… mit Dennis Bohnecke, Direktor GOP Hannover

Dennis, das GOP hat als eines der ersten Theater in Hannover und auch bundesweit den Spielbetrieb schon sehr früh wieder aufgenommen. Bevor du von euren Erfahrungen damit berichtest, erzähl doch mal kurz, wie du Corona vom Beginn der Krise bis heute erlebt hast.
Corona ist auch bei uns im vergangenen März angekommen – leider. Wir hatten am 12. März, das war ein Donnerstag, die Premiere unserer Show „Bang Bang“. Und dann kam Freitag, der 13. Ich weiß noch, dass ich mit Hauke Jagau telefoniert habe, weil ich mich über den aktuellen Stand informieren wollte und wie er die Situation für uns Veranstalter einschätzt. Können wir überhaupt noch spielen am Wochenende? Wir hätten ja bei einer Absage die Gäste kontaktieren müssen, was am Wochenende natürlich besonders schwer ist, weil in der Verwaltung nur eine kleine Mannschaft sitzt. Hauke Jagau hat mir dann gesagt, dass es am Montag Entscheidungen geben würde. Und wir haben gesagt, okay, dann spielen wir noch am Wochenende. Am Samstagnachmittag habe ich dann aber zu Hause gesessen mit einem ganz schlechten Gefühl. Ich habe gegrübelt und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir unter den gegebenen Umständen auch am Wochenende nicht spielen dürfen. Ich habe dann unsere Eigentümer-Familie angerufen und geschildert, was ich für ein Gefühl habe. Und ich habe für meine Entscheidungen volle Rückendeckung bekommen, egal wie sie ausfallen. Am Samstag haben wir dann noch zwei Shows gespielt, weil wir die Gäste nicht mehr rechtzeitig hätten erreichen können. Ich bin aber schon vor der ersten Show in den Backstage-Bereich gegangen, gemeinsam mit unserer Künstlerbetreuerin, um alle zu informieren, wohin die Reise geht. Ich hatte mir das vorher genau aufgeschrieben und meine kleine Rede auf Englisch sogar mit Google-Translate kontrolliert, weil ich wirklich genau auf den Punkt bringen wollte, was ich empfinde. Diesen Text habe ich dann vorgelesen und alle hatten Tränen in den Augen. Noch zwei Shows, dann ist es erstmal vorbei, das war die Essenz. Und das nur zwei Tage nach der Premiere.

Für alle Beteiligten ein harter Schlag.
Ja, ganz böse Nachrichten. Unsere KünstlerInnen kommen ja größtenteils nicht aus Hannover, sondern aus aller Welt, bei dieser Show hauptsächlich aus Kanada. Du kannst nicht einfach nach Hause gehen, da stehen ganz andere Fragen im Raum: Was machen wir jetzt, wo sollen wir hin? Am Sonntag haben wir uns dann alle noch einmal im GOP getroffen, das gesamte Haus, die Küche hat die Kühlhäuser geleert, wir hatten ein riesiges Büfett aufgebaut, die offenen Weinflaschen und die angebrochenen Fässer wurden geleert. Das war sozusagen die Lockdown-Party. Aber schon sehr grotesk, weil wir natürlich bereits die Abstandsregeln eingehalten haben, alle saßen einzeln. In einem Theater eigentlich unvorstellbar. Das war ein extrem emotionaler Nachmittag. Unseren KünstlerInnen haben wir gesagt, dass sie erstmal in den Künstlerwohnungen bleiben und dort abwarten können, wie sich das alles entwickelt. Aber auch, dass sie nach Hause reisen können, wenn sie das möchten.

Und dann war Schluss im GOP …
Ja, dann haben wir alles heruntergefahren. Wir haben ein paar Task Forces gegründet, um den Lockdown umzusetzen und übrig waren zuletzt nur die Azubis, drei Festangestellte und ich. Wir sind ja normalerweise ein Team von rund 150 MitarbeiterInnen. Resturlaub nehmen, Kurzarbeit, das waren die Schritte. Wir haben das alles sehr schnell umgesetzt. Und dann sitzt man natürlich in so einem Haus auf heißen Kohlen und grübelt die ganze Zeit, wie man doch wieder spielen könnte. Man telefoniert und diskutiert, beispielsweise mit Knut Gminder, der schon sehr viele Shows für uns entwickelt hat, oder mit Matthias Brodowy. Im Mai und Juni hatten wir ja die Show „Brodowys Broadway“ geplant. Man überlegt, ob das auch mit nur zwei Künstlern funktionieren kann, wir haben diese Konzepte ganz konkret ausgearbeitet. Damit waren wir sozusagen startklar. Aber dann hat sich alles immer weiter nach hinten verschoben und in unserem Fall war es auch noch ein bisschen schwieriger, weil wir uns in diesem Spannungsfeld zwischen Theater und Gastronomie bewegen. Wie legt man das aus? Unser Ziel war, schnellstmöglich wieder an den Start zu gehen. Geschafft haben wir das letztlich mit einer Klage, die wir beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg eingereicht haben. Die wiederum haben es dann gar nicht zur Klage kommen lassen, sondern gleich das Ministerium angerufen und gesagt, dass man sich kümmern sollte – so durften wir wieder öffnen.

