Wege zum neuen Normal

Jetzt ist es in den letzten Tagen sehr schnell gegangen, überall Öffnungen, überall sucht man Wege zurück zur Normalität – und genau in dieser Phase, so mein Eindruck, haben unsere Politikerinnen und Politiker ihre größte Bewährungsprobe noch vor sich. Es geht jetzt darum, vernünftig und maßvoll zu bleiben, es geht darum, der Wissenschaft weiter eine gewichtige Stimme zu geben und nicht populistisch zu überdrehen, es geht darum, der Versuchung zu widerstehen, uns allen die falschen Geschenke zu machen.
Dass sich viele so schnell wie möglich ihr altes Leben zurückwünschen, ist nur zu verständlich. Wir werden aber, und das ist leider die Realität, unser altes Leben nicht zurückbekommen, ehe es nicht einen wirksamen Impfschutz gibt. Und auch dann wird es noch eine ganze Weile dauern, bis sich die Welt von dieser Pandemie erholt hat. Wobei wir auch nicht ausklammern dürfen, dass wir hier in Deutschland über eine ganz besondere „Normalität“ sprechen, dass sehr viele Menschen auf dieser Welt unsere Normalität als Paradies bezeichnen würden. Da warten noch jede Menge Aufgaben auf die „Weltgemeinschaft“, alles was vor der Pandemie schlecht und fraglich war, wird auch danach schlecht und fraglich sein. Und vielleicht sogar noch schlechter und fraglicher, denn der Schatten der Pandemie wird momentan durchaus genutzt, um Fakten zu schaffen. Und wenn hier Weltgemeinschaft in Anführungsstrichen gesetzt ist, dann müssten diese Anführungsstriche eigentlich fetter als fett gedruckt sein. Wir haben nicht mal eine echte europäische Gemeinschaft, wo soll also eine Weltgemeinschaft herkommen, mit Putin, Trump und Xi Jinping, mit Bolsonaro und Erdoğan? Dass es nach der Pandemie eine Zeit der Besinnung, der Solidarität und Vernunft geben wird, das ist wohl nur ein schöner Traum.
Aber es ist ohnehin viel zu früh, jetzt darauf hinzuweisen, auf all die anderen Probleme. Solche Hinweise verklingen im Getöse der Pandemie momentan ungehört. Und das ist ja auch gar kein Wunder. Denn entgegen der Meinung vieler Spinner (von denen ich einige hier eben namentlich erwähnt habe), die Corona scheinbar eher für einen schlechten Witz halten, ist doch völlig klar, dass wir es mit einer gefährlichen und häufig tödlichen Krankheit zu tun haben. Auch wenn sich nun regelmäßig ein paar Irre versammeln, um das Gegenteil zu behaupten. Irre, die sich in kürzester Zeit mittels der Internetlektüre von „Fachartikeln“ zu Virologen gemacht haben. Ich verstehe momentan nicht wirklich das mediale Getöse um diese absurden Gestalten. Wir sprechen von einer verschwindend geringen Zahl von solchen Skeptikern, sie nehmen dennoch ungeheuer viel Platz ein. Muss das sein? Kann man die Spinner jetzt nicht mal eine Weile ausklammern und sich aufs Wesentliche konzentrieren? Können wir nicht mal alle gemeinsam klug und vernünftig sein?
Stattdessen wird diskutiert, zum Beispiel darüber, dass auch die Wissenschaftler unterschiedlicher Meinung sind – womit andere Meinungen dann ja wohl erlaubt sein dürften. Ernsthaft? Da stehen fünf Chirurgen am OP-Tisch und operieren am offenen Herzen, und dann kommt ein selbsternannter Chirurg hinzu und bezweifelt, dass ein Skalpell Fleisch schneidet und ganz grundsätzlich, dass Menschen ein Herz haben. Wie reagieren in so einem Fall die fünf Chirurgen? Richtig, sie setzen den Spinner schleunigst vor die Tür und erledigen ihre Arbeit. Wir aber machen den Spinnern die Türen weit auf. Wir geben ihnen Platz und Stimme. Warum?
Natürlich diskutieren Wissenschaftler und natürlich interpretieren sie die Ergebnisse ihrer Forschungen unterschiedlich und ziehen ihre Schlüsse. Aber all das auf einer gemeinsamen Basis, auf einem Fundament aus gesicherten Erkenntnissen. Genau das, genau dieser Prozess der Erkenntnisgewinnung in der Wissenschaft, lässt uns heute auf dem Computer Texte schreiben, mit dem Flugzeug fliegen und nicht mehr Mitte 30 sterben. Wir sollten in dieser Zeit unbedingt auf die (echten) Wissenschaftler hören.
Zuletzt noch schnell ein paar Worte zu dieser Ausgabe. Auch wir fahren ganz allmählich wieder hoch, mit ein paar Seiten Kultur. Was geht wieder? Wir haben ein bisschen Licht versammelt. Und dazu gibt es in dieser Ausgabe wieder jede Menge Lektüre für die noch andauernde Zwangspause. Wollen wir hoffen, dass diese Pause nun bald vorbei ist und uns keine zweite Lockdown-Runde ins Haus steht. Das liegt nicht zuletzt auch an uns selbst. Bitte gesund und vorsichtig bleiben!

Lars Kompa
Herausgeber Stadtkind


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