Wir treffen die Freundeskreis-Mitglieder Andreas Hüttmann (AH) und
Alexander Rüter (AR) an einem ziemlich verregneten Tag Mitte September. Und sind gespannt, ob das Wetter zur Stimmung in der Branche passt. Der „Party Löwe“ Hüttmann startet momentan mit seiner H.AND Group durch, eine Dachmarke, unter der sich 14 Marken und Unternehmen versammeln. Und Alexander Rüter ist seit 2017 der Geschäftsführer im Central-Hotel Kaiserhof, das nun in der dritten Generation von der Familie geleitet wird. Ein Gespräch über Krisen und Chancen …
Wir beginnen wie immer mit einer kurzen Vorstellung.
AH – Ich habe ganz früher mal Koch gelernt und bin dann zunächst 10 Jahre durch die Weltgeschichte getourt. Anschließend war ich beim Lufthansa Party Service und habe die Niederlassung am Flughafen geleitet – damals hieß es noch Partyservice. Und dann bin ich 1996 im Bereich Event in Hannover hängengeblieben. Der Party Löwe wird manchem ein Begriff sein. Wir hatten dieses Jahr am 1. September unser 25-jähriges Jubiläum. Wow – 25 Jahre in diesem aufreibenden Job. Ich bin jetzt 54 Jahre alt, seit 30 Jahren glücklich verheiratet, ich habe eine Tochter, 27 Jahre alt, die einen tollen Job in München hat, sie wird also nicht meine Nachfolgerin.
AR – Ich bin jetzt seit viereinhalb Jahren Geschäftsführer bei uns im Central-Hotel Kaiserhof direkt am Hauptbahnhof, ein Hotel mit 78 Zimmern. Wir haben dort auch das Restaurant Brunnenhof und das Café Centrale. Ich bin 37 Jahre alt, gelernter Hotelfachmann, und ich bin bereits seit 18 Jahren in der Branche. Ich habe direkt nach dem Abitur Hotelfachmann gelernt und im Anschluss in diversen Hotelketten in Führungspositionen gearbeitet, auch im Ausland gelebt. Ich habe in der Branche also so eine ganz klassische Karriere gemacht, bevor ich zurück nach Hannover gekommen bin. Privat bin ich seit letztem Jahr glücklich verheiratet.
Dann steigen wir mal direkt ein in das große Corona-Thema. Die Branche hat es momentan alles andere als leicht …
AH – Wir haben natürlich auch schon vorher Krisen gesehen. 9/11 war eine Krise oder 2008 die Bankenkrise. Beide Krisen haben uns heftig mitgenommen. Und wir haben daraus durchaus gelernt. Wir sind deswegen wahrscheinlich bisher ganz gut durchgekommen. Beziehungsweise haben wir tatsächlich eher Vollgas gegeben. Mitten in der Pandemie sind wir durchgestartet, mit einer neuen Dachmarke, mit inzwischen 110 festen Mitarbeiter*innen und weiteren 300 Aushilfen. Spannend werden jetzt die kommenden Monate nach dem 1. Quartal 2022. Erfahrungsgemäß ist zu Jahresbeginn in der Branche nicht ganz so viel zu tun, das könnte für einige Kollegen knapp werden. Angesichts dessen ist natürlich gerade sehr viel Unruhe und Nervosität in der Branche.
AR – Ich denke auch, dass uns die schwersten Zeiten noch bevorstehen im nächsten halben Jahr. Wir müssen einfach sehen, dass wir jetzt erst einmal schnell wieder auf die normale Betriebstemperatur kommen. Uns hat die Krise voll im Peak getroffen, ich glaube, die gesamte Branche hatte 2019 sehr gute Umsätze, und dann kam quasi diese Vollbremsung. Überall dort, wo die Menschen sich normalerweise begegnen, feiern, schlafen, trinken, war plötzliche Stille. Insgesamt ein ganz seltsames Gefühl. Es gab nicht mehr diese flüchtigen Momente, diese besonderen Momente, in denen wir Menschen feiern. Das alles war ja mehr oder minder verboten. Ich bin aber zuversichtlich. Uns gibt es jetzt schon seit 130 Jahren, zumindest an diesem Ort. Und meine Familie betreibt das Unternehmen seit über 50 Jahren. Ich bin überzeugt, dass noch viele Jahre vor uns liegen. Bisher sind wir im Großen und Ganzen mit einem blauen Auge durch die Pandemie gekommen. Und ich glaube, durch das Schlimmste sind wir jetzt durch. Wobei auch ich, wie gesagt, noch ein bisschen skeptisch auf die kommenden Monate blicke.
Hättet ihr jemals gedacht, dass so eine große Krise drohen könnte?
AH – Ich kann tatsächlich sagen, dass 9/11 für mich eine Lehrstunde war. Wir haben damals 80 Mitarbeiter*innen konsequent entlassen müssen, es gab kein Kurzarbeitergeld. Alle sind für ein halbes Jahr nach Hause gegangen. Und alle Mitarbeiter*innen haben trotzdem weitergearbeitet, weil sie gesagt haben: Wir halten zum Unternehmen. Nach einem halben Jahr standen wir besser da als zuvor. Dann kam die Bankenkrise. Zu der Zeit war ich gerade in der glücklichen Situation, dass ich das Unternehmen an einen Schweizer Konzern verkauft hatte. Die haben es mir nach drei Jahren dann zurückverkauft – mit Freudentränen in den Augen. Die Bankenkrise war für mich also nicht nur schlecht. Aber: An unserem Unternehmen hingen damals 70 Familien. Das hat mich doch sehr geprägt. Und ich denke heute unternehmerisch anders. Seither ist mein Credo: Ein halber Jahresumsatz muss auf dem Konto sein. Das ist natürlich viel Geld. Aber das hat uns jetzt in dieser Pandemie zumindest 2020 sehr geholfen. Wir hatten dadurch einen ganz entscheidenden Vorsprung, wir konnten ein halbes Jahr ohne Auftrag überstehen, bei vollen laufenden Kosten. Und man kann dann natürlich, wenn man mit den Banken sprechen muss, aus einem Gefühl der Stärke heraus agieren. Das war in der Branche insgesamt ganz anders. Ich bin ja im Vorstand im Catering-Verband und habe darum einen ganz guten Überblick. Es gab viele, die bereits im April KfW-Mittel brauchten und die waren dann im August schon wieder weg. Wie das zurückzahlen? Das ist ein Hamsterrad, das hat sich dann schnell ausgedreht. Wir waren, weil wir aus den vergangenen Krisen gelernt hatten, gut aufgestellt. Man muss aus Krisen lernen und darf entsprechend Fehler nicht zweimal machen. Wobei dieses Credo, dass ich für mich festgelegt habe, natürlich überhaupt nicht üblich ist in der heutigen Zeit.
AR – Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich niemals erwartet hätte, dass es derart runter auf null geht, gerade in unserer Branche, die zwar nicht die margen-stärkste ist, aber gemeinsam mit dem ältesten Gewerbe doch krisenfest. Plötzlich dreht das auf null. Das war schon ein sehr mulmiges Gefühl am Anfang. Die Bankenkrise habe ich damals auch erlebt und das war ebenfalls eine große Herausforderung, in gewissem Sinne auch eine Vollbremsung. Aber diese Pandemie ist schon noch einmal etwas anderes.
Könnt ihr euch noch an den Beginn erinnern? Wann war das für euch, so gefühlt?
AR – Als ich KUG beantragt habe. Da hat mich die Dame ausgelacht: Herr Rüter, Sie wollen KUG beantragen? Eine Woche später haben wir telefoniert und sie hat gesagt: Um Gottes willen, hier sind in der letzten Woche 600, 700 Anträge aufgelaufen, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich habe durch meinen Hotelbackground viele Freunde in Asien, die in Peking und Hongkong arbeiten. Und die haben mir natürlich davon erzählt, ehe das Thema bei uns so richtig angekommen ist. Ich hatte also eine Ahnung, dass da etwas auf uns zurollt. Und ich habe natürlich versucht, sehr frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen und die Kosten zu prüfen. Natürlich hat das anfangs niemand so richtig ernst genommen. Aber dann ging es ja sehr schnell. Ich kann gar nicht sagen, ob uns diese Vorab-Infos groß geholfen hat. Vielleicht ja, weil ich gedanklich relativ schnell in den Krisenmodus gehen konnte. Mit dem Bewusstsein, dass wir jetzt im Unternehmen zusammenhalten müssen.
