Ein letztes Wort im Juni …

Herr Weil, lassen Sie uns mal über die Kreuze sprechen, insbesondere die in Bayern. Sie haben sich dazu ja sehr klar geäußert, aus Ihrer Sicht geht das gar nicht. Warum nicht?
Um mal im Bild zu bleiben, ich bin da sehr fest im Glauben. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Zunächst mal haben wir keine Staatsreligion, sondern eine Verfassung, die sehr bewusst die Religionsfreiheit vorsieht. Also eben nicht die Bevorzugung einer bestimmten Religion. Damit ist es nicht vereinbar, nun das Symbol einer bestimmten Religion in allen staatlichen Gebäuden aufzuhängen. Hinzu kommt, dass es dabei offenbar nicht nur um ein Bekenntnis geht, sondern sehr deutlich auch um eine betonte Abgrenzung gegenüber allen anderen Religionen. Niemand bestreitet, dass Deutschland geschichtlich sehr christlich geprägt ist und der christliche Glaube auch in der Gegenwart eine große Rolle spielt. Faktisch aber haben wir heute eine multi-religiöse Gesellschaft. Sämtliche großen Weltreligionen sind in Deutschland vertreten und dazu noch viele kleinere Religionen. Es ist Aufgabe der Politik, das Verbindende zu suchen und nicht das Trennende. Und ein dritter Punkt, auf den insbesondere die christlichen Kirchen aufmerksam gemacht haben: Der Staat sollte es unterlassen, die Religion zu instrumentalisieren. Genau das aber findet aus meiner Sicht in Bayern statt. Das ist ganz schlicht Wahlkampf. Und die Kritik der Kirchen trifft den Nagel auf den Kopf. Das Kreuz ist nicht in erster Linie ein kulturelles, sondern ein religiöses Symbol. Ich persönlich sehe nicht einen Grund, der für diese Aktion in Bayern spricht, aber sehr viele Gründe, die dagegen sprechen.

Sie haben gesagt, dass der christliche Glaube noch immer eine große Rolle spielt. Und ich höre in den aktuellen Diskussionen sehr oft, dass man sich auf die christlichen Werte beruft. Fragt man aber ganz konkret, welche Werte eigentlich gemeint sind, fallen die Antworten meist eher dürftig aus. Was sind denn für Sie christliche Werte?
Die christlichen Werte ergeben sich nach meinem Verständnis erstens aus den Zehn Geboten Und zweitens ergeben sie sich insbesondere aus der Bergpredigt, in der Jesus seine Regeln für das Zusammenleben der Menschen formuliert. Aber wenn man noch mal genauer hinschaut, wird man feststellen, dass sich diese Werte, die ich mir auch persönlich zu Eigen mache, sich ganz ähnlich auch bei den anderen Weltreligionen finden. Zur Abgrenzung taugen diese Werte also nicht.

Ist es nicht eigentlich so, dass die meisten unserer Werte, also beispielsweise das Liberale, das Freie, das Offene, sich entwickelt haben im Zuge der Aufklärung und als Reaktion auf die Dogmen der Kirche. Auch die Religionsfreiheit und die Pressefreiheit hat man sich ja erst erkämpfen müssen, auch gegen den Widerstand der Kirche. Unser Grundgesetz ist doch das Ergebnis des Prozesses der Aufklärung.
Aber ich sehe darin keinen Widerspruch zum Christentum und zur Bergpredigt. Ich wüsste keine Aussage unseres Grundgesetzes, die nicht mit der Bergpredigt vereinbar wäre. Richtig ist, dass alle unsere bürgerlichen Freiheiten durch den Verfassungsliberalismus erstritten worden sind, insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert in der Folge der Französischen Revolution von 1789. Das waren allerdings Kämpfe gegen einen Staat, der das Christentum zur Staatsreligion erhoben hatte. Es gab ein autoritäres politisches System, die Überwindung dieses Systems mündete in unserem Grundgesetz, das einen ganz anderen Grundton hat. Man kann es mit Friedrich II. von Preußen sagen, heute kann bei uns jeder nach seiner Façon glücklich werden, vorausgesetzt er hält sich an die Gesetze. Das beinhaltet ausdrücklich auch die Religionsfreiheit, da hat sich der Staat nicht einzumischen. Und das finde ich sehr richtig.

Was ich mir in der öffentlichen Diskussion wünschen würde, wäre dennoch eine stärkere Betonung der Bedeutung der Aufklärung. Die christlichen Werte, die Bergpredigt, schön und gut, aber ohne Kant und andere wären wir heute wahrscheinlich ein anderes Land. Wir haben in Deutschland eine christliche Tradition, aber auch eine Tradition der großen Denker. Das kommt mir immer ein bisschen zu kurz.
Die großen Denker hatten allerdings oft auch eine christliche Tradition. Wenn ich mir beispielsweise Kants Kategorischen Imperativ ansehe, so widerspricht der dem Gebot der Nächstenliebe in keiner Weise. Im Gegenteil, es gibt ganz enge Parallelen zwischen dieser Philosophie der Aufklärung und den Grundwerten des Christentums. In das Grundgesetz sind aber nicht nur religiöse und philosophische Überzeugungen eingeflossen, es speist sich aus weiteren, ganz unterschiedlichen Quellen, zum Beispiel auch aus sozialistischen und humanistischen Denktraditionen. Diese Vielschichtigkeit wird unserer Gesellschaft bis zum heutigen Tage sehr gerecht. Ich bin jedenfalls ein ausgesprochener Fan des Grundgesetzes, ich finde, wir haben eine wirklich kluge Verfassung.

Nun erleben wir aber in letzter Zeit eine seltsame Vereinnahmung unserer Werte, die im Grundgesetz festgeschrieben sind.
Ja. Wir sehen den Versuch einer neuen politischen Rechten, gewissermaßen die Stammtischhoheit über das Grundgesetz zu erringen. Und dagegen muss man mit aller Schärfe angehen. Das Kreuz in den Amtsstuben ist jetzt gewissermaßen der aktionistische Ausdruck dieser Tendenzen. Das ist ein Versuch, eine ominöse deutsche Leitkultur zu installieren, von der kein Mensch weiß, was das eigentlich ist, genutzt wird diese Leerformel dann als Waffe. Dagegen muss man sich wehren.

Christliche und humanistische Werte werden vereinnahmt für diese angebliche Leitkultur und dann auch gerne vermischt mit sehr konservativen Ansichten.
Genau. Darum fand ich auch die Reaktion der christlichen Kirchen so gut. Weil sie sich dagegen verwahrt haben. Die Kirchen scheinen hier wesentlich weiter zu sein als die christlichen Parteien.

Sie selbst sind ja, was die Kirche angeht, durchaus ein kritischer Geist. Sie sind vor Jahren ausgetreten aus der Katholischen Kirche. Warum?
Ich bin sehr katholisch erzogen worden, war Ministrant und habe mich sehr engagiert in der katholischen Jugendarbeit. Und dann hat es – wie bei vielen jungen Leuten eine gewisse Entfremdung zur Amtskirche gegeben. Seinen Höhepunkt hatte das Anfang der 80er Jahre: Papst Johannes Paul II. hat damals auf einer seiner Südamerikareisen heftig gegen Familienplanung gewettert. Das erschien mir in einer der ärmsten Gegenden der Welt so ganz und gar unchristlich. Menschen wurden dort so tatsächlich noch weiter ins Unglück gestürzt. Darum wollte ich nicht mehr Teil dieser Institution sein. Aber ich habe mich nie so ganz gelöst. Und Papst Franziskus ist eine ständige Versuchung, wieder einzutreten.

Sie denken tatsächlich darüber nach, irgendwann wieder einzutreten?
Ja, immer mal wieder, schon seit Jahren. Wenn man so erzogen worden ist wie ich, dann entledigt man sich der Kirche nicht durch einen Austritt.

Aber wie ich höre, predigen Sie momentan nicht so sehr den Beitritt zur Kirche, sondern eher den Beitritt in die Gewerkschaften.
Ach, das muss sich ja nicht ausschließen. Man kann sehr gut gleichzeitig Mitglied der Kirche, der SPD und einer Gewerkschaft sein.

Das geht?
Probieren Sie es doch mal. Ich denke, bei Ihnen besteht da gleich dreimal Handlungsbedarf, oder? Es gehört zu den großen Vorteilen unseres Grundgesetzes, dass jeder seine ganz persönlichen Entscheidungen treffen kann.

Ja, und darüber bin ich gerade in diesem Augenblick sehr glücklich, Herr Weil. Lassen Sie uns noch mal zu dem Begriff der Leitkultur kommen. Ich würde mir eigentlich wünschen, dass die eher linken Kräfte in Deutschland, und dazu zähle ich hartnäckig immer noch die SPD, sich durchaus auch um diesen Begriff bemühen. Dass sie ihn ebenfalls inhaltlich besetzen. Um das nicht den aus meiner Sicht den Falschen zu überlassen.
Aus meiner Sicht gibt es nicht die eine Leitkultur. Es gibt eine Kultur des Grundgesetzes. Das wäre noch am ehesten das, was man als Leitkultur bezeichnen dürfte. Wenn man näher hinschaut und hinhört, dann ist das Agieren der Rechten ein groß angelegter und leider nicht erfolgloser Versuch, bestimmte Schlüsselbegriffe für sich zu pachten. Heimat beispielsweise. Oder Sicherheit. In diesen Bereichen muss sich auch die SPD, bzw. die politische Linke insgesamt, engagieren. Heimat ist für mich ganz am Ende nichts anderes als das Gefühl von Bindung und Wurzeln, von Geborgenheit und von Zusammenhalt auch zwischen ganz unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Deshalb kann ich überhaupt nicht erkennen, warum der Begriff ‚Heimat’ etwas sein soll, was reaktionäre oder konservative Kräfte für sich gepachtet haben. Wir sollten bestimmte Begriffe mit unseren eigenen Inhalten füllen, das ist eine der Aufgaben der Linken in Deutschland.

Interview: Lars Kompa

Schlagwörter:

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert