Wir hatten und haben Corona, wir haben den Klimawandel, wir haben jetzt einen Krieg mitten in Europa, die ganze Welt scheint aus den Fugen zu geraten. Wie war das bei dir vor Corona, kannst du dich an deine Wünsche und Pläne erinnern, an deine Vorstellung von der Zukunft?
Wir hatten damals ja auch schon die Klimaproblematik, insofern waren meine Vorstellungen auch vor Corona nicht ganz so schön. Ich habe Ende 2018 die Fridays-Ortsgruppe mitgegründet, ich war also aktiv und habe mich an diversen Aktionen beteiligt. Aber mein Lebensgefühl war dabei schon eher positiv, denn wir haben es ja immerhin geschafft, super viele Menschen auf die Straße zu bringen. Und bei mir ist auch persönlich sehr viel passiert, es gab so eine Aufbruchstimmung. Das haben viele andere ebenfalls so empfunden im Hinblick auf das Klima und die Möglichkeit, nun wirklich etwas zu unternehmen. Das wurde durch Corona alles ziemlich hart gestoppt.
Warst du damals optimistisch ohne Einschränkungen? Oder hattest du schon Zweifel?
Ich war auf jeden Fall viel naiver, ich war 15. Das hat mir in gewissem Sinne aber auch geholfen. Also zu sagen: „Hey, ich bin 15, ich habe keine Ahnung, wie man das macht, aber lasst uns mal eine Demo organisieren.“ Und plötzlich stehen da rund 10.000 Menschen. Diese Naivität, mit der wir an das Ganze herangegangen sind, das war gut und wichtig, wir hätten uns sonst vielleicht gar nicht getraut. Ich hatte also insgesamt mit diesen Erfahrungen ein positives Grundgefühl. Obwohl mir schon zu dem Zeitpunkt sehr bewusst war, wie extrem die Klimakrise ist, was für radikale Veränderungen wir brauchen und dass solche Veränderungen global gesehen nicht sehr realistisch sind. Trotzdem gab es bei mir ein super krasses Gefühl von Optimismus und „Wir schaffen das!“. Was wahrscheinlich daran lag, dass sich einfach so viele Menschen zusammengetan haben, dass so viele mitgemacht haben.
Wenn du auf die Generationen vor dir blickst, zum Beispiel auf die Generation deiner Eltern, wie sauer bist du?
Auf meine Eltern direkt bin ich nicht sauer. Mein Vater hat lange in der Windenergie-Branche gearbeitet, und das auch sehr bewusst. Er ist selbst wütend und seit 2019 auch klimapolitisch aktiv. Aber insgesamt bin ich schon enttäuscht und auch sauer auf die Generationen vor uns, vor allem, weil ich das Gefühl habe, dass die damit abgeschlossen haben und uns jetzt die Verantwortung zuschieben. Ich höre ganz oft: „Toll, dass du dich engagierst, dass du das machst!“ Das habe ich auch schon von Politiker*innen gehört, vom Ministerpräsidenten. Aber ich könnte mir ehrlich gesagt auch was viel Besseres vorstellen, als eine Pressemitteilung zu schreiben, eine Demo zu organisieren oder eine Nachtschicht an der Mahnmache in der Leinemasch zu übernehmen. Ich könnte auch gut am Freitag ins Weltspiele feiern gehen, ich hätte eigentlich echt Besseres zu tun in meinem Leben. Das macht mich schon wütend, so dieser freundliche, wohlwollende Zuspruch. Ich habe das alles nämlich gar nicht versaut. Wenn man sich überlegt, dass „Die Grenzen des Wachstums“ schon 1972 erschienen ist, dass der Club of Rome damals sehr klar aufgeschrieben hat, dass es so nicht weitergehen kann, und dass das alles komplett ignoriert worden ist, dann kann man schon wütend werden. Und sich auch allein gelassen fühlen. Das ist halt alles nicht nur mein Bier, das ist auch euer Bier.
Wenn du jetzt beispielsweise Peter Altmaier in einer Talkshow sitzen siehst, und der sagt dort, dass er Fehler in seinem Handeln nicht so recht erkennen kann, was macht das mit dir?
Das macht mich stinksauer. Ich komme gerade vom Landtag, da haben wir von den Fridays unsere Forderungen übergeben, bevor es jetzt in die Koalitionsverhandlungen geht. Und dort hat uns die SPD erklärt, was man in den letzten Jahren schon so alles versucht hat. Alles, was realpolitisch möglich war. Schön und gut, aber das reicht nicht. Und wir haben auch schon demonstriert als Peter Altmaier im Amt war. Wir waren laut. Und er hätte vielleicht mal ein paar Wissenschaftler*innen fragen sollen, ob wir eventuell Recht haben. Bücher lesen hilft auch. Stattdessen sitzt der jetzt wieder in diesen Talkshows und redet den gleichen Mist wie vor drei oder vier Jahren. Bücher gelesen hat der in der Zwischenzeit offensichtlich nicht. Er sollte jetzt dringend Leute fragen, die sich damit auskennen.
Was hattest du vor deinem Engagement bei den Fridays für Pläne, was hast du gerne gemacht und was wolltest du werden?
Ich habe damals viel Zirkus, viel Akrobatik gemacht beim Kinder- und Jugendzirkus Salto. Und ich hatte überlegt, dort später als Trainerin aktiv zu sein und wollte studieren. Aber auch damals war Politik für mich schon ein großes Thema und ich wusste, dass ich auf jeden Fall politisch irgendwas machen wollte. In welcher Richtung, das war damals noch nicht so klar. Ich war ja 15, da stand erstmal das Abitur als nahes Ziel im Vordergrund. Und so der Klassiker – ich will nach Berlin ziehen …
Wie war das in deinem Umfeld, waren da noch mehr politisch interessiert?
In meiner Bubble auf jeden Fall. Das war aber auch so ein Automatismus. Ich habe mich engagiert und entsprechend Menschen kennengelernt, und irgendwann waren meine Freund*innen dann größtenteils politisch aktive Menschen. Für alles andere hatte ich dann auch bald keine Zeit mehr. Man saß halt mit denen fünf Stunden im Plenum. Und wenn man fünf Stunden zusammen mit Leuten im Plenum sitzt, dann ist man am Ende auch irgendwie befreundet. In meiner Schule waren nicht so viele aktiv. Es gab ein paar, die an den Freitagen zu den Demos gegangen sind, aber darüber hinaus nicht engagiert waren. Und insgesamt – ich war auf der Wilhelm-Raabe-Schule – waren die Leute dort eher so geprägt von den klassischen Zielen, also Eigenheim, Karriere, Aktien.
Kannst du sagen, warum du ein politischer Mensch bist, woher das bei dir kommt? Kam das von deinen Eltern? Wie hat sich das entwickelt?
Ich finde es schwierig, das auf so einen zentralen Punkt zurückzuführen. Aber klar, die Erziehung hat sicherlich eine Rolle gespielt. Ich habe seit der zweiten oder dritten Klasse jeden Abend mit meinen Eltern die Nachrichten geguckt. Und dann haben meine Eltern mir immer erklärt, was da so passiert ist in der Welt. Ich habe dadurch viel gelernt, glaube ich. Und irgendwann war ich einfach sauer, wenn ich die Nachrichten gesehen habe. Ich war sauer wegen all dem, was nicht läuft oder falsch läuft. Ich kann mich erinnern, dass ich zum Beispiel sehr wütend war über die rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz, das war im August und September 2018. Und ich war wütend, dass rechte Parteien durch rassistische Instrumentalisierung von Menschen auf der Flucht Zulauf bekamen. Dazu noch die Klimakrise. Das war für mich damals der Moment zu sagen, dass ich etwas tun will, dass ich Lust habe, mich zu engagieren. Politisch geprägt hat mich aber auch der Zirkus Salto. Weil ich dort gelernt habe, wie man miteinander umgehen und leben kann, wie man sich verhalten sollte, wie eine Welt aussehen und funktionieren kann, wenn man sich gegenseitig wertschätzt, sich respektiert. Das hat mir sehr viel gegeben.
Deine Generation wird ja gerne als die Fridays-Generation bezeichnet. Ist es wirklich so, dass eine Mehrheit sich politisch interessiert? Oder ist das ein schiefes Bild?
Ich würde auf jeden Fall sagen, dass es in meiner Generation mehr Aufmerksamkeit oder zumindest ein größeres Gespür gibt für verschiedene Diskriminierungsformen. Und ich würde auch sagen, dass dieses solidarische Miteinander größer ist als in anderen Generationen. Behaupte ich jetzt mal. Angesichts der Klimakrise teilen fast alle die gleichen Sorgen und Ängste. Das haben wirklich alle verstanden, sehr wenige in meiner Generation leugnen den Klimawandel, alle kennen die Tatsachen. Die Frage ist nur, was daraus folgt. Und da spaltet es sich eher. Da gibt es einige, die sind der Meinung, wir könnten die Klimakrise auch durch Innovationen und wirtschaftliche Erfolge lösen.