AH – Ich war damals eine Woche vorher noch auf Mallorca im Urlaub. Und plötzlich wurden die Hotels zugemacht. Teneriffa war schon zu. Wir hatten tatsächlich Sorge, ob wir überhaupt noch wegkommen. Nach meinem Rückflug habe ich dann sofort meine Führungsmannschaft zusammengeholt und habe gesagt: Da kommt etwas auf uns zu. Geht davon aus, dass wir ab morgen nicht mehr arbeiten dürfen. Und alle haben gesagt: Jetzt spinnt der Alte völlig. Das war am 3. März. Und am 10. März habe ich alle Mitarbeiter*innen bei uns im Schloss Herrenhausen unten im Auditorium versammelt und habe gesagt: Ab morgen arbeiten wir nicht mehr. Und ich weiß nicht, wie es weitergeht. Totenstille im Auditorium. Wir haben so um den 8., 9., 10. März am Tag im Schnitt etwa hundert Absagen von Veranstaltungen bekommen. In der einen Woche waren achteinhalb Millionen Umsatz weg. Gut fühlt sich das nicht an. Aber wir hatten wenigsten unseren Puffer. Ich habe natürlich trotzdem vorsorglich mit meinem Berater in der Bank telefoniert.
AR – Zu der Zeit waren die Banken noch recht entspannt.
AH – Ja, drei Wochen, dann läuft das wieder. Und ich habe gesagt, dass ich eher von sechs Monaten ausgehe. Und dass ich davon ausgehe, dass wir noch im nächsten Jahr damit zu tun haben werden. Im vergangenen Dezember hat der Bankberater mir gesagt, dass ich wohl der Einzige war, der davon ausgegangen ist, dass das länger dauert. Die Einschläge kamen dann ja ziemlich dicht, mit manchen unruhigen Nächten. Eng war es für uns im vergangenen November mit dem zweiten großen Lockdown. Die Geschäfte waren gerade erst wieder positiv angelaufen. Und dann diese erneute Vollbremsung, ohne dass bereits die politischen Werkzeuge bereitgestellt waren. Wir wussten nicht, ob es Kurzarbeitergeld gibt, ob Überbrückungshilfen gewährt werden. Glücklicherweise hat zu der Zeit unser größter Kunde seine Rechnung bezahlt und das hat uns über den Monatswechsel geholfen. Danach gab es die Überbrückungshilfen und das Kurzarbeitergeld und es konnte weitergehen. Aber das war zu der Zeit schon sehr ein Flug auf Sicht und nebenbei immer ein Blick in die Glaskugel, da war nicht klar, wie es in der Zukunft weitergeht.
Die Branche hat sich auch bemerkbar gemacht …
AH – Ja, wir waren sehr viel in Berlin, bei den Demos, bei Alarmstufe Rot. Das war zu Beginn auch sehr wichtig und notwendig. Wir, die Kollegen und Verbände, waren außerdem bei den Treffen mit Scholz, Altmaier und Co. Und wir sind mit unseren Aktionen der Veranstaltungsbranche, der Gastronomie und der Hotellerie ja irgendwann doch in das Bewusstsein der Politik vorgedrungen. Vorher kannte uns niemand, die Branche war für viele völlig fremd. Mittlerweile stehen die Unterhaltungsbranche, die Tourismusbranche und die Beherbergungsbranche im Text der Coronapolitik aber immer ganz vorne. Ich bin aber skeptisch, ob die Politik wirklich verstanden hat, dass uns das Thema noch mindestens bis zur Mitte 2022 beschäftigen wird. Ich gehe sogar vom kompletten nächsten Jahr aus. Wir werden kaum Messen haben, keine großen Businesskunden, die großen Konzerne feiern nicht … Und gleichzeitig muss man sehen, dass die KfW-Kredite in relativ kurzen Zeiträumen zurückbezahlt werden müssen. Solche Riesensummen zahlt man eigentlich in 10 bis 15 Jahren zurück und nicht in fünf Jahren. Ich glaube, viele im Markt werden da Probleme haben, und ich sehe durchaus noch politischen Handlungsbedarf an der Stelle.
In Hannover hat der Loccumer Hof die Schließung angekündigt, wegen mangelnder Planungssicherheit.
AH – Momentan sind die Immobilienpreise weitaus besser als die Beherbergungspreise, da kann ich diesen Schritt ganz gut verstehen.
