Bereits seit zwei Jahren gibt es in Hannover kein Bürger*Innenradio mehr. Gemeinsam mit ihren Vorstandskollegen Michel Golibrzuch und Lothar Schlieckau vom im März gegründeten Leibniz.fm. e.V. möchte Lea Karrasch das ändern. Mit einem umfangreichen Konzept für den neuen, nicht kommerziellen Radiosender Leibniz FM, mit einem inhaltlichen Schwerpunkt auf lokaler Kunst und Kultur, bewirbt sich der Verein bei der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM) um die Lizenz für die nach der Einstellung von radio leinehertz frei gewordene Sendefrequenz. Diese droht, finden sich keine neuen RadiomacherInnen, abgeschaltet zu werden.
Wie bist du dazu gekommen, als Moderatorin zu arbeiten? Stell dich doch mal kurz vor.
Ich bin ursprünglich aus Göttingen und habe in Jena Politik, Jura und Wirtschaftsgeschichte studiert. Das war ein sehr kommunikatives Studium, oder vielleicht bin ich auch einfach ein sehr kommunikativer Mensch (lacht). Ich war im Studierendenrat aktiv und habe mich politisch eingebracht. In Studierenden-Gremien habe ich damals schon angefangen, Sitzungen zu moderieren, das waren so die kleinen Anfänge. Jetzt bin ich seit über zehn Jahren in Hannover und arbeite beim DGB Niedersachsen als Abteilungsleiterin.
Also bist du für den Job nach Hannover gekommen.
Genau. Aber ich fand es auch schön, wieder nach Niedersachsen zu kommen. Und wer in Göttingen aufwächst und auch gern mal auf größere Konzerte oder Partys geht, kennt Hannover sowieso schon ein bisschen (lacht). Dass ich dann auch beim DGB angefangen habe zu moderieren, lag daran, dass im politischen Bereich Podiumsdiskussionen leider meistens mit Männern besetzt waren, in der Regel waren es ältere Männer. Um das aufzulockern, wollte man dann wenigstens eine Frau, die das moderiert. Und ich habe das so gut gemacht, dass ich immer mehr Anfragen für Moderationen bekommen habe, nicht mehr nur von Gewerkschaften, sondern auch von Stiftungen oder Ministerien, vom Pavillon und Vereinen …
Das hast du dann als freie Moderatorin gemacht.
Genau, das war dann unabhängig vom DGB eine Selbständigkeit, die ich mir nebenbei aufgebaut habe. Ich habe unheimlich viel Spaß daran, auch wenn das sehr viel Arbeit macht. Ich muss mich ja in die politischen Themen, die jetzt keine Kernthemen des DGB wie Frauenpolitik, Arbeitswelt oder Bildungspolitik sind, immer wieder neu einarbeiten. Aber natürlich lerne ich dabei sehr viel, lerne auch viele Organisationen kennen und bin in Hannover durch diese ganzen Veranstaltungen sehr gut vernetzt.
Wie kamst du dann zu Leibniz.fm?
Ich kenne Michel Golibrzuch und Lothar Schlieckau schon länger durch berufliche Anlässe und wir wohnen auch alle drei in Linden. Michel Golibrzuch hatte ursprünglich die Idee, weil er auch bei Radio leinehertz Sendungen gemacht hatte. Lothar Schlieckau kennt sich super in der Kulturszene aus. Naja, und ich als Moderatorin, das passt natürlich! Außerdem saß ich für den DGB Niedersachsen mehrere Jahre lang in der Versammlung der Medienanstalt, wohin verschiedenste Organisationen entsendet werden: Parteien, Kirchen, Gewerkschaften oder der Landesmusikrat zum Beispiel. Ich war zwar nicht im Bürgerfunk-Ausschuss, aber im Programmausschuss. Von daher habe ich eine Vorstellung davon, wie dort die Entscheidungsprozesse laufen. Jetzt müssen wir die Sendelizenz im Grunde erst einmal retten, denn die Landesmedienanstalt hatte die Absicht, Frequenz und Antennen-Infrastruktur für kommerzielle Nutzungen frei zu geben. Ein BürgerInnenradio für Stadt und Region Hannover wäre damit dauerhaft unmöglich geworden.
Die NLM hatte den Eindruck, es bestünde kein Interesse?
