Klaus Grupe, Vorsitzender des Vereins „bauhof hemmingen“

Seit 21 Jahren ist Klaus Grupe Vorsitzender eine Vereins, der sich mit seinem spartenübergreifenden, vielfältigen Kulturprogramm über die Jahre vom lokalen Geheimtipp zu einem gut vernetzen Kulturzentrum mit überregionaler Strahlkraft entwickelt hat. Für sein außergewöhnliches und langjähriges Engagement in Sachen „bauhof hemmingen“ bekam der ehemalige Erste Stadtrat von Pattensen im vergangenen September das Bundesverdienstkreuz verliehen. Zeit für ein Gespräch!

Der „bauhof hemmingen“ ist ziemlich genau 21 Jahre alt, ich glaube, zur Geschichte müssen Sie ein bisschen ausholen.
Ja, vielleicht (lacht). Im alten Dorf Hemmingen gab es einen städtischen Bauhof. Ende der 90er-Jahre wurde der verlegt und das ganze Areal, die ehemalige Werkstatt, eine Scheune, in der Material gelagert wurde, und der Platz davor standen leer. Nach einiger Zeit hat die Stadt Hemmingen dann eine Bürgerbefragung gemacht, um Vorschläge für die Nutzung zusammenzutragen. Die Idee war schon, nicht einfach abzureißen und neu zu bauen, sondern die Gebäude zu erhalten und einen Anlaufpunkt für die Bevölkerung zu schaffen. „Das könnte ja irgendwie kulturell genutzt werden“, stand im Raum. Und man suchte Vereine, die das übernehmen würden. Das gestaltete sich aber nicht so erfolgreich und so sprach man 1999 weitere Leute an, unter anderem mich. Wir waren zwölf engagierte BürgerInnen, zum Teil Leute aus dem Stadtrat. Wir haben uns zusammengesetzt und es kamen schnell Ideen auf, wie man dort ein kleines Kulturzentrum einrichten könnte.
Wie kam man auf Sie?
Ich bin 1997 nach Hemmingen gezogen. Der Hemminger Bürgermeister Claus-Dieter Schacht-Gaida war ein ehemaliger Kollege von mir, im Rathaus Hannover. Er war Referent des Oberbürgermeisters und ich war Referent des Kulturdezernenten. Und da er wusste, dass ich neun Jahre lang im Kulturdezernat gearbeitet habe, war es natürlich naheliegend, mich zu fragen, ob ich Lust hätte, da mitzumachen. Wir haben dann einen Verein gegründet, und als die Ämter verteilt wurden, habe ich gesagt, okay, dann mache ich das erst mal. Eigentlich wollte ich mich da gar nicht so tief einbringen, ich war bei der Wirtschaftsförderung tätig und stand kurz davor, bei der Expo eine Rolle zu übernehmen. Na ja, und aus diesem „erst mal“ sind jetzt über 21 Jahre geworden als erster Vorsitzender (lacht). Alle anderen, die damals bei der Vereinsgründung dabei waren, sind inzwischen ausgeschieden.

Dann sind Sie „das Gesicht“ des Vereins – das Urgestein.
Das sagt man so. Aber eine solche Sache braucht auch einen Motor, und es ist schon gut, wenn jemand mit ein bisschen Erfahrung das längerfristig macht. Erst einmal war das ja ein kleines, lokales Kulturzentrum, und wir wussten auch nicht, wo das hingehen würde. Aber wir hatten immer den Gedanken, dass, wenn wir da so viel Energie hineinstecken und ein solches Zentrum aufbauen, es dann auch etwas Langfristiges sein sollte. Wir haben noch die Expo abgewartet und dann ab 2001 ein dichtes Programm organisiert. Anfangs waren es etwa 35 Veranstaltungen pro Jahr, mittlerweile sind es 45.

