Lieber Leserinnen und Leser,
in dieser Ausgabe habe ich mit Bernd Lange über Europa gesprochen. Bernd Lange ist schon einige Jahre Europaabgeordneter und gehört laut einer Studie der Forschungsplattform „EU-Matrix“ zu den zehn einflussreichsten Parlamentariern im EU-Parlament. Warum dieses Thema, warum Europa? Weil mir die Europäische Union bei allen Schwierigkeiten und allem Dissens unter den Ländern in den vergangenen Monaten so etwas wie eine leise Hoffnung gegeben hat.
Wir stehen vor unglaublichen globalen Herausforderungen, wir haben einen Krieg in Europa, wir haben es mehr und mehr mit neuen Supermächten zu tun, die ihrer ganz eigenen Agenda folgen. Wie kommen wir da durch, mit unserer kleinen, sehr angreifbaren, verletzlichen Demokratie? Ich fühle mich in Deutschland frei, ich kann hier an dieser Stelle schreiben, was ich will, niemand verbietet mir den Mund. Das soll so bleiben. Und dass das so bleibt, dafür scheint mir ein starkes Europa eine gute Garantie zu sein. Ich habe mir in den vergangenen Monaten tatsächlich mehr Europa gewünscht als weniger Europa. Ich glaube, dass wir einen starken Verbund dringend brauchen. Und umso mehr blicke ich mit Sorge auf jene europäischen Staaten, in denen es politisch nach rechts gekippt ist. Der Einfluss der Rechtspopulisten wird zunehmend größer in Europa, leider auch in Deutschland, und wenn ich mir ansehe, wie sich beispielsweise ein Viktor Orbán aufführt, dann kann ich mir ausmalen, was passiert, wenn noch mehr von der Sorte in Brüssel mitreden.
Ich bin darum mit großen Sorgen in das Gespräch mit Bernd Lange gegangen, eher pessimistisch, mit sehr viel Skepsis. Ich kann hier vorwegnehmen, dass ich nach dem Gespräch erleichtert war. Nicht unbedingt, weil Bernd Lange meine Befürchtungen und Bedenken ausgeräumt hat, sondern weil ich einen Politikertyp kennengelernt habe, den man angesichts der vielen Lautsprecher in der deutschen Politik fast gar nicht mehr für möglich hält. Unaufgeregt, bescheiden, geerdet. Nicht laut, sondern leise, aber dafür umso informierter. Ein Politiker mit echter Expertise. Und ein Sozialdemokrat, der aus seiner Agenda keinen Hehl macht, ganz geradeaus. Jemand, der etwas erreichen will und dabei pragmatisch nach Kompromissen sucht. Von Inszenierung keine Spur. Sozusagen ein Anti-Söder. Das hat mich beeindruckt. Und mich nachdenklich gemacht. Kann es sein, dass wir uns den Lautsprechern in der Politik zu sehr widmen und dabei vergessen, dass es auch im Deutschen Bundestag sehr viele fleißige und ambitionierte Politiker*innen gibt, in allen Parteien, die einfach nur versuchen, einen guten Job zu machen. Die für ihre Sache kämpfen, die etwas wollen? In der CDU ist Thomas Heilmann so ein Beispiel. Vielleicht müssen wir alle unseren Blick in dieser Hinsicht mal wieder nachschärfen. Nicht alle Politiker*innen sind fragwürdig, wahrscheinlich sind es sogar nur ein paar wenige, eine eitle Clique, die leider ausgerechnet ständig in den Talkshows hockt. Wir sollten den Söders dieser Welt, den Blendern, nicht auf den Leim gehen. Das Gespräch mit Bernd Lange startet auf Seite 56.
Zuletzt noch schnell ein großes, ein sehr großes Dankeschön. Lieber Hartmut, du bist jetzt seit 15 Jahren im Stadtkind dabei, du hast mich zweimal zum Weinen gebracht, sehr oft zum Lachen und weitaus öfter noch hast du mich nachdenklich gemacht. Ich freue mich sehr, dass du das Stadtkind jeden Monat bereicherst. Danke!
Viel Spaß mit dieser Ausgabe!
Lars Kompa
Herausgeber Stadtkind