So sieht es aus. Aber jetzt können sich Interessierte doch bis zum 21.03. um eine Lizenz bewerben. Diese Bewerbungen werden im April geprüft, und dann wird entschieden, ob die Lizenz noch einmal offiziell ausgeschrieben wird. Dann können wir uns im Sommer offiziell darum bewerben.
Und besteht die NLM auf mehrere Initiativen, die sich bewerben?
Nein, im Prinzip würde ein qualitätsvoller Vorschlag reichen. Es gibt aber auch noch andere Bewerber, denn es sieht so aus, als würden Leine Live und Maschseewelle ebenfalls ein Konzept einreichen. Das ist im Prinzip sogar ein gutes Signal, denn so sieht man, dass es in Stadt und Region sehr wohl Interesse an einem BürgerInnenradio gibt.
Wie setzt sich euer Programm von den anderen Ideen ab?
Wir haben uns schon eine sehr ausdifferenzierte Programmstruktur überlegt. Wir werden natürlich frei von Werbung sein und planen eine ganz andere Musikfarbe als die gängigen Formatradios. Eine „Morning Show“ wird es also nicht geben (lacht). Unser Fokus auf Kunst und Kultur soll insbesondere der hannoverschen Szene eine Plattform bieten, auf der sie sich darstellen kann. Hannover hat eine ganz vielfältige Club- und Bandszene, die leider, wie überall, zurzeit komplett brach liegt. Ich vermisse das. Ich vermisse Livemusik, ich vermisse Tanzen. Wir wollen ein Veranstaltungsradio sein, die Szene so unterstützen. Und wir kommen vielleicht zum richtigen Zeitpunkt, um ihr wieder auf die Beine zu helfen. Wir möchten Konzerte ankündigen, die Bands anhand von Interviews vorstellen oder auch durch Live-Akustiksets im Studio. Die Resident-Dj’s oder BookerInnen der verschiedenen Clubs können ihre Musik bei uns spielen und sich so darstellen. Da kommt, wenn man zum Beispiel an Feinkost Lampe im Vergleich mit dem Bei Chéz Heinz denkt, eine irre Bandbreite zusammen, die die Vielfalt der Stadt zeigen soll. Wichtig ist uns einfach, Musikfarben zu zeigen, die im Formatradio nicht vorkommen.
Ein ehrgeiziger Plan, da wartet ein Haufen Arbeit auf euch! Wie geht ihr das an?
Naja, erst mal geht es jetzt darum, dass die Frequenz überhaupt wieder ausgeschrieben wird. Dafür brauchen wir einen starken Rückhalt und werben dafür, dass möglichst viele Leute in unseren Verein eintreten. Das ist übrigens schon ab einen Euro monatlich möglich. Wir sind jetzt schon 150 Mitglieder und zahlreiche Einrichtungen unterstützen uns: der Freundeskreis Hannover, das Kommunale Kino, das Schauspielhaus, die Freien Theater, Feinkost Lampe, um nur einige zu nennen. Und das UNESCO City Of Music-Radio wird auch in unsere Programmstruktur eingebunden sein. Wir sind gerade dabei, mit den verschiedenen Institutionen sogenannte Letters of Intent aufzusetzen, das möchte die Landesmedienanstalt so. Das macht gerade echt Spaß, weil wir dabei merken, dass die alle unbedingt ein Radio haben wollen. Der zweite Schritt ist dann, dass wir uns im Sommer offiziell um die Frequenz bewerben, und der dritte Schritt wäre dann, 2022 on Air zu gehen, inklusive aller Vorbereitungen: Man braucht Räumlichkeiten, man braucht neben ehrenamtlichen RadiomacherInnen natürlich auch einen gewissen Stamm an hauptamtlichem Personal. Es muss ein Team zusammengestellt werden, und da denken wir besonders an Frauen. Da ist mir aber gar nicht bange, wir haben so viel Euphorie schon im Vorfeld erfahren, es wird genug Leute geben, die Lust haben, das mitzugestalten.
Habt ihr bestimmte Leute im Blick?
