf dem Außengelände finden sich Anhäufungen von Eisenteilen, Gummischläuchen, -reifen und -matten, Gitterwagen und Regale, die Massen von Riemen, Tauen, Schuhen, industriellen Gütern bewahren. „Kunst? Das ist doch Schrott!“, wird mancher sagen. Doch wenn man den Ort selbst erobert, Fotos, Texte und Gemälde von schemenhaften Menschen entdeckt – dann erschließt sich einem eine ganz eigene Sinnhaftigkeit des Materials, das geordnet, gestaltet und in Beziehung gesetzt wurde. Dieser Kunstort namens ‚RosebuschVerlassenschaften‘ ist das Arbeitsumfeld von Almut Breuste, 46 Jahre alt. Ihr Atelier befindet sich unter dem Glasdach der Kunstkathedrale, über der gigantischen Installation, die Almut und ihr verstorbener Mann Hans in 21 Jahren gemeinsamer Kreativität zusammengetragen und aufgebaut haben. Eine Begehung und ein Gespräch.

Schrott – ja, was ist Schrott? Das fragt Almut Breuste sich und mich, als wir uns durch das Erdgeschoss bewegen. „Das Wort verbinden wir damit, was wir aussortiert haben, was wir wegschmeißen, was wir entsorgen. Und ja; wenn wir die Dinge hier nicht hergeschleppt hätten und in diesen geschützten Raum gebracht hätten, dann wären sie jetzt weg. Von daher trifft Schrott erst einmal schon zu. Aber ein Eisenteil, was erst nur ein Stück Schrott ist, kann auch eine Geschichte erzählen: Dass es für irgendetwas irgendwann einmal hergestellt worden ist, dann nicht mehr gebraucht worden ist, aber; – jetzt aus meiner Sicht – mit der Zeit auch immer schöner geworden ist. Weil die Zeiten eben auch ihre Spuren hinterlassen haben.“ Gerade auf dem Außengelände wird sichtbar, wie die Gezeiten im Jahresverlauf das Material zeichnen, es bearbeiten, verändern. Das Innere der Verlassenschaften scheint mir vielmehr selbst aus der Zeit gefallen: Materialien, Fotos, Gebrauchsgegenstände sind in diesem beeindruckenden Raum nicht antiquarisch verwaltete Zeitzeugen, stiften vielmehr in unvorhergesehenen Anordnungen neue Assoziationen.

Staunend fragt man sich: Wie ist diese raumgreifende Komposition entstanden?
In der Conti Limmer, wo der leidenschaftliche Sammler Hans Breuste Container um Container füllte, bis er und Almut schließlich die Stilllegung erlebten, konnten sie nicht bleiben. Tonnen an Kunstmaterial fanden ein endgültiges Zuhause, als ihnen 1997 die Turbinenhalle des ehemaligen E-Werks Hannover/Ahlem vom Kulturbüro der Stadt Hannover als neues Arbeitsdomizil angeboten wurde. Insgesamt hat die Stadt 447.000 Euro für die Sanierung der Halle investiert, um die RosebuschVerlassenschaften schließlich der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Dieses Ziel war zugleich eine enorme Chance, aber alleine der Umzug eine extreme Herausforderung angesichts der unüberschaubaren Dimensionen des Materials. Hans Breustes Objekt ‚Litzmannstadt‘ (seit den 80ern im Besitz der Stadt Hannover), bildete den ersten Abschnitt der Verlassenschaften. Mit seinen 3000 Lazarettliegen, den Dateikästen, Fotos und Namen nimmt es Bezug auf das Ghetto in der polnischen Stadt Łódz – und ist somit zugleich Hinweis auf das dunkelste Kapitel der Menschheit und dunkelste Seite der Verlassenschaften. Der Bezug zur Zwangsarbeit und zur industriell organisierten Vernichtung, der durch Objekte wie mit Kleinteilen gefüllte Metallpritschen repräsentiert wird – all das macht mich befangen, bedrückt mich, natürlich. Beim ersten Durchgehen sogar sehr. Aber: Aus dem kollektiven Schmerz ist an diesem Ort Kunst geworden. Er wird – nicht mahnend konserviert sondern künstlerisch verarbeitet – zum Bestandteil der Palette vieler Emotionen, die hier in der Luft liegen.

Künstlerin Breuste antwortet auf die Frage nach ihrem Blickwinkel auf die Verlassenschaften: „Wenn wir jetzt von Kunst ausgehen, was immer die Basis und die Voraussetzung ist, und auch die Thematik, die mitschwingt, etwas beiseite stellen, finde ich in dem Material, was sich hier versammelt, eine Schönheit und Ästhetik. Eine, die natürlich nicht der Schönheit entspricht, die uns vorgegaukelt wird durch die Werbung und so weiter. Doch wenn wir unser Leben durchlaufen, werden wir mit Situationen konfrontiert, die wir bewältigen müssen, und die werden auch Spuren hinterlassen an uns. Meine feste Überzeugung ist, dass wir damit nicht unschöner werden, sondern letztendlich schöner – und so ist das mit dem Material auch. Gerade junge Menschen, aber auch alte sehr gerne, dahin zu führen, dass die Dinge so betrachtet werden können, das finde ich wichtig. Sich dem zuzuwenden, was wir nicht mehr sehen (wollen), dem wieder Aufmerksamkeit zu schenken. Und: Der Mensch hat ja alles produziert, was wir hier sehen, da steckt enorm viel drin; unsere Ideen, unsere Energie, auch sehr viel Liebe. Auf der anderen Seite dann die dunkelste Seite dessen, zu was der Mensch eben auch fähig ist; die Vernichtung ganzer Gruppen von Menschen, die er zu Schrott erklärt hat. Das kommt hier alles zusammen.“

