Der Hirnbrei im postfaktischen Zeitalter

Aus der Rubrik „Die Erleuchtung – Über menschliche (Irr)Fahrten ins (Un)Glück“:

Neulich habe ich mich aufgeregt – und zwar über blöde Radio-Podcasts: In Sendungen mit dusseligen Titeln wie „Life Hackz“ und „Smart Entrepreneur Radio“ versuchen sogenannte digitale Nomaden und leidenschaftliche Selbstoptimierer mit dämlichen Namen wie Matthew Mockridge, Jan Böhmermann zu imitieren. Das heißt, sie labern ohne Sinn und Verstand los, in der Hoffnung, die Pointe möge sich am Ende von ganz allein einstellen. Erbärmlich! Mockridge, Ex-Sänger einer Boygroup, redet sich in seinen Podcasts regelmäßig um Kopf und Kragen und outet sich als ein Mann mit krassem Gedankendurchfall. Eines kann er aber perfekt: Denglisch. Und so haut er am laufenden Band Wörter wie „Awereness“ und „Alter“ raus und redet wie ein unterbelichteter Verkaufsberater in einem Atemzug über „geile Matratzen“ und inspirierende Bonmots von Oscar Wilde … Alter, schmeiß Hirn herunter! Früher gab es den „Internationalen Frühschoppen“. Da wurde schon vormittags gesoffen, aber wenigs­tens gab es ein Thema, und alle waren gut vorbereitet. Heute gibt es Podcasts wie „Happy, Holy & Confident“, in der die alten Subjekt-Prädikat-und-Objekt-Regeln keine Rolle mehr spielen. Stringente Argumentation und Esprit? Alles Schnee von gestern, Hirnbrei rules!

Nun gut, womöglich muss das so sein, denn: Wir leben ja im postfaktischen Zeitalter. In einer Ära, in der Fake und Fakten, Youporn, Katzenvideos, seriöse Nachrichten und Verkaufsförderung friedlich nebeneinander koexistieren. In einer Zeit, in der sich jeder eine eigene Meinung bilden kann, natürlich mit dem Verweis auf die Quelle: „Das habe ich bei Facebook gelesen.“ Und in einer Welt, die sich jeder so machen kann, wie sie ihm gefällt. Er braucht dafür nur einen Baukas­ten namens Internet, schon kann er sich eine postfaktische Filterblasen-Realität basteln.

Die Amis sind mit dem Thema natürlich schon viel weiter als wir Europäer, Stichwort Kreationismus. Und seit klar ist, dass Donald Trump ins Weiße Haus ziehen wird, ist das Wort postfaktisch eh in aller Munde. Denn keiner beherrscht die Disziplin so gut wie er, beliebige Behauptungen ohne Beleg aufzustellen, mithin ungestraft zu lügen. Ist das die Stunde Null in der amerikanischen Politik? Und wie konnte es dazu kommen, dass ein Mann „mit der Aufmerksamkeitsspanne eines Eichhörnchens“ (Ulrich Marseille, ein Ex-Geschäftspartner Trumps über Trump) 45. US-Präsident wird? Dies fragen sich nun alle halbwegs aufgeklärten Geister, und von denen soll es ja noch einige auf diesem Planeten geben, raunt man sich hinter vorgehaltener Hand zu. Und sucht nach Erklärungen. Und kommt dann auf so was: Zu viel Political Correctness sei nicht gut fürs Politgeschäft, sprich die arrogante intellektuelle Elite solle häufiger die Klappe halten, damit links- und rechtsextreme Dumpfbacken sich nicht unnötig provoziert fühlen …

Lassen wir diesen postfaktischen Schmu mal im luftleeren, emotional aufgeladenen Raum stehen. Festgestellt werden kann jedenfalls, dass einer sich wirklich ständig provoziert fühlt, nämlich Trump, der die Kritik von Medien und Künstlern, die sich über ihn lustig machen, nicht erträgt. In diesem Punkt verhält er sich wie ein autoritärer Staatschef vom Schlag Recep Erdogan, der türkische Journalisten und Oppositionelle der Beihilfe zum Terrorismus bezichtigt. Beide Männer fantasieren, beide unterscheiden nicht zwischen Tatsachen und Meinungen – ein Umstand, vor dem die politische Philosophin Hannah Arendt einst gewarnt hat: Wenn Tatbestände nicht mehr respektiert werden, sei die Demokratie in Gefahr, hat sie gesagt.

Verlieren wir die Bodenhaftung? So scheint es in einer Zeit, in der die Realität die Fiktion in Sachen Unvorhersehbarkeit übertrumpft. Auf der politischen Bühne poltert Trump plötzlich wie eine Figur aus einer Daily Soap. Hat das Publikum tatsächlich die Wahl zum 45. US-Präsidenten erlebt oder hat Amerika gerade den Superschurken aufs Podest gehoben? Ergreift die Trump-Oligarchie die Macht wie der Clan von J. R. Ewing bei einer feindlichen Übernahme in „Dallas“? Spielt der Trump-Vertraute Steve Bannon mit seinem rechtspopulistischen Breitbart-Blog bei „House of Cards“ mit? Oder war das nur ein Traum? Wie geht es in der nächsten Woche mit der Trump-Daily-Soap weiter? Trifft The Donald sich mit seinem Superschurken-Kumpel Wladimir zum Plausch? Gesellt sich das Kabinettsmitglied in spe, James „Mad Dog“ Mattis (66), dazu und macht ein paar markige Sprüche über Loser, Umweltschützer und sonstige Pussys? Und wieso fühlt es sich wie Zombiegate an, wenn der President-elect betagte Generale und superreiche Finanzjongleure an seinen Tisch bittet?

Wohin die Reise führt, ist ungewiss. Aber ein paar Tatsachen sprechen dagegen, dass es friedlich mit Trump laufen wird. Denn er ist der Prototyp eines antiliberalen Machthabers, vor dem Arendt gewarnt hat. Dieser Politikertyp ist einer, der den Fake salonfähig macht. Einer, der nicht zwischen eigenen Interessen und dem Gemeinwohl unterscheidet. Einer, der auf die Demokratie pfeift und Ressentiments gegen Minderheiten schürt. Und einer, der sich gegen Künstler, Intellektuelle und Medien richtet, gegen den Geist der Freiheit.

Trumps Erfolg, so meine Meinung, kann auf die postfaktische Blase zurückgeführt werden, die sich um ihn herum gebildet hat und die sich immer weiter aufbläht, weil ständig geistiger Dünnschiss in sie hineingepumpt wird. Bildung könnte helfen. Aber die Kids, so meine postfaktische These, gucken lieber Youtube statt zu schauen, was in der Weltgeschichte so abgeht. Hey Kids, informiert euch! Die Verwandlung der Erde in eine postfaktische Walking-Dead-Zone hat begonnen, wir müssen was tun. Verschiebt eure Superstar-Karriere als endgeiler Podcast-Moderator bitte noch mal kurz.

Simone Niemann


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