Reinhold Fahlbusch und Andrea Weinhold-Klotzbach von StiDU – Stimme der UngeHÖRTen e.V.

Im März 2020 gegründet, war der Ansatz von StiDU ursprünglich, von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen Gehör und Sichtbarkeit zu verschaffen. Als eine Ombudsstelle sollte sie Ohr und Stimme der Obdachlosen sein und so erste Schritte zur Teilhabe am gesellschaftlichen Miteinander ermöglichen. Mit einer Pandemie hatte damals noch niemand gerechnet. Initiator ist der ehemalige Bankmanager Reinhold Fahlbusch, der sich schon seit über 15 Jahren in verschiedensten Organisation für Obdachlose engagiert, zum Beispiel als Vorstandsvorsitzender bei „fairkauf“ oder im Aufsichtsrat des Diakonischen Werks Stadtverband Hannover. „Ich bin christlich-katholisch sozialisiert“, erklärt Fahlbusch, „und zu Hause war es selbstverständlich, dass man sich für andere einsetzt. Ich setze mich mit dem, was ich kann, da ein, wo es gebraucht wird. Und ich kann mit Geld umgehen und Prozesse managen.“ Zusammen mit der zweiten Vorsitzenden von StiDU, der Juristin Andrea Weinhold-Klotzbach, ist Fahlbusch heute beim Stadtkind zu Gast.

Eigentlich wollten die StiDU-Gründungsmitglieder ihren Verein „Stimme der Schwachen“ nennen. „Aber wir merkten schnell, dass es nicht fair ist, Menschen schwach zu nennen, denen nur niemand zuhört“, so Fahlbusch. „Außerdem verlagert der Name StiDU – Stimme der UngeHÖRTen das Problem zu den anderen: Hört zu! Daher auch die Schreibweise. DU und HÖRT sind groß geschrieben.“
Von einer früheren Sozialdezernentin der Stadt Hannover hörte Fahlbusch irgendwann die Bemerkung, die Obdachlosen hätten ja gar keine legitimen Vertreter. Dieser Satz, so lebensfremd er war, denn wie sollten Obdachlose einen Vorstand wählen, setzte sich fest bei Fahlbusch. Natürlich war auch eines daran richtig: Obdachlose haben keine Lobby. Fahlbusch wurde vorstellig beim hannoverschen „Gesellschaftsfonds Zusammenleben“, der Gelder für Integrationsprojekte vergibt, und hatte kurze Zeit später Projektmittel für zwei Jahre, um genau so eine Ombudsstelle aufzubauen. „Nur bin ich 75 Jahre alt. Und weil ich nicht weiß, wie lange ich noch da bin, wollte ich das Ganze von meiner Person lösen.“
Er suchte Gleichgesinnte, und fand als eine der ersten Andrea Weinhold-Klotzbach, die in ihrer Kirchengemeinde einen Kreis für Obdachlosenhilfe leitete. Weitere Engagierte fanden sich, unter ihnen viele unabhängige Organisationen, aber auch Obdachlose selbst, und gemeinsam gründete man den Verein. Ganz wichtig ist ihnen hierbei die Unabhängigkeit von staatlichen Zuwendungen. „Wir müssen – und das machen wir im Moment ganz massiv – Finger in die Wunden legen“, betont Fahlbusch. „Und ich kann nicht mit der rechten Faust dem Baudezernenten auf den Tisch schlagen und sagen mach deine Häuser auf, und anschließend im Sozialdezernat die Hand aufhalten.“
„Eine Woche nach unserer Gründung kam dann Lockdown Nr. 1“, so Andrea Weinhold-Klotzbach. „Eigentlich wollten wir Leute gewinnen, die durch eine Art Abzeichen an der Jacke zu erkennen geben: Ich bin bereit, mich mit dir zu unterhalten, dir zuzuhören, wenn du ein Problem hast. So wollten wir das Thema in die Stadtgesellschaft tragen. Aber das war dann absolut nicht mehr vordringlich, den für die Obdachlosen brachen sämtliche Strukturen zusammen. Die Tafeln waren zu, mit Ausnahme der Caritas haben die freien Träger ihre Tagestreffs geschlossen. Eine Mitarbeiterin von StiDU, die provisorisch in einer Gartenlaube lebt, erzählte zum Beispiel, sie käme nicht mehr an ihre Klamotten, die sie in einem Tagestreff aufbewahrt hatte. Das war ja keine böse Absicht, sondern zeigt einfach, wie verrückt die Situation war, auf die keiner vorbereitet war,“ erinnert sich Fahlbusch.