Und was sagt die andere Seite?
Die andere Seite grübelt eher darüber, ob dieses gesamte Konzept funktioniert, in dem wir gerade leben. Also ob der Kapitalismus tatsächlich so sinnvoll ist. Und viele stellen den Kapitalismus inzwischen auch ganz grundsätzlich infrage. Was aber nicht heißt, dass nun die Prioritäten anders gesetzt würden. Bei vielen steht dann am Ende doch mehr das eigene Leben im Mittelpunkt. Freund*innen treffen, feiern gehen. Politik spielt schon eine Rolle und man geht auch mal zu einer Demo, aber da wird dann eher mit einem Bier angestoßen. Sich wirklich zu engagieren, das passiert weniger. Und eine Weile waren dann ja sowieso alle ausgebremst durch Corona.
Du hast am Anfang schon gesagt, Corona hat alles gestoppt …
Das war so, zumindest in meinem gesamten Umfeld. Alle hatten super viele Pläne für 2020 und 2021. Wir hatten diesen Optimismus, wir organisieren jetzt das, und nächste Woche machen wir das, und dann fahren wir zusammen zu der Demo und wir campen da – das war so das Grundgefühl. Alle waren die ganze Zeit voll dabei. Und dann wurde das 2020 durch Corona alles krass gecuttet. Das war echt schade, sehr viel musste ausfallen, sehr viel, auf das ich mich schon gefreut hatte. Auf der anderen Seite, so ganz persönlich, habe ich zu dem Zeitpunkt diese Zwangspause aber auch gut gebrauchen können. Ich war nämlich reichlich überarbeitet und habe mal durchatmen können, weil ich eben nicht die nächste Demo organisieren musste. Und in meinem Umfeld waren die Reaktionen damals ganz unterschiedlich. Ich weiß noch, als wir in der Schule saßen und die Info bekamen, dass wir jetzt nach Hause gehen, dass ein paar davon gesprochen haben, dass es doch gut sei, sich mal ausruhen zu können. Da war aber natürlich noch nicht klar, was das jetzt langfristig bedeutet. Und so gab es auch Stimmen, die gesagt haben: „Ja nice, dann machen wir morgen eine Übernachtungsparty.“ Ziemlich surreal aus heutiger Sicht. Und dann konnten wir uns alle gar nicht mehr sehen, das war nicht schön. Aber auch ein Luxusproblem. Es gab andere, für die war es ganz schwierig, die hatten zu Hause Probleme und haben gesagt, dass sie es unmöglich schaffen, die ganze Zeit zu Hause zu sein. Das war sehr unterschiedlich und teilweise auch echt heftig.
Und dann kamen diese Wochen und Monate, diese bleierne Zeit. Wie war das für dich?
Ich habe das Glück, dass ich einen Freund habe. Und ich war dann bei ihm oder er bei mir. Wir waren auch viel spazieren in der Leinemasch, die ja jetzt gerodet werden soll. Und wir haben zusammen trainiert, haben Partnerakrobatik zu Hause zu zweit gemacht. Und wir haben Wein getrunken und versucht, uns das Leben trotzdem irgendwie ganz schön zu machen. Dazu hatten wir dann Home-Schooling, was für mich sehr stressig war. Da wurde uns beispielsweise gesagt, wir sollen fünf Unterrichtsstunden lang Texte schreiben. Aber in fünf Unterrichtsstunden spricht man normalerweise im Unterricht miteinander, man schreibt vielleicht mal eine halbe Stunde an einem Text. Aber man schreibt doch nicht fünf Stunden lang zig Aufsätze. Das fand ich sehr anstrengend. In Fächern, in denen es mir ohnehin auch vorher leicht gefallen ist, war es ja kein Problem, aber wenn man in Mathe auf dem Schlauch stand, musste man erstmal irgendwen anrufen und fragen. Sitznachbar*in gab es ja nicht.
Wie lange hat es denn gedauert, bis du dich geärgert hast, dass du dich nicht mehr draußen engagieren konntest?