Und dieser Weg über eine Klage war unvermeidbar?
Wir mussten erst diesen Weg gehen, ja. Wobei ich auch sagen möchte, dass wir trotzdem mit der Region als oberste Infektionsschutzbehörde stets im guten Austausch waren. Wir hatten immer einen direkten Ansprechpartner und ein offenes Ohr mit schnellen Rückmeldungen. Das alles war einfach zeitweise sehr unübersichtlich, das war dem Föderalismus geschuldet, der zwar eigentlich viele Vorteile hat, aber bei der Situation auch so seine Tücken und Nachteile hatte. Mit der Klage haben wir Klarheit bekommen.

Schon Anfang Juli ging es dann weiter im GOP.
Ja, am dritten Juli hatten wir Premiere mit „Funky Town“, mit unserem Hygienekonzept, das wir vorher über mehrere Seiten ausgearbeitet und bei der Region eingereicht hatten.

Aber mit einer sehr reduzierten Anzahl an Plätzen. Rechnet sich das? Und kommen überhaupt Leute?
Das sind genau die Fragestellungen, mit denen wir uns momentan beschäftigen. Um diese Fragen ging es auch jetzt wieder, als wir entscheiden mussten, ob wir das Wintervarieté und unser Kindermusical machen. Wir haben natürlich gerechnet und rechnen noch, für alle sieben GOPs in Deutschland. Die anderen Häuser sind ja alle größer als wir. Hannover ist mit München das kleinste GOP, München hat 312 Plätze, Hannover 310. Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nie so viele Break-even-Berechnungen gemacht wie in den letzten Wochen. In Hannover sind wir jetzt reduziert auf 219 Plätze und haben eine Auslastung von etwa 70 Prozent zugrunde gelegt. Gleichzeitig bleiben wir teilweise in Kurzarbeit, soweit das möglich ist. Die Personalkosten sind im Varieté-Bereich ja definitiv der größte Posten, hier müssen wir einfach Einschnitte machen. Wenn wir nun diese 70 Prozent erreichen, dann nähern wir uns der schwarzen Null an.

Mit Hannover sind auch alle anderen GOPs wieder an den Start gegangen, oder?
Ja, der Entschluss galt für alle sieben Theater. Und zu dem frühen Zeitpunkt war das für das Gesamtunternehmen ein Wagnis und ein sehr mutiger Schritt. Weil ja Anfang Juli eigentlich noch niemand sagen konnte, wohin die Reise gehen würde. Aber es hat sich unterm Strich gelohnt, wir hatten im Juli und August, und auch im September und Oktober eigentlich sehr positive Monate. Klar, wir sind weit davon entfernt, eine schwarze Null zu schreiben. Die Gruppenbuchungen fehlen, die Firmen, es gibt im Augenblick so gut wie keine Exklusivveranstaltungen. Es reduziert sich momentan wirklich auf die Endkunden. Und in der Gesellschaft gibt es einfach noch eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung. Beim Lokalderby waren neulich auch nur 7.000 statt 10.000 Menschen im Stadion. Das heißt, etwas zu kalkulieren, ist generell schwer.

Diese Zurückhaltung ist ein Problem, oder?
Klar, das ist ein Problem und es ist darum umso wichtiger, für eine möglichst umfassende Sicherheit zu sorgen und ständig dazuzulernen. Bei unserer Premiere mit „Funky Town“, bei der wir auch viel Stadtprominenz und Politik eingeladen hatten, ist unser Konzept zum Beispiel noch nicht vollständig aufgegangen. Vor dem Haus war alles super, im Theatersaal noch nicht. Zumindest aus unserer Sicht. Ich glaube, das Publikum hatte ein ganz gutes Gefühl. Aber uns hat das noch nicht gereicht. Wir haben nach der Premiere die ganze Nacht zusammengesessen vom 3. auf den 4. Juli und das Konzept überarbeitet und Tische und Stühle umgestellt. Wir hatten bei uns ja hauptsächlich Sechser- und Achtertische. Wir haben dann hier am Samstagnachmittag mit einer Kreissäge Tische zersägt und die Seiten nochmal schnell rot nachgestrichen. Das sind unglaublich Bilder, unglaubliche Geschichten gewesen. Und ich habe am Samstagmorgen im Büro gesessen und Gäste abtelefoniert, um sie umzubuchen, weil wir uns entschlossen hatten, die Platzzahl noch ein bisschen mehr zu reduzieren. Am 4. Juli, bei der zweiten Show, ist dann alles 100prozentig aufgegangen und wir waren natürlich unendlich glücklich, weil wir gesehen haben, dass es funktioniert.

Worauf sich die Gäste ja auch verlassen können müssen.
Das ist das Wichtigste für uns in dieser Zeit: Vertrauen. Die Gäste müssen sich bei uns von Anfang bis Ende absolut sicher fühlen. Wenn uns das jemand nach seinem Besuch sagt, ist das für uns momentan eine ganz wertvolle Aussage. Und ich freue mich sehr, wenn ich das in unserer Onlineumfrage immer wieder lese: „Wir haben uns unglaublich sicher und wohl gefühlt und gleichzeitig auch noch willkommen, wir hatten einen tollen Abend.“ Genau das möchten wir erreichen, das hat oberste Priorität. Wenn die Kommentare anders wären, müssten wir morgen schließen. Aber es funktioniert. Und klar, wenn wir wissen, dass es funktioniert, dass unser Konzept aufgeht, dann trauen wir uns auch ein Wintervarieté und ein Kindermusical zu. Dass man sich auf uns gut verlassen kann, scheint sich übrigens herumzusprechen, wir sind sehr positiv überrascht, dass doch so viele Menschen kommen. Vor allem die Samstagshows fühlen sich gar nicht nach Corona an.

Aber eine schwarze Zahl ist trotzdem nicht drin, ihr lebt mit einer möglichst kleinen roten Zahl.
Ja, und man hofft, dass das alles nicht mehr so lange dauert. Glücklicherweise ziehen unsere MitarbeiterInnen voll mit und haben Verständnis für die Situation. Und alle sind ziemlich dankbar, dass wir so schnell wieder an den Start gegangen sind, das war ein sehr positives Signal, auch für die KünstlerInnen, die wir in den Shows beschäftigen. Es ist im Augenblick ein Kampf, wir hangeln uns so durch, aber wir bleiben optimistisch. Vielleicht schaffen wir im November, Dezember schon eine kleine schwarze Zahl.

Was kann denn passieren, wenn die schwarze Zahl ausbleibt die kommenden Monate, wackelt dann das gesamte GOP?
Das GOP insgesamt stand vor Corona auf sehr soliden Füßen und hat immer noch eine sehr solide Basis, die Unternehmensgruppe ist gesund und wir hatten dazu einen schönen letzten Winter, womit auch Bonn kein Problem war. Dort haben wir ja erst vor drei Jahren ein neues GOP eröffnet, diese Investition wird in den ersten Jahren von den anderen Häusern natürlich mitgetragen.

Gab es eigentlich viel Interesse von anderen Theatern? Ihr wart ja schon ein Impulsgeber in der Szene. Wie habt ihr das hinbekommen bei euch, mit welchen Konzepten? Gab es solche Fragen, solche Anrufe – und habt ihr eure Erfahrungen weitergegeben?
Wir waren tatsächlich ein Impulsgeber in ganz Deutschland und wir haben unser Know-how sehr gerne weitergegeben. Ich finde diesen Dialog ganz wichtig. Es geht ja insgesamt darum, dass wir alle in der Kulturszene den Kopf oben behalten und nach vorne schauen, in die Zukunft denken und gucken, was möglich ist. Dass wir mutig bleiben. Vielleicht ist diese Krise in diesem Sinne auch eine Chance. Nämlich die Dinge weiterzuentwickeln und zu hinterfragen, neue Wege zu gehen.

