Ein letztes Wort im Januar…

… mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, ich gebe es zu, ich habe Sie bei Lanz gesehen.
Die Leute gucken alle zu viel Fernsehen!

Und ich muss außerdem zugeben, dass Sie sich da gar nicht so schlecht geschlagen haben …
… was für hannoversche Verhältnisse ja schon ein Kompliment ist.

Der war so verdächtig nett zu Ihnen. Warum?
Ich weiß nicht. Aber vielleicht sollten Sie das auch mal ausprobieren.

Ich denke darüber nach. Ich habe das Thema Europa vermisst. Da ist ja momentan viel los. Brexit oder nicht Brexit. Frankreich in Aufruhr …
Bei Lanz kann ich die Themen ja schwerlich selbst bestimmen. Aber es stimmt, Europa ist momentan ein ganz wichtiges Thema.

Ich habe den Eindruck, die Fliehkräfte in Europa nehmen ständig zu.
Ja, und es sind nicht nur die Gelbwesten in Frankreich und es ist nicht nur der Brexit. Es gibt besorgniserregende Entwicklungen in vielen Ländern. Nehmen sie Österreich, Ungarn, Polen, Italien, … Es gibt momentan leider mehr schlechte als gute Beispiele.

Wie bekommt man das wieder eingefangen?
Das ist die 100.000-Dollar-Frage. Zunächst mal muss man sich klarmachen, dass Europa nur gemeinsam stark ist. Und das ist keine hohle Phrase. Denken Sie an die sehr harte Konfrontation mit den USA in Sachen Zölle – ohne Europa wären diverse Länder dem hilflos ausgeliefert gewesen. Nun ist dabei etwas herausgekommen, mit dem wir Europäer eigentlich ganz gut leben können. Das war aber nur möglich, weil die Europäische Union verhandelt hat. Es gibt noch viele andere Beispiele. Aber das ist vielleicht eines, das eigentlich jedem sofort einleuchten sollte.

Trotz solcher Beispiele scheint es leicht, die Idee Europa zu diskreditieren. Die Fraktion, die Europa skeptisch gegenübersteht, wird ja immer größer.
In Deutschland gibt es durchaus auch positive Entwicklungen. Bei uns sind die Menschen nach den Umfragen europafreundlicher als noch vor Jahren, insbesondere die Jugend. Und schauen Sie ins Vereinigte Königreich. Dort scheint inzwischen eine Mehrheit für Europa zu sein, sehr viele wünschen sich einen zweiten Volksentscheid. Und die Prognosen zu der weiteren Entwicklung Großbritanniens nach einem Austritt zeigen die Bedeutung der Europäischen Gemeinschaft. Wenn diese Prognosen zutreffen, wird nichts besser in Großbritannien, aber vieles schlechter. Andere Staaten, die mit ähnlichen Gedanken spielen, werden sich das sehr genau ansehen. Ich bin deshalb nicht nur pessimistisch. Aber um auf Ihre Ausgangsfrage zurückzukommen: Die Fliehkräfte sind tatsächlich viel größer als früher. Wir haben mittlerweile im Europäischen Parlament ein Drittel europaskeptische Abgeordnete. Ich werde engagiert dafür werben, dass bei den nächsten europäischen Wahlen im Mai europafreundliche Parteien gewählt werden.

Was halten Sie denn von der Idee der Vereinigten Staaten von Europa?
Ich bin für mehr Europa und für mehr Zusammenarbeit, aber auf der Basis eines starken Föderalismus, wie wir ihn auch in Deutschland kennen. Ich bin an sich ein Anhänger von eher dezentralen Strukturen. Die Bundesrepublik ist gut damit gefahren, dass wir einen Bundesstaat haben – mit einem starken Bund, starken Ländern und starken Kommunen. Auch in Europa brauchen wir solche Strukturen. Außerdem aber sollte das Subsidiaritätsprinzip ernster genommen werden. Das Verständnis von Bürgerinnen und Bürgern hört auf, wenn der Eindruck einer überflüssigen Regulierung entsteht. Ich bin ja hin und wieder mal in Brüssel und mache in den Gesprächen dort immer wieder die Erfahrung, dass viele Mitglieder der EU-Administration durchaus interessiert sind, zu erfahren, wie die Entscheidungen der EU vor Ort wahrgenommen werden. Die EU-Kommission und auch das EU-Parlament sind schon in einer ziemlichen Flughöhe unterwegs. Deshalb ist eine Zurückhaltung in Detailregelungen sinnvoll.