Das kam relativ schnell. Wir hatten für den 24. April 2020 eine echt große globale Demo geplant, bis dato die größte. Das war schon überall in Hannover plakatiert, alles war vorbereitet, wir waren bereit – und dann kam Corona. Wir haben dann zwar online was gemacht und stattdessen einen digitalen Streik organisiert, aber das ist natürlich etwas ganz anderes als eine normale Demonstration. Und ich hatte dieses Gefühl von „Ich sitze hier fest“. Aber auch abseits der Demos. Man konnte Freund*innen nicht sehen, dann wusste man immer nicht so genau, wie viele Leute man treffen darf. Und irgendwann ist einem dann echt die Decke auf den Kopf gefallen.
Im Sommer 2020 ging ja wieder ein bisschen mehr.
Ja, da war dann wieder ein bisschen was möglich, da war ich mit Freund*innen auch mal campen. Und es gab ein ganz großes Thema für uns, nämlich wie solidarisch wir uns verhalten. Ich glaube, da waren wir in meiner Generation auch ganz schön gespalten. Es gab einige, die schnell wieder jedes Wochenende auf einer Party waren und gesagt haben „Ach, mir passiert schon nichts“. Und in meinem Umfeld waren alle eher solidarisch und man hat aufeinander aufgepasst. Wir haben zum Beispiel Abstand gehalten bei unseren Treffen. Das war aber in den unterschiedlichen Gruppen ganz verschieden. Einmal hat sich eine Freundin, die bei mir war, total darüber gewundert, dass wir so weit auseinander saßen am Küchengarten auf der Wiese. Das fand die ganz verrückt. Da gab es so ganz unterschiedliche Lebensrealitäten.
Diese Solidarität wurde ja sehr stark von euch eingefordert. Ihr solltet euch einschränken und verzichten. Für eine Generation, der ihr vielleicht zu verdanken habt, was euch in eurem Leben noch erwartet …
Das war zuerst gar keine Frage, natürlich haben wir alle unsere Demos abgeblasen, um die älteren Menschen zu schützen. Wir sind zu Hause geblieben. In der Rückschau habe ich da aber so ein paar Fragezeichen. In dieser Zeit konnte sich zum Beispiel ein angemessener Protest gegen die Ausbaupläne des Südschnellwegs gar nicht richtig entwickeln, den es ansonsten ganz sicher gegeben hätte. Corona hat uns in gewissem Sinne eine Zeit lang unsere Macht genommen. Und ich denke heute schon, wenn wir solidarisch sind mit den älteren Generationen, sollten die dann nicht vielleicht auch solidarisch mit uns sein und uns eine Welt hinterlassen, in der wir leben können. Es sterben schon jetzt jeden Tag Menschen wegen der Klimakrise.
Der Klimawandel ist uns ja sehr nahegekommen, mit der Flutkatastrophe im Ahrtal, mit der Trockenheit im Sommer. Inzwischen müsste allen klar sein, dass sich da gerade etwas unangenehm verändert.
Ja, und trotzdem passiert nur beängstigend wenig. So als hätte wir noch alle Zeit der Welt.
Neulich stand in der Zeitung in einer kleinen Randnotiz, dass laut einer neuen Studie vier Kipppunkte für das Weltklima bereits 2030 erreicht werden. Da ging es um den grönländischen und westantarktischen Eisschild, um das Absterben der tropischen Korallenriffe und um das Tauen des Permafrostbodens. Daneben war auf der Seite riesengroß aufgemacht, dass die Drogenmafia in Belgien den Justizminister entführen wollte. Ich habe mich gefragt, welche Nachricht wohl die wichtigere ist. Was macht so etwas mit dir?
Das solche Nachrichten eher klein kommuniziert werden, macht mich wütend. Und, dass viele Kipppunkte viel früher erreicht werden, als von Wissenschaftler*innen erwartet, macht mir einfach Angst. Das ist bei mir ein sehr starkes Gefühl, das kann ich gar nicht leugnen. Und ich glaube, ich bin damit nicht allein. Viele in meiner Generation, die realisiert haben, was diese Klimakrise wirklich bedeutet, haben große Angst.
Hat sich das noch verstärkt bei euch in den vergangenen zwei, drei Jahren?
Auf jeden Fall. Weil die Klimakrise ja spürbar immer näher kommt und uns immer weniger Zeit bleibt, die größte Katastrophe noch abzuwenden. Und dazu empfinde ich mittlerweile auch so eine Hoffnungslosigkeit. Man weiß gar nicht, was man noch tun soll. Belit Onay hat neulich gesagt, dass sich der Protest in der Leinemasch doch bitte nicht radikalisieren soll. Da frage ich mich: Was ist denn bitte radikaler – Bäume zu besetzen oder unsere Lebensgrundlagen zu zerstören?
Gelingt es dir noch, dich für den Protest zu motivieren?
Ja, schon. Aber ich glaube, dass viele, inzwischen auch in meiner Generation, abgestumpft sind, was diese Klimathemen angeht, durch Instagram oder generell Social Media. Man liest dauernd etwas darüber, dass etwas überschritten ist, dass ein Zeitpunkt verpasst wurde, dass ein Ziel nicht erreicht wurde. Irgendwann hat man dann gar keinen Überblick mehr. Und hofft darauf, dass „die“ das schon irgendwie klären werden. So eine Einstellung macht sich dann breit. Meine Einstellung ist das nicht, weil „die“ ganz sicher nichts klären.
Du meinst, dass da so eine Reizüberflutung stattfindet, die dann zu mehr Gleichgültigkeit führt?
Genau. Und es ist ja auch eine riesige Krise. Schwer in Gänze zu erfassen. Wie soll man richtig damit umgehen? Wir müssen unser ganzes Leben umstellen innerhalb der nächsten fünf Jahre, vielleicht sind es sogar eher zwei Jahre. Und man fragt sich, woher dieser Sinneswandel noch kommen soll. Das Thema ist so überwältigend, dass viele einfach versuchen, dem aus dem Weg zu gehen. Und dann hält man sich eher an Eigenheim und Karriere fest. Obwohl ich glaube, dass viele ahnen, dass in zehn Jahren Eigenheim und Karriere so nicht mehr möglich sein werden. Uns erwarten viele weitere Krisen. Es ist ja jetzt schon so, dass sich die Krisen häufen. Das wird sich noch verstärken.
Wir haben jetzt einen Krieg mitten in Europa …
Ja, und das ist doppelt schlimm. Es ist schlimm für die Menschen, die dort sterben müssen. Und schlimm für unser Klima, weil das natürlich ganz viel verändert hat. Der Kohleausstieg verzögert sich, Gas wird weiter eine Rolle spielen, die LNG-Terminals werden jetzt gebaut, es wird momentan alles verschoben. Klimapolitisch ist das ein großer Schritt zurück, eine Katastrophe. Und für meine Generation ist dieser Krieg auch eine totale Überforderung. Noch eine Krise mehr. Noch eine Gefahr mehr. Es war ja schon vorher schlimm genug. Wie sollen wir damit umgehen? Für mich ist ganz wichtig, meine Solidarität mit der Ukraine zu zeigen.
Wie blickst du auf diesen Krieg? Was denkst du darüber?
Ich glaube, das alles zeigt noch einmal ganz deutlich, wie verschiedene machtpolitische Interessen die Welt beherrschen. Und sich dann vorzustellen, dass wir diese Welt irgendwie verändern müssen, das fällt mir schwer. Es gibt ganz unterschiedliche Interessen auf der Welt, die so mächtig und auch so gefährlich sind, dass ein gemeinsamer Weg fast unmöglich scheint. Das war aber auch schon vor dem Krieg in der Ukraine klar, wir hatten schon davor überall Konflikte und Kriege. Viele haben das nur ausgeblendet, es gibt bei uns diesen Eurozentrismus, der Rest der Welt wird gerne so ein bisschen ausgeblendet. Mit dem Krieg in der Ukraine ist vielen nun bewusst geworden, wie nah diese Konflikte eigentlich sind. Und plötzlich haben jetzt alle Angst. Sie hätten auch schon vorher Angst haben können, angesichts der Machtverhältnisse. Aber wenn in Syrien oder Afghanistan Kriege herrschen, ist es den meisten Europäer*innen egaler – das ist Rassismus. Ich glaube, das ist bei der Klimakrise ganz ähnlich. Das ist alles hier bei uns noch nicht so sichtbar und darum kann man es leicht verdrängen. Wenn man aber den Blick mal etwas erweitert, sieht das ganz anders aus. In Pakistan, Somalia, Honduras, in der Sahelzone sind die Folgen schon sehr sichtbar. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir MAPA-Aktivist*innen, kurz für „Most Affected People and Areas“, zuhören. Ich habe hier in Europa Angst, anderswo sterben täglich Menschen durch den Klimawandel. Es ist ein Privileg zu sagen, ich habe Angst vor der Zukunft, denn es gibt Menschen, die haben Angst vor der Gegenwart.
Erlaubst du dir noch, über deine Zukunft nachzudenken? Träume zu haben. Wünsche zu haben? Hoffnung zu haben?
Hoffnung habe ich auf jeden Fall. Ich glaube fest daran, dass immer mehr Menschen die Zusammenhänge erkennen werden, also was zum Beispiel unser aktuelles Wirtschaftssystem anrichtet, warum das so nicht weiter funktionieren kann. Die künftigen Krisen werden die Menschen zunehmend aufrütteln. Ich hoffe nur, dass es dann noch nicht zu spät sein wird. Und ich persönlich habe in den vergangenen Jahren unterschiedliche alternative Lebensweisen kennengelernt, Wohngemeinschaften, die ganz andere Prioritäten setzen, die gemeinsam wirtschaften und füreinander sorgen. Das ist etwas, was ich mir für meine eigene Zukunft irgendwann gut vorstellen kann. Aber jetzt ist erst die Gegenwart dran. Ich hatte eigentlich nach dem Abi vor allem das Studium im Blick, aber dann habe ich überlegt, wie das laufen kann. Ich studiere, ich arbeite dann in fünf Jahren irgendwo, aber ich weiß ja gar nicht, was in fünf Jahren sein wird, ob ich hier noch so friedlich sitzen kann, in was für einer Welt ich dann lebe. Darum habe ich mich entschlossen, dass Politik und Klimagerechtigkeitsaktivismus bei mir weiter die bestimmende Rolle in meinem Leben spielen werden. Weil ich weiß, wir haben nur noch ein paar Jahre, um die schlimmsten Folgen der Klimakrise aufhalten zu können. Ich habe gar keine andere Wahl.
Erlebst du das noch in deinem Umfeld, dass Leute so denken?
Klar. Die machen sich nicht bewusst, dass das Leben, wenn wir so weitermachen wie bisher, in zehn Jahren ein ganz anderes sein wird. Das ist so ein Schutzmechanismus, wir belügen uns selbst. Das ist einfach eine Strategie, um irgendwie weitermachen zu können. Ich mache das teilweise natürlich auch. Wenn ich mir dauernd bewusst machen müsste, wo wir eigentlich stehen, dann würde ich total verzweifeln, das würde mich lähmen. Der Unterschied ist, ob man sich diesen Mechanismus bewusst macht. Und viele Menschen blenden lieber alles komplett aus.
Ich erlebe das häufig, dass ich mit jungen Leuten über die Zukunft spreche, und die mir sagen, ja, alles geht den Bach runter, sieht man doch. Und wenn ich dann frage, was sie für Pläne haben, dann studieren sie auf Lehramt und werden in drei Jahren Lehrer*innen. Als wären das zwei ganz getrennte Welten, als hätte das eine nichts mit dem anderen zu tun.
Ja, das ist ziemlich schizophren. Ich kenne Menschen, die jetzt Pilot*in werden wollen – total surreal. Ich kenne auch recht viele, die sich für eine Karriere in der Wirtschaft interessieren und diesen Weg einschlagen. Und ich denke mir: „Hey, wir haben doch letztens noch darüber geredet, dass das Wirtschaftssystem, so wie es gerade ist, nicht wirklich funktioniert“. Das ist schon ein seltsames Phänomen.
Wenn du Weltpräsidentin wärst, für ein Jahr oder so, was wäre jetzt dran?
Wir müssen uns erstmal klarmachen, dass 100 Konzerne auf dieser Welt für 71 Prozent aller CO2-Emissionen oder CO2-Äquivalente verantwortlich sind. Da würde ich ansetzen, um das fossile Zeitalter zu beenden. Ich würde endlich damit anfangen, gemeinsam mit Wissenschaftler*innen die Konzepte umzusetzen, die schon lange auf dem Tisch liegen. Dazu gehört vor allem das neokoloniale, ausbeuterische Wirtschaften zu stoppen.
Die Frage zielt auch auf deine Utopie. Was würdest du dir wünschen für diese Welt?
Dass wir es noch schaffen, unsere Lebensgrundlage bestmöglich zu erhalten. Und dass wir lernen, nicht über unsere Verhältnisse zu leben. Dass es fair, gerecht und friedlich zugeht. Aber das kollidiert natürlich alles sehr extrem mit den Entwicklungen, die wir aktuell sehen. Da haben einige ganz andere Interessen.
