Neulich habe ich etwas über „Konfliktlösungen im Mehrkatzenhaushalt“ gelernt. Der gleichnamige Online-Kurs für mehr Harmonie unter Katzen wurde mir auf Facebook in einem Video von der ganzheitlichen Katzentherapeutin Constance Böhle angeboten. Wundern muss das keinen, auch mich nicht. Das Internet wird schon wissen, warum es mir in immer kürzeren Abständen kleine Botschaften sendet, die ich nicht immer zu deuten weiß. Schließlich habe ich dem Netz schon vor Jahren gestattet, bis in die kleinsten Verästelungen und das dunkelste Gestrüpp meiner Seele vorzudringen, also in Bereiche, die selbst mir fremd und verborgen sind.
Auffallend ist jedenfalls, dass sich seit geraumer Zeit drei Themen besonders stark in mein Single-Leben mischen, wenn ich mal wieder auf der Überholspur des Datenhighways unterwegs bin. – Nein, nicht das, was ihr jetzt denkt. Sondern erstens Tiere. Zweitens Tiere, manchmal Katzen. Und drittens Bulldoggen, vor allem französische, aber zunehmend auch englische.
Sie haben sich bei mir eingeschlichen, virtuell gesehen. Ich weiß nicht mehr wie, der Übergang war fließend. Seit ich einmal das Wort „französische Bulldogge“ gegoogelt habe, poppen ständig Fenster auf. Eigentlich wollte ich nur wissen, wie die Viecher aussehen, weil die Nachbarn meiner Eltern nun so einen Hund haben. Und jetzt werde ich regelmäßig mit neuen Meldungen der Seite „The French Bulldog“ beliefert, obwohl ich die gar nicht geliked habe: „I’m not a pig, I’m not a pug, I’m a Frenchie and the greatest dog you’ ve ever met!“ Gratis dazu gibt’s lustige Bilder und Videos mit den mopsigen Gesellen. Die meinen es gut mit mir, die von Facebook, es vergeht kein Tag mehr ohne eine knuddelige Impression oder skurrile Anekdote aus dem Reich der französischen Bulldoggen und einen tiefen Blick in schielende Hundeaugen. Haben die Internetspäher mein geheimstes Verlangen entschlüsselt: französische Bulldoggen? Schaue ich mir die glubschäugigen Kröten – statistisch betrachtet – zu intensiv an, bleibe ich zu lange an ihnen hängen? Ich stehe gar nicht so auf die, dachte ich immer. Bulldoggen, egal ob sie aus Frankreich oder England kommen, sind ausgesprochen hässliche Kerlchen. Eine französische Bulldogge sieht aus wie eine Fledermaus auf Koks und eine ausgewachsene englische nicht besser als ein umgekippter Brennholzstapel. Und wenn eine Babybulldogge beim Schlafen auf dem Bauch ihre kurzen Glieder ausstreckt, schaut sie aus wie eine gestrandete Robbe oder eine besonders dicke Mettwurst.
Täglich erfahre ich Neues von den lustigen Vierbeinern. Bulldoggen können sich im Sitzen nicht mit der linken Pfote an der Schnauze kratzen. Sie können überall schlafen, egal in welcher Position. Sie müssen auch mal zum Arzt. Können mit Äpfeln auf dem Kopf balancieren. Gehen zur Maniküre. Fragen sich täglich aufs Neue, wer der Feind ist, den sie da im Spiegel erblicken. Können fabelhaft Skateboard fahren. Stehen auf Wasserspiele im Pool. Verlangen mit der Pfote nach mehr Zuwendung, wenn sie jemand zärtlich am Unterbauch krault und werden ganz dösig, wenn man sie ausgiebig vom Kopf bis zu den Pfoten massiert. Jaulen für ihr Leben gern zu Songs von Rihanna. Lecken mit Vorliebe kleine Babys ab und können Reizwäsche genauso gut tragen wie einen stylishen Adidog-Sportswear-Anzug für den Hund von Welt. Sie knabbern gern an frischen Erdbeeren mit Sahne. Drehen sich wie die Sonne um sich selbst, nur schneller. Legen sich in den Kühlschrank, wenn es mal wieder zu heiß ist. Haben viel zu kurze Beine. Schauen total dämlich aus der Wäsche, vor allem wenn sie jemand unverhofft erschreckt. Und sind dumm wie Brot, sprich total menschlich, also sausympathisch.