Aus meiner Sicht müsste Deutschland in Sachen Europa schon längst eine Schlüsselrolle einnehmen, das ist aber mit Angela Merkel nicht passiert, zuletzt hat sich Macron sehr lange sehr alleine gefühlt.
Für mich war genau das ein Argument für die Groko. Die SPD sollte sich innerhalb der Regierung stark machen für Europa. Deutschland hat eine wirklich entscheidende Rolle in und für Europa. Wir können es uns gar nicht leisten, uns nur mit uns selbst zu beschäftigen. Und ich habe bei meinen Besuchen in Brüssel auch nicht den Eindruck, dass das geschieht. Deutschland kümmert sich, die Bundesrepublik ist ein sehr verantwortungsvolles EU-Mitgliedsland mit einer führenden Rolle, zusammen mit Frankreich.

Trotzdem war Macron sichtbar sehr alleine. Ich hätte mir weitaus deutlichere Signale gewünscht – auch von der SPD.
Das kann ich gut verstehen. Aber jetzt gibt es zumindest eine Verständigung über ein Euro-Budget. Und das ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. In der EU gibt es aktuell sehr unterschiedliche Kräfte und politische Meinungen, auch in Fragen, bei denen ich früher nie geglaubt hätte, dass man überhaupt unterschiedlicher Meinung sein kann. Ich denke an Themen wie Rechtsstaat und Pressefreiheit. Es spricht Bände, wenn die EU-Kommission ein Verfahren gegen das Mitgliedsland Polen führen muss. So etwas wäre früher undenkbar gewesen. Oder nehmen Sie Italien, ein EU-Gründungsland, das immer besonders EU-freundlich war. Italien hat sich durch die gleichzeitig rechts- und linkspopulistische Regierung deutlich verändert. Italien ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn Europa Fehler macht. Die Zustimmung zu Europa lag in Italien früher bei etwa 80 Prozent. Heute sind es, glaube ich, noch 30 Prozent. Wie erklärt sich ein solcher Absturz? Damit, dass viele Italiener sich im Stich gelassen fühlen in Sachen Zuwanderung. Italien hat ja geografisch eine sehr exponierte Lage. Wenn dann der Rest von Europa sagt, das sei überwiegend ein Problem Italiens und nicht der gesamten EU, dann darf man sich über diese Reaktion nicht wundern.

Der Umgang mit den Flüchtlingen ist eins der großen Probleme in Europa. Ich glaube aber, dass die unterschiedlichen Lebensstandards ebenfalls zunehmend ein Problem sein werden. Vergleichen Sie Griechenland mit Deutschland. Braucht es nicht insgesamt mehr Gerechtigkeit? Und was halten Sie in diesem Zusammenhang beispielsweise von der Finanztransaktionssteuer?
Sie fragen einen Sozialdemokraten. Ja, es braucht mehr Gerechtigkeit! Und diese Steuer finde ich absolut richtig. Dahinter steckt ja ein ganz einfacher Gedanke: Wenn Sie eine Tüte Milch kaufen, dann zahlen Sie selbstverständlich Mehrwertsteuer. Wenn Sie aber ein Aktienpaket kaufen, zahlen Sie keine Mehrwertsteuer. Und das ist nicht einzusehen. Aber das ist eines der Themen, die man national nicht wirklich bewegen kann. Gerade im Bereich der Wirtschaftspolitik muss man auf die internationale Ebene gehen.

Geht denn nicht das gute Beispiel voran? Oder anders gefragt, passiert wirklich etwas, wenn man immer darauf wartet, dass alle mitmachen? Wie wäre es mit der Einführung einer Finanztransaktionssteuer vorab in Deutschland?
Ich glaube nicht, dass das Erfolg haben kann. Wir haben es ja mit einem großen, gemeinsamen Wirtschaftsraum zu tun. Wenn nur ein Land seine Bedingungen verschlechtert, dann weichen einige Marktteilnehmer einfach aus. Wir stehen momentan schon vor der Herausforderung, dass Steueroasen wie Irland ihr Verhalten unbedingt deutlich verändern müssen. Oder nehmen Sie ein anderes Beispiel. Deutschland hat sich im Jahr 2016 eigentlich vorbildlich verhalten angesichts der Flüchtlingskrise. Sind die anderen europäischen Staaten diesem Beispiel gefolgt? Auch Flüchtlingsfragen können wir nur gemeinsam lösen.


Schlagwörter:

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert