Tag Archive | "2017-02"

Ein letztes Wort im Februar …

Tags:

Ein letztes Wort im Februar …


weilHerr Weil, wir müssen über den 19. Dezember sprechen. Der Anschlag in Berlin war ein Schock.
Ja, natürlich. Das war ein Schock. Es war der erste Anschlag dieser Art in Deutschland. Aber letztlich ist in Berlin genau das passiert, was Experten schon seit langer Zeit vorhergesagt hatten. Der Terrorismus hat bereits in ganz Europa seine Spuren hinterlassen, jetzt ist er auch in Deutschland angekommen. Und trotz aller Warnungen hat uns der Anschlag tief erschüttert.

Wie bewerten Sie denn die politischen Reaktionen?
Seit dem 19. Dezember 2016 erleben wir eine sich selbst überschlagende Sicherheitsdiskussion, bis heute. Man kann keine absolute Sicherheit garantieren und das wissen auch die Bürgerinnen und Bürger. Viele Menschen reagieren inzwischen ablehnend darauf, wenn zusätzliche Sicherheit simuliert, aber nicht wirklich geschaffen wird. Der Anschlag in Berlin hätte vermutlich verhindert werden können, wenn alle Informationen, die die Behörden hatten, angemessen bewertet und die richtigen Schlussfolgerungen gezogen worden wären. Die Sicherheitsbehörden müssen sehr viele Sachverhalte ähnlicher Art beurteilen, dabei geschehen naturgemäß Fehler. Wir müssen sehr kritisch prüfen, ob schärfere Gesetze einen solchen Anschlag hätten verhindern können. Die aufgeregte Diskussion hat für mich fast skurrile Züge. Und ich fürchte, das ist ein Konjunkturprogramm für die AfD.

Nach meinen Eindrücken vom letzten CDU-Parteitag würde ich fast sagen, es ist auch ein Konjunkturprogramm für die Union. Die rückt momentan deutlich nach rechts. Würden Sie das auch so sehen?
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wohin die CDU momentan rückt. Augenblicklich überschlagen sich alle mit neuen Forderungen nach Gesetzesverschärfungen, gelegentlich ohne Sinn und Verstand. Aber man ist sich darüber innerhalb der Partei nicht einig. Es tobt ein heftiger Richtungskampf in der Union. Die freundlichen Wintergrüße, die beispielsweise Herr de Maizière der CSU auf die Klausurtagung geschickt hat, mit der Forderung nach einer Zentralisierung der sogenannten Sicherheitsarchitektur in Deutschland, waren kein besonders freundlicher Akt gegenüber der Schwesterpartei. Menschen, die ohnehin schon verunsichert sind, fühlen sich durch eine solche politische Diskussion in ihrer Unsicherheit leider bestätigt.

Die Diskussionen machen es also nicht besser.
Nein, im Gegenteil. So schafft man kein Vertrauen. Und gerade beim Thema Sicherheitspolitik wissen die Menschen ziemlich genau zu unterscheiden zwischen einer symbolischen Politik und einer Politik, die tatsächlich etwas bringt. In Niedersachsen arbeiten wir beispielsweise stetig daran, die Zahl der Polizeibeamten zu erhöhen. Wir haben bereits einen historischen Höchststand, den wir in den nächsten Jahren weiter ausbauen werden. Das ist reale Politik, Menschen zum Anfassen, die durch ihre Anwesenheit auf der Straße für Sicherheit sorgen. Die Präsenz von mehr Polizei kann das Sicherheitsgefühl der Menschen erhöhen, das wissen wir aus vielen Umfragen.