Hatte der Verein denn überhaupt die Zusage der Stadt für eine dauerhafte Nutzung der Gebäude?
Nein, das war tatsächlich nicht so. Anfangs hatten wir einen Nutzungsvertrag ohne gesicherten Zeitraum. Erst 2007 konnten wir einen Vertrag mit fünfjähriger Laufzeit aushandeln, sodass wir Planungssicherheit für fünf Jahre hatten. 2012 wurde der um fünf Jahre verlängert, 2017 um zehn Jahre. Jetzt haben wir Sicherheit bis 2027. Das spricht auch einfach dafür, dass wir für die Stadt Hemmingen eine Einrichtung sind, die den Verantwortlichen wichtig ist. Als der Vertrag geschlossen wurde, hat der Rat das entsprechend einstimmig genehmigt. Es ist ein tolles Zeichen, wenn einem Verein, der ehrenamtlich geleitet wird, für so eine lange Zeit ein Vertrauensvorschuss gegeben wird. Die haben aber natürlich in diesen 17 Jahren gesehen, dass wir es ernst meinen, und dass wir für Hemmingen ein gutes Aushängeschild geworden sind.

Das ist er für die ganze Region, oder?
Das war schon ein Prozess. Es war so, dass wir anfangs sehr lokal gearbeitet und gar nicht so sehr über die Gemeindegrenze hinaus geguckt haben. Das hat sich aber schnell verändert, weil wir natürlich immer wieder neue KünstlerInnen getroffen haben und mit neuen Agenturen zu tun hatten. Wenn man einen Stein ins Wasser wirft, werden die Kreise eben immer größer. Mittlerweile kann ich mit Fug und Recht sagen, dass wir bundesweit bekannt sind. „bauhof“ steht jetzt nicht mehr für Baumaschinen und Backsteine … Anfangs war das schwierig, da mussten wir das erklären.

Vielleicht haben Sie mit dem Namen einen Trend ausgelöst! Jetzt gibt es viele „Kulturscheunen“, „Kulturbrauereien“ …
Wir haben lange darüber nachgedacht. In den 90er-Jahren gab es unheimlich viele „Kunstnamen“, alles war mit „Art“, das wollten wir nicht, auch keinen englischen Namen. Dann kam die Idee auf: „Mensch, das war doch mal ein Bauhof! Warum lassen wir das nicht so?“ Ich bekomme aber immer noch Angebote von Baustofflieferanten, die eigentlich an den städtischen Betriebshof gehen sollten (lacht).

Wie haben Sie das Programm gestaltet? Gab es von Anfang an Schwerpunkte?
Unser Motto war von Beginn an „Kultur ist Vielfalt“. Deswegen haben wir uns keine Beschränkungen auferlegt, wir wollten nicht nur Musik oder nur Kabarett. Wir hatten dann  immer ein gemischtes Programm, vielleicht 50 Prozent Musik und 50 Prozent „Darstellende Kunst“, also Kabarett, Theater, Comedy … Und bei der Musik war Klassisches dabei, aber auch Jazz, Blues, A-Cappella und vieles mehr.

Haben Sie persönliche Vorlieben?
Ach, es fällt mit schwer, da Schwerpunkte zu nennen. Vor allem bin ich ein großer Musikliebhaber und finde es toll, Livemusik auf der Bühne zu erleben. Dabei kann man sich so richtig fallen lassen, das ist etwas für die Seele. Aber das Thema Kabarett ist, gerade in letzter Zeit, enorm wichtig geworden. Uns geht es da nicht um reine Schenkelklopfer, auch wenn wir Comedy im Programm haben. Bestimmte Themen anzusprechen, finde ich sehr wichtig, und dafür ist eine Bühne das richtige Forum.

Wie erleben Sie Ihr Publikum, hat sich das verändert im Laufe der Jahre?
Anfangs sind tatsächlich die Nachbarn gekommen, die es angenehm fanden, dass sie nicht extra ins Auto steigen mussten. Mittlerweile kommt unser Publikum aber aus der gesamten Region, sogar noch darüber hinaus. Unsere Veranstaltungen im Rahmen des „Kultursommers“ der Region Hannover sind ein gutes Beispiel. In diesem Jahr haben wir dafür mit dem Schloss Landestrost kooperiert und dort gespielt, und da war vielleicht ein Drittel unser bekanntes Publikum aus dem Süden von Hannover. Der Rest war aus der gesamten Region. Aber wir haben schon ein sehr treues Stammpublikum.

