… mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil
Herr Weil, immer freitags gehen jetzt Schülerinnen und Schüler auf die Straße, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Was halten Sie davon?
Erst mal ist mir das sehr sympathisch und so geht es wahrscheinlich vielen. Dass junge Leute sich für den Klimaschutz einsetzen, ist doch prima. Natürlich ist es auch eine kleine Provokation, diese Demos gezielt während der Schulzeit durchzuführen. Aber damit gehen die Schulen in Niedersachsen sicher klug um.
Manche sagen, dass die Kinder instrumentalisiert werden.
Das halte ich für ausgemachten Unsinn. Ich habe neulich mit einigen der in Niedersachsen bei FridaysforFuture engagierten Jugendlichen gesprochen. Diese jungen Leute hatten sehr klare Überzeugungen, sie wussten sehr genau, warum sie auf die Straße gehen: Es geht ihnen um ihre künftige Lebensgrundlage, die sie durch den Klimawandel bedroht sehen.
Was antworten Sie denn so einem jungen Menschen, wenn der zu Ihnen sagt: „Die Forschungsergebnisse der seriösen Wissenschaft sind eindeutig, der Klimawandel ist menschengemacht und es muss jetzt etwas passieren, weil die Prognosen düster sind und die Zeit knapp ist. Wofür brauchen wir Arbeitsplätze in der Braunkohle, wenn wir gar keine lebenswerte Welt mehr haben?“
Genau darüber haben wir geredet. Ich habe u.a. darauf hingewiesen, dass wir bei der Braunkohle jetzt immerhin einen konkreten Ausstiegsplan haben. Wir müssen da raus, das ist für mich gar keine Frage mehr. Aber wir müssen aus meiner Sicht so rausgehen, dass die betroffenen Regionen auch nach dem Ausstieg noch eine Chance haben. Vielleicht würden die bei FridaysforFuture engagierten jungen Menschen das auch so sehen, wenn sie in der Lausitz zu Hause wären und wenn die ganze Familie direkt oder indirekt von der Braunkohle abhängig wäre. Generell ist die Kritik an unserer bisherigen Klimaschutz-Politik aber durchaus berechtigt: Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Wir werden 2020 in Sachen CO2-Ausstoß wohl bei 32 Prozent herauskommen und hatten uns 1990 für dieses Jahr 40 Prozent vorgenommen. Und wenn man ehrlich ist, dann sind diese 32 Prozent auch noch eine geschönte Zahl: Erst 1990 begann die Deindustrialisierung der DDR, sie hat einen großen Beitrag zur CO2-Reduzierung geleistet. Das war aber ein Einmal-Effekt und kein geplanter Spareffekt. Also, keine Frage, wir müssen in den nächsten Jahren wesentlich konsequenter und auch besser werden.
Ich kann den Unmut der jungen Leute sehr gut verstehen. Man kennt die Zusammenhänge nun schon sehr genau seit 15, 20 Jahren. Und spricht erst jetzt über einen konkreten Braunkohle-Ausstieg …
Das ist richtig. Und man hätte den Braunkohleausstieg richtigerweise spätestens schon 2011 besprechen und verhandeln müssen, eigentlich in einem Atemzug mit dem Ausstieg aus der Atomenergie. Deutschland hat sich ja etwas weltweit Einmaliges vorgenommen, den Ausstieg aus der Atomenergie und aus der Kohle. Das ist schwierig und das macht sonst keiner. Ein Schlüsselproblem bei der ganzen Energiewende war von Anfang an, dass es kein Drehbuch gab, es war ein spontaner Impuls nach Fukushima. Dieser Schritt war aus meiner Sicht auch völlig richtig. Ich habe mich selbst jahrzehntelang als Teil der Anti-AKW-Bewegung gefühlt. Aber wenn man raus will, muss man wissen, wie die Alternativen funktionieren. Und da ist eine Weile lang recht mühsam etwas zusammengeschustert worden und so ganz ist das immer noch nicht vorbei. Es gibt weiterhin viele ungelöste Probleme, aber wir machen immerhin Fortschritte. Wir sind jetzt bei etwa 40 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien. Und die Tendenz ist deutlich steigend. Es geht also voran.
Aber das hat sehr lange gebraucht, und ich habe den Eindruck, dass es in der Politik noch immer harte Widerstände gibt. Obwohl die Wissenschaft sehr klare Ansagen macht. Hört die Politik nicht genug auf die seriöse Wissenschaft?
