Der Klatschmeier ihr halbwegs geheimes Weintagebuch
Für Stadtkind-Leser schlägt Kerstin „K“ Klatschmeier monatlich ein neues Kapitel in ihrem weitgehend geheimen Weintagebuch auf. Die „Causa Bouteille de pleurer et chopiner“ ist wie Pina Bauschs Wuppertaler Tanztheater: intensiv, poetisch, emanzipiert, revolutionär und formsprengend, aber auch klassisch, konservativ, einengend und klaustrophobisch. Wenn die passionierte Schnapsdrossel „K“ den Stift in die Hand nimmt, dann beginnen die Wörter vor ihren Augen zu tanzen, bis ihr ganz schwindelig ist. Ihr literarischer Erguss ist wie ein psychedelisches Puzzle, das mehr ist als die Summe seiner Teile.
Körperreicher Samstag, 20.15 Uhr Als ich gestern um kurz vor Mitternacht endlich im Bett lag, konnte ich nicht einschlafen. Blähbauch! Lag wohl am Chardonnay, den Else mir als „echten Allrounder und körperreichen Global Player“ empfohlen hatte und der als solcher holzig und wie ein quergeschlagener Baum in meinem Magen lag. Habe also mein iPad genommen und einen Podcast gehört: über nachtaktive Pflanzen und Tricks im Reich der Flora. Sehr spannend! Womöglich zu spannend. Anschließend noch einen Podcast runtergeladen: über die chinesische Kulturrevolution. Dann weitergemacht mit den ersten Religionen und der Geschichte der Umweltbewegung. Boah! Früher wäre ich sofort bei solchen Themen eingepennt und erst wieder aufgewacht, wenn jemand „Pardy hart“ gerufen hätte. Bon. Was nicht mehr ist, kann ja wieder werden, die Lage ist nicht hoffnungslos. Zumal meine Geschmacksnerven noch funktionieren wie am ersten Tag der Schöpfung. Mhm … Der Rioja, der da vor mir auf dem Tisch steht, ist wirklich charaktervoll. Der beruhigt meinen angespannten Magen. Davon nehme ich noch ein, zwei Gläschen. Und der passt auch optisch ganz prima zu meiner neuen Latexlampe. Die ist lang und rot und leuchtet wie ein Pavianarsch in der Dämmerung. Hammergeil.
Hochexklusiver Sonntag, 19 Uhr Was ist passiert? Rudolf Moshammer ist in seiner Münchener Villa erdrosselt worden. Nun muss Hundedame Daisy allein klarkommen. – Ach nee! Das ist ja schon ein paar Tage her, was rede ich denn? Je älter ich werde, desto strubbeliger geht es da oben unter dem Hirndeckel zu. Namen, Daten, Fakten? Alles Schall und Rauch, wenn man in die Jahre kommt. An manchen Tagen verliere ich meine Gedanken schon, bevor sie mir überhaupt in den Sinn gekommen sind. Umso wichtiger ist es, nur Nahrungsmittel zu konsumieren, die den Körper zusammenhalten. Weißwein ist scheiße. Der Rioja von gestern hingegen ist super, Fasching für den Gaumen! Ein Finale, das kein Ende nimmt!
Baskischer Montag, 18.30 Uhr Trage heute Mütze und grüße damit die stolzen Basken, die mir mit ihrem Rioja aus dem Spitzenweinjahr 2011 den Abend veredeln. Hopp hopp, rinn in’n Kopp! Im Büro habe ich vorhin wie der Dude eine ruhige Kugel geschoben, obwohl Montag ist. Seit unsere neue Kollegin – die Dampframme – das ganze Heft vollschreibt und -malt, kann der Rest sich entspannt zurücklehnen und zwischendurch auch mal heimlich in der Nase popeln oder im Internet surfen. Sogar El Cheffe macht es sich nun ab und an in seinem Zimmer gemütlich und lässt Gott einen lieben Mann sein, Stichwort: neue Lässigkeit!
19.38 Uhr Noch vor einigen Monaten war das Ende vom Lied immer, dass wir vor lauter Stress erst in der letzten Nacht vor Andruck dazu gekommen sind, unsere verwarzten Texte zu schreiben. Das ist jetzt Schnee von gestern, seit die Dampframme uns den Rücken freihält. El Cheffes Theorie dazu lautet: Diese Frau ist New York, braucht also niemals Schlaf und ist darum doppelt so produktiv wie wir. Wenn andere nachts pennen, brütet die Dampframme verrückte Ideen aus, badet ihre Nacktkatze oder backt für fünf Fußballmannschaften Kuchen und Krapfen … Apropos Kuchen. Ist noch Wein im Haus?
20.24 Uhr Also in der Zeit, in der andere Kuchen für die Nationalelf backen, trinke ich lieber Wein wie ein Weltmeister, am liebsten diesen Rioja aus dem Spitzenjahr 2011. Hehe … „Wenn manche Leute doppelt so tüchtig wären, wie sie tun, wären sie immer noch nicht halb so tüchtig, wie sie glauben“, sagt El Cheffe jetzt immer im Vorbeigehen und grinst schelmisch. Ich haue dann immer demonstrativ in die Tasten und tue so, als sei ich ganz vertieft in die Arbeit und als hätte ich nichts gehört. Tzzz! Sobald er verschwunden ist, mache ich mit meinem Kram weiter und poste auf Twitter unter der Überschrift „Kerstin Klatschmeier – Mensch“ politisch Brisantes und Pikantes. Tzzz! Akkord ist Akkord und Tempo ein Taschentuch. Und das lasse ich mir nicht nehmen. Tzzz.
21.19 Uhr Sagt die Dampframme doch neulich zu mir, ich soll mal was über Sex schreiben. Häh? Wieso ich? Was habe ich mit Sex am Hut? Das ist ja so, als würde Trümmerfrau Oma Piepenbrink von ihrer Zeit nach dem Ersten Weltkrieg schwärmen, als sie zum ersten Mal im GOP war. Oder so, als würde Erika Berger auferstehen, um den Kids da draußen, die mit Youporn groß geworden sind, noch einmal im TV zu erklären, wo der G-Punkt sitzt und was der weibliche Orgasmus damit zu tun hat. „Hallo, hier ist Erika Berger, wer spricht?“ – Kann man machen, klar. War ja auch immer interessant, was Erika Berger gesagt hat, vor allem, wie sie es gesagt hat und was für ein Kostüm sie dazu getragen hat. Damals waren Schulterpolster ja noch in. *Rülps*
22.49 Uhr Mhm … Sex. *Hicks* Eigentlich eine gute Idee. Wenn man es richtig macht. „Sex-Tapes unlimited“, geiler Titel für ein neues Format. Einfach mal mit Leuten aus Hannover über Sex plaudern. „Herr Ministerpräsident, was ist das Geheimnis Ihrer Sexualität?“ Revolutionäres Konzept! Das könnte funktionieren. Der Vorteil, bei einem kleinen Magazin zu arbeiten, ist ja: Man kann schreiben, was man will, es liest eh keiner. Ich kann hier mein ganzes Tagebuch ausbreiten. Oder etwas raushauen wie „Mutti ist doof“. Da kräht kein Hähnchen nach. Höchstens mal ein halbes, das sich im Wienerwald verlaufen hat.
Italienischer Dienstag, 20.51 Uhr Zur Feier des Tages gönne ich mir einen Mafia-Rotwein zu einem verboten guten Preis! Ein sinnlicher Duftstrauß aus Sizilien, der feurig am Gaumen kitzelt! Else macht zurzeit eine Marihuana-Therapie. Schlägt gut an, sagt sie. Und futtert fleißig ihre selbst gebackenen Kekse, auch wenn wir unterwegs sind. Für mich ist das allerdings nichts. Fühle mich auf Weed immer so breit und flach wie eine Finkenwerder Speckscholle, die in der Mitte zerteilt und zusammen mit Schinken gebraten wird. Else hingegen ist fit wie ein Turnschuh, auch wenn sie leicht behanft durch die Gegend eiert. Das Schröder-Neumann-Syndrom, wonach ein Nüchterner und ein Behopfter/Behanfter/Vollbreiter im Dialog keine gemeinsame Linie finden können, gilt für uns zwei nicht. Intensive Psychogespräche können wir auch dann noch führen, wenn sie ein paar Kekse zu viel intus hat. Meistens sind wir einer Meinung, obwohl sie einen anderen Film fährt. Abgefahren.
Casual Friday, 20.15 Uhr Echte Breaking News flattern immer zum Wochenende ins Büro. Heute zum Beispiel erreichten uns die sensationellen Nachrichten über Gotthilf Fischers große Werkschau zum 70-jährigen Plattenjubiläum (!) und den neuen Sommermix seiner Neuentdeckung Madeline Willers (21) aus Wüstenrot, Ausnahmetalent und Shootingstar der Schlager-Szene mit ihrem Track „Uns gehört die Nacht“.
Großartig ist auch die Meldung, wonach der Grönlandhai 400 Jahre alt werden kann und ein von den Meeresforschern entdecktes Exemplar geboren wurde, als Europa sich im Dreißigjährigen Krieg befand. Erstaunliches hat eine britische Studie zutage befördert: Frauen sehen montags besonders alt aus. Ein hartes Wochenende und beruflicher Stress seien am Anfang einer Woche der Auslöser für Runzeln im Gesicht. Mittwochs um 15.30 Uhr sei es dann ganz besonders schlimm, was ich nur bestätigen kann. Hach, was wäre unsere Welt doch ohne solche Nachrichten? Ein trockengelegtes Jammertal. Apropos trockengelegt …
Kerstin Klatschmeier