Super, wenn man beides hat, weil dann ja auch Leute miteinander ins Gespräch kommen.
So ist es. Kultur hat immer einen Kommunikationsfaktor. Die Gäste kommen nicht, konsumieren und gehen wieder nach Hause, sondern die reden miteinander: Vorher, in der Pause und nach der Veranstaltung. Unser bauhof ist ein sehr kleines Haus, es herrscht eine Atmosphäre, in der man sehr leicht ins Gespräch kommt. In der Corona-Zeit haben wir ein paar Veranstaltungen in Schulen in Hemmingen und Laatzen durchgeführt, wo wir wenigstens 100 Personen unterbringen und gleichzeitig die Hygieneregeln einhalten konnten. Das fanden alle schön, aber die Atmosphäre im bauhof hat einfach gefehlt. Qualität auf der Bühne und Atmosphäre im Raum, das ist das, was wir schaffen wollen.

Können Sie die Corona-Zeit beschreiben, von März bis heute?
Zunächst einmal gab es so viele Fragezeichen, weil keiner einschätzen konnte, wie lange das dauern würde. Wir hatten langfristig Veranstaltungen geplant, die wir absagen oder verschieben, zum Teil sogar zweimal verschieben mussten. Es war aber schnell klar, dass wir den Kopf nicht in den Sand stecken würden. Kultur ist systemrelevant. Erstens für die Seele, wir können nicht nur in Moll rumlaufen, sondern brauchen auch mal Dur. Und zweitens hängen unglaublich viele Berufszweige daran, in denen eine Millionen Menschen beschäftigt sind. Also war klar: Wenn wir dürfen, veranstalten wir. Wir haben dann Open Airs gemacht, was totales Neuland war für uns. Die Abende waren gut besucht, und alle fanden es klasse. Mit dem MusikZentrum zusammen haben wir uns an das Thema Live-Streaming gewagt, das hat gut funktioniert, aber das Publikum hat gefehlt. Im Herbst haben wir dann glücklicherweise die beiden Schulen gefunden, und die Stadtverwaltungen in Laatzen und Hemmingen haben hervorragend mitgespielt und waren sofort dabei. So konnten wir sieben Veranstaltungen in geschlossenen Räumen machen und hatten gute Rückmeldungen von den Gästen, die sich alle sicher gefühlt haben. Das baut natürlich auf. Jetzt mussten wir unsere November-Veranstaltungen leider absagen, für Dezember haben wir zwei Veranstaltungen geplant. Wir sagen nicht: „Okay, wir schließen den Laden und warten erst mal ab“, sondern wir stehen in den Startlöchern und legen wieder los – sobald wir dürfen.
Wir haben aber auch ein super Team, das komplett ehrenamtlich arbeitet. Alle, die dabei sind, ziehen mit, weil es ihnen einfach eine Herzensangelegenheit ist. Als kleiner Verein ist man natürlich auch etwas flexibler in der Entscheidungsfindung.

Kann der bauhof das denn finanziell noch halbwegs wegstecken?
Gerade bei den Herbstveranstaltungen im Innenraum haben wir festgestellt, dass die Menschen etwas vorsichtiger waren. Wir haben dafür vielleicht 60 Prozent der Tickets verkauft, während wir normalerweise eine Auslastung von über 90 Prozent haben. Langfristig kann man so etwas nicht ohne Fördergelder durchhalten. Wir haben aber auch schon erfolgreich verschiedene Töpfe angezapft, Förderungen, die bis Februar laufen.
Für den Herbst haben wir noch gesagt: „Wir ziehen das durch, auch wenn wir hier und da ein bisschen draufzahlen.“ Glücklicherweise sind wir so gut aufgestellt, dass dadurch nicht sofort unsere Existenz bedroht ist. Aber im nächsten Jahr könnte es durchaus eng werden.

Also denkt der Verein von Woche zu Woche …
Ganz so geht das nicht. Ich finde es schwierig, dass unsere Bundesregierung mit ihrem Teil-Lockdown – die nennen das immer „Lockdown light“, dabei ist das für die Veranstalter und die Gastronomie ganz und gar nicht leicht – und weiteren Entscheidungen immer bis zum letzten Moment wartet. Aber wir müssen ja unsere Veranstaltungen auch bewerben. Also, im Moment denken wir von Monat zu Monat und bereiten alles so vor, dass wir weitermachen könnten. Wir haben zum Beispiel ein Dezember-Programm gedruckt, und sobald es grünes Licht gibt, wird das verschickt, beziehungsweise gemailt. Es gibt auch schon ein Januar-Programm. Aber mit Sicherheit wird es in den nächsten Monaten bei reduzierten Programmen bleiben, die frühere Anzahl an Veranstaltungen können wir erst mal nicht mehr bieten. Aber wir haben schon wieder erfolgreich mit den Stadtverwaltungen gesprochen, sobald wir dürfen, machen wir in den Schulen weiter.

