Über Öffentlichkeit – ein Gespräch mit Bettina Wulff

Über Öffentlichkeit – ein Gespräch mit Bettina Wulff

Bettina Wulff

Bettina Wulff muss man wahrscheinlich nicht groß vorstellen … Ein Satz, den man mal schnell so hinschreibt. Aber stimmt das eigentlich? Sie war an der Seite von Christian Wulff zuerst „die Neue“ des Ministerpräsidenten und später die First Lady im Schloss Bellevue, bis Christian Wulff zurückgetreten ist, sie war über Jahre ein „Lieblingsthema“ der Medienwelt, man hat sie geliebt und gehasst, man hat sie gelobt und beleidigt, bewundert und diffamiert. Man hat ihr Arroganz unterstellt, man fand sie berechnend, kaltherzig. Man hat ihr immer wieder neue Stempel verpasst, sie in immer neue Schubladen gesteckt. Aber wer ist Bettina Wulff? Was haben all die Geschichten, all die „News“ eigentlich mit der echten Bettina Wulff zu tun? Es lag nahe, mit ihr „über Öffentlichkeit“ zu sprechen, denn Bettina Wulff war eine ganze Weile, ob nun gewollt oder ungewollt, ein sehr öffentlicher Mensch. Wie begegnen wir uns eigentlich in diesen Zeiten eines medialen Lautsprechers namens Internet, wie fair und wahrhaftig ist das alles und was kann diese Öffentlichkeitsmaschine anrichten? Wie gehen wir miteinander um, wie gehen wir mit Prominenten, mit „öffentlichen Menschen“ um …?

Frau Wulff, ich weiß ganz viel über Sie, aber ich habe den Verdacht, ich weiß im Grunde gar nichts. Wir fangen also am besten ganz vorne an. Sie haben als Kind öfter auf der Bühne gestanden, sozusagen in der Öffentlichkeit …

Tatsächlich habe ich zum ersten Mal mit dem Kinderchor auf der Bühne gestanden, mit den Fleutjepiepern in Großburgwedel. Ich war schätzungsweise neun Jahre alt, habe Sopran gesungen und war tierisch aufgeregt. Aber ich fand das auch irgendwie ganz großartig. Ich habe als Kind sehr viel Musik gemacht, als Mädchen intensiv Blockflöte gespielt. Da gab es dann alle zwei Wochen freitags in der Musikschule ein Vorspielen für die Eltern – und wer sich sonst noch quälen lassen wollte. Und es war ganz ähnlich, war immer fürchterlich aufgeregt, aber letztlich fand ich es auch immer ganz toll. Ich durfte zeigen, was ich konnte. Und ich habe früh gelernt, dass man eher gemocht wird, wenn man etwas Gutes abliefert.

Gab es in Ihrer Familie so ein Leistungsprinzip?

Niemals ausgesprochen, aber das gab es schon. Ich muss dazu sagen, dass ich eine sehr schöne Kindheit hatte, ich habe damals nicht darunter gelitten, auf der Bühne zu stehen, es gab keinen Druck in dem Sinne. Aber ich habe schon gemerkt, dass für ein gutes Funktionieren eher gelobt wurde. Das war sicherlich Ansporn, in der Musik und im Sport leistungsorientiert unterwegs zu sein. Beim Sport war mein Vater immer Vorbild. Er war ein sehr guter Fußballer bei 96 und ist damals in der A-Jugend Deutscher Meister geworden. Letztlich hat er dann aber mit dem Leistungssport aufgehört, das fand ich als Kind sehr schade.


In der Schule waren Sie wahrscheinlich Klassensprecherin?

Ja, Schulsprecherin auch. Man könnte auf der anderen Seite jetzt natürlich sagen, sie haben eine Doofe gesucht und mich gefunden (lacht). Für mich war Gerechtigkeit schon immer ein Thema, und wenn ich das Gefühl hatte, dass jemand ungerecht behandelt wurde, im Miteinander, aber auch bei den Noten, dann habe ich mich eingesetzt. Und mir an der Tür zum Lehrerzimmer den einen oder anderen Schlagabtausch geliefert. Ich wurde dann auch regelmäßig losgeschickt, um Dinge anzusprechen und zu klären. Das war wahrscheinlich ziemlich nervig für die Lehrer*innen. Aber es gab glücklicherweise auch welche, die fanden das gut. Und diese zwei oder drei Lehrer*innen waren auch genau die, die mich gefördert haben. Ich war von der siebten bis zur zehnten Klasse auf einer Realschule, vorher zwei Jahre auf der Orientierungsstufe, die gab es damals noch. Das Gymnasium bei uns hat dann nicht so recht gepasst zu meinem „Auftritt“ in der Orientierungsstufe und für den Besuch eines Gymnasiums in Hannover fanden mich meine Eltern noch zu jung und zu klein, also bin ich auf die Realschule gegangen – und hatte dort wirklich großartige Jahre mit ein paar großartigen Lehrern, die mich gefördert und gepuscht haben, eine Deutschlehrerin, ein Mathelehrer. Mir hat die Realschule sehr viel Freiheit verschafft, der Druck war nicht so groß, ich hatte viel Freizeit und ich konnte anderen Dingen nachgehen, die mir damals sonst noch wichtig waren.


