Was zunächst wie ein typischer Film der Öffentlich Rechtlichen wirkt, entpuppt sich nach kurzer Zeit als ein tiefgründiges, beklemmendes Drama, das sich einem gesellschaftlichen Tabuthema widmet. In schonungsloser, direkter Art und Weise erzählt Regisseur und Drehbuchautor Florian Eichinger vom sexuellen Missbrauch einer Mutter an ihrem Sohn. Inzwischen ist der betroffene Markus erwachsen und beginnt bei einem Familienfest, sich zum ersten Mal an die damaligen Ereignisse zu erinnern.
Wer freundliches Wohlfühlkino mit Happy End bevorzugt, sollte sich diesen Film nicht anschauen, denn er führt in eine grausame Welt des Schweigens und lässt an so mancher Stelle den Atem stocken. Mit „Die Hände meiner Mutter“ hat Florian Eichinger nun den letzten Teil seiner Trilogie verfilmt, die sich mit unterschiedlichen Formen von Familiengewalt auseinandersetzt. Während es in „Bergfest“ (2008) um eine komplizierte Vater-Sohn-Beziehung geht und in „Nordstrand“ (2013) zwei Brüder im Mittelpunkt der Geschichte stehen, wählte Eichinger diesmal einen ausweglos erscheinenden Konflikt zwischen Mutter und Sohn. Immer ist Missbrauch, ob seelischer oder körperlicher, zentraler Aspekt der Filme – ein schwieriges Thema, das in den meistens Familien verdrängt wird, um die Betroffenen schließlich mit aller Vehemenz doch wieder einzuholen.
So ergeht es auch dem 39-jährigen Markus (Andreas Döhler), der als Ingenieur, Ehemann und Vater eines kleinen Sohnes ein ganz normales Leben zu führen scheint. Ebenso normal, beinah langweilig kommen auch die ersten Szenen des Films daher: Eine fade Familienfeier auf einem Ausflugsdampfer. Im Hintergrund spielt eine Tanzmusikkapelle. Alt und jung amüsieren sich bei Kaffee und Kuchen. Doch dann kommt Markus‘ vierjähriger Sohn Adam von der Toilette zurück, auf die Oma Renate (Katrin Pollitt) den kleinen Jungen begleitet hat – und schlagartig, wie aus dem Nichts, kehrt Markus‘ Erinnerung zurück. Kurze Szenen des sexuellen Missbrauchs durch seine Mutter sieht er plötzlich vor sich. Nach und nach wird er sich der Tragweite der damaligen Ereignisse, die er jahrzehntelang tief in sich vergraben hatte, bewusst. An seiner Seite stets unterstützend seine Frau Monika (Jessica Schwarz), die jedoch Markus‘ Abrutschen in eine Depression nicht aufhalten kann. Mutter Renate zeigt sich reumütig und auch Vater Gerhard (Heiko Pinkowski), der vom Missbrauch wusste und diesen damals deckte, versucht jetzt zu helfen, weil er sieht, wie seine eigener Sohn leidet und langsam daran zu zerbrechen droht. Späte Einsichten und Entschuldigungen wirken allerdings mehr als profan und geben den hilflosen Wiedergutmachungsversuchen einen widerlichen Beigeschmack. Doch am schlimmsten ist wohl immer noch das Schweigen in der Familie …
Florian Eichinger überzeugt durch eine sehr reale Darstellung eines sensiblen Themas, die schockiert, gerade weil sie so authentisch ist. Selbst die Details des Missbrauchs durch die Mutter erspart er den Zuschauern nicht, greift dabei aber zu einem klugen Stilmittel: Diese Szenen lässt er Markus als sein erwachsenes Ich durchleben, die jedes Mal abrupt im schwarzen Abblenden enden, so wie Erinnerungsfetzen auftauchen und plötzlich wieder verschwinden. Man hätte solch heftige Szenen wohl auch kaum einem schauspielernden Kind zumuten können.
Abgesehen von einigen musikalischen Einlagen der Tanzkapelle oder des Chores hat Eichinger auf Filmmusik komplett verzichtet und damit vermieden, die ohnehin schon grausame Geschichte künstlich zu emotionalisieren. So bleibt die Perspektive des Films sehr realistisch. Selbst die Darstellung der zahlreichen Psychologen und Therapeuten, die Markus aufsucht, erscheint wie aus dem echten Leben gegriffen – die einen mit unsäglich penetranten Fragen, die anderen überfordert, bis nach langer Suche doch noch eine Psychologin dabei ist, die den Kern der Problematik erfasst.
Nicht ohne Grund wurde diese schwere Kost Eichingers auf dem 34. Filmfest in München zweifach mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino ausgezeichnet: Eichinger erhielt den Preis für die Regie, Andreas Döhler wurde in der Kategorie Schauspiel geehrt. Die Deutsche Film- und Medienbewertung verlieh dem Drama das Prädikat „Besonders wertvoll“. Ein wichtiger und reflektierter Beitrag Eichingers, um das Schweigen zu brechen.
Katja Merx
Die Premiere findet am Mittwoch, 30. November, 20.30 Uhr im Kino am Raschplatz statt. Die beiden Hauptdarstellerinnen Jessica Schwarz und Katharina Behrens, Regisseur Florian Eichinger sowie die Produzenten und Verleiher stellen ihren Film persönlich vor.
Wer bei der Premiere dabei sein möchte, sollte an unserem Gewinnspiel teilnehmen. Das STADTKIND verlost 5×2 Gästelistenplätze. Einfach bis zum 28. November eine Mail unter dem Stichwort „Die Hände meiner Mutter“ an gewinnen@stadtkind-hannover.de schicken. Viel Glück!
Fotos: © Kinescope Film