Würdest du dir von politischer Seite jetzt ein bisschen Unterstützung in Sachen Marketing wünschen? Also vielleicht eine Kampagne, die aufruft, die städtischen Kultureinrichtungen zu besuchen?
Ich glaube, das ist für eine Stadt so pauschal ziemlich schwer. Weil so eine Empfehlung natürlich steht und fällt mit den individuellen Hygiene- und Sicherheitskonzepten vor Ort. Und wenn das in nur zwei oder drei Kultureinrichtungen nicht richtig gut funktioniert, fällt das natürlich sofort auf die Stadt zurück. Aber ich fordere sehr wohl, dass die Stadt die Kultur unterstützt und auch als Impulsgeber auftritt. Dass die Politik insgesamt positive Signale setzt. Wobei das auch sehr zwiespältig sein kann. Wenn beispielsweise die Regel zu den 1,50 Metern Abstand in den Theatern aufgehoben wird, dann ist das scheinbar zunächst ein positives Signal. Aber empfinden das auch die Menschen so? Oder waren die mit den 1,50 Metern ganz glücklich? Zerstört man da vielleicht ein Sicherheitsgefühl, das sich gerade erst eingestellt hatte? Solche Entscheidungen sind genau darum sehr heikel. Wir haben uns entschlossen, an den Saalplänen bis auf Weiteres nichts zu ändern, wir bleiben auch beim Wintervarieté bei den 1,50 Meter Abstand.

Dann kommen wir mal zum Wintervarieté und den weiteren Planungen. Auf was genau darf sich das Publikum freuen? Und was hat das GOP in der kommenden Zeit noch im Köcher?
Mit „Funky Town“ sind wir gestartet, „Bang Bang“ läuft momentan, wenn wir dieses Interview führen. Die Show hier doch noch machen zu können, nachdem wir das so abrupt absagen mussten, war übrigens für alle Beteiligten eine sehr schöne Sache. Der Probenbeginn war unglaublich emotional, alle KünstlerInnen sind wieder zurückgekommen in die Stadt des großen Lockdowns, das war schon Wahnsinn. Wunderschön, dass das geklappt hat. Im Anschluss startet am 28. Oktober jetzt „Zauberhaft“, das wird sehr gut laufen, das merken wir bereits im Vorverkauf. Eine Show mit natürlich ganz viel Zauberei, Jan Mattheis führt durch den Abend, es sind viele Zauberer-Kollegen aus der ganzen Welt dabei, dazu gibt’s reichlich Artistik. Und dazu passend startet am 6. November unser Familienmusical „Der Zauberer von OZ“. Darauf freue ich mich ganz besonders, das ist wieder eine Eigenproduktion, Knut Gminder hat Jens Eckhoff von „Wir sind Helden“ ins Boot geholt und die beiden haben da wirklich etwas Großartiges für die Kinder kreiert. Natürlich gibt es auch hier die großen Zaubertricks aus der Hauptshow, wir führen das zusammen, Knut Gminder hat ja auch „Zauberhaft“ entwickelt. Wir werden insgesamt 49 Schulvorstellungen haben und 53 Shows im freien Verkauf, insgesamt werden es über 300 Vorstellungen.

Fehlt noch das Wintervarieté …
Ja, unser inzwischen 17. Wintervarieté, das startet am 21. November und geht bis zum 17. Januar. Und ist in der Orangerie in Herrenhausen nochmal eine ganz eigene Herausforderung. Wir hatten dort immer so rund 500 Plätze, das mussten wir natürlich stark reduzieren. Wir hoffen jetzt auf 300 Gäste pro Abend. Die Show heißt „Beethovens verschollenes Werk“ und ist ein wunderschöner kultureller Abschluss zum Beethoven-Jahr, das ja wegen Corona leider fast untergegangen ist.

Kurz zum Schluss, wie lange muss ein GOP-Direktor momentan täglich arbeiten. Und bist du zwischendurch auch mal müde.
Lange und ja. Corona ist für mich schon ein Marathon, das ist alles auch sehr anstrengend und fordernd, man trifft immer wieder Entscheidungen von unglaublicher Tragweite, man spürt einfach eine große Verantwortung auf den Schultern. Aber wenn es funktioniert, wenn es trotzdem funktioniert, dann beflügelt das sehr. Man muss immer wieder mutig vorangehen, das ist jetzt einfach meine Aufgabe. Brennen! Der Körper liegt mal, und gefühlt schläft er auch mal, aber der Kopf ist eigentlich immer „on fire“. Das ist auch gut so.     ● Lak


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