Was für ein Schmuckstück: Die denkmalgeschützten Grundmauern des Högers wurden in den Zwanzigerjahren vom Architekten Fritz Höger gelegt. Vor dem Weltkrieg, in dem das Innere des Hauses ausbrannte, befand sich hier das „Restaurant am Stephansplatz“. Höger wandte sich nach kleineren Bauten ab 1910 dem Kontorhausbau zu (daher der Zusatz „anno 1910“ für die heutige Gastronomie), der wohl bekannteste seiner Bauten in Hannover ist das „Anzeiger Hochhaus“ von 1927. Bis 2005 war das Autohaus Günther Hauptmieter seines dekorativen Klinkerbaus am Stephansplatz, nach zweijähriger Umbauphase feierte das Restaurant Högers Eröffnung. Hier wird im bestechenden Wiener-Kaffeehaus-Ambiente traditionelle deutsche Küche geschickt mit kleinen Ideen verfeinert, ohne am Klassiker vorbei- und über den Tellerrand hinauszugaloppieren.
Die Kaffeehaus-Einrichtung schmeichelt dem Auge mit ihrem Farbkonzept von grünen italienischen Marmortischplatten über gepolsterte antike Stühle und viele naturbelassene Holzoberflächen, ergänzt durch stilistischen Augenschmaus in Form von original Deckenlampen im Stil des Art déco und smaragdgrünen Jugendstil-Fliesenarbeiten. Eine Schiebetür trennt ein Kaminzimmer mit freiliegenden Backsteinmauern ab, wo bis zu 14 Personen privat oder geschäftlich dinieren können (weswegen auch der Flatscreen an der Wand entschuldigt ist, stilbrüchig bleibt nur der Teppich auf dem Holzboden und Kitsch wie der alberne Geweih-Lüster über dem Tisch). Eine erhöhte Galerie für 35 Personen bietet Durchblick zur Haupttheke sowie separate Buffet- und Multimedia-Möglichkeiten. Besonders stolz ist das Team allerdings nicht nur auf die äußerlichen Vorzüge des Högers sondern auf die Frische und Güte dessen, was hier auf die Teller kommt, vor allem auf Fleischprodukte aus der Eiderstädter Region in Nordfriesland.
Die Qual der Vorspeisenwahl umgehen wir, indem wir die Bunte Tüte (für 20,90 Euro) nehmen, und freuen uns an gezupftem Kuhmilchkäse vor der intensiv köstlichen Kulisse von lauwarmem Linsen-Apfelragout sowie Roastbeef mit Remoulade (die Farbe der Saison ist hiermit bereits gefunden und der Preis für das schönste Zartrosa vergeben). Einzig die Blutwurst – mit Jus und Sellerie ansonsten gut gemacht – ist einen Tick zu lange gebraten, doch das in Knoblauchöl geröstete Gaues-Graubrot, der spitzenmäßige Gurkensalat und der sahnige Schnittlauch-Frischkäseaufstrich lassen nur eine uneingeschränkte Empfehlung für die kommenden Sommermonate zu.
Auf der weitläufigen Sonnenterrasse bietet sich, umgeben von Steinmauern, Olivenbäumen und blühenden Pflanzenkübeln, die Caesar-Salat-Stulle als Snack für den lauen Abend an, nachmittags belgische Waffeln, selbstgemachtes Eis und Kuchen aus der Konditorei Mönickes zum Heißgetränk der Kaffeemanufaktur Heimbs. Angesichts von Regenwetter und Mittagszeit wählen wir heute aber zwei Hauptgerichte aus Högers Heimatküche und geraten in Verzückung über das deliziöse Stillleben „Lamm im Kräuterbeet“: Zwei friesländische Deichlamm-Würste ruhen mit geschmorten Honig-Zwiebeln auf Kartoffelstampf mit reichlich zerlassener Butter und krauser Petersilie neben frischen Kopfsalaten, Rucola und Radieschen (für 14,90 Euro). Zum Rinderschmorbraten, zeitaufwendig löffelzart geschmorter Schaufelbug aus dem Ofen, schmeckt mit Röstgemüse und Rosmarinjus (für 15,90 Euro) ein Gläschen weißer Hauswein. Wer es lieber veggie möchte, kann sich an vollmundigen Senfeiern oder schmackhaft gerahmten Pilzen satt essen, bald können eventuell auch die beliebten Käse-und-Wein-Abende wieder stattfinden, und spätestens zum Oktoberfest (oder ersatzweise) könnte es wieder ein deftiges Jahreszeiten-„HöSpecial“ geben. So lange werden wir mit einem erneuten Besuch aber bestimmt nicht warten!
Anke Wittkopp
Oesterleystraße 5 – 7
30171 Hannover
Tel. 0511 – 51 06 425
www.hoegers1910.de
Öffnungszeiten Mo – Sa 12 – 23 Uhr So 12 – 21 Uhr