Neulich habe ich mich mit einem Kollegen über feine Unterschiede gestritten. Es ging um das Ohnsorg-Theater mit Heidi Kabel. A verglich es mit einem x-beliebigen Dorftheater, was ich so nicht stehen lassen konnte. „Du kannst doch Ohnsorg nicht mit Klamauk gleichsetzen! Das ist ja so, als ob du Udo Jürgens und Helene Fischer in einen Topf wirfst.“ A sagte: „Ja, genau.“ Jürgens und Fischer würden auch ein und dasselbe machen, nämlich Schlager. „Nein, du vergleichst Äpfel mit Birnen“, brüllte ich. „Du kannst doch nicht einfach Alf mit den Fraggles über einen Kamm scheren.“ So ging das noch eine Weile weiter. Und an dieses Gespräch musste ich nun denken, als es um den Beef zwischen Campino und Jan Böhmermann ging.
Heikle Causa: Böhmi hat im April als Jim Pandzko „Menschen Leben Tanzen Welt“ eingespielt. Mit diesem parodistischen Song nimmt er Größen wie Tim Bendzko und Max Giesinger aufs Korn. Es sei ein Leichtes, mit „seelenloser Kommerzkacke“ Geld zu machen, behauptete der Satiriker und präsentierte ein Lied, das auf Versen basiert, die wahllos von Affen aus dem Zoo zusammengetragen wurden. Seine Kritik: Sänger wie Giesinger geistern mit nichtssagender Allerweltsmusik und Wohlfühlvideos im Stil einer Dauerwerbesendung durchs deutsche Pop-Biz. Für ihre schwachen Leistungen werden sie regelmäßig mit Echo-Preisen überhäuft. Sie gelten als sensible Poeten, die vom echten Leben erzählen, dabei sondern sie nur schlechten Schlager ab, der auf die hohle Formel „Menschen Leben Tanzen Welt“ gebracht werden kann.
Nun ist gegen schlechten Schlager nichts einzuwenden, sagt Böhmermann. Aber dann sollten die Plattenfirmen nicht Tiefe vorgaukeln, wo nur Oberfläche ist. Sie sollten zugeben, dass einer wie Giesinger eben kein eigenständiger Liedermacher ist, sondern Songs runterspult, die von Produktionsteams im Fließbandverfahren erarbeitet werden, gespeist von Sponsoren und geleitet von Managern, die sich für Menschen und Leben nur interessieren, weil diese Wörter Geld einbringen, was Böhmi mit der Platzierung seiner Parodie in den Charts bewiesen hat.
Der TV-Moderator prangert das „Heile-Welt-Getue“ an. Ein Punk-Urgestein wie Campino, der in jedem Interview über die Lage der Welt labert, müsste diese Kritik eigentlich unterschreiben. Aber Pustekuchen! Auf der Echo-Verleihung reagierte der Düsseldorfer beleidigt. Campino geißelte in seiner Rede das „böhmermannsche Zeitgeistgeplapper“, lobte die Initiative Viva con Agua und sagte: „Lieber uncool sein als ein cooles Arschloch, das sich nicht konstruktiv einbringen kann.“ An Böhmermann habe er dabei gar nicht gedacht, ruderte Campino später zurück. Andererseits disst er den Satiriker, seit dieser sich 2014 über das „Band Aid“-Projekt des Musikers lustig gemacht hat. „Auf dem Niveau eines Furzkissens“ lautete etwa Campinos Kommentar zu Böhmis Erdogan-Gedicht.
Wer ist diese beleidigte Leberwurst? Dazu ein paar Worte: Campino ist der Typ, der gerade die Charts anführt. „Unter den Wolken“ ist nicht von Helene Fischer, sondern von seiner Band, den Toten Hosen. Seit die CDU-Spitze 2013 bei ihrem Wahlsieg geschlossen zum Hosen-Song „Tage wie diese“ Pogo tanzte, haben die Düsseldorfer zwar ein wenig Street Cred eingebüßt, sind dafür aber verdientermaßen in der Mitte der Gesellschaft angekommen und haben sich dort festgesetzt wie Birne im Ohrensessel der „Gechichte“. Schocken tut das keinen mehr, höchstens jene, die Campino nicht mögen. Und schocken will ja auch niemand mehr, von Protestkultur spricht kaum noch einer. Dabei war die Frage „Wie können wir maximal schocken?“ seit den 60er-Jahren das Kardinalthema junger Rock-Stars. Jede Generation erfand sich neu und kramte dafür ein ganzes Arsenal an Waffen hervor. Entblößte Leiber. Indizierte Tonträger. Abgebissene Fledermausköpfe. Nenas Achselhaare. Skandal im Sperrbezirk. Stress ohne Grund?
Diese Ära ist vorbei. Giesinger und Co bewahren uns heute vor kollektiver Schnappatmung. Stattdessen faulen einem vor Langeweile die Fußnägel ab: Kuschelrock – zum 189. Mal. Menschen, Leben, Tanzen – und zwar in skandalfreier Wohlfühl-Baywatch-Gegend. Mit dem Lied der Schlümpfe in den wohlverdienten Sonnenuntergang … Keine Frage, nicht nur Miley Cyrus inszeniert sich in ihren Videos. Bereits Sid Vicious war ein großer Performer. Aber seine Freakshow war nicht berechnend. Vicious hatte keinen Verhaltenscoach. Giesinger hingegen stimmt sich wahrscheinlich vor Interviews mit seinem Management ab. Seine smarte PR-Masche kommt an, was wohl daran liegt, dass der Sänger ein Kind seiner Zeit ist. Einer Zeit, in der es keine werbefreien Zonen mehr gibt, erst recht nicht im Pop-Biz, in dem nicht die Kunst, sondern die Kunst der Selbstvermarktung regiert. Giesingers fluffiger Luschen-Pop ist vermutlich der beste Ausdruck der jungen Me-Me-Me-Generation, die mit dem nächsten Selfie Promotion in eigener Sache macht und für die das Leben eine Inszenierung ist: mein Urlaub, mein Sofa, mein Tier. Alles einerlei, selbstreferenziell und ohne Belang. Aber so schön!
Campino ergreift beim Echo Partei für diese bräsige Klientel, die Musikindustrie und die Gutverdiener, mit denen er auf der Aftershowparty Schampus schlürft. Wäre er souveräner, hätte er sagen können: Hey, wir sind alle Nutten des Kapitals! Doch dann müsste er sich eingestehen: Die Hosen werden beim Echo neben Andrea Berg hoch gehandelt, das kann keine Auszeichnung sein! Verkackte Tage wie diese! Mit Punk hat das wenig zu tun, auch nicht mit Haltung. Wenn er nun bald wieder für Viva con Aqua wirbt, dann läuft die PR-Maschine gut für ihn, diesen geilen Künstler, der sich so doll sozial engagiert. Dann verkauft sich die abgekartete Musik der Hosen noch besser. Das kann Campino sich neben dem Wasser glatt auf die Rechnung schreiben. Gruß an Bono und Bob Geldof!
Und was ist mit den feinen Unterschieden? Hat das Gefühlsgulasch, das die Hosen produzieren, mehr Gehalt als Giesingers Magerquark? Fest steht, dass Böhmi, der auch in der Marketingblase lebt, diese ein ums andere Mal platzen lässt und dabei so rabiat agiert wie ein Punk. Campino hingegen bläht sich mit der Blase auf. Für mich gilt folgende Gleichung: Er und Andrea Berg gehören zusammen wie Waldorf und Statler. Denn beide machen ein und dasselbe – nämlich Schlager, also Opium fürs Volk.
Simone Niemann