Er trug dann seine Kontakte aus bisherigen Engagements zusammen, und StiDU schrieb einen ersten Rundbrief an EntscheiderInnen der Stadt, unter ihnen der Regionspräsident, der Oberbürgermeister und Fraktionsvorsitzende von Stadtrat und Regionsversammlung. Im Rundbrief wurden die vier ganz akuten Probleme benannt: Woher bekommen die Obdachlosen etwas zu essen, ohne Tafeln und Tagestreffs? Wo bleiben sie, wenn die Ansage ist: Stay at home? Wo können sie sich waschen? Wie können sie medizinisch versorgt werden?
„Die Stadtverwaltung hat in dieser Situation wirklich gut reagiert“, so Fahlbusch. „Sie haben einen interfraktionellen Krisenstab zusammengestellt, der sich den Problemen stellen sollte und der mit uns in ständigem Kontakt stand. Sandra Lüke vom Bollerwagen-Café und Mario Cordes von der Obdachlosenhilfe sind sofort eingesprungen, um eine Essensausgabe am Pavillon und in der Not-Schlafstelle Alter Flughafen zu organisieren. Er hat es auch sehr schnell geschafft, nicht nur warmes Essen, sondern auch Tafelware wie Gemüse und Obst mit auszugeben. Das war von etwa Mitte März bis Ende April, und die Zusammenarbeit mit der Stadt war, wie man sie sich eigentlich nur wünschen konnte. Die Stadt hat täglich 500 kostenlose warme Mahlzeiten im Congress Centrum kochen lassen, und die Caritas hatte auch nicht geschlossen. Die Heilsarmee hat Essen ausgegeben, das Stellwerk, Neues Land e.V. … Da kamen nicht nur Obdachlose, sondern auch die sogenannte Armutsbevölkerung. Super lief es dann auch erst einmal mit dem Thema Unterbringung. Es wurde möglich gemacht, 100 wohnungslose Menschen in der temporär geschlossenen Jugendherberge unterzubringen. Es war toll zu sehen, was das mit den Leuten gemacht hat und wie die ihre Zimmer gepflegt und dekoriert haben“, berichtet Fahlbusch.
Als dieses Angebot auslief, konnten immerhin 60 von ihnen einem zentral gelegenen Hotel untergebracht werden. Im Anschluss fand man die Möglichkeit im Naturfreundehaus am Rand der Eilenriede.
Als Juristin kann Weinhold-Klotzbach problemlos darlegen, welche rechtlichen Ansprüche Obdachlose haben. „Es gibt Rechtsprechungen von Oberverwaltungsgerichten, dass den Obdachlosen Tag und Nacht Schutz vor der Witterung geboten werden muss, und auch ein Platz für die persönliche Lebensgestaltung, ein Rückzugsort. Alle haben einen Anspruch darauf, dass ihre Grundrechte geschützt werden. Und das sind ganz konkret, das Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit und auf Menschenwürde. Eigentlich müsste die Stadt also die Notschlafstätten auch tagsüber öffnen, oder sie müsste Tagesaufenthalte anbieten, die in zumutbarer Entfernung liegen. Und da gibt es Urteile, die besagen, dass dazwischen höchstens 30 Minuten zu Fuß liegen dürfen, und dass es eine Möglichkeit zur sicheren Unterbringung persönlicher Sachen geben muss.“
Auf die Frage, von welcher Zahl wohnungsloser Menschen wir in Hannover überhaupt sprechen, bemerkt Fahlbusch: „Es steht immer eine 400 im Raum, aber ich denke, es sind mindestens 800, und für alle müsste ein Tagestreff zur Verfügung stehen. Langsam setzt sich bei der Stadtverwaltung nun die Erkenntnis fest, dass hier etwas getan werden muss, und ebenso die Erkenntnis, dass es zu enormen Veränderungen führt, wenn wir die Menschen sozialpädagogisch begleiten.“