Zwischen all dem: Almuts Bilder. Menschen. Gesichtslos aber dennoch bekannt, verlassen, vertrieben, auf der Flucht? Nicht mehr. Hier haben sie ihren Ort gefunden. Und stehen als Beweis der menschlichen Kreativität als Fingerzeig auf das, was hier auch zu erfahren ist: Erfindergeist, Schaffenskraft, Metamorphose, Hoffnung. Die Künstlerin macht auf ein weiteres Gefühl aufmerksam: „Die Dinge sind sehr verlässlich, die sind einfach da. Ich habe mal einen Text gelesen, da kam das Wortspiel vor: Verlassen werden und sich verlassen können. Da merkte ich plötzlich: Nein, es ist nicht interessant, verlassen zu werden – da muss man mit zurecht kommen – sondern es ist interessant, sich verlassen zu können. Kann ich mich auf mich verlassen, wo kann ich mich auf andere verlassen – das ist das Spannende. Und all das lebt auch in dem Namen ‚Verlassenschaften‘.“

Es gab verlässliche Weggefährten, und zum Glück bekam und bekommt sie Hilfe, wenn ganz konkret Aufgaben anstehen, die kein Mensch alleine bewerkstelligen könnte. Durch ihre zwei erwachsenen Kindern, viele befreundete Helferhände, und durch Langzeitarbeitslose, die ihr die VHS-Hannover Land seit Jahren vermittelt. Almut erzählt beispielhaft vom Frühjahr, als sie einen Container Gummi von 9,38 Tonnen weggegeben hat – zu solchen Einsätzen kommen die Helfer zu sechst oder zu zehnt, berichtet sie: „Das ist enorm, was man dann schafft. Teilweise kommen sie über die Jahre immer wieder – und freuen sich genauso wie ich, weil wir immer eine gute Zeit zusammen haben und gemeinsam richtig was schaffen, was bewegen. Auch die schönen Räume, wo jetzt die Schülergruppen arbeiten können – das wäre alles ohne die Helfer komplett undenkbar gewesen.“

Die Halle an sich ist jetzt auf einem guten Stand, darum hat Almut Breuste das Anliegen, sich nun endlich wieder mehr der Malerei zu widmen. Um Kunst zu schaffen, die rein gar nichts mit all dem hier zu tun hat? „Auch die Bilder, die jetzt in den Verlassenschaften stehen, sind nicht für diesen Ort konzipiert worden. Dass sie thematisch so gut hier rein passen – das ist kein Zufall, das ist ganz klar; einfach, weil unsere Arbeit immer eng verknüpft gewesen ist. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen finde ich es sehr schön, dass sie sich hier so einfügen, als ob sie für hier entstanden sind. Ohnehin ist das oftmals der Trugschluss, dass der Besucher denkt, wir hätten uns das so ausgedacht im Vorhinein. Aber da gab es nie einen Plan im Voraus, deswegen darf und wird das Material auch immer mal wieder einen neuen Standort bekommen. Und es werden auch immer wieder Dinge verschwinden, die eben nicht ihren Platz gefunden haben.“

Zukünftig möchte sie die Verlassenschaften noch stärker für Schüler öffnen, und zwar auch die 14 vollen Überseecontainer, deren Inhalt noch der Wiederentdeckung harrt. „Dann können die Jugendlichen die Gegenstände herausnehmen, zueinander stellen und -legen, und dann schauen; was entsteht daraus für eine Geschichte. Vom Theoretischen weg kommen, hin zur Umsetzung, zum Künstlerischen. Überhaupt, mit Materialien Umgang haben – das ist aus unserem Alltag ja schon fast verschwunden, aus der Arbeitswelt auch. Da mal zu erfahren, wie ist das, wenn ich was in die Hand nehme, ein Stück Eisen, wie viel wiegt das, wie fühlt sich das an, wie riecht das, und dann den Bezug zur Industriearbeit zu bekommen – auf solche Aktionen freue ich mich. Ich bin auf der Suche nach Lehrern, die Lust haben, die Schule zu verlassen, die Freude daran haben, praktisch zu arbeiten, die Anregungen aus dem Umgang mit dem Material zu nutzen. Die auch offen sind dafür, mit ihren Schülern gemeinsam neue Erfahrungen zu machen – und auch über ihre Schüler Neues zu erfahren. Da öffnen sich ganz neue Zugänge, wenn es sowieso keine Schubladen gibt, in die man die Erfahrungen hier einsortieren kann.“

Interview und Fotos: Anke Wittkopp

Rosenbuschweg 9, 30453 Hannover
(nach der Bahnunterführung
links abbiegen in den städtischen Werkhof)  
Tel. (0511) 79 46 78
info@rosebuschverlassenschaften.de
www.rosebuschverlassenschaften.de
Öffnung: jeden 1. Freitag und Samstag im Monat, 15-19 Uhr, Winterpause: Dezember, Januar und Februar

Abgelegt unter Im GesprächEinen Kommentar verfassen...

Stadtkind twittert