Was war wichtig?

Ganz viel Sport, Basketball. Und dazu die Musik. Ich habe immer in Chören gesungen, im Kinderchor, im Schulchor. Und ich habe mich eine lange Zeit tatsächlich voll aufs Blockflöte spielen konzentriert als klassisches Instrument. Parallel leistungsorientiert Basketball. Das gab natürlich Gezerre. Der Basketballtrainer wollte, dass ich noch ein paar Trainingseinheiten mehr mache und dafür die Blockflöte an die Seite lege, meine Blockflötenlehrerin wollte, dass ich mit diesem Sport aufhöre. Wegen der Gefahr, der dauernd angeschwollenen Finger. Das gab es natürlich öfter. Sie wollten immer, dass ich mich entscheide. Aber ich wollte immer beides machen, mir war beides wichtig und ich wollte nicht das eine gegen das andere eintauschen. Beides hat sich dann erst im Studium schlagartig erledigt. Ich habe Medienmanagement, angewandte Kommunikationswissenschaften in Hannover studiert, und das war so verschult und darum so zeitintensiv, dass sowohl für Basketball als auch für Musik kein Platz mehr war. Darum habe ich leider aufhören müssen. Sehr schade.

Bleiben wir noch kurz auf der Realschule. Schülersprecherin, Chor, Auftritte – haben Sie gerne im Mittelpunkt gestanden?

Es hat mir Spaß gemacht, mich für etwas einzusetzen und mir etwas zu erarbeiten. Obwohl ich immer unglaublich aufgeregt war vor Auftritten oder auch großen Basketballturnieren, weil dort zum Beispiel für die Auswahlmannschaft gesichtet wurde. Das hat mir vorher schlaflose Nächte bereitet, ich hatte immer extremes Lampenfieber. Aber ich habe es dann auch immer sehr genossen. Als Schülersprecherin war das ein bisschen anders, da war das Bedürfnis mein Antrieb, mich für andere einzusetzen. Das ist bis heute so, Ungerechtigkeiten rühren etwas ganz Essenzielles in mir an. Ich kann das gar nicht so genau fassen, aber das zieht sich schon durch die ganzen Jahre bis heute und ist jetzt ja auch Teil meines Jobs. Wenn Ungerechtigkeiten in meiner Nähe passieren und ich die Möglichkeit habe, Einfluss zu nehmen, dann muss ich das einfach machen. Dann geht es gar nicht darum, dass ich mich entscheide, ob ich helfe. Ich muss einfach.


Das bedeutet auch, dass man sich einmischen muss, dass man unbequem ist und aneckt.

Ja, und das ist natürlich manchmal anstrengend für alle anderen. „Jetzt die schon wieder!“ Es gab so manche, die das unerträglich fanden, die meinten, ich würde mich immer in den Vordergrund spielen und hätte dabei Hintergedanken, eigene Interessen. Ich habe wohl schon immer ein bisschen polarisiert.


Ihnen wurde Eitelkeit unterstellt …

Das lag schon allein an der Körperlänge, dadurch bin ich aufgefallen, ob ich wollte oder nicht. Ich war immer einen Kopf größer als die anderen Kinder. Und das war auch anstrengend. Im Kindergarten hieß es zum Beispiel immer: guck mal nach den anderen, sing mal vor, räum mal auf – aber ich war auch erst vier.


Machen wir einen kleinen Zeitsprung, von der Realschule ging es dann in Hannover aufs Gymnasium.

Auf die Leibnizschule in der Röntgenstraße. Ich hatte davor großen Respekt. Aber das war klug angelegt, es gab so eine Extraklasse für Kinder aus anderen Schulen und wir hatten dann in den Hauptfächern eine Doppelstunde mehr. Das hat super funktioniert.


Wie waren dann die beruflichen Pläne?