Mit anderen Worten: Die Bulldoggen haben mich bei den Eiern gepackt. Sie sorgen vermutlich direkt für eine tägliche Serotonin-Ausschüttung bei mir, einen mit Glückshormonen überschwemmten Körper, und damit im übertragenen Sinn für ein paar Streicheleinheiten in einem Single-Haushalt ohne viel Kuschelkomfort. Wenn dieser einfache Trick sogar bei einer werberesistenten Person wie mir funktioniert, sollten Politiker und Image-Strategen schnell mal darüber nachdenken, ob es nicht klug ist, das Thema Tier ganz oben auf die Agenda zu setzen. Tiere, es müssen ja nicht immer französische Bulldoggen sein, haben virtuell gesehen eine enorme Sprengkraft. Statt umstrittene Gesetze zu beschließen, mit denen die Hasskriminalität im Netz eingedämmt werden soll, könnte Justizminister Heiko Maas ja auch mal einen radikalen Kuschelkurs fahren. Statt negativ zu sanktionieren, könnte der Bundestag beschließen, das Darknet mit Tiervideos zu überfluten. Zum Beispiel. Denn auch die härtesten Panzerknacker und Triebtäter haben schließlich ein Herz für Babypandas und werden ganz weich, wenn ein kleines Kätzchen sie mit großen Kulleraugen anschaut.
Für den Werbemarkt gilt eh die Devise: Lang lebe der Werbeaffe! Tiere – dieser ganze Bereich birgt ein riesiges Potenzial mit Megamargen und steigert so ganz nebenbei die gute Laune. Viele Modelle sind denkbar, vom Marketing bis zum Sponsoring. Auch der Autoindustrie könnte mit flauschigen Vierbeinern auf die Sprünge geholfen werden: Beim Kauf eines selbstfahrenden VWs sitzt ein Welpe am Steuer. Den gibt’s gratis obendrauf, um die Automatisierung menschlicher zu machen, logisch! Wegen der deeskalierenden und antiaggressiven Wirkung könnten Tiere im Alltag generell eine positive Wirkung erzeugen. Im Straßenverkehr, bei der Parkplatzsuche, keine Ahnung, überall, wo die Stimmung aufgeheizt ist. Wer weiß, wie der G-20-Gipfel in Hamburg verlaufen wäre, wären mehr Tiere im Einsatz gewesen. Auch in zankige Diskussionen, zum Beispiel bei Maybrit Illner, könnte mehr Liebe einkehren, wenn zwischendurch das Gesicht einer französischen Bulldogge eingeblendet wird. For Example.
Die Genforschung könnte sich auf das Thema stürzen und Tiere erfinden, die es noch gar nicht gibt. Eine faustgroße, in allen Farben schimmernde, anspruchslose Amöbe für den Ein-Personen-Haushalt, die nichts frisst und keine Widerworte gibt. Was Spritziges für Familien mit Kindern. Ein sprechender Hamster namens Paul, der sich selbst recycelt oder so. Alles ist möglich, um es mal mit den Brüllaffen von Toyota auf den Punkt zu bringen. Und klar ist vor allem eins: Dass der Siegeszug der Tiere, der mit der Domestizierung des Wolfes begann, noch lange nicht vorbei ist.
Tiere. Ich kann mir diese possierlichen Lebewesen auch als aktive Teilhaber in unserer Arbeitswelt, in Kunst und Kultur vorstellen. „Hallo Hasso“, den Radiosender für Hunde, gibt es schon. Aber der wird noch von Menschen gemacht. Wer weiß, vielleicht erscheint in naher Zukunft der erste vollständig mit dem iPhone gedrehte Film von Tieren auf dem Markt, der von Trans-Menschen auf dem Straßenstrich in Los Angeles erzählt. – Tiere, die Menschen beobachten. Kein Problem, mit einer Kamera an ihrem Kopf. Was sie dabei denken, wenn sie uns anstarren, wissen wir leider (noch) nicht. Aber mit der Webcam lassen sich ganz neue Perspektiven auf das menschliche Dasein wenigstens filmisch festhalten. Beim Sex zum Beispiel. Das trägt sicher zur Verständigung unter den Arten bei. – Planet der Affen? Ja, aber ganz real und friedlich! Übrigens ist mir neulich auf der Straße eine echte französische Bulldogge entgegengekommen. Unspektakulär, aber bei Facebook mein heimlicher Star.
Simone Niemann