AR – Es ist schon eine schwierige Situation. Eine Sicherheit hat man gar nicht. Ich sehe es ähnlich wie Andreas, das kommende Jahr wird ein Übergangsjahr werden. 2020 war schwer, 2021 ist bisher schwer und bleibt schwer, 2022 müssen wir zusehen, dass wir langsam wieder auf unsere Umsätze kommen. Aber das Thema wird uns noch lange begleiten. Ich denke, wir müssen ähnlich wie die Airlines denken und davon ausgehen, dass sich unsere Geschäfte erst mit den Jahren 2023, 2024 und 2025 wieder normalisieren. Dass wir erst dann wieder an die Umsätze aus 2019 herankommen werden. Das wird also noch ein Marathon.
Wie bewertet ihr denn das Agieren der Politik bisher?
AR – Insgesamt muss ich sagen, dass alle versucht haben, bestmöglich zu reagieren und zu unterstützen. Mit den Sofortprogrammen, mit den Zuschussmaßnahmen, mit KUG. Auch die Stadt und Region haben zügig reagiert.
AH – In unserem Fall war es zu Beginn schwer, weil wir mit unserem neuen Dachunternehmen durch alle Raster gefallen sind. Das war zunächst sehr kompliziert und anstrengend. Bauchschmerzen hatte ich aber vor allem damit, dass man den Sommer 2020 verschlafen hat, sich also nicht vorbereitet hat auf den Herbst und Winter. Mit den bekannten Folgen. Und in diesem Jahr gab es dazu quasi ein Déjà-vu. Da sehe ich das größte Manko. Aber wie gesagt, spannend werden jetzt die kommenden Monate.
Ein Problem ist in der Branche auch das Personal, viele sind abgewandert.
AR – Wir haben während des Lockdowns nach dem Prinzip gehandelt, dass man als Gastgeber versuchen sollte, mit seinen Gästen in Kontakt zu bleiben. Darum haben wir sehr schnell einen Online-Shop aufgebaut und einen kleinen Lieferservice etabliert. Und wir sind dann in die Südstadt gefahren oder haben unsere Rouladen in die Nordstadt gebracht. So haben wir tatsächlich einen Großteil unserer Mitarbeiter*innen, etwa 80 Prozent, in der Gastronomie gehalten. Und die wenigen Stellen, die bei uns dann offen waren, haben wir in den vergangenen drei oder vier Monaten wieder besetzten können. Das war aber nur möglich durch unsere spezielle Initiative. Insgesamt höre ich in der Branche etwas anderes.
AH – Im Bereich Eventcatering und Veranstaltungen sieht es tatsächlich ganz anders aus. Im bundesweiten Vergleich sind wir die Einzigen, die die Betriebsstärke annähernd halten konnten, beziehungsweise durch unsere Neustrukturierung sogar ausgebaut haben. Ein typisches Beispiel ist ein Kollege in Würzburg, der hatte vorher 100 Mitarbeiter*innen und hat jetzt noch 14. Im Juli ging dann das Geschäft wieder los. Riesenalarm – wir schaffen das nicht! Das dreht sich dann natürlich sofort total ins Negative.
AR – Das geht sehr vielen so in der Branche.
AH – Wir haben diesen Bedarf gesehen und eine Personalagentur eröffnet im vergangenen Oktober 2020. Die boomt natürlich, weil gerade überall Hände gebraucht werden. Die Agentur stellt jeden Monat 60 bis 70 Mitspieler ein – Aushilfen, die dringend gebraucht werden. Das klassische Fachpersonal, also beispielsweise die Köche, die gibt es nicht mehr wie früher. Es ist das erste Jahr beim Party Löwen, dass wir keine Auszubildenden finden. Sonst hatten wir pro Lehrjahr neun oder zehn, in der Spitze auch mal 25 Auszubildende in unseren Küchen. Das ist vorbei. Und eine echte Herausforderung für die Zukunft.
AR – Wir müssen schon sehr umdenken und neue Wege finden, wie wir unseren Nachwuchs in unsere Häuser bekommen. Andreas hat die Köche angesprochen, bei den Hotelfachleuten sieht es ähnlich aus, wie haben in diesem Jahr nur einen Auszubildenden, normalerweise waren es immer mindestens vier oder fünf. Wir können das halbwegs auffangen mit dual Studierenden.
AH – Die Berufsschulen sind ebenfalls leer.
AR – Die große Frage ist, ob und wie es uns gelingt, den Bereich der Ausbildung wieder nachhaltig zu stärken. Das ist für meine Generation in den kommenden 20 Jahren wahrscheinlich die größte Herausforderung.
● Lars Kompa