Unter den 150 Leuten, die schon bei uns eingetreten sind, sind bestimmt 20 bis 25, die schon einmal Radio gemacht haben und hoch motiviert sind. Das geht natürlich auch nicht anders, denn ein BürgerInnenradio lebt nicht zuletzt von ehrenamtlichen Beiträgen. Da geht es wirklich darum, dass man die Dinge, die einem Spaß machen, mit anderen teilt und eine Gegenöffentlichkeit zu Quer- und NichtdenkerInnen schafft.
Um Sendungsbewusstsein.
Genau! Aber es ist auch vorgegeben, dass ein BürgerInnenradio breit aufgestellt sein muss. Wir können da jetzt kein Spartenradio draus machen. So ist der Fokus auf Kunst und Kultur, aber es wird auch Sport, Soziales, Wirtschaft und Politik geben. Und was mir, wie gesagt, wichtig ist, ist der Frauenaspekt. Leider gibt es kaum Zahlen darüber, wie viele Frauen im Radio aktiv sind, aber sie sind eindeutig unterrepräsentiert. Wir legen großen Wert darauf, die Sendeplätze nicht nur an Männer zu vergeben, die sich da selbst verwirklichen wollen. Wir überlegen schon jetzt, wie wir der Tatsache begegnen, dass einer gewissen Selbstüberschätzung von Männern oft eine zu große Zurückhaltung von Frauen gegenübersteht. Und natürlich sollen Frauenthemen auch im Programm eine große Rolle spielen. Also, wir freuen uns über alle Frauen, egal ob jung oder alt, die bei uns Radiomacherinnen werden möchten! Meldet euch!
Wie sieht es aus mit MigrantInnen und ihren Organisationen?
Kargah e.V. ist schon dabei, MiSo fragen wir gerade an … Klar, denn die Vielfältigkeit von Hannover soll ja auch im Radio stattfinden.
Wie viele Stunden am Tag plant ihr denn als Sendezeit?
Anfangs wird das Programm wahrscheinlich morgens losgehen und bis etwa 18 Uhr laufen, später vielleicht bis 20 Uhr. Das läuft auf UKW und als Stream, man kann sich Sendungen, die man verpasst hat, dann im Netz als Podcast anhören. Ich werde oft gefragt, warum UKW überhaupt noch wichtig ist. Das liegt einfach daran, dass so ganz klassisch Radio gehört wird, und in 90 Prozent aller Haushalte der Region auch ein entsprechendes Empfangsgerät vorhanden ist.
Und die ältere Generation, die ihr vermutlich auch erreichen wollt, streamt vielleicht noch nicht.
Genau. Ich bin auch schon mit meinen DGB-SeniorInnen im Gespräch und sondiere die Lage (lacht). Radio ist ein gutes Medium für Ältere, es ist sehr niederschwellig und man muss nirgendwo hin.
Musstet ihr für die Bewerbung schon einen Plan für die Finanzierung vorlegen?
Erst einmal geht es vor allem um ein überzeugendes inhaltliches Konzept. Wenn es mit der Lizenz klappt, bekommt man von der NLM Mittel für die Grundausstattung und eine jährliche Förderung. Gefordert ist laut Förderrichtlinien eine zehnprozentige Kofinanzierung durch den Veranstalter, die wir durch Mitgliedsbeiträge erwirtschaften wollen. Um ein richtig tolles Programm aufzusetzen, werden wir aber auch Zuwendungen oder Spenden benötigen, da sprechen wir aktuell bereits Unternehmen, Privatpersonen und Stiftungen an. Auch die Stadt und die Region sollten dabei eine Rolle spielen und es gibt auch schon positive Signale in dieser Richtung. Die Landesmedienanstalt möchte, dass sich das Interesse von Stadt und Region an einem BürgerInnenradio möglichst auch finanziell ausprägt. Solvente Kunst- und KulturliebhaberInnen können sich auch gerne melden (lacht).
Was uns noch wichtig ist: Wir sehen uns nicht als Konkurrenz zu Printmedien, sondern denken, im Gegenteil, schon darüber nach, wie wir zusammenarbeiten könnten.
Ihr habt den riesigen Vorteil, dass ihr die Musik auch spielen könnt. Wir können sie nur unseren LeserInnen beschreiben und ans Herz legen.
Perfekt, dann gebt ihr die Musiktipps – und wir spielen sie.
● Annika Bachem
Foto: Silke Jaworr
Unter www.leibniz.fm. finden sich alle Informationen, auch über die Mitgliedschaft im Verein.