Ich wollte eigentlich Theologie studieren und Pastorin werden. Der Wunsch hatte sich bei mir mit der Zeit irgendwie entwickelt. Aber ich habe mich letztlich nicht getraut. Mir wurde von allen Seiten suggeriert, dass das keine gute Idee sei. Ich würde in die sichere Arbeitslosigkeit studieren, es gäbe viel zu wenig Gemeinden und viel zu viele Theologen, und dann hätte man in irgendeinem Dorf eine halbe Stelle. Ich habe damals zwar gedacht, dass genau das mein Ding wäre, Dorfpastorin. Man kümmert sich um die Menschen, um deren Belange, man besucht sie zu Hause. Und sonntags hält man eine gute Predigt und erzählt den Leuten auch mal ein bisschen was anderes. Aber ich habe mich einschüchtern lassen, auch von den Ansprüchen des Studiums. Ich habe in der Schule Französisch gehabt. Latinum, Gräkum, Hebraicum – das wäre natürlich eine Herausforderung gewesen. Mein Vater hat nicht Fußballprofi werden dürfen, ich durfte nicht Pastorin werden. Ich hätte es natürlich versuchen können, aber dazu war ich damals nicht selbstbewusst genug. Und dazu gab es ja auch diesen Sicherheitsgedanken.


Man studiert etwas mit Perspektive …

Genau. Gutes Einkommen, sicherer Job, bloß keine Experimente. Und ich ertappe mich, dass ich aktuell aufpassen muss, meine Kinder nicht in irgendwelche Schablonen pressen zu wollen. Das gelingt mir manchmal gar nicht so gut. Denen wachsen jetzt ja auch Flügel. Dieser Sicherheitsgedanke ist schon fest in mir angelegt, das ist so eine Prägung. Das sitzt sehr tief.


Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund …

Ja, Nicole. Oder etwas moderner: Lieber Wolke vier mit Dir, als unten wieder ganz allein. Aber ich denke, man muss und soll sich trauen, soll Dinge ausprobieren, mit offenem Ausgang.


Was damals aber noch nicht die Regel war.

Wir hatten nach dem Abitur schon unfassbar viele Möglichkeiten. Man konnte darüber fast verzweifeln. Aber natürlich ging das alles in eine bestimmte Richtung. Pastorin wäre etwas völlig anderes gewesen. Und dann ist man natürlich zu Hause in einer Kleinstadt. Da gibt es ja auch in gewissem Sinne eine Öffentlichkeit, die im Zweifel skeptisch beäugt und redet.


Kleinstadt ist ein bisschen wie Instagram, nur real, oder?

(Lacht). Ja, das trifft es ganz gut.


Und wenn man dann ausschert, es anders macht, hat man schnell seinen Ruf weg …

Ja, das passiert. Es hat viele Vorteile, in einer Kleinstadt zu leben. Aber eben auch ein paar Nachteile.


Sie haben dann in Hannover studiert.

Ja, ich habe mich damals in Hannover und Hildesheim beworben und habe dann am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung studiert. Das gab es damals erst im zweiten oder dritten Jahrgang, ein ganz kleiner Studiengang mit rund 30 Studierenden. Und ich war echt überrascht, dass man mich genommen hat, ich war ja kein Überflieger und hatte keinen Abischnitt 1,0. Das war bei den meisten anderen in dem Studiengang ganz anders. Aber man hat sich mit einer Bewerbungsmappe und in einem Bewerbungsgespräch vorgestellt und ich hatte Glück. Doch ich habe dann schnell gemerkt, dass es vielleicht doch kein so großes Glück war. Es gab einen sehr großen Leistungsdruck an diesem Institut, es ging um besser, höher, weiter, schneller. Das hat mir schwer zu schaffen gemacht, dieses Studium war für mich echt eine harte Zeit. Ich habe formal natürlich unglaublich viel gelernt und bin dafür im Nachhinein dankbar, aber diese Art des Umgangs miteinander, das war heftig. Und ich hatte mir meine Studienzeit ganz anders vorgestellt, viel freier. Man geht erstmal eine Runde feiern und guckt dann irgendwann morgens um zehn, was es so für Vorlesungen gibt. Das war überhaupt nicht so. Mein Studium ging von 8 bis 17 Uhr, mit vielen Hausarbeiten, großem Lerndruck, da ging es richtig zur Sache. Ich bin dann irgendwann ausgestiegen und habe gearbeitet. Zuerst und schon parallel zum Studium in einer kleinen Internetagentur in Hannover. Das war damals total aufregend, da ging es ja erst los mit dem Internet. Und ich habe Content produziert für Webseiten, das hat Spaß gemacht. Im Anschluss war ich kurz in München bei einer PR-Agentur. Und dann habe ich bei der Conti in der Unternehmenskommunikation angefangen. Ich habe dort die Pressearbeit für alles Mögliche gemacht, Standortpresse, auch für Produkte. Ich war zuständig für die Veranstaltungsorganisation und Standortkommunikation. Dazu gehörte auch, dass ich Reisen vorbereitet habe. Das war damals auch alles ein Balanceakt. Ich war ja alleinerziehend, ich habe mit 29 Jahren Leander bekommen und ich und sein Vater haben uns schon nach einem Jahr getrennt. Ich habe extrem viel gearbeitet und hatte den Kleinen mit mir. Das war ein stark durchgetaktetes Leben. Und dann war ich doch mal bei einer Reise dabei. Und auch der Ministerpräsident.