Hilflosigkeit, Machtlosigkeit, Ohnmacht – das erzeugt Wut. Glaubst du, dass demnächst junge Leute tatsächlich anfangen, sich zu radikalisieren. Glaubst du, dass uns das bevorsteht?
Ich hoffe jedenfalls, dass noch mehr junge Menschen anfangen, gegen die momentanen Verhältnisse zu kämpfen. Dass sich noch mehr junge Leute bewusst machen, wo wir realistisch stehen und was uns in den nächsten Jahren bevorsteht. Ich wünsche mir ein radikales Umdenken, eine radikale Perspektive und auch radikale Schritte. Alles andere haben wir schon erfolglos probiert, würde ich sagen.
Fühlt ihr euch eigentlich genug gehört?
Das ist noch ausbaufähig. Und, wie gesagt, was ich echt nicht mag, sind diese Dankesbekundungen von Politiker*innen. „Toll, dass ihr das macht!“ Da denke ich: Ja, weil ihr versagt. Wir haben mit Fridays natürlich viel Aufmerksamkeit in den Medien, aber die Frage ist auch immer, wie man uns zuhört. Wenn man uns ernst nimmt, warum folgt daraus dann kein Handeln? Das ist schon desillusionierend. Aber ich will mir meine Hoffnung und meinen Optimismus trotzdem nicht kaputtmachen lassen.
Eigentlich war bei uns in Deutschland ja immer das große Versprechen, dass die Kinder es mal besser haben werden. Jetzt wird zum ersten Mal sichtbar, dass ihr es aller Voraussicht nach schlechter haben werdet.
An den Gedanken müssen wir uns wohl gewöhnen, ja.
Ich sehe aber nicht, dass aus eurer Generation viele in die Politik drängen, um etwas zu verändern. Es gibt schon junge Leute in der Politik, aber die sind meist eher konservativ unterwegs. Ein paar, die es wirklich radikal ernst meinen mit dem Klimaschutz, finden sich bei den Grünen und bei den Linken. Aber die stören kaum im politischen Betrieb. Wie kommt das? Warum geht ihr nicht geschlossen in eine Partei und nehmt die Dinge in die Hand?
Ich glaube leider, dass es für diesen parlamentarischen Weg zu spät ist. Das haben seit Jahrzehnten viele probiert, und am Ende war es dann immer diese realpolitische Suppe. Die ändert leider nur wenig. Klar, es mag vielleicht ein schöner Gedanke sein, dass mehr junge Leute in die Parlamente gehen, aber bis die dort sitzen und dann auch noch etwas verändern, sind die entscheidenden Jahre vorbei. Und darum glaube ich, dass es viel wichtiger ist, dass wir uns auf der Straße organisieren und so gesellschaftlich Mehrheiten schaffen.
Also sozusagen eine außerparlamentarische Opposition?
Das ist auch ein Generationsding. Wer geht noch gerne in eine Partei oder Gewerkschaft? Das entspricht einfach nicht mehr der Lebensrealität vieler junger Menschen. Klar, es gibt immer wieder einige, die diesen Weg gehen, aber die meisten zieht es doch eher direkt auf die Straße.
Das heißt, eure Generation hat zu großen Teilen das Vertrauen in die Politik verloren?
Ja, das glaube ich. Ich bin mir sicher, dass die wenigsten jungen Leute noch irgendwelche Hoffnungen mit der Politik verbinden. Niemand glaubt mehr, was von Politiker*innen versprochen wird. Und da geht es nicht allein um die Klimakrise, das gilt auch für andere Bereiche. Ich glaube nicht, dass unsere Meinung dort zählt, dass das wichtig ist. Es fühlt sich jedenfalls überhaupt nicht so an. Und es passiert viel zu wenig. Hin und wieder schöne Reden, mehr nicht.
Du verbindest also mit unserer parlamentarischen Demokratie keine Hoffnung auf Lösungen, sondern du sagst eher, sie ist Teil des Problems?
Ja. Tut mir leid. Dafür verbocken sie einfach zu viel. Das verliert sich zu sehr im Kleinklein und folgt zu sehr Einzelinteressen. Warum haben wir beispielsweise nicht längst ein Tempolimit? Ich habe keine Lust mehr auf absurde Ausreden. Es geht jetzt ums große Ganze und nicht mehr um ein bisschen Natur und Eisbären schützen.
