Herr Weil, es ist zwar schon ein bisschen her, aber wir müssen uns doch noch mal an einen für Sie düsteren Sonntag in Hannover im vergangenen Oktober erinnern.
Nicht nur für mich war der 27. Oktober kein guter Sonntag. Das ging allerdings schon am Samstag vor der OB-Wahl los, als Hannover 96 sich in der 96. Minute noch den Ausgleich in Karlsruhe eingefangen hatte. Da war mir klar, dass das kein besonders schönes Wochenende mehr werden würde. Weitere schlechte Ergebnisse folgten dann am Sonntag bei der Landtagswahl in Thüringen und der Oberbürgermeisterwahl in Hannover – ein gebrauchtes Wochenende.
Wobei man ja nicht erst an dem Samstag hätte ahnen können, dass es am Sonntag in Hannover dicke kommen würde, das hatte sich ja schon ein bisschen länger so angekündigt.
Natürlich hat es die SPD nicht ganz unvorbereitet erwischt. Trotzdem hat uns das Ergebnis getroffen, auch mich persönlich. Ich habe ja ein besonderes Verhältnis zum Rathaus in Hannover: Ich habe dort eineinhalb Jahrzehnte gearbeitet, habe dort tolle Leute kennengelernt und war immer stolz auf die sozialdemokratische Tradition der Stadt. Und wenn diese Kette dann reißt, geht das nicht spurlos an einem vorüber. Aber dafür gab es ja konkrete Gründe.
Die sogenannte Rathausaffäre …
Leider ja. Natürlich gibt es auch noch andere Gründe, den negativen Bundestrend, den anhaltenden Gegenwind, aber das war in Hannover nicht alles. Das wichtigste Argument für die SPD in Hannover war sehr lange Zeit das Vertrauen in eine gute Führung der Stadt. Dieses Vertrauen war aus meiner Sicht auch berechtigt, aber es ist dann durch die Affäre massiv beschädigt worden. Am Kandidaten hat es jedenfalls nicht gelegen. Ich habe die Aufgabe für Marc Hansmann von Anfang an als sehr schwierig angesehen. Darum war ich ihm sehr dankbar, dass er sich zur Verfügung gestellt hat. Und was man im Nachhinein sagen kann: Der Kandidat war gut, aber er hat es unter diesen Bedingungen nicht schaffen können. Auf Marc Hansmann lasse ich wirklich nichts kommen, ich kenne ihn lange und sehr gut. Er wäre aus meiner Sicht ein richtig guter Oberbürgermeister geworden, da bin ich mir absolut sicher. Aber es hilft ja nichts, die Wählerinnen und Wähler haben sich anders entschieden.
Und haben den Grünen Belit Onay an die Stadtspitze gewählt …
Ich kenne Belit Onay aus der gemeinsamen Arbeit im hannoverschen Rat und im Niedersächsischen Landtag und bin sicher, dass wir gut zusammenarbeiten werden. Ich finde es unerträglich, dass Belit Onay und seine Familie nach der Wahl vor allem in den sogenannten Sozialen Netzwerken verunglimpft und angefeindet wurden. Rechte Hetze und Drohungen gegen Politikerinnen und Politikern schaden am Ende auch der Demokratie. Sie sollen einschüchtern und abschrecken. Ich bin deshalb sehr froh darüber, dass vom Landtag bis zum Städtetag viele Organisationen und Menschen ihre Solidarität mit Belit Onay erklärt haben.
Wie soll es denn nun mit der SPD in Hannover weitergehen?
Der Blick muss sich wieder nach vorne richten. Es gibt genug Beispiele, dass Parteien es geschafft haben, aus solchen Niederlagen zu lernen, wieder aufzustehen und zurückzukommen. Ob das in Hannover gelingt, das entscheidet sich daran, wie ab jetzt gearbeitet wird. Fest steht bereits, dass Fraktion und Partei jeweils eine neue Führungsspitze wählen werden. Die SPD stellt im Rat weiterhin die größte Fraktion und ist deshalb gefordert, die Politik der Stadt für die Bürgerinnen und Bürger aktiv zu gestalten.