Noch mal kurz zur CDU und zum Parteitag. Es gab dort ja auch den Beschluss zum Doppelpass, mit dem Angela Merkel nicht einverstanden war. Wobei sie selbst mit dem Burka-Verbot für Stimmung gesorgt hat. Wenn Sie so einen Parteitag verfolgen, und bei solchen Aussagen und Beschlüssen wird gejubelt, was geht Ihnen dann durch den Kopf? Haben Sie dabei ein gutes Gefühl, dass das momentan der Koalitionspartner der SPD ist?
Nein, natürlich hatte ich dabei kein gutes Gefühl. Es handelte sich schlicht um den Versuch der Parteiführung, sich wieder der Parteibasis anzunähern. Die CDU ist intern gespalten: Die vergleichsweise weltoffene Politik der Kanzlerin stößt an der eigenen Basis auf heftigen Widerstand. Hinzu kommt noch der offene Streit zwischen CDU und CSU. Der Hausfrieden ist heftig gestört. Aber wenn man nun auf diese Art und Weise mit untauglichen Mitteln versucht, zu kitten, sorgt man unterm Strich nur dafür, dass die Verunsicherung in der Gesellschaft noch größer wird. Und das nutzt am Ende nicht der CDU, das nutzt am Ende allenfalls der AfD.

Lassen sich die etablierten Parteien, auch die SPD, zu sehr treiben von „Volkes Stimme“ – denn es ist ja eigentlich eine Minderheit, die rechte Stimmung macht?
Ja, das ist nur eine Minderheit. Aber Sorgen um unsere Sicherheit sind schon verbreitet in der Bevölkerung. Man darf von einem Staat erwarten, dass er alles tut, damit wir uns so sicher wie möglich fühlen können.

Und jeder neue Anschlag ist dann wieder Wasser auf die Mühlen der Rechten, denn wenn man vorher Sicherheit verspricht, sie dann aber offensichtlich doch nicht garantieren kann, verlieren die Bürger immer mehr das Vertrauen.
Ja. Man muss wirklich achtsam diskutieren und genau überlegen, was tatsächlich Sinn macht. Da hilft übrigens ein Blick nach Frankreich. Sicherheitspolitisch haben sie dort viele Möglichkeiten, einschließlich eines nun Monate andauernden Ausnahmezustands. Aber kein Mensch würde behaupten, dass die Sicherheitslage deswegen in Frankreich besser wäre als in Deutschland.

Kommen wir noch mal zu den Wahlen in 2017. Jetzt im Januar, leider nach Redaktionsschluss, wird der Kandidat gekürt.
Ja, wenn Sie den Kanzlerkandidaten der SPD meinen, dann steht das Ende Januar an.

Und Sie werden es nicht.
Nein. Eine Exklusivnachricht für das Stadtkind.

Schade eigentlich. Ich würde ja gerne nach Berlin kommen einmal im Monat.
Ja, aber wir werden uns ganz sicher weiter in Hannover treffen.

Und wann kommt die SPD mit dem Profil um die Ecke?
Ich hoffe, sehr schnell, wenn der Kandidat feststeht. Und das halte ich auch für dringend notwendig, darüber hatten wir uns ja bei unserem letzten Gespräch unterhalten.

Wenn eine Volkspartei merklich nach rechts rückt und die Gesellschaft möglicherweise ebenfalls, muss dann nicht die andere Volkspartei in die Gegenrichtung steuern. Und jetzt zum Beispiel mal auf die Grünen und die Linken zugehen und sagen, komm, wir müssen mal an einen Tisch, die Zeiten sind zu ernst für Spielchen.
Ich würde da eine andere Schlussfolgerung ziehen. Wenn die Union jetzt nach rechts rückt, dann macht sie damit auch Platz in der Mitte. Dort finden sich nach wie vor Menschen, die großen Wert darauf legen, dass Politik rational und vernünftig bleibt. Wir brauchen nicht postfaktische, sondern Realpolitik. Das ist die Chance für die SPD. Und ich würde empfehlen, diese Chance zu nutzen.

Interview: Lars Kompa

Abgelegt unter MP-InterviewEinen Kommentar verfassen...

Beckers Restaurant

Tags:

Beckers Restaurant


beckers01

Drei Jahre lang kochte Christian Becker als Sous-Chef in der „Insel“ am Maschsee. Vor einem Jahr eröffnete er sein eigenes Restaurant in der Bödekerstraße: das Beckers. In den aufpolierten Räumlichkeiten des ehemaligen Ecklokals Reizz kredenzt Becker moderne deutsche Küche – immer wieder neu mit saisonalen Tagesangeboten.

Die ungemütlichen Temperaturen draußen sind sofort vergessen, als wir das Beckers betreten. Ein lächelnder Empfang, sanfte Swing-Musik, Kerzenschein – wir fühlen uns gleich wohl. Die Einrichtung des Gastraums verbindet lockere Bodenständigkeit mit stilvoller Eleganz. Ähnlich die Speise- und Getränkekarte: Neben Steinbutt und geschmorter Ochsenbacke finden wir hier zum Beispiel auch Wiener Schnitzel. Und ein Bier vom Fass ist ebenso zu kriegen wie eine Champagnerflasche für 108 Euro. Weil letztere unser Budget sprengt, nehmen wir gerne den Vorschlag des Kellners an, uns als Aperitif einen „Joana“ (5,90 Euro) zu servieren. Der erste Durst ist mit dieser alkoholfreien Caipirinha-Variante lecker gestillt und unser Appetit angeregt durch das fluffige Ciabatta, das als Gruß aus der Küche kommt. Am Nachbartisch schwärmt ein Paar von seinem Dessert, dem „Bratapfel im Glas“. Klingt verlockend.

beckers02Aber erst einmal stehen unsere Vorspeisen an: Blattsalate – zum einen klassisch mit Tomaten und Croûtons (8 Euro), zum anderen mit karamellisiertem Ziegenkäse, Trauben und Walnuss (12 Euro). Beide sind ansprechend angerichtet, frisch und schmackhaft, doch die edle Variante mit Ziegenkäse überzeugt uns besonders: Die Süße von Trauben und karamellisiertem Käse harmoniert wunderbar mit der Herbe von Nüssen und Salat. Nach diesem gelungenen Start sind wir gespannt auf unsere Hauptspeisen. Für die Wahl der dazu passenden Getränke werfen wir noch einen Blick in die Karte. Eine Rhabarberschorle zum vegetarischen Hauptgang ist schnell gefunden. Doch zum Fleisch soll es ein Rotwein sein. Der Barkeeper berät uns am Tisch – professionell, mit wortreicher Begeisterung und flüssigen Kostproben. Das Ergebnis: Ein hervorragender Cabernet Sauvignon (5,30 Euro / 0,1 Liter) begleitet unser Filetsteak vom Irischen Hereford Weideochsen (25 Euro). Dieses Steak aus dem Holzkohlegrill, das auf einer gesonderten (leider nicht am Tisch präsentierten) Barbecue-Karte steht, war eine Empfehlung des Hauses. Wie sich herausstellt, eine gute! Feinfasrig, zart und in perfektem „medium“ kommt das Filet daher. Der Koch beherrscht sein Handwerk. Dass er auch ein kreativer Gourmet ist, schmecken wir beim vegetarischen Hauptgang: Die hausgemachten Steinpilzravioli (15 Euro), umgeben von Waldpilzen à la crème und jungem Lauch, sind ein echter Gaumenschmaus. Da ist es gänzlich unwichtig, dass sie eher wie überdimensionierte Tortellini aussehen. Eben künstlerische Freiheit des Kochs.

beckers03Gut gesättigt sind wir nun, freuen uns aber dennoch über den ersehnten Bratapfel im Glas (8 Euro), eine tolle Kombination aus warmem Apfel, Vanilleschaum und Apfelsorbet, sowie über den Schokobrownie, der, angerichtet mit Eierlikör, Vanillesahne und Mandeleis, seine 8 Euro wert ist. Wir sind begeistert: Das Beckers geht den perfekten Mittelweg zwischen guter, gehobener Küche und köstlicher Bodenständigkeit. Hier ist jeder mit nicht allzu flachem Geldbeutel richtig – ob Kenner feiner Cuisine oder einfach Liebhaber eines saftigen Steaks.

Janina Martens

 

Beckers Restaurant
Bödekerstraße 43
30161 Hannover
Tel: (0511) 336 40 06
www.beckers-hannover.de

Öffnungszeiten:
Mo-Fr 12-23 Uhr, Sa 18-23 Uhr

Abgelegt unter Stadtkinder essenEinen Kommentar verfassen...

Kwiggle, das kompakteste Klapprad der Welt

Tags:

Kwiggle, das kompakteste Klapprad der Welt


mutig-Kwiggle03Karsten Bettin hat mit Kwiggle ein Faltrad mit nur 60 Prozent des Faltmaßes und Gewichts anderer kompakter Falträder entwickelt. Kein anderes Klapprad auf dem Markt ist so kompakt: Als einziges Faltrad weltweit passt Kwiggle mit seinen Abmessungen problemlos ins Handgepäck beziehungsweise in jeden Kofferraum, unter den Stuhl und so weiter. Weitere Besonderheit: Der Fahrer fährt aufrecht. Kwiggle wird mit Sattelunterstützung im Stehen gefahren und damit in einer sehr angenehmen rückenschonenden Haltung.  

Das Faltrad wiegt nur ca. 8,5 kg, ist in 10 Sekunden zusammengefaltet bzw. auseinandergeklappt und lässt sich mit seinen Maßen von 55x40x25 cm sogar in einem Tragerucksack verstauen. Dank der einstellbaren Sitzeinrichtung kann jeder unabhängig von seiner Körpergröße auf demselben Kwiggle fahren – es faltet sich immer auf das gleiche Faltmaß zusammen. Damit ist es der ideale Begleiter auf Reisen und für Berufspendler, die außerhalb der Innenstadt parken möchten oder müssen. Ganz entspannte 20-25 km/h kann man mit dem Klapprad fahren. Die aufrechte Haltung dabei fördert die Beweglichkeit des Rückens und vermeidet Schulter- und Nackenverspannungen; Fahrradfahren wird zu einer angenehmen Mischung aus Biken und Walken.

mutig-Kwiggle02Die Idee zu dem innovativen Konstrukt kam dem Maschinenbauingenieur Karsten Bettin recht zufällig: „Ich habe Tour de France geguckt und gesehen, wie die Fahrer am Berg im Stehen gefahren sind. Das hat mich inspiriert. Ich dachte: das muss doch einfacher gehen. Das war 2009. Die ersten Jahre habe ich noch nebenberuflich an dem Faltrad gearbeitet. Das Konzept ist ja schnell gefunden. Die technische Lösung brauchte allerdings einiges an Zeit. Viele nationale und internationale Patente sind daraus entstanden, beispielsweise für die beiden Hinterradgetriebe, die Faltgeometrie, das Klappgelenk und den Fahrradsitz“, so Bettin. Über die Beratung von hannoverimpuls weiß er zu berichten: „Die Zusammenarbeit mit hannoverimpuls war an vielen Stellen hilfreich. So entstand Ende 2012 der erste Kontakt im Rahmen des Gründungs- und Ideenwettbewerbs Startup-Impuls. Auch die Idee, den Marktstart des Kwiggle über Crowdfunding zu finanzieren, war attraktiv. Beim Umsetzen der Kampagne auf der Plattform Kickstarter konnte ich von dem Know-how von hannoverimpuls profitieren.“ Seit April 2015 konzentrierte er sich nur noch auf Kwiggle: „Die Herausforderung war, das Rad leicht und kompakt, aber gleichzeitig auch stabil und gut handhabbar zu machen. Da ging es um jeden Millimeter und jedes Gramm. Und das musste dann in industrielle Fertigungsmaßstäbe übersetzt werden.“ Der Gründer räumt ein, dass das meiste länger dauerte und mehr Geld kostete, als erwartet, man brauche viel Luft und Ausdauer. Aber für eine gute Idee lohne sich der Einsatz. Und tatsächlich: Jetzt kann die serientaugliche Produktion in Kürze starten – noch diesen Sommer soll der Verkauf beginnen.

Marcus Rohde, Gründungsberater bei hannoverimpuls sieht in dem Steh-Klapprad ein vielversprechendes Fortbewegungsmittel, gerade für Städte: „Mobilität im urbanen Raum ist ein Thema, das heute und in Zukunft eine entscheidende Rolle spielt. Großstädte wachsen zu Supermetropolen heran, Straßen und öffentliche Verkehrsmittel werden voller: Kwiggle ist daher ein spannendes Produkt, das auch international großes Potenzial hat.“

 

Kwiggle Bike GmbH
Altenbekener Damm 61
30173 Hannover
info@kwiggle-bike.de
www.kwiggle-bike.de

Abgelegt unter Stadtkinder sind mutigEinen Kommentar verfassen...

Der Tanz der alten Schule ist ein auslaufendes Modell

Tags:

Der Tanz der alten Schule ist ein auslaufendes Modell


Aus der Rubrik „Die Erleuchtung – Über menschliche (Irr)Fahrten ins (Un)Glück“:

Neulich habe ich mich gefragt, warum auf Partys immer Frauen mit dem Tanzen anfangen. Und zwar meist so eine üppig Bestückte in einem eng anliegenden Kleid, die keiner kennt und die der Freund des Freundes einer Freundin mitgebracht hat. Die Dralle präsentiert also wagemutig ein paar expressive Moves auf dem Dancefloor. Und dazu gesellen sich so nach und nach weitere Uschis. Die Männer beobachten das Geschehen derweil erst mal aus sicherer Entfernung und mit kritischer Distanz wie Jäger auf der Pirsch und wagen sich erst dann auf die Tanzfläche, wenn die so voll ist wie eine Haubitze und es eh keiner mehr mitkriegt, was sich auf dem Parkett abspielt.

Nehmen Männer das Thema Tanzen nicht ernst? Haben sie Angst, dass der Satz gilt „Zeige mir, wie du tanzt, und ich sage dir, wer du bist“? Oder bewegen sie sich generell nicht gern zur Musik, weil es ihnen peinlich ist, offensichtlicher zu balzen als nötig und plötzlich sexy mit dem eigenen Body zu sprechen? So nach dem Motto: Deutsche Männer zupfen sich ja auch nicht die Augenbrauen, die sind schließlich nicht so schwul wie Ronaldo! Überhaupt kümmern die sich nicht so um den eigenen Körper und sein Wohl und gehen erst zum Arzt, wenn der Tod schon an die Tür klopft. Ergo: Tanzen als Wellnessfaktor fällt bei denen flach.

Um mehr über das offenbar seltene Phänomen des tanzenden Mannes in Erfahrung zu bringen, habe ich bei Youtube eifrig nach Videobelegen gesucht und bin nun einigermaßen schockiert: Der tanzende Mann, der einfach so aus Jux und Tollerei abhottet, ist im Netz kaum anzutreffen und stirbt womöglich aus. Gibt man Begriffe wie „Mann“ und „Tanz“ in die Online-Search-Maske ein, finden sich Clips zu Themen wie Fußball und Kanufahren. Hingegen habe ich nur einen Opi entdeckt, der eine flotte Sohle aufs Parkett legt und noch weiß, wie es geht (youtube.com/watch?v=c33zgTbJ0kE). Zu meinem großen Bedauern musste ich außerdem feststellen, dass ein Mann im besten Alter wie Barack Obama, der in einer Talkshow sexy zu Beyoncés „Crazy In Love“ die Hüften schwingt und so für ein großes Gejohle der Frauen sorgt, ebenfalls zu einer marginalen Randgruppe zählt (youtube.com/watch?v=RsWpvkLCvu4). Und sogar Bewegungslegastheniker und Typen der sympathischen Marke tapsiger Tanzbär, also mutige Menschen, die nicht tanzen können, es aber trotzdem in aller Öffentlichkeit tun und verdammt viel Spaß dabei haben, tummeln sich kaum noch in freier Wildbahn und auf weiter Partyflur.

Auffällig ist hingegen, wie bescheuert viele Leute heute tanzen, da habe ich einige Belege gefunden. Zum Beispiel zig Amateurvideos von Festivals, die zeigen, dass die Generation Y anno 2017 lieber mit dem Smartphone rumfuchtelt als Beine und Hüften zu bewegen. Sehr beliebt ist auch der Schöne-geile-Leute-Move mit möglichst wenig Expression, damit die Schminke nicht verrutscht, und der geht so: In einer megagroßen Pläsierkaserne steht ein DJ der Marke David Guetta auf der Kanzel und hebt seinen Arm zum Gruße der Propheten wie einst Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Sportpalast, und Tausende tun es ihm gleich, irrsinnig bewegt und angetan von der totalitären Kulisse. Noch anzutreffen sind außerdem die abgefuckten Tanzstile der Raver, die als Nachfahren von Milli Vanilli und der ersten Generation Techno durchs Netz trampeln: Tanzen bis zum Umfallen und die Pillen nicht mehr wirken ist nach wie vor deren Maxime. Und so dancen sie sich als Tekkno-Viking etc. zu Trance und Hardjump die Seele aus dem Leib (youtube.com/watch?v=YAYkbxQp0m8).

Meine These: Der Körper ist im Jahr 2017 nicht so befreit wie der anno 1968. So ein lässig aus dem Ärmel geschütteltes Soul-Ding à la
Obama gibt es kaum noch. Entweder zappeln und wedeln alle doof mit ihren Mobiltelefonen rum oder der Tanz artet in Hochleistungssport aus. Der frei improvisierte Schwof, so wie ich ihn kenne, also der „Hottentottentanz“, wie ihn meine Mutti als eingefleischte Standardtänzerin nennt, scheint jedenfalls – so wie das Auto für Selbstfahrer – ein auslaufendes Modell zu sein.
Spirituelle Erbauungstänze, Volkstänze wie der Gummistiefeltanz, Gesellschaftstänze und Kunsttänze führen ja eh schon lange ein Nischendasein. Die Tänze der 60er- bis 90er-Jahre, mit denen ich groß geworden bin, gehören nun auch bald der Vergangenheit an und können dann vermutlich nur noch als historische Relikte auf Netflix und im Internetmuseum begutachtet werden. Früher. Die letzten Omis werden sich noch gut erinnern. An den üppigen Ausdrucks- und Fruchtbarkeitstanz der ersten Hippiefrauen. Und dann Disco: Wie der junge Gott John Travolta eine Allegorie der Sonne auf dem Dancefloor kreiert hat. Progrock: Als die beste Tänzerin der sechsten Klasse sich so sexy in der Aula zu „Owner Of A Lonely Heart“ bewegt hat, dass ein paar Mitschüler ohnmächtig geworden sind. Ghetto-Rap: Meine ersten Breakdance-Versuche vor dem Spiegel. Tja. Die ganz großen Momente, in denen es hieß: Ausrasten! Salvation! Legendäre Momente aus Filmen wie „Flashdance“. Und Erinnerungen an diese eine Frau in „La Boum 2“, die in der Konzertszene mit Cook Da Books zu „Silverman“ ausflippt (ab Minute 23 zu sehen auf youtube.com/watch?v=YrBM0cNKlvw).

Und nun? Ist der Ausblick wirklich so düster? Oder hat DJ Fetisch recht, der sagt, dass auf der Tanzfläche wieder „mehr der Arsch im Einsatz“ ist? Ganz gleich, in welche Richtung wir uns auch bewegen mögen, mein Fazit fällt negativ aus. Männer meines Alters müssen jedenfalls meist auf die Tanzfläche gestoßen werden, da hat sich seit Ekel Alfred nicht viel getan. Es läuft also wie bei den Tetzlaffs. Wenn Else Alfred zum Tanzen auffordert, geht der Dialog so: „Komm.“ „Wohin?“ „Tanzen!“

 Simone Niemann

Abgelegt unter Kolumne des MonatsEinen Kommentar verfassen...

LoLa – der Loseladen

Tags:

LoLa – der Loseladen


besLaden01

Wer in Supermärkten und Drogerien einkauft, kauft automatisch auch immer jede Menge Müll mit: Die Gurken sind in Plastik eingeschweißt, Butter und Schokolade mit Aluminiumfolie umwickelt, viele Müslis gleich doppelt verpackt. Jährlich verbraucht so jeder Mensch in Deutschland etwa 32 Kilo Verpackungen. Um das zu ändern, eröffnete Michael Albert (56) im März 2016 in der Südstadt „LoLa, den Loseladen“. Hier bietet er Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs unverpackt und in Bioqualität an.  

Die durchsichtigen Selbstbedienungsspender auf den Holzregalen des Loseladens erinnern ein wenig an große Bonbonbehälter in Süßwarengeschäften. Doch hier am Stephansplatz 13 sind keine m&m oder Haribos in den Spendern, sondern Reis, Nudeln, Kaffeebohnen, sogar Waschmittel und Deo. „Im Prinzip alles, was man zum Leben braucht. Unverpackt und größtenteils Bio“, sagt Ladeninhaber Michael Albert. In seinem Geschäft kann man seit fast einem Jahr ökologisch nachhaltig einkaufen – ohne Verpackungsmüll zu produzieren. Man bringt seine eigenen Gefäße mit und füllt sich ab, was man braucht. Auch regionales Obst und Gemüse gibt es im LoLa ohne unnötige Plastikfolien und sogar Butter, Joghurt und Quark können „lose“ abgefüllt werden. Abgerechnet wird alles nach Gewicht.

Dieses Ladenkonzept ist nicht neu. In Frankreich und England gibt es bereits seit Langem verpackungsfreie Einkaufsmöglichkeiten. Der erste „Unverpackt“-Laden Deutschlands eröffnete 2014 in Kiel. Tischlermeister Michael Albert aus Hannover war begeistert von der Idee: „Schon seit meiner Jugend will ich aktiv etwas in unserer Gesellschaft bewegen. Ich hatte das Gefühl, das als Tischler nicht ausreichend zu tun.“ Also tauschte er sich mit der Inhaberin des Unverpackt-Ladens in Kiel aus und besuchte bei ihr einen Gründer-Workshop. Der 56-Jährige ist Quereinsteiger und „reiner Überzeugungstäter“, wie er selbst sagt. Für seinen Loseladen entwickelte er sogar ein neuartiges Spendersystem, denn die sonst gebräuchlichen Behälter sind aus Plastik. Das fand Michael Albert widersprüchlich für ein Geschäft, dessen Hauptziel in der Reduktion von Plastik(müll) besteht. Also setzte er seine Tischler- und Tüftlerfertigkeiten ein und baute aus Glas, Edelstahl und Holz eigene Spender.

besLaden02In Hannovers Loseladen passt also alles zusammen. Doch trotz des guten Ansatzes und eines angemessenen Preisniveaus, das dem eines „normalen“ Bioladens entspricht, brummt der Laden noch nicht wirklich. Zwar erfahre er von allen Seiten Zuspruch, erzählt Michael Albert, aber viele Menschen würden diesen etwas anderen Einkauf bisher noch scheuen. Eine Frage der Gewohnheit: Ein Einkauf im LoLa erfordert etwas mehr Planung als der Supermarkteinkauf, weil man seine eigenen Behälter mitbringt. Um diese Hürde zu senken, bietet Michael Albert vor Ort auch Behälter zum Kauf an und hat inzwischen obendrein eine „Grabbelkiste“ eingeführt: Kunden bringen Gefäße mit, die sie nicht mehr brauchen, und andere Kunden können diese für ihren Einkauf benutzen. Nicht nur für das gute Gewissen lohnt es sich, im LoLa vorbeizuschauen, meint Michael Albert: „Man kann bei uns auch gemütlich Kaffee trinken. Und es macht großen Spaß, sich an unserer Zapfanlage frische Milch vom Bauern zu zapfen oder sich mit unserer Mühle selbst Mehl zu mahlen.“

Übrigens: Vom 6. bis 11. Februar lockt der Loseladen im Rahmen seiner (von der Stadt geförderten) „Rohköstlichen Woche“ mit Workshops und Vorträgen zum Thema Rohkost.

Janina Martens

 

LoLa – der Loseladen
Stephansplatz 13
30171 Hannover

Tel: (0511) 79029010
www.lola-hannover.de

Öffnungszeiten:
Mo bis Fr 9-19 Uhr, Sa 10-16 Uhr

Abgelegt unter Der besondere LadenEinen Kommentar verfassen...

kurz Verlag

Tags:

kurz Verlag


kurz-Verlag-c-Arne-Gutknecht

Klassiker in wenigen Worten

Moby Dick, Stolz und Vorurteil, Frankenstein. Viele Klassiker großer Weltliteratur sind dicke Wälzer. Da fehlt es auch echten Leseratten oft an Zeit und Muße. Abhilfe schaffen nun Anna-Lena Drewes (24) und Sarah Kölbel (30): Mit ihrem jüngst gegründeten „kurz Verlag“ geben die beiden Hannoveranerinnen literarische Klassiker in (sehr!) kurzer Verfassung heraus.