Das ist tröstlich zu wissen …
Die Menschen haben auch das Bedürfnis nach Zerstreuung, nach Unterhaltung, nach positiven Dingen, die aufbauend sind. Und für uns im Team ist es auch so. Wir machen das ja, weil wir Spaß daran haben! Und Open Airs werden wir im nächsten Jahr definitiv wieder machen. Wir würden sogar noch andere Orte suchen, weil die Erfahrungen so gut waren in diesem Sommer.

Es ist ja auch ganz spannend, wenn dadurch neue Kooperationen entstehen.
Ja, und wir bekommen sogar ganz neue Gäste wie auf Schloss Landestrost. Insofern stimmt das mit der „Krise als Chance“. Und die muss man dann auch nutzen.

Haben Sie persönliche Highlights in 21 Jahren bauhof-Geschichte?
Klar! Es sind namhafte Künstler bei uns gewesen, das hätten wir uns zu Beginn gar nicht träumen lassen. Menschen, die aus dem Fernsehen bekannt sind oder in der Szene einen großen Namen haben. Der Fernsehmoderator und Autor Max Moor ist einer davon, er war schon dreimal für Lesungen bei uns. Oder Sascha Korf, der beim „Kleinen Fest im Großen Garten“ immer der Abräumer ist. Oder ganz am Anfang hatten wir mal das Nomos Quartett da, das im Klassik-Bereich sehr bekannt ist. Und mittlerweile kommen sogar Künstler aus Kanada, den USA oder Irland zu uns, der Radius hat sich nach und nach erweitert. Viele dieser sehr bekannten Künstler waren im Umgang übrigens ganz normal und zugewandt. Mein persönliches Highlight war vielleicht die Begegnung mit Max Moor, der ein total angenehmer Mensch ist. Oder auch Linda Zervakis, die Tagesschau-Moderatorin, die hat ja ein Buch geschrieben: „Königin der bunten Tüte – Geschichten aus dem Kiosk“. Ich habe einfach per Mail angefragt, ob sie bei uns lesen würde, das war wirklich Kaltakquise. Und dann hat das geklappt uns sie kam zusammen mit einer Freundin. Und das war ein so amüsanter Abend, so charmant, das war wirklich toll! Unser Markenzeichen – leider im Moment auch nicht möglich – ist, dass wir nach jeder Veranstaltung immer ein kleines Buffet machen und mit den Künstlerinnen und Künstlern hinterher noch zusammen etwas essen und trinken und vor allem reden. Das ist ein Bonbon fürs Team. Die Künstlerinnen und Künstler wollen ja auch nicht nach dem Auftritt gleich ins Hotel, so voller Adrenalin. Und bei diesem Zusammensein lernt man sich richtig ein bisschen kennen. Das hilft wiederum weiter, weil man immer besser vernetzt ist in der Kultur-und Veranstaltungsszene. Als ich angefangen habe, bin ich jedes Jahr zur internationalen Kulturbörse nach Freiburg gefahren. Im ersten Jahr habe ich mir da Fransen an den Mund geredet beim Erklären, was der bauhof ist. Das muss ich heute nicht mehr. Die kommen jetzt von alleine und viele wollen auch wiederkommen. Und das nicht nur wegen des Geldes, sondern weil sie sich wohlfühlen bei uns.

Vielleicht ist das auch ein Nebeneffekt der Krise, dass ganz ganz deutlich wird: Man braucht einander. Bühnen brauchen KünstlerInnen, aber die brauchen auch Bühnen, und Menschen, die da was auf die Beine stellen.
Auf jeden Fall. Und ich glaube, dass es bald einen großen Nachholbedarf geben wird an Kunst und Kultur, auf allen Ebenen. Das ist meine große Hoffnung. Wir werden 2024 unser 25-jähriges Jubiläum feiern, und dann wird Corona eine Randnotiz sein. Der wesentlich größere Bestandteil werden die vielen wunderbaren Veranstaltungen in all den Jahren sein, an die wir uns erinnern.

Interview: Annika Bachem

Foto: Ingrid von Drahten


Schlagwörter:

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert