Herr Weil, uns bleibt ja kaum etwas anderes übrig, wir müssen über die bisherigen Verhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU sprechen. Sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen?
Unterm Strich sind wir aus meiner Sicht mit einem guten Ergebnis aus den Sondierungen herausgekommen. In Teilbereichen gibt es Konkretisierungs- bzw. Ergänzungsbedarf. Das hat der Bundesparteitag zu Recht noch einmal unterstrichen. Aber wir sind mit rund 20 Prozent der Wählerstimmen in die Gespräche gegangen, dann bekommt man auch nicht 100 Prozent SPD-Politik.
Was sind denn Ihre SPD-Highlights?
Ganz sicher zunächst die Europapolitik, da ist nun ein echter Kurswechsel verabredet. Bei der europäischen Einigung hat Deutschland in den letzten Jahren sehr auf der Bremse gestanden, vor allem Wolfgang Schäuble. Und das wird sich – so die Koalition zustande kommt – auf jeden Fall ändern. Europa steckt in einer tiefen Krise und es braucht einen Motor für die notwendige Weiterentwicklung der Union. Frankreich und Deutschland können zusammen dieser Motor sein. Der zweite Punkt ist für mich das leidige Kooperationsverbot. Von allen Seiten hat man immer gehört, Bildung sei die wichtigste Aufgabe – ganz am Ende ist sie aber bei den Ländern und Kommunen hängen geblieben. Nach den mit der Union geschlossenen Vereinbarungen wird das bald Vergangenheit sein. Der Bund kann und wird sich zukünftig entlang der gesamten Bildungskette engagieren. Dritter Punkt, noch nicht so sehr im öffentlichen Bewusstsein, aber trotzdem ganz wichtig: Wenn nichts geschieht, werden in den nächsten Jahren Millionen von Menschen von Altersarmut betroffen sein, weil das Rentenniveau systematisch absinkt. Wir haben einen Schutz vor Altersarmut verabredet mit einer Stabilisierung des Rentenniveaus und einer neuen und zusätzlichen Rente für Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben, aber immer schlecht bezahlt worden sind. Dazu gibt es noch viele andere Ergebnisse, die mir auch aus niedersächsischer Perspektive gefallen. So soll es beispielsweise beim Ausbau der erneuerbaren Energien an der Küste weiter vorangehen. Damit sind de facto über Tausend Arbeitsplätze gesichert. Und ein letztes Beispiel: Die Situation in den Krankenhäusern und den Altersheimen. Da gibt es regelrechte Notstände und das in einem vergleichsweise reichen Land wie Deutschland. Das wird sich erheblich ändern. Also, ich denke schon, was bei den Verhandlungen bislang herausgekommen ist, kann sich sehen lassen.
Zum Thema Europa habe ich einige schöne Worte gelesen, aber ob davon wirklich etwas konsequent umgesetzt wird…
Zunächst mal ist völlig neu, dass aus Deutschland Impulse zu sozialen Mindeststandards in Europa kommen oder zur gemeinsamen Bekämpfung von Steueroasen oder zum Umgang mit multinationalen Unternehmen. Macron hat vorgelegt und alle haben auf Deutschland gewartet. Die Antwort ist eindeutig: eine neue integrative Europapolitik!
Beim Thema Bildung frage ich mich, warum man nicht einfach das Kooperationsverbot kassiert hat.
Das hätte man durchaus tun können, aber das war offenbar eine zu symbolische Frage. Und wenn nach vielen Jahren der kontroversen Diskussion ein solches Problem faktisch aus der Welt geschafft wird, dann gibt es einen Gewinner und einen Verlierer. Das aber liest der Verlierer natürlich nicht gerne, dafür muss man Verständnis haben.
In der Öffentlichkeit wird nach den neusten Umfragen eher die CDU als Gewinner der Sondierungsgespräche gehandelt. Während die SPD eher als Umkipper dasteht? Wurmt Sie das?
Es wird der Sache nicht gerecht. Allerdings ist ein solches Echo auch kein Wunder, wenn die SPD selbst zwiespältig reagiert.
Nach dem Ergebnis des Bundesparteitags könnten wir wohl demnächst wieder eine Große Koalition haben. Machen Sie sich keine Sorgen um Ihre Bundes-SPD, wenn sie in diese Koalition einsteigt?
Ich mache mir natürlich Sorgen, jedoch nicht wegen einer möglichen Koalition. Die SPD hat jede Menge Baustellen, aber die These, das man sich in der Regierung verbraucht und nur in der Opposition erneuern kann, die bezweifle ich sehr. Und persönlich würde ich immer sagen, es ist besser zu agieren als zu reagieren. Es ist besser, die eigene Politik teilweise umzusetzen, als nur darüber zu reden, was die anderen besser machen sollten. Die SPD darf nicht „lindnern“.
Ich persönlich finde es ja schade, dass sich die Idee der Minderheitsregierung nicht durchgesetzt hat. Eine Angela Merkel mit eigenen Ideen, die sich Mehrheiten besorgen muss, das hätte ich sehr spannend gefunden.
Wer sagt, dass eine Minderheitsregierung mehr eigene Ideen hätte? Und praktisch habe ich bei dieser Variante nach wie vor einige Fragezeichen. Nach den Landtagswahlen habe auch ich diese Option kurz erwogen, sie dann aber rasch verworfen. Denn erstens muss man für alle Mehrheiten von Pontius zu Pilatus laufen. Und zweitens muss man sich beinahe zwangsläufig auf Geschäfte einlassen. Wir stimmen diesem Vorhaben zu, dafür musst du aber jenem Vorhaben zustimmen … . Besser wird dadurch eigentlich nichts. Ich halte eine Menge von stabilen Verhältnissen.
Aber wäre es nicht verlockend, den Wählerinnen und Wählern mal vor Augen zu führen, was die CDU/CSU ohne die SPD so fabriziert?
Wenn wir es nicht schaffen, eine Mehrheitsregierung zu bilden, dann kommt es über kurz oder lang zu Neuwahlen. Und dieses Risiko möchte ich in unser aller Interesse nicht eingehen, wir sollten auf keinen Fall mit dem Feuer spielen. Wir erleben momentan überall auf der Welt eine Rechtsentwicklung, auch in Europa, leider auch in Deutschland.
Aber eine echte Gefahr durch die AfD wäre ja erst dann gegeben, wenn die CDU/CSU mit der AfD koalieren würde.
Vorsicht an der Bahnsteigkante. Man kann sich bereits in einigen europäischen Ländern anschauen, was passiert, wenn es nicht gelingt, die Rechtspopulisten beizeiten zu stoppen. Das führt auf Dauer zu einer Rechtsverschiebung und Verrohung der gesamten Gesellschaft. Und das zeichnet sich auch bei uns bereits ab. Ich glaube, es ist eine Aufgabe der SPD, ein Bollwerk für Demokratie, Toleranz und Solidarität zu sein. Dafür muss man aber Verantwortung übernehmen.
Und ich glaube, dass die SPD für so ein Bollwerk eher Partner im linken politischen Spektrum braucht.
So ein Bündnis wäre derzeit weit entfernt von einer Regierungsmöglichkeit.
Das hat aber sehr viel mit der schwachen SPD zu tun.
Das mag ja sein. Aber wenn wir uns Koalitionsverhandlungen mit CDU/ CSU vollständig verweigert hätten, stünden wir in dem Ansehen der Menschen nicht besser da. Davon abgesehen, dass ein Rot-Rot-Grünes Bündnis inhaltlich auch schwierig wäre.
Ich schaue lediglich mit großer Sorge beispielsweise nach Österreich und sehe dort eine Konstellation, die vor wenigen Jahren von den Konservativen noch für ganz unmöglich gehalten wurde. Und ich höre auch in Deutschland bereits leise Stimmen aus den Reihen der CDU und CSU. Noch sind diese Stimmen leise…
Diese Befürchtung ist nicht unbegründet. Aber meine Haltung dazu ist: Wenn man dem wirklich offensiv begegnen will, dann darf man dem politischen Gegner freiwillig keinen Fußbreit Platz überlassen. Also auch nicht auf eine Regierungsbeteiligung verzichten, wenn man dazu die Chance hat. Die Chance mitzubestimmen und gute Politik zu machen. Um damit die Leute zu überzeugen. Mir ist der Spatz in der Hand wichtiger als die Taube auf dem Dach. Die Taube auf dem Dach hätte ich natürlich trotzdem gerne, aber deswegen lasse ich den Spatz nicht los.
Dann muss die SPD aber ihre Tauben sehr viel besser beschreiben. Klar umreißen, was sie eigentlich will. Um dann in der Öffentlichkeit auch sagen zu können: Das hier ist unser Wunsch, das bekommen wir hin mit der CDU/CSU. Diese Klarheit fehlt mir in der Außendarstellung total.
Diese Kritik kann ich verstehen. Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir alle Themen ausreichend durchgearbeitet und gut genug vorbereitet haben, dass sie sich im Grunde ganz von selbst erklären. Wir müssen wichtige Diskussionen miteinander zu Ende führen und die Ergebnisse überzeugt und geschlossen nach außen tragen. Da ist noch Luft nach oben.
Interview: Lars Kompa