Aus der Rubrik „Küchenpsychologie“:
Sie sind quasi die Vorgänger der heutigen Pokémon-Jäger: Die Pilzsammler. In unserer Phantasie haben wir sie mit Regencapes, Gummistiefeln, Fernglas und Weidenkörbchen ausstaffiert und lassen sie durchs Unterholz krabbeln. Viele von uns finden das langweilig, aber in Wahrheit führen passionierte Pilzsammler die aufregendsten Leben überhaupt.
Sie finden Pilze mit Namen, die sich Roald Dahl nicht schöner hätte ausdenken können. Wer sich über Kuhfladenträuschling, Gelbgestiefelten Schleimkopf oder den Gallerartigen Zitterzahn freut, ja gar in Verzückung gerät ob eines Blauen Klumpfußes, der beweist Humor. Punkt eins also: Pilzsammler sind lustige Typen.
Was alle Leserinnen und Leser von Tageszeitungen wissen: Leichen werden immer von Pilzsammlern gefunden. Immer! Wo sich Suchmannschaften und Spürhunde die Zähne ausbeißen, muss man also lediglich einem Pilzsucher den Fund eines Gurkenschnitzlings in Aussicht stellen. Zielsicher bahnt er sich seinen Weg durchs Geäst und findet die Leiche, wortwörtlich das Trüffelschwein in Menschengestalt. Wir halten also zweitens fest, dass Pilzsammler ein kriminalistisches Gespür haben wie kaum ein anderer Menschenschlag.
Weiter: Wir alle wissen um die gefährliche Verwechslungsgefahr von Speise- und Giftpilzen. So sieht der Gallenröhrling dem Steinpilz recht ähnlich, was schon mal eine ganze Mahlzeit verderben kann. Ungezählt sind die teils tödlichen Verwechslungen von Champignons und Knollenblätterpilzen. Ja, es soll sogar schon Sammler gegeben haben, die irrtümlich Kulturträuschlinge oder Hallimasch mit Stropharia Cubensis verwechselten und anschließend von einigen sehr bunten Stunden zu berichten wussten. Aber auch in anderer Hinsicht ist das Pilzesuchen nicht ungefährlich. Unvergessen ist hier zum Beispiel das aggressive Zwitterwildschwein, das vor einigen Jahren in der Nähe von Augsburg sein Unwesen trieb. Von der Rotte aufgrund seiner sexuellen Unzuordnungsbarkeit verstoßen, wütete das junge Es durchs Unterholz und attackierte dabei harmlose Pilzfreunde. Punkt drei: Pilzsammler sind echte Gefahrensucher.
Außerdem gibt es eine Reihe von Faustregeln, die Pilzsammler natürlich alle kennen und aufgrund derer sie berechnen können, wann mit welchem Pilz wo zu rechnen ist. Als da wären zum Beispiel: Bei heißem und windigem Wetter wachsen Pilze unter Bäumen. Ist es feucht und windig, findet man sie eher auf Waldwiesen. Oder: Je regnerischer der April, desto reicher die Pilzernte im Herbst. Und: Je mehr reifes Getreide auf den Feldern steht, desto üppiger der Pilzbestand im Wald. Man kann also durchaus als Punkt vier verbuchen, dass der Pilzsammlerkalender der Mayakalender der Neuzeit ist.
Unter küchenpsychologischer Betrachtung ergibt sich demnach Folgendes: Aufgepasst bei Pilzsammlern! Sie sind gar nicht so langweilig und harmlos, wie sie immer wirken. Nein, vielmehr können sie so gefährlich sein wie ein Wasserschierling, der sich als Pastinake verkleidet hat! Erst ziehen sie einen mit ihrer humorvollen Art in ihren Bann, prahlen mit ihrem Wissen über Speisepilze. Dann laden sie einen zum Essen ein, vergiften ihr Opfer und berechnen en détail, wo sie es verbuddeln können, ohne je damit rechnen zu müssen, dass es wieder auftaucht. Wer jetzt noch behauptet, es gäbe nichts Langweiligeres, als auf der Suche nach Pilzen durch den Wald zu stapfen, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.
UM