Sie haben ihn auf einer Reise kennengelernt.

Ja, und ich habe zuerst gar nicht realisiert, was da passiert ist. Christian hat mir seine Visitenkarte gegeben, er fand ein Waisenhausprojekt in Südafrika der Continental spannend, das wir ihm vorgestellt haben. Und ich habe gedacht: beeindruckend, der kümmert sich noch ganz persönlich. Bis irgendwann meine damals beste Freundin am Telefon fragte, ob ich das eigentlich gar nicht merken würde. Das war keine verstandesorientierte Entscheidung, es war einfach Herz und Bauch. Ich hatte mich verliebt – in den katholischen, verheirateten Ministerpräsidenten. Super! Und er hatte sich in mich verliebt. Bis wir das beide klar hatten, hat es dann aber noch eine ganze Weile gedauert.

Dann war es zuerst heimlich. Und irgendwann ging es in die Öffentlichkeit.

Zwangsläufig. Weil diese Heimlichkeit kein Zustand ist. Man hat auch keine Möglichkeit, sich wirklich in Ruhe weiter kennenzulernen. So ein Ministerpräsident hat einen unfassbaren Terminkalender. Und Christian hat seinen Job sehr gerne gemacht, er ist von früh morgens bis nachts durchs Land gefahren. Das war alles schwierig.


Wie hat sich das angefühlt, dieser Übergang? Man ist privat und steht plötzlich absolut in der Öffentlichkeit …

An dem Tag, an dem es bekannt wurde, bin ich ganz normal morgens zur Arbeit und auf dem Weg am Kiosk vorbeigekommen. Und da wurden gerade die Zeitungen in den Ständer gestellt. Titelseite: „Das ist seine Neue!“ Da ist mir erstmal schlecht geworden. Ich habe das gar nicht verstanden. Was hat das auf der Titelseite einer überregionalen Tageszeitung zu suchen, was ist daran interessant, warum ist das von öffentlichem Interesse? Es gibt doch wirklich wichtige Dinge. Total skurril und befremdlich. So richtig fassen kann ich das bis heute nicht.


Und dann ging es los und es gab sehr schnell auch Negatives.

Was ich zuerst gar nicht so sehr realisiert habe. Wo ich war, war es eigentlich immer relativ nett und ruhig. Geredet wurde, wenn ich weg war, wenn ich den Raum verlassen hatte. Ich habe dann nach und nach natürlich mitbekommen, was da so über mich geredet wurde. Leute, die mich selbst nie kennengelernt haben, erzählten irgendwas über mich. Da hat man dann so Ohnmachtsmomente. Und man denkt, das kann doch gar nicht sein. Die kennen mich gar nicht und erlauben sich ein Urteil. Ich hatte so etwas in dieser Kleinstadtöffentlichkeit natürlich auch schon erlebt, aber nicht in diesem Ausmaß. Das war etwas ganz anderes.

Gab es auch Wut?

Klar. Aber mehr dieses Gefühl von Ohnmacht. Man würde ja gerne jeden einzelnen vom Gegenteil überzeugen, was man natürlich nicht kann.

Aber es gab auch schöne Seiten …

Man kann an der Seite eines Ministerpräsidenten auch eigene Themen platzieren, man kann gestalten, vielleicht etwas Positives bewirken. Und das zu versuchen, hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich war natürlich viel mit ihm unterwegs auf Veranstaltungen, auch das hat mir Spaß gemacht. Ich habe viele, ganz unglaubliche Menschen kennengelernt. Und mich hat fasziniert, wie Politik funktioniert, ich war schon immer ein politisch interessierter Mensch.


Wenn ich heute sehe, wie junge Leute ihre Karrieren durchtakten, wie sie Auftritte planen, Öffentlichkeit trainieren, und ich sehe dann Sie, die sich verliebt und damit so reingeworfen wird ins kalte Wasser, dann ahne ich die Probleme. Gab es Hilfe? Berater?