Es gibt da ein weites Spektrum in der Politik: Für die einen zählt nur das Klima, andere scheren sich gar nicht um solche Fragen. Für mich und viele andere in der Politik ist der Klimawandel eine unbestreitbare Tatsache. Bis jetzt gibt es aber keinen Plan für den Klimaschutz und darauf kommt es jetzt an. Ich bin immer misstrauisch bei irgendwelchen politischen Zielen, die mit großem Trara beschlossen werden, obwohl keine Management-Pläne hinterlegt sind. Das erleben wir ja auch bei manchen Fragen im Bereich der Verkehrswende. Man muss solche Weichenstellungen planvoll angehen und vernünftige Kompromisse finden. Als ich in den 80er-Jahren in die Politik gegangen bin, hat mich das Thema „Arbeit und Umwelt“ sehr beschäftigt. Wie bringt man beides zusammen? Und für mich ist das immer noch der richtige Ansatz, beide Seiten zu sehen. Nicht zuletzt, weil wir für den Klimaschutz auch eine gesellschaftliche Akzeptanz brauchen. Und die haben wir nicht, wenn wir die Interessen von Leuten, die davon belastet werden, einfach ignorieren.
Ich habe sehr oft den Eindruck, dass die kurzfristigen politischen Interessen überwiegen und nachhaltige Weichenstellungen verhindern. Arbeitsplätze und Wachstum kommen an erster Stelle.
Das Wachstumsargument höre ich in letzter Zeit nicht mehr so oft. Aber bei aller Sympathie für nachhaltige Weichenstellungen ist die Frage nach den Arbeitsplätzen auch berechtigt. Wie gesagt, Stichwort Lausitz. Und es gibt da übrigens auch ganz praktische Problemstellungen, die ich bis vor kurzem gar nicht kannte: Große ostdeutsche Städte wie Leipzig oder Halle hängen an der Fernwärme, die von Braunkohlekraftwerken gespeist wird. Man kann also nicht einfach mal eben einen Schalter umlegen, das muss erst einmal umgebaut werden. Umso wichtiger ist es, dass man sich schon ganz am Anfang die Mühe macht, sehr genau über alle anstehenden Maßnahmen zu reden. Und das im Zweifel auch immer mit den unmittelbar Betroffenen, so wie in der Kohlekommission.
Nicht nur in den USA ist der Klimawandel ja inzwischen zur Glaubensfrage geworden, die sogenannten Klima-Skeptiker zweifeln an der seriösen Wissenschaft. Ein Trend, den ich für sehr gefährlich halte. Trump glaubt zum Beispiel nicht an den Klimawandel, und entsprechend gestaltet er auch seine Politik.
Das ist wirklich gefährlich, denn die USA sind eines der Länder mit dem größten CO2-Ausstoß. Und auch in einer wissenschaftlichen Diskussion kann ich abweichende Meinungen nicht einfach verbieten. Das ist eine Vogel-Strauß-Politik. Klar, Klimaschutzpolitik ist zunächst mal anstrengend und vielleicht am Anfang auch nicht lukrativ. Aber wenn der Klimawandel kommt, werden die Folgen ungleich härter sein, für uns, erst recht aber für die Menschen in wärmeren Ländern und für die Küstenbewohner.
In einigen Teilen der Welt gibt es ja schon jetzt massive Probleme. Braucht es nicht ein deutliches Bekenntnis der Politik zur seriösen Wissenschaft? Müsste man die Wissenschaft nicht noch viel mehr als unabhängige Institution stärken? Auch um beispielsweise Fake-News etwas entgegenzusetzen?
Es gibt schon jetzt seriöse Institutionen, die für Aufklärung sorgen oder sorgen könnten. Die Menschen werden aber auch lernen müssen, mit Fake-News vernünftig umzugehen. Und Politik und Medien müssen vielleicht noch sorgsamer arbeiten, erst gründlich recherchieren und nachdenken, dann reden oder schreiben. Ich sehe den Druck im Mediengeschäft, aber vor allzu großer Eile auf Kosten von Qualität kann ich nur warnen. Auch der Druck auf Politiker, zu allem möglichst schnell eine Meinung zu haben, nimmt zu. Da muss man aber auch nicht mitmachen. Nicht selten entpuppt sich eine Sau, die durch’s Dorf getrieben wurde, im Nachhinein als Ferkel. Das herauszufinden braucht aber Zeit – Zeit, die manche sich angesichts der Verlockungen von Twitter und Co. nicht nehmen und lieber schnelle, unreflektierte Kommentare abgeben. Ich empfinde das als einen echten Rückschritt für unsere politische Kultur. Und deswegen lese ich nach wie vor auch lieber Stadtkind als Twitter-Meldungen.
Ein schöneres Schlusswort werden wir in diesem Gespräch bestimmt nicht mehr finden. Dankeschön!