Es kommt also Bewegung in die Sache, was nun in der kalten Jahreszeit auch dringend geboten ist. „Seit letzter Woche gibt es ein zartes Hoffnungspflänzchen: Das Modellprojekt Plan B – OK, das die Unterbringung der Menschen mit sozialer Beratung kombiniert. So sollen sie darin bestärkt werden, ihre Wohn- und Lebenssituation dauerhaft zu verbessern. 21 Leute bewohnen schon ein Haus in Döhren mit sieben Wohneinheiten und es wird nach weiteren Immobilien gesucht. Wir weisen allerdings schon seit Monaten auf drei leerstehende Objekte hin, die sofort bezogen werden könnten, auch wenn da vielleicht noch irgendwas am Dach repariert werden muss (letztere Bemerkung ist bezogen auf die Schulenburger Landstraße 158, die am 05.12. von Aktivisten besetzt und im Anschluss von der Polizei geräumt wurde. Anm. d. Red.). Angeblich werden für diese Immobilie gerade Wirtschaftlichkeitsberechnungen angestellt, die Mieter sind aber seit anderthalb Jahren raus. Meines Erachtens kann man so eine Prüfung innerhalb von ein paar Stunden durchführen,“, so der ehemalige Bänker, bei dem durchaus Wut und Unverständnis durchklingt. „Das Haus steht leer, bringt keine Miete und verkommt. Das ist für mich eine ganz einfache Rechnung. Wir machen jetzt Druck, dass diese freien Immobilien so schnell wie möglich im Rahmen von Plan B – OK genutzt werden. Die sind teils aus den Siebzigerjahren und sicher nicht mehr in einem Top-Zustand. Aber was ist denn die Alternative? Straßenpflaster! Und man kann, zum Beispiel mit der Unterbringung in der Schulenburger Landstraße gleich auch noch ein Arbeitsmarktprojekt draus machen, indem man das große, verkommene Grundstück dort von den Bewohnern herrichten lässt. Die könnten da Gemüse ziehen. Es gibt dort sogar einen kleinen Laden, über den die Erträge verkauft werden könnten. Es gibt eine städtische Beschäftigungsgesellschaft, die zusammen mit Obdachlosen Wohnungen instandsetzen könnte. Das Mitmachen gibt ihnen dabei eine ganz wichtige Erfahrung eigener Stärke: Ich kann ja noch was.“
Konzepte und Ideen sind also reichlich vorhanden, jetzt wäre es an der Zeit, bürokratische Hemmschuhe abzustreifen. Hausbesetzungen, wie am vergangenen Wochenende geschehen, lehnt StiDU allerdings strikt ab.
„Wir sind angetreten, als Ombudsstelle, um die Rechte Obdachloser zu wahren und dürfen nicht gutheißen, die Rechte anderer zu verletzen. Es gibt ein verfassungsmäßig garantiertes Eigentumsrecht. Es reicht nicht, wenn Maßnahmen legitim sind – sie müssen auch legal sein. Natürlich ist so eine Besetzung ein Hinweis darauf, dass hier etwas im Argen liegt, aber das war auch vorher schon bekannt und ging auch schon in sehr vernünftiger Form durch die Presse“, so Fahlbusch.
Das vierte Problemfeld ist die medizinische Versorgung. Die Regelsysteme der Medizin und Obdachlosigkeit vertragen sich nicht. Die meisten Obdachlosen setzen sich aus vielen und auch verständlichen Gründen nicht einfach in ein Wartezimmer. Hierzu wurde Fahlbusch von der Vorsitzenden des Sozialausschusses der Regionsversammlung, Jutta Barth angesprochen. „Wir haben ein Konzept für ein medizinisches Versorgungszentrum entwickelt, eng verzahnt mit zielgerichteter Sozialarbeit. Im Juli haben wir es einem größeren interessierten Kreis, einschließlich der Ärztekammer vorgestellt. Hier bewegt sich jetzt auch ein bisschen was. Für mich ist das ein Rückgriff auf meine berufliche Vergangenheit. Ich war als Bänker bei der Apotheker- und Ärztebank tätig und bin gut im Thema.“
Fahlbusch und Weinhold-Klotzbach sehen es sehr positiv, dass das Thema Obdachlosigkeit im Moment relativ große mediale Aufmerksamkeit bekommt. So entsteht ein gesellschaftlicher Druck auf die Verwaltung, etwas zu unternehmen.
Bei aller akuten Not ist es den bei StiDU engagierten Menschen wichtig, Obdachlose in der Stadtgesellschaft sichtbarer zu machen. Viele denken, wenn sie das Wort hören, an Betrunkene im Hauptbahnhof. „Ich zähle immer durch, wenn ich da bin, und komme etwa auf 15“, so Fahlbusch. „Die allermeisten aber sind für uns unsichtbar. Sie verstecken sich, schämen sich und versuchen, nicht aufzufallen. Aber die Leute sind hier in der Stadt, sie gehören zu uns. Und auf sie zu schauen, auf ihre Sorgen und Nöte, das tut einer Stadtgesellschaft gut.“                        ● Annika Bachem

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