Als wären die 20-Uhr-Nachrichten in der Regel nicht schon schlimm genug, bekommen ihre Zuschauer seit geraumer Zeit pünktlich um 19 Uhr 59 von telegenen jungen oder mittelalten Menschen definitiv too much information. Diese Normalo-Models nämlich, erzählen im Reality-Style von ihrem Stuhlgang, vor allem von Durchfall und dass sie ständig furzen müssen, auch beim Chef im Büro. Und dafür, dass ihnen das angeblich tierisch peinlich ist, reden sie echt lange. Wahrscheinlich trauen sie sich nur deshalb, weil ihr Höllenproblem inzwischen behoben ist, durch ein wahres Wundermittel, von dem ihnen eine Person ihres Vertrauens erzählt hat. Dieses Superzeug, bei dem es sich scheinbar rechnet, Werbeslots zu buchen, in einer Zeit in der 30 Sekunden in der ARD 42.600 Euro kosten, ist jetzt sogar 40 Prozent wirksamer! Dass das bisher durch keine einzige Studie belegt ist, scheint die Pupsenden nicht zu interessieren, allein in Deutschland wurden im Jahr 2019 39 Millionen Euro damit umgesetzt. Ein Riesengeschäft also – sorry fürs Kopfkino – bei dem es dem Hersteller gelungen ist, aus Scheiße Gold zu machen, denn bei dem Mittel handelt es sich, genau gesagt, um Kotkeime im Kapseln. Die Zahlen stammen, was nicht unterschlagen werden soll, vom Medizinjournalisten Werner Bartels, der sich ernsthaft bemüht hat, einem wissenschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit des Mittelchens hinterher zu recherchieren, aber keinen feststellen konnte. Es handelt sich also eher um eine gefühlte Wirksamkeit, womit sich deren Erhöhung um 40 Prozent ganz schön relativiert. Man sollte vielleicht, Chefs mit kleineren Büros und Hang zu geschlossenen Fenstern, ÜSTRA- und Fahrstuhl-Vielfahrer befragen, ob sie eine Veränderung bemerkt haben, seit Deutschland auf Kitschidingsda ist.
Fieserweise wurden andere, ebenso wirkungslose wie unaussprechliche Mittel, wie zum Beispiel Umckaloabo, ein Pelargonienwurzelextrakt zur Behandlung von akuter Bronchitis, durch den Darm-Boom völlig aus dem Fokus gedrängt! Dabei gibt es hier immerhin (herstellerfinanzierte) Studien, die belegen, dass es möglicherweise zu einer Symptombesserung führen könnte. Das ist doch schon was!
Dorithricin Halstabletten, für die früher damit geworben wurde, dass ein süßes Kind den Namen nicht aussprechen kann, und vom Opa so lange geduldig korrigiert wird, bis es auch der letzte Idiot fehlerfrei über die Theke rufen kann, stehen zum Beispiel auf einer im Juni 2019 herausgegebenen Liste der Stiftung Warentest mit beliebten, aber wenig geeigneten Medikamenten. Nach meiner ganz eigenen, komplett unwissenschaftlichen, gefühlten Dreifachblindstudie haue ich jetzt einfach mal so raus: Finger weg von Arzneimitteln, die man nach dem Genuss einer Flasche Wick MediNait nicht mehr flüssig aussprechen kann! Auch das steht übrigens auf der Abschussliste der Stiftung Warentest, wurde 2014 aber vom Bundesverband deutscher Apotheker zum Medikament des Jahres gekürt. Dieser „Pharma-Oskar“ kam 2015 zu einem glamourösen Höhepunkt, als er in 93 Kategorien verliehen wurde („And the winner in der Kategorie Fußpilz ist …“), die Hersteller ihre goldenen Siegerplaketten massiv zu Werbezwecken einsetzten, und der NDR recherchierte, dass die einzige Grundlage zur Bewertung der Mittel war, welche besonders häufig von Apotheken empfohlen wurden. Die Motivation der Apotheker spielte hierbei keine Rolle und nur etwa drei Prozent der Apotheken wurden überhaupt befragt. Da hätte man doch eine Doktorarbeit draus machen können! Stattdessen verbot das Frankfurter Oberlandesgericht die Werbung mit dem Siegel und der Spaß war schon nach 16 Jahren vorbei. Schade. Den Kotkeim-Kapseln wäre der Titel sicher gewesen.
Annika Bachem