Wir haben natürlich als Paar viel darüber geredet. Wie viel ich mir selbst eigentlich zumuten will. Ich habe ja weitergearbeitet und der Kleine war auch noch da. Es gab also immer die Frage, was ich mache und was ich besser auslasse. Es gab in Christians Umgebung dazu natürlich auch ganz vertraute Menschen, die mit uns geredet haben und auch bei der Terminplanung beraten haben.


Wenn man diese böse Nachrede erlebt, ist man dann enttäuscht? Meidet man irgendwann Menschen? Verändert sich die Sicht?

Es gab schon Momente, in denen ich aufpassen musste, dass ich nicht zur Zynikerin mutiere. Mal so einen zynischen Moment haben, das finde ich okay. Aber wenn das zur Grundstimmung wird … Ich habe schon irgendwann gemerkt, dass ich niemandem mehr so recht über den Weg getraut habe. Früher habe ich mir nie Gedanken gemacht, wenn ich neue Menschen kennengelernt habe, ich bin ein sehr offener und fröhlicher Mensch. Dieser Generalverdacht, der sich dann so bei mir breitgemacht hat, war mir völlig fremd. Wenn sich zum Beispiel jemand als Journalist vorgestellt hat, dem nicht automatisch misstrauisch zu begegnen.


Ich habe also schon verloren.

Es ist wieder besser geworden (lacht). Aber was ich damals an mir beobachtet habe, das hat mich schon ziemlich entsetzt. Weil diese Offenheit und Zugewandtheit für mich immer wichtig war. Das war im Kern so mein Lebensgefühl. Und das wollte ich mir nicht zerstören lassen. Das drohte aber, das war nicht leicht.


Wie ist es denn umgekehrt, wenn du auf Leute triffst. Recherchierst du vorher oder hinterher? Vertraust du den Medien?

Nein. Ich stelle sehr viel infrage, vor allem wenn es um eine Berichterstattung geht, die das Private und Persönliche ausleuchten will. Ich lese darum nichts mehr über Menschen. Ganz bewusst nicht. Ich gehe an den großen Zeitschriftenständern im Supermarkt vorbei. Vor allem am Boulevard, an der Klatschpresse. Ich weiß einfach, dass das meiste ohnehin falsch ist. Und es interessiert mich auch einfach nicht mehr. Ich möchte nicht, dass diese triefende Suppe mir noch einmal zu nahekommt. Das ist schon eine giftige Brühe.


Man wird sehr reduziert, zu einer Figur gemacht, die dann auch gehasst werden darf.

Genau das passiert. So eine Figur darf man ablehnen. Das wäre anders, wenn die Berichterstattung tiefer und fairer wäre. Ich unterstelle bei den meisten Menschen Menschlichkeit. Und bin mir sicher, dass solche hasserfüllten Reaktionen weitaus weniger wären, wenn klar ist, dass ich eine Familie habe, dass ich Kinder habe, die das im Zweifel alles mitbekommen, die diese bösen Gerüchte hören, wenn klar ist, dass ich einen Arbeitgeber habe und Arbeitskolleg*innen, die das mitbekommen. Wenn man sich das vorstellt und klarmacht, dann würde das mit dem Hass nicht funktionieren. Das unterstelle ich jetzt mal, in positiver Hoffnung. Dieser Hass funktioniert nur, wenn man abstrahiert.


Aber man kann sich wehren.

Wir habe eine sehr lange Zeit auf die ganzen schlimmen Dinge, die so kursierten, nicht reagiert. Aber es gab dann einen Moment, da habe ich gesagt, dass ich jetzt etwas tun muss. Für meine Familie, meine Kinder, auch für mich. Und dann habe ich mich ja unter anderem mit Google angelegt. Auch um zu zeigen, dass man etwas tun kann, dass man sich wehren muss und kann.


Da ging es um die Suchfunktion bei Google mit der automatischen Ergänzung „Prostituierte“ bei Ihrem Namen.

Genau. Google ist natürlich mit den hochdotiertesten Anwälten aufgelaufen, um den Algorithmus zu verteidigen. Das hat viel Kraft gekostet. Aber ich hatte auch sehr viel Zustimmung, sehr viel positives Feedback, beispielsweise von Politiker*innen und Schauspieler*innen. Dieser Kampf hat letztlich zweieinhalb Jahre gedauert. Aber es hat sich gelohnt.


Eine Form der Selbstermächtigung …

Ja. Ich bin jetzt ein Stück weit wieder Frau über meinen eigenen Namen.


Ein mutiger Schritt. Viele lassen es sich einfach gefallen.