„Liebe ist stärker als Blut“ – mit diesen paar Worten bringen Anna-Lena Drewes und Sarah Kölbel die Essenz von Shakespeares „Romeo und Julia“ auf den Punkt. Der knappe Satz ist auch zugleich der Titel ihrer minimalistischen Neuauflage des dramatischen Meisterwerks. Gerade einmal 24 Seiten umfasst das Kurzbuch, in normaler Schriftgröße wäre es sogar nur eine halbe DIN A4 Seite lang. Solche Kurzversionen haben die beiden Hannoveranerinnen noch von vier weiteren Werken angefertigt – und sie im Dezember in ihrem kurz Verlag veröffentlicht: Kafkas „Die Verwandlung“, „Stolz und Vorurteil“ von Jane Austen, „Frankenstein“ von Mary Shelley und schließlich Melvilles „Moby Dick“ (übrigens unter dem neuen, treffenden Titel „Fetter Fisch tötet“).

kurz-Verlag-c-Arne-Gutknecht02Die Idee dazu hatten sie bereits im Studium – vor fast drei Jahren: Ihr Verlagskonzept, das vom Innovationsfonds Kunst & Kultur der Stadt Hannover gefördert wird, entstand als ein Projekt im Studiengang Visuelle Kommunikation. Als eine Reaktion auf das schnelllebige, digitale Zeitalter, wie Anna-Lena Drewes erzählt: „Fast jeder von uns hat Klassiker auf seiner Leseliste, aber man schafft es nicht, sie zu lesen. Einfach, weil man so viel um die Ohren hat und heutzutage alles schnell gehen muss.“ Also beschlossen die Kommilitoninnen kurzerhand, große Literaturklassiker radikal zu kürzen: Bereits auf dem Cover wird der Inhalt des Werkes in einem Satz erklärt und drinnen steht eine extrem knappe Textfassung. Von dem eigentlichen Werk bleibt also kaum etwas übrig. Die Herausgeberinnen sind sich dessen bewusst: „Der eigentliche Charakter des Buches geht natürlich verloren. Es entsteht eine andere Tonalität, alles ist eben sehr kurz, klingt dadurch auch banal“, erklärt Anna-Lena Drewes. Doch das sei durchaus gewollt. Denn es sei keineswegs das Ziel ihres kurz Verlags, das Lesen von Klassikern zu ersetzen. Im Gegenteil: Durch die Kurzversion solle der Leser im besten Falle auf den Geschmack kommen und sich dann vielleicht doch noch an das Original heranwagen.

Die fünf kleinen Bücher aus dem kurz Verlag nimmt man jedenfalls gerne in die Hand. Ihnen ist anzusehen, dass ihre Herausgeberinnen professionell im Designbereich unterwegs sind: Die Büchlein sind hochwertig und ansprechend gestaltet. Dass sie sich somit ideal als Geschenk eignen und die beiden jungen Frauen mit ihrer Idee den Nerv der Zeit treffen, haben sie im Weihnachtsgeschäft gemerkt: „Es lief sehr gut. Wir hatten viele Nachbestellungen und wurden oft gefragt, ob wir vielleicht dieses oder jenes Werk auch mal gekürzt herausbringen könnten“, freut sich Anna-Lena Drewes. Noch ist der kurz Verlag ein Projekt, um das sich die beiden Hannoveranerinnen nebenbei kümmern – neben ihren Jobs im Kommunikations- und Marketingbereich. Aber sie haben noch viele Ideen für ihren kleinen Verlag. Als nächstes möchten sie erst einmal fünf weitere Klassiker in Kurzform herausbringen – am liebsten bereits zu Ostern.

Janina Martens

Übrigens: Die bisher erschienenen Bücher gibt es für je 4 Euro im
Buchstabenladen Qwertz, Egestorffstraße 6, und bei Decius, Marktstraße 52.

Abgelegt unter LiterarischesEinen Kommentar verfassen...

Stadtkind twittert