Das Zentrum für kreatives Gestalten
Man kennt diese ganz besonderen Momente vielleicht noch aus Schulzeiten während der Kunststunden … Wenn man abtaucht, wenn man alles um sich herum vergisst. Das passiert Musiker*innen, wenn sie frei improvisieren und sich in ihrer Musik verlieren, das passiert Künstler*innen, wenn sie gar nicht mehr aufhören können zu malen, zu gestalten, zu formen, das passiert Bastler*innen und Handwerker*innen, das passiert, wenn man sich konzentriert, sich vertieft, sich einer Sache vollständig widmet. Man gerät in eine Art Flow, man vergisst vollständig die Zeit – und für eine Weile bestenfalls auch alle Mühen und Sorgen. So ein Flow, das ist wie ein kleiner Urlaub, eine erholsame Auszeit. Vielleicht ist es das, was den workshop nun schon 50 Jahre so attraktiv für viele Menschen macht, diese Ruhe in der kreativen Unruhe. Vielleicht ist es für viele auch die Gemeinschaft in den Kursen, das kreative Miteinander, der Austausch. Es macht einfach Spaß, hier einen Kurs zu belegen, eine Ausstellung anzusehen oder dem workshop ganz zufällig über den Weg zu laufen, bei kreativen Interventionen im öffentlichen Raum – die wiederum immer neue Menschen auf das Angebot des Vereins aufmerksam machen.
Die Geschichte des größten Anbieters von Kreativkursen in der Stadt mit zuletzt vor Corona rund 80 wöchentlichen Kursen und 100 Wochenendkursen hat vor fünfzig Jahren natürlich ein bisschen kleiner angefangen. Und wenn vom Gründungsjahr 1971 und den folgenden ersten Jahren in der Siebstraße die Rede ist, fällt ein Name immer wieder: Beatrijs Sterk. Sie ist eine Institution in der Textilszene, bis Ende 2013 war sie Herausgeberin der Zeitschrift Textilforum, die bis heute im Internet als Blog fortgeführt wird. „Gegründet wurde der workshop im wilden Aufbruch alternativer Bewegungen und Visionen Anfang der 1970er Jahre. Beatrijs Sterk war die Initiatorin, die 1971, gemeinsam mit weiteren Künstlerinnen und Künstlern in Hannover, die emphatische Idee einte, durch künstlerisch-kreative Freiräume möglichst vielen Menschen Selbstbildungsoptionen zu ermöglichen, Eigensinn und Empowerment zu fördern und somit auch gesellschaftspolitische Prozesse voranzutreiben“, schreibt Silke Boerma, Geschäftsführerin des workshop hannover im „Magazin“, das zum 50. Geburtstag erschienen ist (übrigens ein sehr schön gestaltetes und lesenswertes kleines Stück zur Geschichte des workshop hannover).
Natürlich durfte das Politische in der damaligen Zeit nicht fehlen, vieles entwickelte sich als Reaktion auf die Nazi-Gräuel und auch auf die biederen 50er Jahre, man ging davon aus, dass durch das kreative Miteinander, das gemeinsame Erleben so etwas wie der Nationalsozialismus nicht mehr möglich sein würde. Eine schöne Idee … Mit zwei Kursräumen in der Siebstraße in der Nähe vom Aegi ging es los. Und weil es beispielsweise zum Weben in Hannover keine Materialien gab, wurde außerdem ein kleiner Laden betrieben. Zu Beginn lag der Fokus sehr auf dem Textilbereich. Beatrijs Sterk war eine große Netzwerkerin, der Kreis erweiterte sich stetig. 1976 folgte dann der Umzug in den Pavillon. Die Bürgerinitiative zum Erhalt des Pavillons hatte sich gegründet und man suchte von städtischer Seite Initiativen, die bereits unter Beweis gestellt hatten, dass sie funktionierten. Den workshop hannover gab es bereits seit fünf Jahren. Und das Angebot des Umzugs war natürlich verlockend, vier statt zwei Kursräume, mehr Möglichkeiten. Die angedachte Veränderung war trotzdem alles andere als unumstritten. Im Gegenteil, im Vorfeld gab es teils heftige Diskussionen. Es ging immerhin um den Umzug in ein städtisches Gebäude. Würde man sich abhängig machen? Würde man sozusagen zum Establishment gehören, quasi die Seiten wechseln? Würde abends der Hausmeister die Türen verriegeln? Was würde aus der Freiheit und Unabhängigkeit werden? Es gab immense Widerstände.
Heute muss man konstatieren, dass der Umzug eine gute Entscheidung war. Der workshop hannover mauserte sich schnell zum Erfolgsmodell und die Freiheit blieb. Es gab durchaus wilde Aktionen, auch nach dem Umzug in den Pavillon. Bis heute gibt es die Selbstverwaltung durch Künstler*innen, die im workshop arbeiten. Natürlich gab es zwischendurch auch andere Überlegungen von städtischer Seite, zum Beispiel die Idee, den workshop bei der Volkshochschule einzugliedern oder andere Strukturen einzuziehen. Das allerdings ist nie geschehen. Und so finden sich im Pavillon bis heute städtische und freie Institutionen. Kurz, während der Sanierung des Pavillons vor nicht ganz zehn Jahren, hat es noch einmal ziemlich gekracht im Gebälk, damals gab es viele Begehrlichkeiten, doch der workshop hat auch das überstanden. Und man arbeitet seither weiterhin autark, ist aber gleichwohl sehr dankbar für die langjährige institutionelle Förderung durch die Stadt. Ohne diese Förderung wäre der Weg zum größten Anbieter von Kreativkursen in Hannover sicher ein bisschen steiniger gewesen. Das gilt natürlich gleichermaßen auch für die gute Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern wie dem Bildungswerk ver.di oder Arbeit + Leben.