Aber wenn wir es nicht mit unserer parlamentarischen Demokratie hinbekommen, wie denn sonst?
Darauf habe ich keine richtige Antwort. Ich glaube aber, dass sich die Welt auf jeden Fall verändern wird und muss. Die Extreme dieser Krisen sorgen jetzt schon dafür und werden sich in den nächsten Jahren noch enorm verstärken. Sagen wir mal so: Deutschland ist 2015 mit dem Pariser Klimaabkommen einen völkerrechtlichen Vertrag eingegangen und selbst das Bundesverfassungsgericht fordert die Umsetzung von Maßnahmen, die ein Einhalten dieses Abkommens möglich machen. Und ich glaube da an die Stärke der Menschen auf der Straße und in den Betrieben.
Bist du zur Landtagswahl gegangen?
Ja, klar.
Was hast du gewählt?
Das geringste Übel. Aber mit ganz viel Widerwillen.
Was hältst du von der Idee, den Kapitalismus human umzubauen? Zum Beispiel durch hohe Steuervorteile für gemeinwohlorientierte Unternehmen. Oder eine Förderung von Genossenschaften. Hilft sowas?
Ich habe bei solchen Ideen einfach die Angst, dass sich Menschen darauf ausruhen könnten und denken, damit kriegen wir es hin. Von einem „grünen Kapitalismus“ halte ich wenig. Der Kapitalismus ist dazu da, Kapital anzuhäufen. Natur und Menschen werden darin immer ausgebeutet. Es gibt Gewinner*innen und Verlierer*innen, es muss doch aber eigentlich darum gehen, dass alle gut leben können. Und der Kapitalismus braucht Wachstum. Wachstum können wir uns aber nicht mehr leisten, wenn wir die planetaren Grenzen einhalten wollen. Ich finde außerdem, dass der Kapitalismus davon abhält, über wirklich relevante Dinge nachzudenken. Darauf ist unsere Konsumgesellschaft ja ausgerichtet. Und viele verlieren in diesem Alltagsbrei dann den Bezug zur Realität. Und haben durch Lohnarbeit, Familie und all die Krisen nicht die Zeit oder Kraft politisch aktiv zu werden.
Im Königreich Bhutan hat das Bruttoinlandsprodukt einen Konterpart, das Bruttonationalglück, das Glück, Zufriedenheit und Wohlergehen misst …
Und ich glaube, wir brauchen noch viel mehr solche Ideen. Ich hoffe, dass die Menschheit sich traut, neue Wege zu gehen.
Du hast vorhin gesagt, dass dich alternative Lebensentwürfe interessieren. Treffen wir dich irgendwann auf einem Öko-Bauernhof als Selbstversorgerin?
Nein, ich würde mich im Moment auf keinen Fall ausklinken. Das könnte ich gar nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Irgendwo ein gutes Leben führen, fernab aller Probleme, das wäre auch ein bisschen kurz gedacht. Ich habe das Privileg mich politisch zu engagieren und muss das auch nutzen. Momentan ist es mir wichtig, dafür zu kämpfen, dass wir unsere Lebensgrundlage bestmöglich erhalten und alle Menschen dieser Welt ein gutes Leben führen können. Ich interessiere mich nebenbei schon für solche Lebensentwürfe, aber ich verbinde damit keinen Plan für meine nähere Zukunft. Meine Prioritäten sind jetzt andere.
Und jetzt ist dieses Interview vorbei und du gehst los und organisierst die nächste Demonstration, oder?
Auf jeden Fall! Wir sehen ja immer mehr, dass es so nicht weitergeht. Und ich bin davon überzeugt, dass wir nicht aufgeben dürfen. Wir haben diese vielen Krisen, die Klimakrise, die sozialen Krisen, es wird immer klarer, welche Folgen der neokoloniale Kapitalismus hat. Dass das alles so nicht mehr funktioniert. Ich glaube, dass ein besseres Leben für alle möglich ist. Mir wird zwar immer gesagt, das sei total naiv, aber ich glaube trotzdem dran. Und das möchte ich vermitteln. Und die Leute dazu auffordern, mitzumachen. Wir müssen uns jetzt zusammentun, dann können wir noch was schaffen. Denn es gibt so viele da draußen, die sich denken: „Eigentlich müsste man ja mal was tun“.
Interview: Lars Kompa