Weil es immer auch ein Spagat ist. Was, wenn gerade das Engagement oder der nächste hochdotierte Job auf dem Spiel steht? Ich erinnere mich da an Anna Loos, eine großartige Sängerin und Schauspielerin, die damals so eine Shitstorm-Geschichte hatte und die das öffentlich gemacht hat. Sie hat genau darauf hingewiesen, auf das Problem, das Kranke daran, dass genau in dem Moment, wenn man sich öffentlich wehrt, die Gefahr besteht, dann man nur noch darauf reduziert wird. Dass dieser Kampf dann immer das erste ist, was mit ihr assoziiert wird. Und nicht, dass sie die großartige Sängerin von Silly ist oder eine wunderbare Schauspielerin. Sich zu wehren, dass kann sich durchaus sehr negativ auswirken auf die Karriere. Das ist das Fatale. Und das finde ich ganz unerträglich.


Ist man gehetzt von Anfang an, wenn man in der Öffentlichkeit steht?

Nein, das nicht. Das Leben geht ja ganz normal weiter. Aber es entwickelt sich tatsächlich so eine merkwürdige Parallelwelt. Die hatte dann damals mit dem Leben der echten Bettina Körner so rein gar nichts zu tun. Meine Kolleg*innen waren damals dieselben, ich habe denselben Weg zur Arbeit genommen, ich habe in meiner Freizeit dieselben Dinge getan. Zur Parallelwelt gehörte dann, dass ich an der Seite eines Politikers auftauchte, später „als Frau von“. Mit unserer echten Beziehung hatte das auch herzlich wenig zu tun.


Ist dieses „an der Seite eines Politikers“ wie ein Auftritt?

Das ist vergleichbar. Und ich habe das auch sehr klar voneinander abgekoppelt.


Aber diese Auftritte waren nicht nur schlecht, oder? Sie haben das auch genießen können …

Das war zuerst natürlich alles auch unfassbar spannend. Man macht alles Mögliche zum allerersten Mal. Und so viele spannende Menschen. Das ist plötzlich eine völlig andere Welt. Das war faszinierend. Und ganz unvorbereitet war ich durch mein Studium und mein Berufsleben ja auch nicht. Ich habe ganz gut einschätzen können, was bei diesen Menschen Inszenierung und Performance war und was real. Und es war sehr spannend zu sehen, wie diese Menschen sich geben und was passiert, wenn das Scheinwerferlicht angeht. Wenn die Tür aufgeht und das Theater sozusagen losgeht. Ich war manchmal recht glücklich darüber, dass ich nicht die Hauptdarstellerin war. Ich konnte mir das alles mehr von der Seitenlinie ansehen. Und zum Beispiel auch beobachten, wie der Mensch an meiner Seite von anderen wahrgenommen wird. Wie reagieren sie, wenn er den Raum betritt. Ich habe gelernt, was das Amt bewirkt.


Hat man an der Seite eines Ministerpräsidenten überhaupt mal Ruhe?

Zu Hause, wenn die Tür zu ist. Und ansonsten muss man einfach aufpassen, dass man sich nicht zu sehr verzettelt und nur noch von Termin zu Termin denkt. Man muss sich erinnern, dass es auch ein Familienleben gibt. Man muss sich bewusst Zeit nehmen.


Und sich als Chef eine Auszeit zu nehmen, ist schwer?

Das braucht viel Mut. Wenn beispielsweise jemand sagt, ich nehme mir den Mittwochnachmittag frei, dann wird eventuell Faulheit unterstellt. Oder man drückt sich vor Entscheidungen. Oder man ist dem Job nicht mehr gewachsen. Dabei kommt zu kurz, das ist so meine ganz persönliche Sicht, dass man Ruhe braucht, um zum Nachdenken zu kommen und damit auch zu richtigen Entscheidungen. Und es braucht auch Phasen, in denen man gar nicht denken muss. Man trifft ja in diesem Hamsterrad permanent Entscheidungen, man ist ununterbrochen gefordert, man ist auch auf Zuarbeit angewiesen, auf Entscheidungshilfen. Und weiß am Ende vielleicht gar nicht mehr, wie man das selbst alles findet. Ich glaube, davon können zumindest alle Spitzenpolitiker*innen ein Lied singen. Und ich denke, das ist ein Problem, die Eigendynamik, die mit diesen Positionen verbunden ist.


Man steckt selbst in dieser Rolle und begegnet Menschen, die ebenfalls eine Rolle spielen, die im Zweifel etwas wollen und sich entsprechend präsentieren. In 15-Mimuten-Terminen. Für echte Tiefe bleibt keine Zeit.

Das ist so. Sich unter solchen Umständen wirklich auf Menschen einzulassen, ist schwer. Und authentisch zu bleiben, ist ebenfalls schwer. Alle spielen eine Rolle.


Ich habe mir heute Morgen zum Beispiel überlegt, noch meinen Schreibtisch aufzuräumen, weil Sie kommen.

(Lacht) Wie ich sehe, haben Sie dann doch darauf verzichtet.


Ich wollte authentisch bleiben.

Das Chaos entspricht aber schon auch ein bisschen dem Klischee, oder?


Ist Ihnen das oft begegnet, dieses „vorher noch kurz durchwischen“.

Manchmal schon, aber die Menschen möchten dann natürlich auch nichts falsch machen und einem einen perfekten Empfang bereiten.


Haben Sie eigentlich aus dieser Zeit der Öffentlichkeit noch Freundschaften erhalten?

Man lernt sehr viele Menschen sehr oberflächlich kennen, tiefergehende Freundschaften zu knüpfen ist darum sehr schwer. Ich habe aus der ganzen Zeit vielleicht drei, vier Menschen, die wirklich auch zu Freundinnen und Freunden geworden sind und wo bis heute ein regelmäßiger Kontakt und Austausch besteht. Man darf aber auch nicht diese Erwartung haben, dass etwas bleibt, denn man ist ja in einer Rolle. Die Leute möchten primär die Frau des Bundespräsidenten kennenlernen und nicht Bettina Wulff. Man ist in so einer Position natürlich austauschbar. Und wenn der Vorhang sich irgendwann schließ, dann ist man uninteressant. Man kann in so einer Phase viel auf die Beine stellen, man hat wie gesagt Möglichkeiten, Dinge ein bisschen mit voranzutreiben. Besonders ehrenamtliches Engagement in unserer Gesellschaft zu zeigen und zu würdigen, war mir ein Anliegen Da hilft dann ein bisschen Öffentlichkeit. Aber man muss dabei klarhaben, dass es hunderttausende Menschen gibt, die tagtäglich um solche Projekte kämpfen und die niemand sieht. Man ist in einer herausragenden Rolle. Aber man muss sich immer bewusst sein: wenn die Zeit vorbei ist, ist auch das vorbei.

Sie haben vorhin kurz angesprochen, dass sie es befremdlich fanden, was so alles wichtig war in der Berichterstattung.

Sehr befremdlich. Wann hat man wie gelacht? Sah man müde aus? Hat man an der falschen Stelle gegähnt? Hat sie ein neues Tattoo? Wählt man bei den Kleidern dann nur noch Grau oder Hosenanzug? Weil man angeblich zu bunt daherkommt? Gibt man den Falschen recht, wenn man auf so etwas reagiert und tatsächlich etwas verändert? Ich wollte mich nicht verbiegen lassen.


Ich habe Interviews von Ihnen gesehen, da habe ich die Handbremse bemerkt, Sie haben etwas gesagt, dann bemerkt, dass man das Gesagte falsch interpretieren kann, und haben das dann mit ein paar Sätzen schnell wieder eingefangen. Das sehe ich bei sehr vielen Leuten, die in der Öffentlichkeit stehen. Verinnerlicht man diese Mechanismen, die Vorsicht?

Ja, da ist dann schon so im Hinterkopf. Man fragt sich, ob man etwas sagt, oder etwas besser für sich behält, man wägt sozusagen permanent ab. Wie viel möchte ich preisgeben? Und man erkennt auch, dass man eventuell anderen schaden kann. Das ist mir ein paar Mal passiert. Und natürlich wird man dann vorsichtiger. Glücklicherweise muss ich das nicht in der Familie und im Freundeskreis.


Über die Stränge schlagen darf man gar nicht, oder?

Das geht nur im geschützten Raum. Ich bin natürlich noch Bettina, ich tanze für mein Leben gerne. Ich war zum Beispiel mal mit meinem Bruder bei einem Fußballspiel von Hannover 96, bin extra aus Berlin angereist. Dann sind wir danach noch essen gewesen, es wurde später. Und irgendwann haben wir festgestellt, dass wir schon ewig in keiner Disco mehr waren. Also sind wir spontan ins Zaza. Und klar, man überlegt kurz. Bekommt das jemand mit? Aber die sind da ja alle viel jünger und haben andere Sorgen, da fällt man gar nicht auf. Also haben wir getanzt. Und in der Bild am Sonntag stand dann: Hier tanzt unsere First Lady ausgelassen … Wer ist der Mann an ihrer Seite? Klar, mein Bruder hatte ja keinen Zettel auf der Stirn. Da habe ich es mal laufen lassen und direkt die Retour bekommen. „Lass die Leute reden …“, haben Die Ärzte gesungen. Eine Weile habe ich gedacht, sie haben das Lied für mich geschrieben.


Dann gab es die Beziehungskrise und die wurde auch sehr in die Öffentlichkeit gezogen, das wirklich ganz Private.

Ja, das ist dann unfassbar anstrengend. Aber bei mir auch verbunden mit einer Erkenntnis: Man muss das trotzdem tun. Man darf das. Es ist erlaubt. Jedem Menschen ist das erlaubt. Man darf eine Beziehung beenden, man darf eine neue Beziehung anfangen, man darf auch eine alte Beziehung wieder neu aufnehmen. Und das darf man, auch wenn man Kinder hat. Und auch wenn man die Frau des Bundespräsidenten war. Man darf das. Und ich finde es ganz wichtig, das in die Öffentlichkeit zu tragen.


Das klingt sehr stark. Es gab aber auch sehr schwierige Zeiten, sehr dunkle Phasen, wo es fast gekippt ist.

Ja, die gab es. Ich bin nicht umsonst betrunken gegen einen Baum gefahren. Es gab Momente, da habe ich es fast nicht mehr ausgehalten. Dann hat man das Gefühl, dass einem alles entgleitet, dass man es nicht mehr zusammenhalten kann. Man hat die verschiedenen Lebensbereiche, ist Mutter, arbeitet, will allen Ansprüchen irgendwie gerecht werden, und hat eventuell auch noch völlig überzogene Ansprüche an sich selbst. Und man versucht, irgendwie den Druck rauszunehmen. Dieser Unfall war für mich ein total einschneidendes Erlebnis. Ich habe gemerkt, dass es so nicht geht. Dass mir mein Leben um die Ohren fliegt. Dass es existenziell wird. Man hat das Gefühl, dass man sich auflöst. Aber ich habe es dann doch irgendwie da durchgeschafft. Ich kann sehr viel aushalten, aber ich habe häufig die Dinge zu lange ausgehalten. Da bin ich heute gnädiger zu mir selbst. Mittlerweile sage ich früher nein. Und gestehe mir zu, dass ich ein Mensch bin.


Gehen Sie mit Jogginghose in den Garten?

In den Garten ja. Aber ich gehe nicht ungeschminkt aus dem Haus. Tatsächlich, weil ich keine Lust darauf habe, dass jemand schreibt, sie sieht krank, schlecht, müde aus. Das ist sozusagen mein Schutzwall.

Machen Sie sich Sorgen, wenn sie heute sehen, wie mit Menschen in den Medien umgesprungen wird? Wie inflationär im Netz gehasst wird?

Ja, das macht mir Sorgen. Sehr. Da werden unglaublich schnell Urteile gefällt. Wir müssen wieder lernen auszuhalten, dass Menschen unterschiedlich sind. Dieses Vielfältige macht doch unsere Gesellschaft überhaupt erst lebenswert. Man sollte andere so sein lassen können, wie sie sind. Das treibt mich wirklich um. Permanent gehen die Schubladen auf und zu. Ich versuche auch, mich da immer wieder selbst zu prüfen. Was ich außerdem zunehmend bemerke, ist so eine Ängstlichkeit. Viele in Deutschland haben Angst, dass Dinge sich verändern. Und diese Angst verwandelt sich dann in Hass. Aber nur durch Veränderung ist ja Bestand möglich. Ich hoffe, dass sich das wieder dreht. Auch was den Blick auf Politikerinnen und Politiker angeht. Wenn wir so weitermachen, dann wird die Konsequenz sein, dass das kein normaler Mensch mehr machen will, weil der Preis zu hoch ist. Und das wäre eine ganz schlechte Entwicklung.

Heute arbeiten Sie für Notruf Mirjam, ein Hilfsangebot für Schwangere und junge Mütter in schwierigen Lebenssituationen in Hannover. Wie kamen Sie zu dem Thema?

Den ersten Kontakt gab es über Pastor Heino Masemann, der mich für das Notruftelefon als Ehrenamtliche begeistert hat. Menschen in Not direkt und schnelle Unterstützung zu vermitteln, empfinde ich als sehr sinnstiftend. Teilweise begleiten wir die Frauen über Jahre und können ihre positive Entwicklung miterleben. Und der Bedarf an Unterstützung ist gleichbleibend hoch: Am Notruftelefon erreichen uns jährlich rund 600 Anrufe. Für mich der treibende Grund, für dieses Projekt zu arbeiten.

Interview: LAK

Photo: Julia Baumgart Photography


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