Ein Schwerpunkt des umfangreichen Kursangebots ist inzwischen die bildende Kunst. Acryl, Aquarell, Öl, Bleistift, Pastell, Tempera – man kann wählen zwischen unterschiedlichsten Materialien, Techniken und Ausdrucksformen und wird dabei begleitet von versierten Kursleiterinnen und Kursleitern, die es manchmal auch nach draußen zieht, so wie beispielsweise beim Kurs „Urban Sketching“. Dann begegnen einem im Stadtraum lauter eifrig zeichnende Menschen. Auch Kunsthandwerk ist ein Thema, arbeiten mit Ton ist momentan wieder sehr angesagt. Dazu versammeln sich unter der Überschrift „Tanz + Körper + Stimme“ Angebote wie Yoga, Qigong, Tanz oder Stimmtraining. Und natürlich wird nicht zuletzt auch gesungen, mit Holger Kirleis beim „Offenen Singen“, immer am ersten Donnerstag des Monats. Das alles ist durchaus erschwinglich, beim offenen Singen darf es gerne eine Spende sein, bei den ermäßigungsfähigen Kursen sind Menschen mit HannoverAktivPass schon mit 20 Euro dabei.
Allerdings definiert sich der workshop hannover ganz ausdrücklich nicht allein über das Kursangebot, es gibt einige Projekte außerhalb des Pavillons beispielsweise in Schulen, es gibt ab und an Aktionen im Stadtraum. Und es gibt nicht zuletzt das künstlerische Standbein – in vielen Ausstellungen zeigen vor allem die Kursleiterinnen und Kursleiter ihre Arbeiten und darüber hinaus werden auch immer wieder spannende Künstlerinnen und Künstler eingeladen. Der workshop hannover war all die Jahre immer wieder sehr sichtbar in Hannover, es gab damals in den 80er Jahren große Aktionen auf dem Ballhofplatz, man war beteiligt beim Altstadtsommer, es gab in den 2000er Jahren die „phantastische Baustelle“ im Stadtteilzentrum Ricklingen, ein Fluxus-Projekt. Einmal haben angehende Hauswirtschafter*innen mit „Flecken“ künstlerisch gearbeitet, mit einer Exkursion in den Kunstverein. Es gab Ausstellungen zum Themenfeld bildende Kunst und Textil. „Stofferzählung – Erzählstoff“ war 2008 eine Ausstellung zusammen mit der Stadtbibliothek. Und 2011 folgte der „Aufstand der nichtsnutzigen Textilien“ in Kooperation mit der Kunsthalle Faust.
Das verbindende Thema ist bei allem die Bildung, die fortwährende Suche nach neuen Lernformen. Und dann ist da natürlich noch die Bücherbiene. Sie hatte in Linden ihren Start, in einem kleinen Auto versammeln sich lauter Buchunikate, die in diversen Formen bei ganz unterschiedlichen Gelegenheiten entstehen, vom Heft bis zu Bildersammlung ist alles dabei, in den Buchobjekten findet man beispielsweise Arbeiten von Schulklassen zum Thema Angst, entstanden während des Irak-Kriegs. Oder man findet ein Stoffbuch, das in einem Altenheim entstanden ist und in dem Hundertjährige mit Stoffen collagiert haben. Die Bücherbiene taucht immer mal wieder auf im Stadtgebiet, bei Stadtteilfesten und anderen Gelegenheiten – und jedes Mal entsteht ein neues Buch. Ein tolles Projekt, das einen so ganz anderen Blick in die jüngere Geschichte unserer Gesellschaft bietet. Allen Angeboten und Aktionen gemeinsam ist beim workshop hannover der gemeinschaftliche Ausgangspunkt, man trifft sich mit den unterschiedlichsten Menschen und ist gemeinsam kreativ. Heute mehr denn je sind die Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer sehr unterschiedlich, das Altersspektrum ist groß, die Backgrounds sehr divers, man verständigt sich, man lernt sich kennen, man vernetzt sich – das ist die ganz große Qualität des workshops hannover.
Wegen der Pandemie hat sich der Verein im vergangenen Jahr entschlossen, den 50. Geburtstag im September 2021 nicht zentral mit nur einer Aktion zu feiern, sondern ein Jahr lang immer wieder mit verschiedenen Aktionen zu zelebrieren. So gab es zunächst überraschende Geschenk-Aktionen im Stadtraum, genauer im Berggarten und im Hermann-Löns-Park. An zwei Tagen haben die Kursleiterinnen und Kursleiter dort performt, haben einfach Leute angesprochen und gefragt, ob sie ein Geschenk möchten – und dann gab es beispielsweise einen Tanz, es gab Polaroids, es gab schnelle Portraits und Holger Kirleis hat mit Klapperlatschen Musik gemacht. Alles immer jeweils nur für einen Menschen, ganz klein und persönlich, ohne große Bühne. Zu Zinnober folgte dann die Ausstellung einer großen Fotowand, die noch bis zum Sommerfest im Juli bleiben wird. Im Juni gab es dazu zwei Tage der offenen Tür mit tollen Aktionen und die Bücherbiene hat ihre Bücher präsentiert (natürlich ist bei der Gelegenheit auch wieder eins entstanden zum Thema „Kennst du das noch?“). „Die Leute waren beglückt“, erzählen Silke Boerma und Burkhard Scheller, 1. Vorsitzender des Vereins. Und genau das schafft der workshop hannover seit Jahren, er sorgt für lächelnde Gesichter. Einer dieser wichtigen Leuchttürme in Hannover, die man fast übersieht, weil sie bereits zu so einer Selbstverständlichkeit geworden sind.
Wir freuen uns auf die nächsten 50 Jahre!
● Lars Kompa