Okay, machen wir mal einen Haken dran und wenden uns der Zukunft zu. Im Oberbürgermeister-Wahlkampf ging es ja sehr stark um die typischen Themen, also Familienpolitik, Schulpolitik, Verkehrspolitik und Wohnungsbaupolitik. Große Themen und große Pläne, aber wenn es dann konkret wird, wird es meistens recht unkonkret. Ich habe gelesen, dass Sie neulich in Wien waren und der Wohnungsbaupolitik dort eine Menge abgewinnen können. Das beste Beispiel in Europa, haben Sie gesagt. Können Sie mal erläutern, was dort so gut ist? Und warum geht so etwas nicht bei uns?
Das Geheimnis der guten Wohnungsbaupolitik in Wien besteht darin, dass sie im Grunde seit 100 Jahren durchgehalten wird, nur unterbrochen von der Phase des Faschismus. Wien hat eine noch viel längere sozialdemokratische Tradition als Hannover und die Sozialdemokraten haben tatsächlich nach dem ersten Weltkrieg angefangen, mit staatlichen Mitteln öffentliche Wohnungen zu bauen. Heutzutage bauen sie nicht mehr in erster Linie selbst, sondern fördern Genossenschaften, aber auch unter sehr klaren Bedingungen, was beispielsweise die Mietpreise angeht. Wenn man das so lange durchhält – ein Jahrhundert lang – dann schafft man es, mit Abstand der größte Akteur auf dem Mietmarkt zu sein. Und wenn der größte Akteur sagt, ich nehme keine Miete über zum Beispiel sieben Euro pro Quadratmeter, hat das eine enorm dämpfende Wirkung auf den gesamten Mietmarkt einer Stadt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man es richtig macht.
Warum machen wir es in Deutschland falsch?
Erstens, weil wir immer nur befristete Belegungsrechte gefördert haben. Das rächt sich jetzt, weil viele Belegungsrechte, die vor 20 oder 30 Jahren eingeräumt worden sind, jetzt auslaufen. Das ist aktuell ein großes Problem. Und zweitens gab und gibt es in Deutschland immer so eine Stop-and-go-Politik in Sachen Wohnungsbau. Wenn die Wohnungsnot da ist, dann herrscht großer Aktionismus, ist die Situation wieder besser, dann wird nicht mehr weiter daran gearbeitet. Und das ist falsch, das zeigen die Beispiele Wien und Singapur ganz deutlich.
Wie könnte man das denn ändern? Geht das überhaupt mit unserem politischen System? Da sitzen ja nun mal von Zeit zu Zeit andere Parteien am Steuer.
Das ist eine Frage der Einsicht. Und sie finden bei den Parteien in der Tat gerade in dieser Frage recht deutliche Unterschiede. Als Sozialdemokrat habe ich da einen sehr klaren Standpunkt: Ich finde öffentliches Eigentum richtig, gerade beim Thema Wohnungen. Ein CDU-Politiker würde sich vermutlich anders dazu äußern. Und ob Sie das in dieser Klarheit von den Grünen hören werden, weiß ich auch nicht. Natürlich ist Woh-nungsbaupolitik zunächst eine kommunale Aufgabe und eine des Landes, aber es wäre natürlich gut, wenn es eine langfristig gesicherte Unter-stützung durch den Bund geben würde, auf der Basis eines großen Konsenses. Das wird übrigens auch ein Thema für kommende Wahlkämpfe sein. Wir müssen uns insgesamt fragen, wie wir langfristig dafür sorgen, dass die Mieten bezahlbar bleiben. Da werden wir meiner Ansicht nach um mehr öffentliches oder genossenschaftliches Eigentum nicht herumkommen. Und auch beim genossenschaftlichen Eigentum braucht es dann deutlich mehr als befristete Belegungsrechte. Wir müssen über andere Förderungen nachdenken, wenn es tatsächlich eine dauerhafte Wohnwende geben soll. Der Staat, das sind wir alle, und darum kann der Staat gerne als die größte Eigentümergemeinschaft handeln. Interview: Lars Kompa